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Die Pyramide hat ausgedient: In welchen Strukturen Fachkräfte künftig arbeiten wollen

„Große Arbeitgeber sind gute Arbeitgeber.“

Diese Überzeugung leitete jahrzehntelang fast uneingeschränkt die Fachkräfte bei der Stellensuche und den Nachwuchs bei der beruflichen Orientierung.

Sie gilt nach wie vor – aber mittlerweile mit großen Einschränkungen. Das zeigen die HR-Experten Sebastian Dettmers und Walter Jochmann im HR-Channel von buchreport.de. Eine große Chance für den agilen Mittelstand im scharfen Wettbewerb um gute Köpfe in Führungsetagen oder beim Nachwuchs.

Mehr denn je interessieren Fachkräfte und auch Führungskräfte sich auch dafür, wie in einem Unternehmen zusammengearbeitet wird, was die Unternehmenskultur prägt und ob ein Unternehmen mit seinen Strukturen in der Digitalisierung bestehen kann.

Personalkonzepte für die Zukunft

Mehr zum Thema Personalmanagement und -führung lesen Sie im HR-Channel von buchreport und Channel-Partner Bommersheim Consulting. Hier mehr…

Eine groß angelegte Studie der Online-Jobplattform StepStone und der Managementberatung Kienbaum zeigt, wie Fachkräfte in Deutschland sich heute Arbeit im Kontext der Digitalisierung vorstellen und was Unternehmen tun können, um die besten Talente zu gewinnen und zu halten. Fachkräfte bewerten nämlich die Strukturen, in denen sie arbeiten, recht kritisch:

  • 55% sind der Meinung, dass ihr Arbeitgeber für die Zukunft schlecht aufgestellt ist.
  • Auch das Verhalten der Vorgesetzten muss sich aus Sicht der Mitarbeiter ändern. Sechs von zehn Fachkräften glauben, dass aktuelle Führungsmuster und -stile den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht werden.

Fachkräfte sind bereit für Innovationen

Eine Führung mittels Zielen und Controlling stellt die in Deutschland übliche Methode der Mitarbeiter- und Projektsteuerung dar. Regelmäßiges Vereinbaren und Überprüfen der Ziele mit dem Vorgesetzten gehört für die Mehrheit der Fachkräfte in Deutschland zum Alltag.

Auch wenn der Name „Zielvereinbarungsgespräch“ einen Dialog voraussetzt, geht es in der Realität oft um eine einseitige Kommunikation von Chefs zu Mitarbeitern und bei den Zielen der Fachkräfte handelt es sich häufig um Direktiven von Führungskräften. Knapp 70% der Befragten gaben an, dass bei der Formulierung ihrer Ziele die Führungskräfte einen entscheidenden Einfluss haben.

Stehen die Ziele einmal fest, wird daran nicht gern gerüttelt. Sie je nach Marktlage oder aktuellem Projektaufkommen flexibel anzupassen, ist in den meisten Unternehmen nicht vorgesehen. Auch wenn in diesem Punkt große Unterschiede zwischen einzelnen Wirtschaftszweigen bestehen, attestieren die Beschäftigten auch Branchen wie der IT oder Werbung, von denen gemeinhin moderne Organisationsstrukturen erwartet werden, eine erstaunlich geringe Flexibilität.

In den letzten Jahrzehnten war die Entwicklung vieler Unternehmen durch permanente Optimierung der Prozesse und Abläufe gekennzeichnet. Effizienzsteigerung war die oberste Priorität und hat nach und nach alle Abteilungen von der Produktion bis zu den administrativen Funktionen erfasst. In diesem Zusammenhang nahmen auch das Controlling und damit die Messbarkeit der Arbeitsergebnisse mehr und mehr eine zentrale Rolle ein.

In einem sich verändernden Marktumfeld spüren zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen die Notwendigkeit, sich zu verändern und innovatives Denken in ihren Reihen zu fördern. „Innovation“ ist einer der am häufigsten verwendeten Begriffe sowohl in der Produktwerbung als auch im Employer Branding. Die Wahrnehmung der Fachkräfte spricht aber eine andere Sprache. Die Unternehmen in Deutschland sind nach Meinung der Beschäftigten eher auf Effizienz als auf Innovation ausgerichtet.

