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Bücher im Browser – Abschied von den „Content-Silos“

Durch das Zusammengehen der Verbände IDPF und W3C könnten digitale Bücher in Zukunft ganz anders aussehen. Im Interview zeigt Webinar-Referent Fabian Kern die Perspektiven von Büchern im Browser. Hier können Sie das Video bestellen.

Fabian Kern, Berater bei smart digits

Was erwarten Sie von der Allianz von IDPF und W3C?

Das IDPF ist – oder war, muss man wahrscheinlich inzwischen sagen – ja ein Zusammenschluss von Verlagen und Publishing-Technologie-Unternehmen, das für die Pflege des Epub-Standards verantwortlich ist – das W3C kümmert sich dagegen seit über 20 Jahren um die Spezifikation der Basistechnologien für das Internet, wie HTML, CSS, Javascript, XML, etc. Vom dem Zusammenschluss der beiden Organisationen würde ich mir erwarten, dass die Entwicklung von Publishing-Formaten wie Epub schneller, professioneller und konsistenter mit der Entwicklung der Web-Technologien vonstatten geht. In den letzten Jahren gab es oft die Situation, dass im Epub-Standard Features spezifiziert wurden, die durch die Arbeiten an HTML5 relativ schnell wieder obsolet waren, oder gar Widersprüche zu aktuellen Web-Standards bildeten – solche Reibungsverluste sind letztlich unnötig und hemmen alle Beteiligten.

 

Und das W3C reduziert die Reibungsverluste?

Das W3C hat daneben nicht nur jahrzehntelange Erfahrung mit der Erstellung und Pflege von Standards für Basistechnologien, sondern auch mit dem mühsamen Diskussionsprozess, die großen Technologie-Konzerne auch zu einer Implementierung dieser Standards zu bewegen. Sieht man sich die schleppende Entwicklung bei der Umsetzung von Epub3 durch die Anbieter im E-Book-Markt in den letzten Jahren an, kann diese Erfahrung nur von Vorteil sein.

Nicht zuletzt sehe ich im W3C eine Lobby für das Web auf der Basis offener Standards und ein Gegengewicht gegen proprietäre Technologien – auch das kann der Entwicklung von Publishing-Formaten nur gut tun. Ein erstes Konzept, das aus dieser Zusammenarbeit entstanden ist, ist ja der Entwurf für die sogenannten „Portable Web Publications“: Eine Art E-Book-Variante, die als Web-Anwendung statt als Container-Datei realisiert wird – solche Ideen gehen meiner Meinung nach genau in die richtige Richtung.

 

Wie verändert das Zusammengehen den digitalen Buchmarkt?

Direkte, unmittelbare Veränderungen im digitalen Buch- und Verlagsmarkt sehe ich durch diesen Zusammenschluss noch nicht schnell – eher eine mittelfristige Bewegung hin zu schnellerer, konsistenterer Arbeit an den Basistechnologien für das digitale Publizieren.

 

Sind Epub-E-Books nur ein Übergangsformat?

Ich würde das sehr hoffen. Wobei der Grundansatz von Epub – die Strukturierung von Buchinhalten mit Web-Technologien wie HTML, CSS, XML, Javascript – ja eine sehr gute Idee ist. Aber ich denke, in der technischen Entwicklung der letzten Jahre haben wir sehr deutlich gesehen, dass alleine die Tatsache, dass der Epub-Container immer die Implementierung von spezialisierten Lese-Anwendungen nötig macht, zu einer großen Zahl von technischen Unzulänglichkeiten bei den verschiedenen E-Book-Anwendungen führt. Mein Eindruck ist, dass ein gängiger Epub-Reader vom Rendering der HTML/CSS-Inhalte her gegenüber einem modernen Web-Browser sicher etwa fünf Jahre hinter der Entwicklung hinterher ist. Einen wesentlichen Teil der Probleme in E-Book-Layout und Design der Inhalte hätten wir nicht, wenn der Content schlicht in einem aktuellen Browser angezeigt würde.

Dazu kommt der Faktor, dass HTML-Inhalte in Containerformaten wie Epub immer in einem „Content-Silo“ eingesperrt sind und nicht mit den üblichen Mechanismen des Web wie Suchmaschinen-Indexierung, Verlinkung, Crawlbarkeit erfassbar sind. Ähnlich wie Inhalte von Mobile-Apps bleiben HTML-Daten von E-Books damit immer „Bürger zweiter Klasse“ im Web. Natürlich würde ich mir vorstellen, dass auch bei einem Web-Standard für Bücher im Browser das Strukturierungsprinzip der Inhalte relativ ähnlich zu dem von Epub bleibt – ich würde mir nur wünschen, dass es irgendwann einmal technisch egal ist, ob diese Inhalte nun in einer ZIP-Datei verpackt lokal auf einem Gerät abgelegt werden oder ob sie in ausgepackter Form über eine Web-Applikation zur Verfügung gestellt werden.

 

Es gibt seit Jahren einige Bücher-im-Browser-Projekte wie von Penguin, allerdings hat man nicht den Eindruck, dass diese besonders erfolgreich waren. Wo sehen Sie Ursachen?

