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Digital steht im Zentrum, Print liefert Leseerlebnisse

Die Vogel Communications Group baut ihr Fachinformationsangebot um. Zielgruppen werden verstärkt auch durch branchenübergreifende Themen definiert. Zeitschriftenformate spielen weiterhin eine wichtige, aber veränderte Rolle.

Der Fachmedienmarkt wird sich konsolidieren, sagt Ingo Mahl. Erste Entwicklungen in diese Richtung seien bereits erkennbar. Lediglich die vorübergehende coronabedingte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht führe vermutlich noch zu Verzögerungen bei der Marktbereinigung.

Mahl ist im April 2019 bei der Vogel Communications Group (Würzburg) in der damals neu geschaffenen Position des Chief Product Officers (CPO) angetreten, um die strategisch-strukturelle Entwicklung des Unternehmens voranzutreiben. Die Vogel-Gruppe ist einer der großen Player in der industriellen Fachinforma­tion und hat 2019 rund 100 Mio Euro umgesetzt. Im laufenden Corona-Jahr kalkuliert sie allerdings, wie andere Fachinformationsanbieter auch, deutliche Umsatzeinbußen ein, vor allem durch weniger Werbe- und Eventerlöse. Matthias Bauer, CEO der Vogel Communications Group, hatte bereits kurz nach Beginn der Coronakrise und ihren absehbaren Weiterungen reagiert, Kosten reduziert, Personal abgebaut und dabei zugleich auf den ohnehin eingeleiteten strategisch-strukturellen Umbau des Unternehmens verwiesen.

Unter dem Strategie-Schlagwort „Vogel 2022“ hatte die Gruppe bereits 2017 mit dem Umbau und der Neuausrichtung begonnen und im Herbst 2019 mit einem funktionsübergreifenden Projektteam die redaktionelle Neuaufstellung für alle Medienmarken beschlossen. Die Umsetzung des Konzeptes „Redaktion 2022“, mit dem die Gruppe Antworten auf den sich ver­ändernden Markt geben will, wird seit Anfang 2020 vorangetrieben.

CPO Ingo Mahl (47), der den Umbau steuert, erläutert im folgenden Interview Markteinschätzung und Strategie.

 

Change-Manager: Ingo Mahl ist Jurist und wechselte 2019 von Wolters Kluwer Deutschland zur Vogel Communications Group, um dort in der neu geschaffenen Position des Chief Product Officers alle Fachinformationsangebote für die verschiedenen B2B-Zielgruppen der Vogel-Publishingbereiche zu steuern. Bei Wolters Kluwer hatte Mahl zuletzt den Geschäftsbereich Legal Digital Information geleitet. (Foto: Maigut Fotografie)

Welche Marktbewertung steckt hinter dem Umbau der Vogel Communications Group?

Bereits vor der Coronakrise war die ökonomische Situation im Geschäft mit den Fachmedien angespannt. Die bekannte Medienkrise führte zu kontinuierlich sinkenden Werbeumsätzen mit schlechten Renditen sowie einer grundsätzlich zu großen Abhängigkeit von den print-orientierten Geschäftsmodellen.

Dann kam der Transformationsturbo. Die Coronakrise hat wesentliche Entwicklungen massiv beschleunigt: eine Neuaufstellung unseres Produktportfolios, Prozessoptimierung in erheblichem Umfang, neue Produkte und eine noch viel konsequentere Ausrichtung auf digitale Geschäftsmodelle.

Der Fachinformationsmarkt scheint allein von seiner Vielfalt recht vital …

Nach meiner Einschätzung gibt es in zahlreichen Märkten und Zielgruppen ein Überangebot an Fachmedien, vor allem gibt es zu viele austauschbare. Es werden sich, wie in anderen digitalisierten Branchen auch, zunehmend die Player am Markt durchsetzen, die die Mechanismen der digitalen Welt am besten verstehen und den größten Kundennutzen stiften. Wer ein Must-have-Angebot bereitstellen kann, wird seinen Markt dominieren, Nice-to-have-Angebote hingegen werden verschwinden. Viele Anbieter, die mit der rasanten Entwicklung nicht mehr Schritt halten können, werden aufgeben. Die Konzentration bei den großen Häusern wird sich eher verstärken.

