buchreport

Buchkommunikatoren sorgen für Begegnungen

Wie können sich kleinere und mittelständische Buchhandlungen in Zukunft profilieren?“, formulierte Dorothea Redeker (Foto) im Frühjahr 2004 ihre Leitfrage, als sie als Quereinsteigerin für drei Jahre die Geschäftsführung im Sortimenter-Ausschuss des Börsenvereins übernahm. Die heute selbstständige Beraterin hat die Fragestellung mittlerweile über konkrete Einzelfälle hinaus mit Methoden qualitativer Sozialforschung durchdrungen und die Antworten jetzt unter dem Titel „Quo vadis, Buchhandel?“ in einer 232-Seiten-Disserta­tion verdichtet (Verlag Peter Lang, ISBN 978-3-631-59398-1).

Der Veränderungsdruck und die Herausforderungen sind derart groß, dass Buchhändler ihren Handlungsauftrag an­ders begreifen und ihre Rolle neu erfinden müssen, lautet eine zentrale These Redekers. „Die Buchbranche steht erst am Anfang eines Transformationsprozesses, dessen treibende Elemente die Kultur des Internets und die Digitalisierung sind“, so Redeker.

In buchreport arbeitet Dorothea Redeker die neue Ausgangslage und die Perspektiven speziell für Stand­ort­buchhändler heraus und entwickelt drei konkrete Handlungskonzepte:

  • Der vor allem auf jüngere Leser zielende Lesecoach (hier mehr)
  • Der stark vernetzte, in Nutzerszenarien denkende Themenmentor (hier).
  • Der Buchkommunikator, der neue Formen anbietet, sich über Bücher auszutauschen (nachfolgend).

Das Leseverhalten hat sich durch Internet und Digitalisierung in den letzten Jahren deutlich verändert. Viele Leser bewegen sich fließend zwischen Texten, Bildern, Filmen, Musik und Audiobotschaften. Neben dem interpretativen und zeitintensiven Lesen von Büchern entwickelt sich eine digitale Lesart, bei der das schnelle Screening von Texten, die Verwendung multimedialer Elemente und die Verlinkung zu neuen Angeboten zur unmittelbaren Le­seumgebung gehören.

Hinzu kommen kommunikative Elemente, die die Verbreitung der Meinung des Lesers einbeziehen. Dies erfolgt beispielsweise durch Rezensionen und Bewertungsskalen, aber auch durch Weiterleiten von Meinungsbeiträgen oder Empfehlungen an ausgewählte Adressaten.

Lesen wird zur vernetzten Aktivität

In der neuen Lesesphäre verändert sich auch das Finden und Einordnen von Lesestoffen:

  • Hintergrundinformationen, Ge­schichten zum Buch oder Autor, Anknüpfungen an gesellschaftliche Trendthemen oder auch persönliche Bezüge treten in den Vordergrund und lösen die Orientierung am Produkt ab.
  • Inhalte, die in Zusammenhänge eingeordnet werden können und in diesem Kontext vom Leser aufgegriffen werden, finden leichter Aufmerksamkeit.
  • Unter dem Stichwort Social Web werden neue Formate entwickelt, um sich über In­halte auszutauschen, sei es über die Kommentarfunktionen in Online-Foren, in Communitiys oder zunehmend über offene Kommunikationskanäle wie Twitter oder Facebook.

Folge dieser Entwicklung ist, dass sich nicht nur die Leser vernetzen, sondern letztendlich das Lesen selbst eine vernetzte Aktivität wird und Lesewünsche nach kosten­pflichtigen Angeboten durch Downloads oder On­line-Bestellungen unmittelbar und ohne zusätzlichen Aufwand erfüllt werden.

Kunden als vermittelnde Leser verstehen

Den Trend zum vernetzten Lesen greifen Buchhändler in ihrer Rolle als Buchkommunikator auf. Sie verbinden dabei den Anspruch der Leser, Bücher über neue Formate gezielter einordnen und unterhaltend besprechen bzw. bewerten zu können, mit den Besonderheiten und Vorzügen einer lokalen Präsenz.

