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Das verlassene Labor der Bücher

Die Buchbranche sieht sich einer gefährlichen Entwicklung gegenüber, analysiert Colin Robinson, Mitherausgeber des US-Indie-Verlags OR Books in einem Gastbeitrag für die „New York Times“. Einst hätten viele Experten die Leser durch den Dschungel der Neuerscheinungen geleitet. Inzwischen müsse sich der Buchkäufer meist alleine durch die Titel kämpfen. Dabei werde die Midlist übersehen.

Diese Entwicklung macht Robinson an folgenden Faktoren fest:

  • Die Gesamtumsätze mit Büchern sind zurückgegangen, die Verlagsumsätze sind aber weitgehend stabil geblieben – insbesondere weil die meisten Verlage ihre Kosten zurückgefahren und an der Midlist gespart haben. Die Verlagsvorschüsse wurden gekürzt, auch an Lektorat und Marketing wird gespart.
  • Die Preiskämpfe, angeführt von Amazon, haben immer mehr stationäre Buchhändler in die Knie gezwungen; viele Filialisten stellen nur noch ungelernte Kräfte ein. Der Leser hat kaum noch Gelegenheit, eine Empfehlung von einem Buchhändler zu erhalten.
  • Bei den Bibliotheken wird der Rotstift angesetzt, viele von ihnen müssen schließen. Eine weiterer Ort für potentielle Entdeckungen, der verloren geht.
  • Der Platz (und das Budget) für professionelle Buchrezensionen in renommierten Tages- und Wochenzeitungen schwindet. Online-Plattformen versuchen die Lücke zu schließen, sind aber finanziell mager ausgestattet. Somit gibt es auch immer weniger Literaturkritiker, die die Leser an die Hand nehmen können.
  • Weil ein Algorithmus nicht mit einer persönlichen Empfehlung mithalten kann, weichen immer mehr Leser auf Social Reading Communities aus. Doch die Autorität der Laienkritiker ist schwer zu beurteilen; neue Entdeckungen, die den eigenen Horizont erweitern, sind selten.
  • Infolge der sinkenden Vorschüsse wird das Schreiben mehr und mehr zu einem Feld für Prominente und Akademiker, denen es eher um ihren Ruf und das mit der Buchveröffentlichung verbundene Marketing als um das Werk an sich geht.
  • Immer mehr Hobby-Autoren drängen auf den Markt, die Fülle an neuen Büchern von Selfpublishern macht es immer schwieriger für den Leser, den Überblick zu behalten und die Perlen herauszufischen.

All diese Entwicklungen führen in eine Richtung, so Robinson: „Die Buchkäufer werden konfrontiert mit einer verwirrenden Vielzahl von Möglichkeiten und erhalten bei der Auswahl kaum noch Hilfe von Experten. So entscheiden sie sich für den sicheren Weg – und schließen sich entweder der breiten Masse oder einem Nischenpublikum an. Und die Midlist, das Versuchslabor der Verlage, wird aufgegeben.“

Kommentare

2 Kommentare zu "Das verlassene Labor der Bücher"

  1. Ausgerechnet Amazon, der in dieser Branche so verhasste Krake, wird der Midlist und der Backlist zu einer glorreichen Zukunft verhelfen. Stimmt, in den grossen Buchläden in den Cities liegen überwiegend nur noch die Stapel der letzen Werke von Talkshowstammgästen herum. Aber bei Amazon ist viel mehr Raum für ältere Werke. Nicht nur Hobby-Autoren, auch Profis werden in Zukunft ihre älteren Bücher bei Amazon selbst verlegen. Das deutsche Buchwesen sollte sich beeilen, einen mindestens gleichwertigen Service anzubieten. Und nicht ständig über Amazon jammern.

  2. Amélie von Tharach | 6. Januar 2014 um 13:05 | Antworten

    Zitat aus dem vorstehenden Text: „Die Buchkäufer werden konfrontiert mit einer verwirrenden Vielzahl von Möglichkeiten und erhalten bei der Auswahl kaum noch Hilfe von Experten. So entscheiden sie sich für den sicheren Weg – und schließen sich entweder der breiten Masse oder einem Nischenpublikum an.“

    Übersetzt bedeutet das: „Buchkäufer sind dumm. Buchkäufer brauchen Beratung, weil die sonst mit der sprichwörtlichen Stange im literarischen Nebel herumstochern. Buchkäufer brauchen den Rat von Experten, die sich aus welchen Gründen auch immer in die lichten Höhen des Elfenbein-Expertenturms aufgeschwungen haben.
    Fazit: Buchkäufer sind unmündige Zombies…“

    Das alles habe ich vor Jahren aus anderen Branchen schon mal gehört, zum Beispiel als die ersten Elektronik-Märkte auf den grünen Wiesen entstanden sind. Oder von den Computerläden, oder … Der „sogenannte“ Fachhandel hat den Untergang des Abendlandes gesehen, und die Käufer haben den „Experten“ den Mittelfinger gezeigt, und dort gekauft, wo es die größte Auswahl gibt, die schnellste Lieferung, den besten Preis, den besten Service, und bei Nichtgefallen das Geld zurück gibt. Und die Welt dreht sich immer noch.

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