Wie gut gelingt Ihnen der Wandel zu digitalen Geschäftsmodellen?

Wir wachsen zwar weiterhin mit unseren digitalen Angeboten, das fängt aktuell aber den negativen Trend im Print-Geschäft nicht gänzlich auf. Gerade unsere Industriemedien haben zusätzlich unter der Krise der Messewirtschaft gelitten. Der Ausfall nahezu aller relevanten Business-Messen und damit auch der Messeausgaben und Messezeitungen, die wir sonst produzieren, hat uns hart getroffen. Nicht zu vergessen ist hier das Event-Geschäft unserer Medienmarken, das ebenfalls starke Einbrüche zu verzeichnen hat, aber durch unsere schnelle Reak­tion und Umstellung auf hybride und rein digitale Events auch viele Chancen bietet.

Heute bin ich froh, dass wir zu Beginn der Coronakrise schon einen guten Teil des Weges gegangen waren. Darauf aufbauend sind wir für die Zukunft gut aufgestellt.

»Das Netzwerken, den persönlichen Austausch können digitale Formate nicht gänzlich ersetzen.«

Wie sehr hat sich die Fachinformationswelt in diesem – neutral gesprochen – besonderen Jahr 2020 verändert?

Die Krise ist ein kraftvoller Katalysator für die Transformation in der Medienwelt, und damit natürlich auch für Fachmedien. Veränderungsprozesse wurden massiv beschleunigt, mit teilweise disruptiver Ausprägung. Es gab ja in einzelnen Fachmedienbranchen bereits eine Marktbereinigung, vor allem hat es die getroffen, die ausschließlich oder wesentlich vom Print-Geschäft abhängig waren. Bei all dem ist nicht nur das Angebot, sondern auch das Arbeiten digitaler geworden: Redaktionen können ganz hervorragend virtuell zusammenarbeiten, untereinander ebenso wie in der Zusammenarbeit mit anderen Teams, Interviewpartnern usw.

Was bedeutet das fürs Angebot – inhaltlich und bei den Formaten?

Dieses Jahr hat uns auch gezeigt, wie bei Fachinformationen der Bedarf an gutem, nutzwertigem Content signifikant gestiegen ist. Nicht nur kurzfristig, sondern spürbar nachhaltig. Hier spielt es uns in die Karten, dass wir intensiv an der Weiterentwicklung unserer Inhalte und Formate arbeiten und viel in die fachjournalistische Qualität investieren. Ich bin überzeugt davon, dass sich dieser Aufwand langfristig lohnen wird.

Denn: Durchsetzen wird sich, wer die größte Relevanz erzielen und den größten Nutzen beim Leser stiften kann. Hier wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Deshalb investieren wir gegen den Markttrend viel in die redaktionelle Weiterentwicklung. Interessant ist im Übrigen, dass sich im Gegensatz zur Situation auf dem Anzeigenmarkt neben Rekord-Besucherzahlen für unsere Fachportale leserseitig auch die Nach­frage nach unseren Fachzeitschriften deutlich positiv entwickelt hat. Unzählige Leser haben zum Beispiel die Möglichkeit der „Umbuchungen“ des Bezugs ins Home­office genutzt. Die Fachzeitschrift, ob nun als gedruckte Ausgabe oder E-Paper, hat hier als Informationsquelle eher noch an Bedeutung gewonnen.

Warum wird sich die „neue Normalität“ massiv von der Vor-Corona-Zeit unterscheiden und in welche Richtung dreht sich die Entwicklung?

Das digitale Zusammenarbeiten und die Nutzung von Tools wie MS-Teams oder Zoom wird genauso bleiben wie die ausgeprägtere Nutzung von Fachinformationen über digitale Kanäle, vor allem im Hinblick auf alle aktualitätsgetriebenen Informationsbedürfnisse. Daneben stellen wir aber auch ein starkes Bedürfnis der Leser nach Leseerlebnissen fest, die auch im Fachinformationsumfeld gute Chancen für Print- und E-Paper-Angebote bieten. Entscheidende Faktoren werden in Zukunft fachjournalistische Qualität, Relevanz und Nutzwert sein. Der Leser schenkt uns seine Aufmerksamkeit nur, wenn es sich für ihn lohnt.

