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Cay Rademacher: Zwischen gestrandeten Relikten des Lebens

Wo entstehen Bücher? Und welchen Routinen folgen Autoren eigentlich beim Schreiben? In der buchreport-Serie „Mein Schreibtisch” gewähren Autoren Einblick in ihre Arbeit.

Dieses Mal: Cay Rademacher, der in einer ehemaligen Ölmühle im Süden der Provence lebt und in seinem Arbeitszimmer unterm Dach gleich zwei Schreibtische und ein Stehpult stehen hat.

Wir wohnen in einer ehemaligen Ölmühle im Süden der Provence: an einem Bach im Tal, drumherum Hügel, Wälder mit Pinien, Fichten, Eichen, hier und dort noch andere Häuser. Es fühlt sich einsam an, aber das ist eine Illusion. Salon-de-Provence ist nicht weit, in 45 Minuten bin ich in Marseille, und das ist ja nun wirklich keine Idylle.

Mein Arbeitszimmer liegt unterm Dach, deshalb ist die Decke schräg, das alte Fenster ist klein, doch Licht flutet auch durch ein modernes Velux herein. Ich will gar nicht so viel hinausschauen, denn draußen ist es schön, das würde mich bloß ablenken.

Meine Frau ist Krankenschwester. Unsere jüngste Tochter ist Schülerin und wohnt noch bei uns, und auf dem Land sind Schulwege lang. Also stehen wir um sechs Uhr auf, eine gute Stunde später sind beide Damen auf Achse. Ich laufe dann zunächst mit unserem Hund über die Hügel. (Es hat schon seinen Grund, warum Capitaine Roger Blanc durch die Wälder joggt.) Gegen 8 Uhr beginnt mein Arbeitstag, er endet meistens um 18 Uhr. Für mich ist die Arbeit des Schriftstellers die spannendste überhaupt, manchmal schreibe ich wie im Rausch, und plötzlich ist ein Tag vorüber und ich weiß gar nicht, wo er geblieben ist.

Cay Rademacher

Der gebürtige Flensburger, Jahrgang 1965, studierte Anglo-amerikanische Geschichte, Alte Geschichte und Philosophie in Köln und Washington D.C. Als freier Journalist schrieb er für die Publikationen „GEO“, „Merian“, „Mare“, „Die Zeit“ sowie das „SZ-Magazin“ und baute die Zeitschrift „GEO Epoche“ mit auf. Rademachers erster Kriminal­roman, im römischen Köln angesiedelt, erschien 1996 im Sisyphos Verlag, weitere historische Stoffe folgten bei Nymphenburger. 2011 wechselte der Autor zu DuMont, wo er Oberinspektor Frank Stave im Hamburg der Nachkriegszeit in drei Bänden ermitteln ließ. 2013 übersiedelte Rademacher mit seiner Familie nach Südrankreich. Den Bänden seiner Provence-Krimiserie um Capitaine Roger Blanc ist seitdem der Platz auf den SPIEGEL-Bestsellerlisten sicher.

Hin und wieder recherchiere ich für den nächsten Roman. Ich fahre wie ein Reporter durch die Landschaft, mit Notizblock und Kamera, und sehe mir interessante Orte an, befrage Leute, besuche Strafprozesse, Museen, was auch immer.

Meistens jedoch sitze ich am Schreibtisch. Die ersten Ideen halte ich mit Bleistift in dicken Heften fest. Die Gliederung eines Romans notiere ich auf DIN-A-3-Blätter, von denen ich mehrere nebeneinanderlege. Die Infos zu meinen Protagonisten kommen auf Karteikarten.

Den eigentlichen Text schreibe ich direkt in den Computer. Ich mag es, auf die Tasten einzuhacken, voller Tippfehler, aber egal. Ich kann den Text immer wieder überarbeiten, ganze Passagen streichen oder einfügen, an Worten und Sätzen feilen, bis sie passen.

Deshalb stehen im Raum zwei Schreibtische: ein großer, moderner. Und ein altes, eckiges Erbstück meines Schwiegervaters. Außerdem gibt es hier noch ein Stehpult, denn ich muss manchmal aufrecht arbeiten. Das tut nicht nur dem Rücken gut, sondern auch dem Gehirn.

Romane oder Kunstbände haben ihren Platz anderswo im Haus, hier sammeln sich die Werke an, die ich für die Arbeit brauche (oder hoffe, irgendwann mal zu brauchen): Geschichte, Philosophie, Technik, Kriminalistik. Außerdem landen im Zimmer die gestrandeten Relikte des Lebens: Fotos, Bilder, Kram aller Art. An einem Regal hängt beispielsweise ein gelber Plastikfallschirmspringer, den mir die Familie zu meinem Tandem-Sprung geschenkt hat. Auf der Fensterbank stehen Fossilien vom Grund des Lac de Serre-Ponçon in den Alpes-de-Haute-Provence, die bei niedrigem Wasserstand freilagen. Und die Holzruder haben wir beim Renovieren der Ölmühle gefunden. Fragen Sie mich nicht, wie zwei Ruder in eine Ölmühle gekommen sind – das wäre vielleicht die Idee für einen neuen Krimi.

Bestseller

Titelbester Platz*
Ein letzter Sommer in Méjean (5/2020)49
Verlorenes Vernègues (5/2019)3
Verhängnisvolles Calès (10/2018)3
Dunkles Arles (5/2018)2
Gefährliche Côte Bleue (5/2017)4
Brennender Midi (5/2016)7
Tödliche Camargue (3/2015)19
* jeweils auf der SPIEGEL-Bestsellerliste Paperback/Taschenbuch Belletristik; Quelle: buchreport

Mein Schreibtisch: Cay Rademacher – im buchreport.magazin 07-08/2020

Kommentare

2 Kommentare zu "Cay Rademacher: Zwischen gestrandeten Relikten des Lebens"

  1. Schade das Stave nicht in den 50er und 60er Jahren ermittelt. Stichwort nazijuristen und Beginn der RAF…

  2. Anne-Christ Stephan | 12. April 2022 um 20:50 | Antworten

    Sehr geehrter Herr Rademacher, ich habe ihre Reihe mit Capitaine Blanc mehrfach gehört. Die Reihe ist wirklich nett, ich freue mich darüber, dass dieser Capitaine sich zunehmend wohler im Süden fühlt. Man fühlt sich zu ihm hingezogen, eine sympathische Figur.
    Weiterhin viel Erfolg beim Schreiben.
    Mit freundlichen Grüßen Anne-Christ Stephan

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