Dabei spielt das Ambiente der Buchhandlung – jenseits ihrer Funktion als Verkaufsraum – eine zentrale Rolle. Buchhandlungen positionieren sich als Kommunika- tions- und Begegnungsorte, in denen nicht nur Buchhändler beraten und empfehlen, sondern Leser mit anderen Lesern, Autoren, Künstlern oder neu zu entdeckenden Beteiligten aktiv ins Gespräch kommen. Sie ge­stalten Aktionen mit und nutzen die Buchhandlung als „Ambientespender“ exklusiv für eigene Anliegen.
Buchkommunikatoren sehen Kunden nicht nur als Buchkäufer und Empfänger von Dienstleistungen, sondern begreifen sie als aktive, vermittelnde, kommunikations­trei­bende und meinungsmachende Le­ser mit regionalem Bezug. Diesen Kunden können  Buchhandlungen entsprechende Angebote und Ak­tionsräume bieten, auch in Kooperation mit Partnern aus dem lokalen Umfeld.

Stationäre Sortimente kommen mit diesem Ansatz dem kommunikativen Verhalten im Internet entgegen, erweitern aber als Vor-Ort-Buchhandlung die „Internetelemente“ um persönliche Begegnungen und regionale Einbindung. Im Zusammenspiel von Ambiente (z.B. der Buchhandlung), neuen Veranstaltungsformaten, Expertenkompetenz (Buchhändler) und Empfehlungsumgebungen von (Mit-)Lesern bauen sie eigene, buchhandlungsbezogene Communitys in der realen Begegnung auf. Damit binden Standortbuchhandlungen ihre Kunden über Leistungen, die über die bisherigen Verkaufs- und Ser­vice­funktionen deutlich hinaus gehen.

Ambiente und Kultur schaffen

Das Leistungsangebot von Buchkommunikatoren baut auf drei Modulen auf, die die unterschiedlichen und veränderten Anforderungen der Kunden an eine Lese- und Buchkaufumgebung widerspiegeln. Sie generieren darüber hinaus neue Geschäftsfelder bzw. Zusatzgeschäfte für das Kerngeschäft Buchhandlung.

1. Basismodul Handel/Service – Rolle: Dienstleister

Buchkommunikatoren können in Buchhandlungen aller Sortimentsausrichtungen in Kombination mit den klassischen Leistungen einer Buchhandlung im Besorgungs- und Beratungsgeschäft erfolgreich sein. Ein grundlegendes Profil entwickeln sie bereits durch die Präsentation des Sortiments. Die Präsentation richtet sich dabei nicht nur an Elementen aus, die das Gesamtangebot strukturieren, sondern sie sendet bewusst kommunikationsbezogene und persönliche Botschaften. Dazu gehören beispielsweise Thementische zu aktuellen Trends, die den Kunden die Einordnung von Titeln jenseits der gängigen Genres erleichtern und gleichzeitig über Ästhetik, Emotionen und inhaltsbezogene Assoziationen Aufmerksamkeit erzeugen.

In der ungestörten Stöberatmosphäre einer Buchhandlung bieten Einstecker mit persönlichen Empfehlungen von Mitarbeitern der Buchhandlung oder bekannten Mitbürgern einer Stadt Orientierung und laden gegebenenfalls in einem weiteren Schritt zu einem Kundengespräch ein.

Auch spezifische Bestsellerrankings der Buchhandlung eignen sich als persönliche Botschaft, weisen sie doch auf die Interessen der Kunden vor Ort hin und stellen einen regionalen, identitätsformenden Bezug dar. Beide Elemente – persönliche Empfehlungen und regionale Bestsellerrankings – lassen sich nicht nur auf der Ladenfläche, sondern auch als individuelle Note für die Online-Auftritte der Buchhandlungen verwenden.