Wissenschaft & Fachinformation – im buchreport.magazin 12/2020

Ein Blick auf die für Fachinformation typischen 4 Strategiefelder Print, Digital, Services und Events. Zunächst die in diesem Jahr vermutlich größte Herausforderung: Was wird aus dem Event-Angebot?

Wir glauben auch weiterhin an Events! Wir haben uns im Frühjahr bewusst dafür entschieden, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern weiter Events zu ver­anstalten – live, hybrid und rein digital. Natürlich hat das nicht immer nur Spaß gemacht. Wir haben zum Beispiel Veranstaltungen, die sonst über 1000 Teilnehmer haben, mit einer Maximalkapazität von 250 Teilnehmern durchführen dürfen. Andere konnten live gar nicht mehr angeboten werden. Unser früh aufgesetztes und kontinuierlich weiterentwickeltes Hygienekonzept hat sich insgesamt aber bewährt, und so konnten wir viele Events in kleinerer Form sicher und erfolgreich durchführen. Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist das Event-Jahr natürlich nicht zufriedenstellend verlaufen.

Wichtig ist aber: Wir haben eine sehr steile Lernkurve, nicht nur mit Sicherheits- bzw. Hygienekonzepten bei Live-Veranstaltungen, sondern vor allem bei der Konzeption und Organisation von hybriden und rein digitalen Events. Ich bin mir sicher, dass uns dieses Wissen in der Zukunft weiterhelfen wird. Wir setzen weiter konsequent auf das Thema Events, zukünftig mit einem breiteren bzw. flexibleren Portfolio aus Präsenz-, Hybrid- und Digitalveranstaltungen. Zusätzlich haben wir gerade eine Full-­Service-Agentur im Bereich B2B-Events gegründet, die Vogel Event Solutions.

Und was man auch nicht vergessen darf: Die Sehnsucht der Menschen nach Live-Veranstaltungen ist groß. Wir haben von unzähligen Teilnehmern auf unseren Events in den Sommer- und Herbstmonaten viel Dankbarkeit und Zuspruch erfahren. Das Netzwerken, den persönlichen Austausch mit Gleichgesinnten und Experten aus einer Branche können digitale Formate nicht gänzlich ersetzen.

»Print wird auch zukünftig eine wesent­liche, aber veränderte Rolle im Medienmix spielen.«

Welche Rolle spielen Services?

Services, vor allem in digitaler Form, werden in Zukunft eine große Rolle spielen. Wir stellen uns insgesamt breiter in unserem Leistungsportfolio auf. Bieten Services einen Mehrwert für Nutzer und Kunden, werden sie diese auch gerne direkt über ihren vertrauten Partner in Anspruch nehmen. Entscheidend ist auch hier, das Leistungsversprechen einzuhalten.

Welche Perspektiven hat Print als Push-, Sichtbarkeits- und Update-Medium?

Print wird auch zukünftig eine wesent­liche, aber veränderte Rolle im Medienmix spielen. Als stark aktualitätsbezogenes Informationsmedium hat Print eher ausgedient, denn aktuelle Informationen erhalten die Leute mit immer höherer Geschwindigkeit und Frequenz über die genutzten digitalen Plattformen, Newsletter, Social-­Media-Kanäle, Apps inklusive Push-Nachrichten usw.

Für bestimmte Leserbedürfnisse bietet sich aber kaum ein anderes Format vergleichbar gut an wie Print: Orientierung, Analyse, Meinung, Überblick, Kommentierung. Ich kann in unvergleichlicher Art und Weise Geschichten erzählen, komplexe Zusammenhänge übersichtlich darstellen, Wissen nachhaltig vermitteln und den Lesern eine Form der Vertiefung und Verinnerlichung bieten, die digitalen Nutzungsformen abgeht. Print wird weiterhin von Bedeutung sein. Anders, mit anderen Erscheinungsfrequenzen, aber weiterhin wichtig!

Kann Digital all die anderen Fachinformationsleistungen bündeln und monetarisieren?

