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Michael Lüders und sein Fenster zum Hof

Wo entstehen Bücher? Diese Frage beantworten Autorinnen und Autoren regelmäßig in der buchreport-Serie „Mein Schreibtisch“. Dieses Mal: Michael Lüders, der sich, wenn es ums Schreiben geht, als „Gewohnheitstier“ bezeichnet und sagt: „Es gibt Autoren, die können überall schreiben. Ich brauche mein Fenster zum Hof.” 

(Foto: Mike Minehan)

Als Autor bin ich ein „Gewohnheitstier“, ein Wochentags-Arbeiter mit festen Zeiten. Montag bis Freitag sitze oder stehe ich an meinem Schreibtisch, von 8 bis 14 Uhr. Am Wochenende arbeite ich nie. Zum Auftakt überfliege ich die Überschriften und die Themenwahl deutschsprachiger und internationaler Medien, ver­tiefe mich sporadisch in lässliche Dummheiten hier, in Stein gemeißelte Überzeugungen dort. Diese tägliche Routine gibt mir Halt, lights my flame: Die Welt wird nicht besser, ihre maßgeblichen Akteure drehen sich im Kreis. Wie umgehen mit der Wut, wie der Lüge begegnen? Eine Antwort ist das Schreiben. Oft werde ich gefragt, ob es leichter sei, ein Sachbuch zu verfassen oder einen Roman. Beides setzt eine gewisse Obses­sion voraus – und eine Haltung. Der Roman lebt von der Fiktion, mit dem Autor als Regisseur. Innenleben auszuleuchten, Charaktere zu erschaffen, an ihrer Seite Abenteuer zu bestehen, im Großen wie im Kleinen – das ist ein Privileg.

Der Sachbuchautor hingegen ist ein Asket. Wie die Rinde kann er sich vom Baum nicht lösen. Der Gegenstand seiner Betrachtung verlangt nach Faktizität. Die Phantasie ist hier lediglich ein Mittel zum Zweck, kein Selbstläufer. Um jene Fragen zu stellen, die in der Sache weiterführen, nicht lediglich Altbekanntes wiederholen. Emotional und geistig stehe ich auf Seiten derer, die von der Geschichte oder den Zeitläuften überrollt worden sind, die im Leben kein Glück hatten oder haben.

Michael Lüders

Michael Lüders (Foto: Mike Minehan)

Der gebürtige Bremer Michael Lüders, Jahrgang 1959, ist promovierter Islamwissenschaftler und gefragter Kommentator in den Medien des DACH-Raumes rund um die Themen Nahost, arabische Welt und den Islam. Er kann auf Lehrtätigkeiten an den Universi­täten in Marburg, Sakarya (Türkei) und Trier verweisen sowie auf Politikberatung, u.a. für das Auswärtige Amt. In Nachfolge von Peter Scholl-Latour ist er der der­zeitige Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Er hält Vorträge über das Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt in den USA, Europa, Asien und Afrika. Auf Youtube äußert sich Michael Lüders regelmäßig zu aktuellen politischen Themen. Seine Bücher erscheinen bei C.H. Beck.

Aktuelle SPIEGEL-Bestseller*

  • Die scheinheilige Supermacht (3/2021), bester Platz: 5
  • Die Spur der Schakale (1/2020), bester Platz: 17
  • Armageddon im Orient (8/2018), bester Platz: 3
  • Die den Sturm ernten (11/2017), bester Platz: 1
  • Wer den Wind sät (3/2015), bester Platz: 1
  • Iran. Der falsche Krieg (5/2012), bester Platz: 36
  • Im Herzen Arabiens (3/2004), bester Platz: 45

*SPIEGEL-Bestsellerliste Hardcover Sachbuch, Paperback Sachbuch und Paperback Belletristik

Der Blick aus meinem Arbeitszimmer in Berlin gibt mir Schwung und Energie. Die Perspektive ändert sich nicht und ist doch selten gleich. Im Sommer stehen die Fenster offen, rund um den Innenhof nehme ich Kinderstimmen wahr, Telefonate, Gespräche, Gelächter, Kabbeleien. Diese Symphonie inspiriert mich, sie fließt ein in das, was ich schreibe. Die Innenwelt verbindet sich mit der Außenwelt. Es gibt Autoren, die können überall schreiben. Ich brauche mein Fenster zum Hof. Der begrünte Balkon, ein mächtiger Ahornbaum im Innenhof zeigen mir den Wechsel der Natur, vom Sommer bis in den Winter und wieder retour. Ein Kreislauf, der die eigene Vergänglichkeit in Erinnerung ruft. Beim Schreiben die Spreu vom Weizen trennt: Was ist wichtig, was nicht? Welcher Gedanke führt weiter, welcher nicht?

Zwei persische Teppiche verleihen meinem Arbeitszimmer Atmosphäre und Flair, ebenso kleinere Kunstwerke von Benin in Westafrika über Jemen bis nach Pakistan, Mitbringsel von Reisen. Weltläufigkeit ist ebenso ein Teil von mir wie das Heimische, das Vertraute im Lokalen. Kreativ bin ich vor allem dann, wenn ich meiner inneren Stimme folge, allzu Kleinteiliges von mir fernhalte, ebenso den jeweiligen Zeitgeist. Den Nachmittag und den Abend widme ich der Familie und Freunden, der Natur und dem Sport. Ich lese oder sehe mit Vorliebe dänische und skandinavische Filme und Serien, meist auf Arte. Unterdessen legt, ein Mysterium geradezu, das Unterbewusstsein die Gleise für den nächsten Arbeitstag, das nachfolgende Kapitel.

Schwerpunkt Sachbuch – im buchreport.magazin 09/2021

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