2. Ambiente der Buchhandlung – Rolle: Ambientespender

Nicht nur die Filialisten, sondern auch viele mittelständische und kleinere Buchhandlungen haben ihre Läden in den letzten Jahren neu gestaltet und eine Wohlfühlatmosphäre mit Convenience-Elementen geschaffen, die Kunden zum längeren Verweilen und zum entdeckenden Einkaufen einlädt. Der Verkaufsraum entwickelt sich dabei immer stärker von einem Handelsort zu einem inszenierten Raum mit Buchambiente, der sich nicht nur für kulturelle Veranstaltungen klassischen Zuschnitts eignet. Ein Buchhandelsraum dieser Ausprägung ist prädestiniert für neue Formate mit exklusivem Charakter und für Angebote, die die Kunden in die Kommunikation über Inhalte einbezieht. Als Buchkommunikator nutzen die Buchhändler dabei ihre inhaltliche Titelexpertise, schaffen aber parallel einen neuen Freiraum für anlassbezogene und interaktive Austauschformate über Bücher.

Erfolgreiche Beispiele solcher Konzepte sind Stöberabende nach Ladenschluss, bei denen Buchhändler ihren Laden einer ausgewählten Gruppe Interessierter für einige Stunden überlassen. Die Besucher können in Ruhe Bücher durchblättern, anlesen oder auch untereinander ins Gespräch kommen und am Ende des Abends die ausgewählten Titel erwerben. In manchen Fällen bilden sich daraus sogar literarische Zirkel mit einer entsprechend engen Bindung an die Buchhandlung.

Eine Variante solcher exklusiven Veranstaltung besteht in der Vermietung oder dem Überlassen der Buchhandlung für be­sondere Anlässe, mit oder ohne Beteiligung des Buchhändlers. Auch hier werden zum Anlass passende Titel vorgestellt, em­pfohlen und verkauft, mit dem zusätzlichen Vorteil eines von Kundenseite aus gesteuerten Empfehlungsmarketings, das der Buchhandlung neue Kundenkreise erschließt.

Schließlich eignen sich Buchhandelsräume für Ausstellungen unterschiedlicher Couleur. Dazu gehört nicht nur die klassische Kunstausstellung, sondern auch die Präsentation handwerklicher Produkte. So verlegen Buchhandlungen beispielsweise die feier­liche Lossprechung von Schreinern in ihre Räume, stellen die gekürten Objekte aus und verkaufen parallel entsprechende Sach- und Fachtitel in durchaus nennenswerter Zahl.

Viele Buchhändler machen die Erfahrung, dass sie Kunden mit diesen Formaten stärker an ihr Unternehmen binden, während Lesungen als traditionelles Kulturveranstaltungsformat nur noch mit bekannten Na­men erfolgreich sind. Bestsellerautoren oder Schriftsteller mit medienwirksamen Auszeichnungen sind zumeist Garanten für hohen Publikumszuspruch, sind aber für die überwiegende Anzahl an Buchhandlungen nicht oder nur mit Partnern finanzierbar.

3. Regionaler Vernetzer – Rolle: Kulturschaffender

Buchkommunikatoren positionieren sich im regionalen Umfeld als offener kultureller Partner und Vernetzer. Die in der Studie untersuchten Buchhandlungen betonten dabei, dass für eine erfolgreiche Verankerung und authentische Wahrnehmung der Schritt vom Kulturveranstalter zum „Kulturschaffenden“ Voraussetzung für einen Erfolg sei. Erst mit diesem Label gelingt es, für andere Partner eine aufwertende Institution zu werden. Analoges gilt für die Medien- und Pressearbeit, die für einen anerkannten, kulturschaffenden Betrieb mit kommerziellem Hintergrund andere Möglichkeiten eröffnet, als ein kommerziell tätiges Unternehmen, das auch Kulturveranstaltungen anbietet.