Das digitale Angebot wird zukünftig noch stärker das Zentrum einer Fachmedienmarke bilden. Print, Events, Services er­gänzen dieses Angebot nutzenorientiert. Un­sere Nutzer konsumieren aktuelle Fachinformationen fortlaufend über unsere Fachpor­tale, Newsletter und Social-Media-Kanäle. Abends oder am Wochenende, auf Dienstreisen, tatsächlich sogar im Urlaub, erfolgt Vertiefung und fachliche Unterhaltung mit dem Fachmagazin. Im Schnitt ein- bis zweimal im Jahr sind unsere Nutzer auf unseren Fachveranstaltungen zum Netzwerken, Wissen erweitern, neue Erkenntnisse gewinnen, inspiriert werden.

Sie haben die sinkenden Werbeerlöse an­gesprochen. Wenn sich der Abschied von Marketingbudgets beschleunigt: Was ist das Geschäftsmodell?

Der Kuchen aus den Marketingbudgets wird kleiner, und wir müssen ihn digital mit anderen Mitspielern, den großen Internetplattformen, teilen. Dieser Trend wird sich fortsetzen, da muss man kein Prophet sein. Wir sehen das Werbegeschäft dennoch weiterhin als wesentliche Säule unserer Strategie, aber eben als eine Säule von mehreren. In einigen Branchen erkennen wir mit unseren Fachmedien gute Chancen für ein werthaltiges Paid-Content-­Angebot. Mit den ersten Plus-Modellen ausgewählter Fachmedien werden wir Anfang 2021 auf den Markt gehen. Doch auch die Monetarisierung unserer Reichweiten und Kundenzugänge mit neuen Geschäftsmodellen spielt eine Rolle: Wir integrieren zum Beispiel gerade digitale Branchenstellenmärkte in unsere Fachportale, etwa unter Jobs.elektronikpraxis.de, und ganz frisch ist gerade Next-Mobility.de gestartet, ein Portal rund um die neue Mobilität.

Vogel bedient 14 Branchen, die bisher recht dezentral auf Fachtitel – Print und Digital – bezogen aufgestellt sind: Warum ist es jetzt angesagt, diese Struktur aufzubrechen?

Wir sind in den großen Wirtschaftsbereichen Industrie, Automotive, IT und Recht/Wirtschaft/Steuern aktiv. Die klassische Struktur mit Marken-Silos haben wir bereits stark aufgebrochen. Unsere Marken sind zwar weiterhin wichtig und unser Ziel ist es, für unsere Zielgruppen eine Lovebrand zu sein. Inhaltlich richten wir uns aber viel stärker an den konkreten Zielgruppenbedürfnissen aus, die immer stärker auch branchenübergreifend bedient werden. Hier spielen Querschnittsthemen mit neuen Zielgruppen ebenso eine gewichtige Rolle wie medienübergreifende Events, zum Beispiel „Green Shift“, „The Future Code“ und unser „Industrial Usability Day“.

Wie Vogel neue Plattformen und Communitys aufbaut

Sind die Zielgruppen weniger branchen­bezogen, sondern haben andere Gemeinsamkeiten?

Das kann man so nicht pauschal sagen. Wir haben sehr branchenbezogene Zielgruppen, etwa bei unseren Fachmedien „Laborpraxis“ oder „kfz-betrieb“. Im industriellen Bereich hat hier aber schon eine starke Veränderung stattgefunden. Zielgruppen definieren sich hier viel stärker über Themen, etwa im Bereich von Automatisierung, Additiver Fertigung, KI oder neuer Mobilität. Teilweise unterscheiden sich diese Zielgruppen auch in ihrem Enthusiasmus für ihre Themen. Es gibt hier die Evangelisten und Early Adopter, die man anders ansprechen kann als die Skeptiker in den Branchen, die sich aber auch mit den neuen Themen beschäftigen müssen.

Welche Idee steckt hinter dem Projekt „Redaktion 2022“ und dem zentralen Content-Pool?

In den Fachredaktionen richten wir uns zunehmend stärker an Themen und weniger an Branchen aus. Zudem wollen wir unsere fachjournalistische Qualität deutlich steigern. Das gilt nicht nur für Marken, Formate und Inhalte, sondern etwa auch in der Ausbildung. Gleichzeitig wollen wir deutlich effizienter und dadurch produktiver arbeiten, was natürlich auch die Voraussetzung dafür ist, Inhalte in höchster Qualität liefern zu können. Unsere Vision ist es, Deutschlands modernste Fachredaktion zu entwickeln.

Die Fragen stellte Thomas Wilking wilking@buchreport.de

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