Nun, zunächst einmal habe ich bisher noch kein „Books in browsers“-Projekt gesehen, das wirklich ein großes Titelportfolio oder gar den gesamten Bestand einer Verlagsmarke beinhaltet hätte. Und bei relativ kleinen Pilotprojekten ist die Reichweite und Sichtbarkeit natürlicherweise schon durch das Angebot begrenzt.

Ein weitere Herausforderung, die ich als relativ groß einschätze, ist das gelernte Kauf- und Marktverhalten der Leser: Im digitalen Lesen haben wir die Kunden jetzt über Jahre hinweg – und zum Teil relativ mühsam – daran gewöhnt, wie E-Book-Shops aufgebaut sind, dass Content dort bezahlt wird und auf welchem Weg das geht, und wie das ganze Zusammenspiel von Kaufprozess, E-Book-Bibliothek, Lese-Applikationen und Reader-Hardware in einem E-Book-Ökosystem funktioniert. Hier jetzt noch einmal ein neues Marktverhalten zu etablieren, bei dem man für den Zugang zu einer Web-Applikation Geld bezahlt und sich der gesamte Content-Konsum nur noch im Web-Browser abspielt, wird meiner Meinung nach nochmal eine ganze Zeit dauern.

Was die „Pelican Books“ von Penguin als Referenz-Beispiel angeht, kommen hier sicher gleich mehrere Faktoren zusammen: Obwohl diese Web-Bibliothek technisch wirklich exzellent gemacht ist, vor allem was das responsive Design von grafisch durchaus anspruchsvollem Content angeht, ist die Titelmenge und das Angebot schon extrem gering – in meinen Augen ein typisches Leuchtturm-Projekt.

Und neben der auch für die Penguin-Verantwortlichen völlig unklaren Kunden-Akzeptanz für ein reines Web-Angebot ist „Pelican Books“ daneben noch in die Falle der internationalen Verwertungsrechte gelaufen: in dem Moment, wo Inhalte übers Web verkauft werden, kann der Kunde natürlich überall auf der Welt sitzen – was zu relativ großen Problemen führt, wenn Content nur für bestimmte Länder oder Regionen lizensiert wurde. Nachdem Penguin das klar wurde, ist hier relativ schnell ein IP-basierte Geo-Filter eingesetzt worden – was das juristische Problem löst, aber die Reichweite wieder deutlich senkt.

 

Wo sehen Sie die entscheidenden Vorteile von Web-Büchern?

Ein wesentlicher Vorteil ist zunächst einmal die Unabhängigkeit von herstellerspezifischen, proprietären Formaten und E-Book-Leseanwendungen. Wenn der Content-Reader schlicht ein moderner Web-Browser ist, können Content-Anbieter auch die ganze Mächtigkeit moderner Web-Technologien für Inhalte und Funktionalität einsetzen – z.B. für responsives Layout, Barrierefreiheit, Einsatz moderner Web-Typografie oder für interaktive/dynamische Inhalte. Auch eine nahtlose Verknüpfung von E-Book-Inhalten und anderen Web-Angeboten könnte mit sehr viel weniger Medienbrüchen als aktuell in einem Epub-Reader realisiert werden.

Ein weiterer, ganz zentraler Aspekt ist sicher die relative Unabhängigkeit von den großen E-Book-Marktplätzen. Mit „Books in browsers“-Angeboten ist ein Content-Anbieter sowohl technologisch als auch vom Vertriebsweg her nicht mehr unbedingt auf die Apples und Amazons der Welt angewiesen – nur gilt hier wie bei allen Direktvertriebs-Modellen natürlich: Man kann alles selber machen, man muss aber auch alles selber machen.

 

Wo sind die Nachteile solcher Fomate?

Eine Einschränkung des Buchs als Web-Applikation ist natürlich, dass der Browser zum Lesen erst einmal auf eine Online-Verbindung angewiesen ist – bei der Netz-Situation in Deutschland kein geringer Nachteil. Grundsätzlich ist lokales Caching von Buchinhalten oder gar der Aufbau einer lokalen E-Book-Bibliothek für eine Offline-Funktionalität zwar technisch möglich, bedarf aber einiger zusätzlicher Implementierung. Das ist sicher ein lösbarer Faktor, wird aber auch nicht von heute auf morgen technischer Standard werden.

Die wesentliche Herausforderung sehe ich aber vor allem in der Kunden-Akzeptanz: Wenn man Lesen im Browser in der Breite etablieren will, ist es meiner Meinung nach notwendig, mindestens dasselbe Level an Bequemlichkeit und nachvollziehbaren Kaufmechanismen zu gewährleisten, wie das aktuell beim E-Book-Kauf in einem der großen Shops gegeben ist – sprich, wenn es für den Kunden am Ende egal ist, ob er eine E-Book-Datei oder den Zugriff zu einer Web-Applikation erwirbt, und es am besten identisch funktioniert.

 

Zur Person: Fabian Kern ist bei der Unternehmensberatung smart digits Experte für digitale Workflows und Produktion. Er verfügt über mehrjährige Erfahrungen als Projektleiter in Medienunternehmen, u.a. in der Entwicklung digitaler Workflows, von Prozess-Designs und System-Architekturen, als Spezialist für XML-Datenhaltung und die integrierte Produktion von Print-Produkten und Online-Datenbanken zur E-Book-Erzeugung und Web-Technologien. Kern ist Dozent an der Akademie der Deutschen Medien und der LMU München.

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