Eine Variante, sich als Buchkommunikator und Kulturschaffender zu etablieren, sind Veranstaltungen mit Eventcharakter, bei denen regionale Partner finanzielle und räumliche Unterstützung bieten und Buchhändler ihre organisatorische Expertise, ihre Nähe zu Autoren und Verlagen sowie ihr inhaltliches Know-how ausspielen können.

In der Zusammenarbeit mit Bibliotheken, die ihre Häuser zunehmend interaktiven Veranstaltungsformen öffnen und zu Begegnungsorten werden, eröffnen sich weitere Potenziale genauso wie in der Zusammenarbeit mit örtlichen Gewerbe- oder Handels­unternehmen, die eigene Anlässe durch Autoren, Künstler, passende Medien oder buchaffine Produkte bereichern möchten. Ob Literatur beim Weinbauern, Sachbücher bei Autohändlern und Banken oder eine Kooperation mit Bestattungsunternehmen, wie sie die Schiller-Buchhandlung in Stuttgart erfolgreich betreibt: Der Kreativität eines Buchkommunikators in seiner Rolle als Kulturschaffender sind keine Grenzen gesetzt.

Von der Theorie zur Praxis: 4 Aspekte

Eine Profilierung als Buchkommunikator, aber auch als Lesecoach oder Themen­mentor, wie in den vorangehenden Folgen dargestellt, baut auf einer klaren strategischen Entscheidung der Buchhandelsunternehmen auf. Diese Entscheidung setzt Transparenz über Kompetenzen, Stärken und Interessen der Mitarbeiter einer Buchhandlung voraus und leitet die gewählte Positionierung aus lokalem Standort, Potenzial im Internet und möglichen Vernetzungspartnern ab. Für eine erfolgreiche Umsetzung sind vier Aspekte wesentlich:

  • Vernetztes Denken: Die Konzepte basieren auf einem vernetzten Denken mit Sinn für neue Zusammenhänge. Offenheit, Flexibilität, Interesse am Ausprobieren, auch in der virtuellen Welt, sind Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung. Erfolge in einem vernetzten Arbeiten sind in vielen Fällen nicht das Resultat einer geplanten Aktivität, sondern eines Seitenstranges, den man umgehend greifen muss.
  • Beziehungsorientierung: Eine Profilierung als Buchkommunikator, Themenmentor oder Lesecoach setzt das Interesse von Buchhändlern voraus, persönliche Beziehungen zu Kunden aufzubauen und natürlicher Partner in der gemeinsamen Begegnung mit dem Buch und dem Lesen zu sein. Dabei erleichtern CRM-Systeme die alltägliche Arbeit, ersetzen aber nicht den persönlichen, immer in Bezügen denkenden Kontakt.
  • Integrierte Online-/Offline-Welten: Ein Online-Auftritt mit eigenen aktuellen Inhalten und integrierten Shop- und Download-Möglichkeiten gehört zum Basisangebot aller Profilierungsausrichtungen. Social-Web-Aktivitäten im Internet werden für die Buchhändler an Bedeutung gewinnen, nicht nur für die lokale Präsenz, sondern auch für die Generierung zusätzlicher Umsätze über die Online-Plattform.
  • Zeitkomponente: Eine Profilierung jenseits der originären buchhändlerischen Handels- und Servicekomponente benötigt Zeit. Erste sichtbare ökonomische Erfolge zeigen sich in der Regel frühestens nach zwei bis drei Jahren.

Kundenorientierung lautet das Schlagwort der letzten Jahre. Der beschriebene erweiterte Handlungsauftrag des Buchhandels antizipiert das veränderte Kunden- und Leseverhalten und setzt damit auf einer Strategie auf, die den Kompetenzen und Stärken der einzelnen Buchhandlungen als orientierungsgebende und dirigierende Partner in einer Erlebnis- und Wissensgesellschaft wieder mehr Raum gibt.

Dorothea Redeker, www.dorothea-redeker.de

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