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»Der Raum wartet auf mehr als nur den Verkauf«

Verleger wollen, dass der Buchhandel auf hohem Niveau erhalten bleibt. Die buchreport-Serie »Meine Buchhandlung« zeigt beispielhafte Konzepte. Thienemann-Esslinger-Leiter Sven Zorman schätzt Buch und Spiel in Stuttgart.

Auf dem Weg von der Bushaltestelle an der Hauptstraße entlang läuft man fast vorbei. Erst eine bunte Girlande am ansonsten farblosen Zaun und ein großes gelbes Schild an der grauen Fassade des zurückliegenden Gebäudes lenken die Aufmerksamkeit auf die Buchhandlung Buch und Spiel. Das Geschäft ist in der 1976 gebauten Stuttgarter Kirche St. Stefan untergebracht, die ohne lang gezogenes Kirchenschiff und Turm aufwartet – unscheinbar auf den ersten Blick.

Marie-Luise Zeuch (r.) ist Germanistin und war kurzzeitig Lehrerin. ‧Neben Buch und Spiel betreibt sie auch die Edition Tertium. In der Buchhandlung wird sie unterstützt von Rosalie Draeger. (Foto: buchreport/CR)

Doch im Inneren wird die Besonderheit des Gebäudes deutlich. Beim Betreten der Buchhandlung, die nach der Profanierung 2018 eingezogen ist, fällt der Blick sofort auf das große Kirchenfenster, durch dessen Lichteinfall eine besondere Atmosphäre entsteht. Im Kirchenraum sind Altar, Kreuz, Tabernakel und Ambo zurückgeblieben und erinnern zwischen Büchern und Spielwaren an die ehemalige Nutzung des Gebäudes. Der Betonaltar kann auch gar nicht entfernt werden „oder nur mit so viel Aufwand, dass viel zerstört würde“, sagt Marie-Luise Zeuch.

Die Geschäftsführerin von Buch und Spiel verkauft in St. Stefan auf 200 qm seit ihrem Umzug vor etwas mehr als einem Jahr Bücher, Spielzeug und Spiele für alle Altersgruppen, vom Baby bis zum Erwachsenen: „Wir wollten nicht nur für Kinder da sein. Die Vorstellung, zu sagen: ‚Schön, dass ich dich so lange betreut habe, aber jetzt habe ich nichts mehr für dich‘ konnte mir nicht einleuchten.“ Seit der Geschäftsgründung war ebenfalls klar, dass Bücher und Spielwaren zusammengehören. Mittlerweile hat sich herauskristallisiert, dass das Sortiment zu jeweils einem Drittel aus Büchern für Erwachsene (hauptsächlich Belletristik), Kinder- und Jugendbüchern sowie Spielwaren besteht, wozu auch Gesellschaftsspiele für Erwachsene gehören.

Im Spielwarenbereich wurde die Auswahl sowohl nach den Bedürfnissen der Kunden als auch danach, was „wir für sinnvoll erachten“, zusammengestellt, so Zeuch, die abseits des Mainstreams nach besonderen Dingen sucht. Manche Produktgruppen nimmt sie aufgrund der Konkurrenzsituation nicht ins Sortiment, weil sie bei den Rabattschlachten mit den Kaufhäusern vor Weihnachten nicht mithalten kann.

Also besinnen sich Zeuch und ihre Mitarbeiterinnen auf ihre Stärken als stationäre Händler. Sie machen Veranstaltungen wie Spiele- und Vorlesenachmittage, auch Puppentheater gab es schon. Außerdem kommt die Beratung nicht zu kurz. „Jedes Kind hat eine andere Entwicklung. Da muss man die Dinge gut kennen“, so Zeuch. „Ich bin überzeugt, dass jedes Kind gern liest, man muss nur das richtige Buch finden. Das Spannende bei mir im Laden ist, die Kinder heranwachsen zu sehen und sie zu begleiten.“

 

Kündigung in der Markthalle

Gegründet wurde Buch und Spiel im Jahr 2001. Zusammen mit Ernst Wolfgang Huber betreibt Zeuch die Edition Tertium, und „schon damals war absehbar, dass es nicht einfach wird für kleine Verlage. Also haben wir noch ein weiteres Standbein gesucht.“ Viele Jahre war Buch und Spiel in einer Markthalle ansässig, u.a. mit einem Lebensmittelladen, einer Bäckerei und Gastronomie als Nachbarn. Doch die Halle wurde verkauft, die Mieter mussten ausziehen. Zeuch hatte Probleme, ein neues Ladenlokal zu finden, wurde aber schließlich durch Mitglieder der Gemeinde darauf hingewiesen, dass die Kirche eine Option sei. „Ich bin mit dem Pfarrer in Kontakt getreten und wir haben sehr schnell entschieden, dass es wunderbar sein könnte“, erinnert sich die Buchhändlerin. Einziger Wermutstropfen: Es dauerte fast ein Jahr, bis alle Formalitäten erledigt waren, sodass Buch und Spiel ein Dreivierteljahr keine Bleibe hatte. Also wurden alle Möbel und Waren untergestellt, bis zur Neueröffnung in der Kirche.

