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Antwort auf Unstetes: Agilität

Lässt sich die Arbeit in Buchverlagen organisieren wie IT-Projekte? Der Berater Edgar Rodehack sagt: Unbedingt! Weil auch die Verlagswelt unwägbarer wird.

Edgar Rodehack ist Organisationsberater und Coach. Stationen: Ausbildung zum Buchhändler geisteswissenschaftliches Studium und gleichzeitiger Einstieg in die Verlagsbranche (dtv) Studienabschluss und Auslandsaufenthalt in Irland mit internationaler Vertriebs- und Projekterfahrung in der IT-Branche. Wiedereinstieg in die deutsche Verlagsbranche mit mehreren vertriebs-, service- und IT-nahen Positionen als Projektleiter, Key-Account-Manager, Abteilungsleiter (Holtzbrinck, Bonnier). Seit 2013 branchenübergreifend freiberuflich als Unternehmensberater aktiv – rodehack.de (Foto: Jan Ingenhaag)

Agile Methoden finde er persönlich interessant, sagte mir ein Verleger, aber für seine Arbeit kämen sie nicht in Betracht. Denn er arbeite mit Texten und Menschen, Technik stehe da nicht im Vordergrund. Dass Agilität eine Methode ausschließlich für die IT und ihre Projekte ist, also ungeeignet für die Verlagsarbeit, ist ein bedauerliches Missverständnis. Denn agile Ansätze können auch Verlagen heute sehr nützlich sein.

Verlagsleute erleben täglich, dass Verlagsprozesse immer auch IT-Prozesse sind, beim Büchermachen, beim Vermarkten. Und sie erfahren, dass die IT dabei schon länger an Grenzen stößt, allerdings nicht an technische. Es geht um Abläufe und darum, Komplexität zu strukturieren. Alles wird aufwendiger und schwieriger. Die über Jahrzehnte gewachsenen Systeme sind zu unübersichtlich. Es werden immer größere, dynamischere Ansprüche gestellt. Es gelingt immer seltener, Projekte schnell, gut und rentabel umzusetzen.

Die IT-Herausforderungen spiegeln dabei meist nur das Geschäft wider, die Schwierigkeiten, mit denen sich heute jede Verlagsabteilung herumschlägt. Fachabteilungen und IT sind untrennbar miteinander verbunden und voneinander abhängig. Die Probleme der Fachabteilungen sind die Probleme der IT – und umgekehrt. Und was für Probleme gilt, gilt auch für Lösungen. Es könnte also helfen, den Silodeckel der eigenen Abteilung anzuheben und in die Welt der IT zu blicken, zu deren Hauptaufgabe heute gehört, Komplexität und Unwägbarkeiten zu managen.

Zu sehen ist da zum Beispiel, dass man sich dort seit einer ganzen Weile von der bis dato vorherrschenden Wasserfall-Methode („top down“ planen, per „Command-and-Control“ abarbeiten) verabschiedet und sich agilen Ansätzen zuwendet.

Wettbewerb erzwingt Agilität

Verlagsmenschen arbeiten und organisieren sich dagegen in der Regel nach dem Wasserfall-Prinzip. Verleger bzw. Geschäftsführung sind verantwortlich für den Programm- und Geschäftsplan, den die Beschäftigten umsetzen. Und sie tun dies sequenziell: Sobald ein Arbeitsschritt fertig ist, geht er zur weiteren Bearbeitung an die Nachbarabteilung. Um mehrere Projekte parallel und reibungslos zu bearbeiten, tagt man in Managementrunden und überprüft in Jour fixes den Stand.

Das funktioniert gut – wenn von Anfang an möglichst alle Anforderungen bekannt sind. Wenn wenig Unvorhergesehenes geschieht. Aufgaben werden dann reibungslos rechtzeitig erledigt. Selbst komplizierte Vorhaben gelingen unter solchen Umständen: In Time. In Budget. In Quality.