Innovativ oder nicht: Die Meinungen von Führenden und Geführten klaffen auseinander. Bild: StepStone

Innovativ oder nicht: Die Meinungen von Führenden und Geführten klaffen auseinander. Bild: StepStone

Ein erster Lackmustest für die Innovationsfreudigkeit eines Unternehmens ist dessen Umgang mit Ideen aus der eigenen Belegschaft. Ein beachtlicher Anteil der Unternehmen in Deutschland würde diesen Test definitiv nicht bestehen:

  • Fast ein Fünftel der Fachkräfte hat das Gefühl, dass seine Ideen im Unternehmen ausdrücklich nicht erwünscht sind. Von den befragten Führungskräften sind rund 10% dieser Meinung.
  • 26% der Führungskräfte geben an, das Einbringen von Ideen und Verbesserungsvorschlägen von Mitarbeitern werde von der Führung aktiv gefördert – auf der Fachkräfteseite teilen nur 18% diese Einschätzung.

Der durch die Digitalisierung ausgelöste umfassende Wandel in den Märkten führt zu zahlreichen Veränderungen in Unternehmen – sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene. Einige davon wurden schon umgesetzt, vieles steht aber noch bevor. Ob die aktuellen Führungskräfte diesen Herausforderungen gerecht werden und bleiben, ist für viele Fachkräfte fraglich. Sechs von zehn Befragten glauben, dass das Verhalten der Führungskräfte in ihrem Unternehmen nicht geeignet ist, um den Herausforderungen der Zukunft und den Veränderungen der Märkte gerecht zu werden. Das betrifft nicht (nur) die persönlichen Eigenschaften der Führungskräfte, sondern auch die Führungsmuster und -stile. Das passt zu der allgemein kritischen Bewertung der Organisationsstrukturen in Unternehmen: 55% der Befragten sind der Meinung, dass die aktuelle Organisationsstruktur ihres Unternehmens für die Zukunft nicht gut geeignet ist.

Die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland hält ihre Unternehmen für nicht innovativ. Der öffentliche Dienst (>70 % nicht innovativ) sowie die Banken- und Versicherungsbranche (> 60 % nicht innovativ) werden von ihren Mitarbeitern als am wenigsten innovativ bewertet. In den Branchen IT, Fahrzeugbau und Telekommunikation glaubt dagegen eine knappe Mehrheit der Fach- und Führungskräfte, dass ihre Unternehmen innovativ sind.

Auch wenn Innovationen dringend notwendig sind, stehen viele Unternehmen vor der Frage, wie sie diese erfolgreich fördern und umsetzen können. Die aktuell in den Unternehmen vorherrschenden Organisationsstrukturen wirken dabei häufig innovationshemmend. In diesem Punkt sind sich Fach- und Führungskräfte einig und meinen, dass eine veränderte Organisationsstruktur ihre Unternehmen innovativer machen würde. Auch bei der Personalentwicklung und Rekrutierung neuer Mitarbeiter müssen sich die Prioritäten verschieben.

Arbeit an Innovationen erfordert neben dem Fachwissen besonders kreative Herangehensweisen, aber auch Mut und Frustrationstoleranz.

Organisation und Führungsstil bestimmen die Zufriedenheit der Mitarbeiter

„Im Großen und Ganzen bin ich mit meiner aktuellen beruflichen Tätigkeit zufrieden.“ Etwas mehr als die Hälfte der Fachkräfte in Deutschland stimmt dieser Aussage zumindest eher zu. Der hohe Anteil an unzufriedenen Beschäftigten zeigt aber, dass noch viel Potenzial für Unternehmen besteht.

Für drei von vier Fach- und Führungskräften ist die Organisationsform wichtig für ihre Jobzufriedenheit. 45% haben im Laufe ihre Berufslaufbahn den Arbeitgeber gewechselt, weil sie unzufrieden mit dessen Organisationstruktur waren. Der große Einfluss der Unternehmensstruktur auf die Zufriedenheit ist an diesen Ergebnissen gut erkennbar: Der höchste Anteil an zufriedenen Mitarbeitern findet sich in Unternehmen, die agil organisiert sind. In funktional organisierten Unternehmen gibt es hingegen die wenigsten zufriedenen – genau diese Organisationsform ist in Deutschland am weitesten verbreitet.

So wünschen sich Fachkräfte ihr Unternehmen. Bild: StepStone

So wünschen sich Fachkräfte ihr Unternehmen. Bild: StepStone

Als eindeutig zufriedenheitsfördernd erweisen sich außerdem flache Hierarchien. Deutlich weniger zufrieden sind Fachkräfte, die in einem Mehrlinien- Führungssystem arbeiten, also gleich mehrere direkte Vorgesetzte haben.