Im Interview spricht Marie-Luise Zeuch über die Atmosphäre, die Kunden und den Spielwarenhandel.

Was macht den Verkauf in einer Kirche zu etwas Besonderem?

In diesem Raum findet man automatisch Ruhe, das haben mir schon viele Kunden bestätigt. Sie empfinden keinen Stress mehr, wenn sie sich hier aufhalten. Manchmal kommt jemand auch nur, um hier zu sitzen und das Fenster anzuschauen. Mir ist sehr wichtig, dass die Buchhandlung ein Ort ist, an dem man sich gern aufhält.

Sie möchten die Gemeinde integrieren.

Das Gebäude soll als Räumlichkeit der Gemeinde erhalten bleiben. Das ist uns gelungen. Wir machen hier auch Veranstaltungen, bisher hauptsächlich musikalische, aber wir hatten auch schon eine Lesung. Wir sind so eingerichtet, dass wir relativ schnell die Möbel verschieben können. Die Akustik ist wirklich hervorragend hier. Der Raum wartet auf mehr als nur den Verkauf.

War der Umzug ein Wagnis?

Ja. Wir liegen hier ziemlich abseits, aber wir hatten jahrelang einen festen Kundenstamm aufgebaut. Hier im Westen Stuttgarts haben wir besondere Kunden, denen ich von vielen außergewöhnlichen Büchern für meine Verhältnisse sehr viele verkaufen konnte. So war ich sicher, dass unsere Kunden uns finden und wiederkommen werden. Und sie sind ja auch wiedergekommen, auch wenn man sich vornehmen muss, hierher zu kommen. Man hat keinen Parkplatz mehr vor der Tür wie früher, man kann nicht mehr schnell reinspringen, ein Brötchen holen und noch eine Geburtstagskarte mitnehmen. Das ist hier grundsätzlich anders.

Haben Sie etwas am Umsatz gemerkt?

Wir haben nicht mehr ganz den Umsatz erreichen können, den wir in der Halle hatten. Aber wir waren ein Dreivierteljahr weg, von daher ist es ein kleiner Neustart. Ich bin aber sehr zufrieden mit der Entwicklung.

Wer kauft bei Ihnen?

Wir haben ein sehr aufgeschlossenes Publikum, das extrem viel vorliest. Die Kinder, die in die Schule kommen, werden sehr gut begleitet und können sehr früh schon hervorragend lesen. Es wird sehr großen Wert darauf gelegt, dass die ersten Jahre, in denen es um das Lesen geht, noch wirklich genutzt werden.

Wie werden Bücher und Spiele präsentiert?

Gemischt, beides ist absichtlich nicht getrennt. Das Kaufen soll ein Erlebnis sein, bei dem man sich umschaut und Dinge entdeckt. Es gibt so viele Einkaufssituationen, die langweilig sind. Zum Einkaufen gehört aber nicht nur, dass man etwas besorgen muss, sondern auch Freude. Das ist unser Ansatz.

Viele Spielwarenläden müssen schließen. Spüren Sie die Konkurrenz aus dem Internet?

Wir punkten im Bereich Gesellschaftsspiele für Kleine und Erwachsene. Meine Mitarbeiterin kann jedes Spiel erklären, das wir verkaufen. Dadurch haben wir einen festen Kundenstamm. An unseren Spielenachmittagen stellen wir nicht nur neue Spiele vor, sondern jedes Spiel, das die Kunden interessiert. Sie dürfen alles ausprobieren. Damit können wir uns vom Online-Handel abheben und ich habe noch nicht beobachtet, dass die Kunden sich hier beraten lassen, um das Spiel anschließend woanders zu kaufen.

Viele Buchhändler setzen auf Spielwaren als Ergänzungssortiment. Was halten Sie von der Strategie?

Man kann nicht einfach nur Spielwaren anbieten, um noch einen Umsatzbringer zu haben. Das müssen Dinge sein, mit denen ich etwas anfangen kann, hinter denen ich stehe. Wir haben Outdoor-Produkte von Haba, weil ich es für wichtig erachte, dass Kinder rausgehen. Wenn man Kugelbahnen hat, muss man wissen, warum man diese anbietet und keine andere, und die muss man auch erklären können. Man muss auch wissen, für welches Alter sie wirklich geeignet sind.