Nur leider arbeiten Verlage immer seltener unter solchen Bedingungen. Egal ob Autoren, Handel, Leser/Käufer, Mitarbeiter oder Investoren: Sie alle sind anspruchsvoller, unsteter, ungreifbar. Und die volatilen Rahmenbedingungen: Verlage konkurrieren nicht mehr nur mit anderen Verlagen. Sie treten inzwischen gegen allerlei Branchenfremdes, Angesagtes, Potentes an: Amazon, Google, Youtube, Netflix, Spotify, Social Media, Binge Watching, Gaming …

Wenn Unwägbarkeiten zunehmen

Das alles hat wesentliche Auswirkungen:

  1. Kunden entscheiden allein, ob ein Produkt oder Service gut und akzeptabel ist. Push-Ansätze funktionieren immer seltener und wirken kontraproduktiv. Ob Geld verdient wird, wird vor allem an der Schnittstelle zum Endverbraucher entschieden.
  2. Kundenwünsche, Anforderungen und Umstände ändern sich laufend und schnell. Das ist sicher. Nicht aber, wann und wie. Niemand kann im Vorhinein sagen, welche Maßnahmen welchen Effekt haben werden. Selbst erfahrene Experten kennen die Ursache-Wirkung-Zusammenhänge nicht.
  3. Der Weg zum Ziel lässt sich zwar planen. Der Plan ist aber ständig zu überprüfen und anzupassen.
  4. Auch das angestrebte Ziel wird sich im Verlauf verändern („Moving Target“). Und so ist es auch ständig zu überprüfen, anzupassen oder gar aufzugeben.
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Stillstand im Wasserfall

In überschaubaren, sicheren Situationen sind Wasserfall-Ansätze ideal. Wird es jedoch unsicher oder komplex, helfen sie nicht nur nicht, sie verhindern sogar, dass gut gearbeitet werden kann. Denn sie treiben (ungewollt) ungute Entwicklungen voran.

Sequenzielles Arbeiten in starren Abteilungsgrenzen mit unflexiblen Hierarchien, statusorientierten Entscheidungsrollen und gestaffelten Abstimmungsrunden fördert,

  • dass zu viel überflüssige Arbeit getan wird (z.B. werden oft Dinge, die sich nicht kontrollieren lassen, unnötig kontrolliert)
  • dass zu lange und zu ausführlich geplant wird, was sich nicht planen lässt
  • dass zu spät entschieden wird
  • dass tendenziell uninformiert und am echten Bedarf vorbei entschieden wird. Betroffene, Experten oder Kunden werden nicht beteiligt
  • dass riesige Wechselkosten auflaufen. Lange Entscheidungswege führen zu langen Wartezeiten. Die Organisation beginnt, oft an zu vielen Dingen parallel zu arbeiten, und ohne sinnvolle Priorisierung. Nicht das Wichtigste wird bearbeitet, sondern was bearbeitet werden kann
  • dass die Menschen zu unehrlichem Verhalten neigen: Die Wirklichkeit wird dem Plan angepasst. Unrealistische Lagebilder führen zu unguten Entscheidungen
  • dass sich die gesamte Verlagsarbeit ver­zögert
  • dass die Preise viel höher sind als sie sein könnten und im Wettbewerb vielleicht sogar sein müssten
  • dass Stress, Konflikte und Schuldzuweisungen aufkommen, bei Belegschaft und Management Zufriedenheit, Motivation und Leistungsfähigkeit sinken (innere Kündigung, Burnout), Innovationskraft, Kundenzufriedenheit und -loyalität abnehmen
  • und dass am Ende die Rendite weit unter den Möglichkeiten bleibt.

Wichtig: Zu diesen Entwicklungen kommt es nicht, weil hierarchische Command-and-Control-Strukturen und silogetriebenes Arbeiten grundsätzlich schlecht oder wenig leistungsfähig sind, sondern deshalb, weil sie für stabile Marktumfelder gedacht sind, die auch Verlage heute immer seltener antreffen.

Deshalb machen sich agile Formen der Zusammenarbeit allerorten breit – auch außerhalb der IT. Denn wenn die Umstände schon allgemein unsicher sind, sollen alle Beteiligten zumindest strukturell und organisatorisch möglichst viel Sicherheit und Handlungsspielraum haben.

