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Die Schreibblockade erfolgreich ausgehebelt

Am 20. April 1999 kamen an der Columbine High School in Columbine, Colorado, zwölf Jugendliche und ein Lehrer bei einem Amoklauf von zwei Schülern ums Leben, 23 weitere wurden verletzt. Die beiden Täter im Alter von 17 und 18 Jahren begingen Selbstmord, eine ganze Nation stand unter Schock. Zehn Jahre später ist die Tragödie in den USA erneut in aller Munde, eindringlich thematisiert in einem Roman, mit dem sich Wally Lamb eindrucksvoll zurückgemeldet hat.

Lange Zeit war es ruhig um den Schriftsteller, dem in den 90er-Jahren als Senkrechtstarter des US-Literaturbetriebs nach zwei Bestsellern alle Türen offen standen. Dann verschwand er von der Bildfläche. Ein schwerer Fall von Schreibblockade. Doch jetzt ist er wieder da – und ebenso erfolgreich wie damals: Am 11. November erschienen, eroberte „The Hour I First Believed“ die US-Bestsellerlisten im Sturm; nach 13 Wochen im Ranking von „Publishers Weekly“ und „New York Times“ hat HarperCollins mehr als eine halbe Million Hardcover abgesetzt. Die Medien reißen sich wie eh und je um den zurückhaltenden Autor mit dem immer freundlichen Lächeln. Eine Lesereise mit einem Dutzend Stationen in den USA und Kanada fand vor ausverkauften Häusern statt.

Mit dem Erfolg im Rücken spricht es sich leichter über den Albtraum eines jeden Schriftstellers. „Ich hatte panische Angst davor, den ersten Satz zu schreiben“, gibt der 58-Jährige heute in Interviews freimütig zu, wie sehr ihm der Writer’s Block zugesetzt hat und wie groß der Erwartungsdruck auf ihm lastete, zwei Topsellern einen dritten Erfolg anzufügen. Zumal seine Karriere als Autor eher zufällig begonnen hat: Lamb erinnert sich gern daran, dass er einst die gleiche Kurzgeschichte zweimal bei der gleichen Zeitschrift eingereicht hat; der Text kam zurück, wurde von ihm versehentlich noch einmal verschickt und veröffentlicht.

Schützenhilfe von Oprah Winfrey

Danach passierte, was sonst nur in Romanen vorkommt. 1992 veröffentlichte der Lehrer seinen ersten Roman „She’s Come Undone“, von dem Oprah Winfrey so be-geistert war, dass sie ihn in ihren TV-Buchclub aufnahm – die Folge: 3 Mio verkaufte Bücher. 1998 schlug das Schicksal in Gestalt der populären Talkmasterin erneut zu: „I Know This Much Is True“, bekam ebenfalls Oprahs Gütesiegel.
Alles in allem war das zu viel des Guten für den Familienvater. Vertragsgemäß hätte er „The Hour I First Believed“ 2004 bei HarperCollins abliefern sollen. Doch dieser Termin verstrich ebenso wie einige weitere. Die Familie, Freunde und eine neue Aufgabe als Dozent für kreatives Schreiben in einem Frauengefängnis in der Nähe seines Wohnortes haben Lamb letztlich aufgefangen. Und irgendwann kam auch der Spaß am Schreiben zurück.

Als Herausgeber am Ball geblieben

Ganz weg von der Buchszene war der Autor in der Zwischenzeit ohnehin nicht: 2003 und 2007 brachte er als Herausgeber bei HarperCollins zwei Bücher mit Texten der von ihm betreuten Frauen heraus, die im Übrigen einen so tiefen Eindruck hinterlassen haben, dass er die Janet S. York Correctional Institution in „The Hour I First Believed“ in einem Sub-Plot eingebaut hat.

So wie Wally Lamb in den USA auf Anhieb den Rapport mit seinen Lesern wiederhergestellt hat, hofft Pendo-Verlegerin Doris Janhsen auch hierzulande darauf, erfolgreich an alte Zeiten anknüpfen zu können. Von „Musik der Wale“ hatte List 1998 über 300 000 Exemplare im Taschenbuch verkauft.

Damals profitierte der Verlag u.a. von einem Trip des Amerikaners nach Deutschland, der für den neuen Titel „Die Stunde, in der ich zu glauben begann“ allerdings nicht geplant ist. Einen persönlichen Touch hat die von Janhsen und Pipers Verkaufsleiter Tino Uhlemann zusammengestellte Kampagne für den Roman gleichwohl: Wally Lamb, der seit Jahren mit der Münchner Verlegerin befreundet ist, hat einen Brief an die deutschsprachigen Buchhändler geschrieben, der Anfang Dezember zeitgleich mit den Leseexemplaren verschickt worden ist.

„Die Stunde, in der ich zu glauben begann“ erscheint in der deutschen Übersetzung von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann als Hardcover am 4. März. Pendo hat seinem Schwerpunkttitel eine Startauflage von 50 000 Exemplaren spendiert. Der Roman wird u.a. massiv in buchhändlerischen Werbemitteln beworben und in der „Lesezeit“ von Klassik Radio als Buchempfehlung des Senders ausführlich vorgestellt. Auch in dem Streuprospekt, der allen Pendo-Büchern beiliegt, sitzt „Die Stunde, in der ich zu glauben begann“ als Aufmacher und Covermotiv in der ersten Reihe.

Anja Sieg, sieg@buchreport.de

aus: buchreport.magazin 3/2009

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