Text | Interview  Christina Reinke

 

 

Meine Buchhandlung

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Buch und Spiel

Rotenwaldstraße 98, 70197 Stuttgart Tel. 0711/3651165 | buchundspiel-stuttgart.de

  • Geschäftsführerin: Marie-Luise Zeuch
  • Schwerpunkte: Bücher für Erwachsene, Kinder und Jugendliche, Spielwaren, Gesellschaftsspiele
  • Verkaufsfläche: 200 qm
  • Mitarbeiter: 1 Teilzeit, 1 Aushilfe

»Meine Buchhandlung«

Hier ist nichts zufällig

Sven Zorman über die Buchhandlung Buch und Spiel in Stuttgart

Sven Zorman (Foto: Bernadette Goth)

Bücher kaufe ich am liebsten im Buchhandel. Eigentlich immer und mit meiner Tochter sowieso. Aber als ich gefragt wurde, ob ich einen Beitrag für die Rubrik „Meine Buchhandlung“ schreiben möchte, habe ich einen Moment gezögert. Ich liebe es zu stöbern, Bücher zu entdecken und lieben Freunden ein Buch mitzubringen. Aber besonders mag ich es, zu beobachten und Menschen dabei zuzusehen, wie sie Bücher kaufen oder gezielt nach Empfehlungen fragen. Dabei lernt man unheimlich viel über unsere Branche, die Kunden und die engagierten Buchhändler und Buchhändlerinnen, die sich tagtäglich für das geschriebene Wort engagieren. Das ist der Grund, warum ich die Buchhandlung Buch & Spiel von Inhaberin Marie-Luise Zeuch vorstellen möchte. Nachdem ihre Buchhandlung aus der alten Bauernmarkthalle am Vogelsang im Stuttgarter Westen ausziehen musste, hat sie allen Mut und alle Kraft zusammengenommen, um neu anzufangen. Und das nicht irgendwo, sondern in einer Kirche.Wenn man die ehemalige Kirche St. Stefan heute betritt, spürt man sofort, welch einzigartige Atmosphäre diese Buchhandlung umgibt. Die Kirche wurde natürlich vor Einzug noch offiziell entweiht, aber Altar, Marienfigur und Kreuz sind noch heute da. Dieser Bereich im alten Kirchenraum wird genutzt – für religiöse und werteorientierte Bücher. Hinter der heute stets offenen Kirchentür finden sich hauptsächlich Bücher für Kinder und Jugendliche, eingerahmt von einem großen Rosenglasfenster. Aber Frau Zeuch bietet auch Brettspiele, Holzspielzeug, Plüschtiere und eine sehr gut gepflegte Literaturecke für Eltern und junge Erwachsene. Was sofort auffällt: Hier ist nichts zufällig. Frau Zeuch und ihr Team wählen mit großer Treffsicherheit Titel aus und finden den perfekten Mix aus Anspruch und Unterhaltung.

Und warum sollte eine Buchhandlung nicht hochwertige Spielsachen im Sortiment führen können, um die Welt der Bücher zu ergänzen? Da liegt dann ein Kochbuch für Kinder neben einer Holzküche und das Wimmelbuch zu den Fahrzeugen neben einer Spielzeug-Feuerwehr. Ergänzt wird das umfangreiche Sortiment durch zahlreiche Veranstaltungen wie Vorlese- und Spielenachmittage, Tischtheater oder Jazzabende. Auf diese Weise wird Buch & Spiel zu einem Erlebnisort für die ganze Familie. Ich finde dieses Konzept großartig und so bleibt die Buchhandlung auch ein Ort der Begegnung, wie es die Kirche St. Stefan mehr als 40 Jahre gewesen ist.

Unsere Branche kann stolz darauf sein, Buchhändler und Buchhändlerinnen wie Frau Zeuch in ihren Reihen zu wissen, die sich mit viel Herz und Leidenschaft für das gedruckte Buch einsetzen. Im Moment sprechen wir sehr viel über sich verändernde Innenstädte, den zunehmenden Leserschwund oder das veränderte Kaufverhalten. Und das ist auch richtig so. Dennoch sollten wir einen Teil unserer Zeit darauf verwenden, kreative Konzepte wie Buch & Spiel zu fördern und zu unterstützen.

Wenn meine einjährige Tochter morgens aufsteht, geht sie häufig direkt zu ihrem Bücherregal und ruft „Buch“. Das ist doch schon mal ein Anfang, oder …

Sven Zorman ist kaufm. Leiter von Thienemann-Esslinger.

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