Agil dynamischer werden

Alle agilen Arbeitsrahmen (Scrum, Kanban, Design Thinking, DevOps, Lean Start-up etc.) folgen dem gleichen Prinzip:

  • In festgelegten, kurzen Abständen werden Planung, Tun, Überprüfung/Learnings und Anpassungen wiederholt
  • Relativ kleine, sorgfältig abgewogene Schritte in kurzen Zyklen (Scrum: 1 bis 4 Wochen) minimieren das Risiko und erhöhen die Lerngeschwindigkeit.

Denn: Sie sorgen laufend für kleinere, überprüfbare Ergebnisse. So erhält man schnelle Rückmeldungen, die helfen, das Gesamtprodukt auch schnell zu verbessern und auch die Qualität und Umstände der Zusammenarbeit. So baut sich bei allen Beteiligten (Selbst-)Vertrauen und (Selbst-)Sicherheit auf.

Ein wichtiges Ziel agilen Arbeitens ist, dass sich Teams auf Wesentliches, nämlich ihre (wertschöpfende) Arbeit konzentrieren. Sie sollen nicht ankündigen und vertrösten, sondern laufend liefern, und zwar so, dass es den internen und externen Kunden nutzt und gefällt.

Konsequent wird deshalb für möglichst gute Arbeitsbedingungen gesorgt und der Sand aus dem Getriebe gehalten: Hinder­liches wird sofort aus dem Weg geräumt, Ablenkungen, unnötige Arbeiten, Wechsel und Wartezeiten vermieden.

In der Praxis heißt das: Gute agile Teams

  • regeln die Verantwortlichkeiten neu und so, dass Programm-Macher, Marketing- und Vertriebsleute ein gemeinsames Team bilden und auf Augenhöhe arbeiten können. Trotz gelegentlicher unterschiedlicher Interessen und Aufgaben sind alle für das Gesamtergebnis verantwortlich;
  • entscheiden selbst und ohne Manager, wie sie sich organisieren, um die Ergebnisse zu erarbeiten. Das Management steckt lediglich den allgemeinen Rahmen;
  • kümmern sich ständig darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und als Team besser zu werden;
  • haben alle benötigten Kompetenzen im Team. Der Abstimmungsaufwand wird kleiner, die Umsetzungsgeschwindigkeit größer;
  • bleiben unnötigen Meetings fern und finden stattdessen regelmäßig, wiederkehrend und zeitlich begrenzt zusammen, um über relevante Dinge zu sprechen;
  • priorisieren und wählen selbst ihre Aufgaben („Pull statt push“);
  • begrenzen die Arbeit bewusst: So wird mehr fertig, Menschen bleiben motiviert, leistungsfähig, gesund und es bleiben Reserven für Unvorhergesehenes;
  • verzichten grundsätzlich auf überflüssige Arbeiten, z.B. unnötiges Reporting, und automatisieren so viel wie möglich, z.B. notwendiges Reporting.

Agiles Arbeiten hat also viel mit Organisation und zunächst wenig mit IT-Technik zu tun. Und: Es ist ein anderer Weg als der, den viele Verlage bislang gehen. Es ist ein Paradigmenwechsel. Denn Geschäfte lassen sich nur weiterentwickeln, wenn sich Strukturen weiterentwickeln. Und so wird mit Agilität eben keine IT-Methode eingeführt. Vielmehr wird das Geschäft allgemein grundlegend anders organisiert.

Die IT hat zuerst begonnen, hinderliche Strukturen durch agile zu ersetzen. Dies setzt sich konsequenterweise in anderen Bereichen fort. Ebenso könnte Agilität Verlage fit machen für eine risiko- und auch chancenreichere Welt. Sie könnten autoren-, leser- und mitarbeiterfreundlicher werden. Vor allem zuversichtlicher, attraktiver und besser. Und damit: rentabler.

Nicht, weil bisherige Strukturen schlecht wären, sondern weil es die Umstände erfordern. Es ist Zeit für passendere Ansätze.

Edgar Rodehack  info@rodehack.de

Welche agile Methode eignet sich wofür?

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