Führungskräfte hängen eng mit der Organisationsstruktur zusammen, sind aber noch bedeutender für die Zufriedenheit der Mitarbeiter – für neun von zehn Fachkräften ist ein guter Chef wichtig für die Jobzufriedenheit. Mehr als 50% haben schon mal den Job wegen einer Führungskraft gewechselt.

Eine gute Führungskultur im Unternehmen spielt also bei Jobentscheidungen qualifizierter Spezialisten eine entscheidende Rolle. Das gilt sowohl für den Bewerbungsprozess als auch für die langfristige Motivation und die Bindung ans Unternehmen.

Den Führungskräften in Deutschland ist ihre Verantwortung bewusst:

  • 95% der befragten Führungskräfte stimmen der Aussage zu, dass eine gute Führung einen großen Einfluss auf die Mitarbeiterbindung hat.
  • Auch die Veränderungswünsche der Basis kommen in den Chefetagen an: 60% der Führungskräfte meinen, die Erwartungen an die Führungskräfte hätten sich deutlich verändert, weitere 32% sehen zumindest partiell veränderte Erwartungen.

Fazit

Veränderung wird von Fachkräften nicht als etwas per se Bedrohliches wahrgenommen. Die Mehrheit der Fachkräfte erkennt, dass eine veränderte Organisation die Innovationskraft ihrer Firma stärken würde. Die meisten möchten künftig nicht in Unternehmen arbeiten, die traditionell und straff organisiert sind.

Wollen Unternehmen zukunftsfähig bleiben und hoch qualifizierte Mitarbeiter finden sowie langfristig binden, sollten sie folgende Handlungsempfehlungen beherzigen:

  • Zielorientiert agieren – in welchen Unternehmensbereichen sind Innovationen besonders notwendig? Welche Teams und Prozesse eignen sich am ehesten für Flexibilisierung? Veränderungsprozesse können im Kleinen begonnen werden. Bei konsequenter Umsetzung profitiert das ganze Unternehmen.
  • Klein anfangen – lieber kleinere, aber ernst gemeinte und sauber evaluierte Projekte mit veränderten Organisationsstrukturen umsetzen, als groß angelegte, aber oberflächliche Kampagnen ohne wirkliche Einbeziehung der Belegschaft durchführen.
  • Wünsche der Mitarbeiter als Motivation für Veränderungsprozesse nutzen – Fachkräfte möchten keine straff geführten Organisationen? Dann sind sie gefordert, Veränderungsprozesse aktiv mitzugestalten und neue Spielräume aktiv zu nutzen.
  • Den Mitarbeitern mehr Verantwortung übertragen – selbstverantwortliches Arbeiten steht hoch im Kurs und kann zunächst bei einzelnen Projekten ausgetestet werden.
  • Mitarbeiterinitiative wecken – Ideen und Vorschläge aus der Belegschaft systematisch einfordern, sammeln, umsetzen und wertschätzend behandeln.
  • Individuelle Karrierewege ermöglichen – wirklich persönliche, für einzelne Mitarbeiter relevante Entwicklungsperspektiven ziehen Talente an und binden diese.
  • Ehrlichen Umgang mit Reorganisation und flacheren Hierarchien seitens der Führungskräfte pflegen – nur wenn die Veränderungen wirklich vom Management aller Ebenen gelebt werden, sind diese glaubwürdig und steigern die Mitarbeiterzufriedenheit.
  • Anpassungen beim Recruiting vornehmen – bei der Suche nach Mitarbeitern, die Innovation vorantreiben sollen, auf die wesentlichen Anforderungen konzentrieren und bewusst vom Standard-Kandidatenmuster abweichen.
  • Erfolge bei der Reorganisation im Recruiting offen kommunizieren – authentische Kommunikation über Prozesse im Unternehmen bringt Pluspunkte bei Kandidaten.

Die Autoren

Dr. Sebastian Dettmers absolvierte die Universität Münster und stieg 2007 bei der Axel Springer AG ein – zuletzt bis 2011 als General Manager für das Rubrikenanzeigen-Geschäft. Seitdem ist er Geschäftsführer der Springer-Beteiligung StepStone. 

Prof. Dr. Walter Jochmann graduierte in Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Heute ist er Geschäftsführer von Kienbaum Consultants International GmbH

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