buchreport

Was ist dran an der »Meistererzählung der aus­ge­grenz­ten Frau«?

Mara Delius. (Foto: Axel Springer SE)

Die „Literarische Welt“, die nach der redaktionellen Neuorganisation erstmals als Teil der „Welt am Sonntag“ erscheint, beschäftigt sich mit der Frauenfrage in der Buchbranche. Mara Delius, die neue Herausgeberin der Literaturbeilage, macht sich Gedanken über das „Frauen-Paradox“. 

Demnach scheine es einerseits so, als seien wichtige Positionen in der Buchbranche plötz­lich mehr­heit­lich von Frauen be­setzt: Viele große Verlagshäuser befänden sich in weiblicher Hand, verweist Delius auf Unternehmen wie Ro­wohlt, Kie­pen­heuer & Wit­sch, Auf­bau, S.­Fi­scher, Pi­per, Han­ser Ber­lin und dtv. Auch in vie­len Li­te­ra­tur­re­dak­tio­nen sehe es „nach Jahr­zehn­ten har­ter Män­ner­do­mi­nanz“ ähn­lich aus. Den­noch höre man andererseits immer wie­der und ge­rade von Kol­le­gin­nen „die Meis­ter­er­zäh­lung“ von der Frau, die im Li­te­ra­tur­be­trieb nicht prä­sent sei, weil sie aus­ge­grenzt oder schlicht über­se­hen werde.

Ob dies stimmt, versucht Delius anhand des neuen Buches der Literaturwissenschaftlerin und Au­to­rin Ni­cole Sei­fert zu klären, die in „Frauen Literatur“ (Kie­pen­heuer & Wit­sch) frauenfeindliche Strukturen im Literaturbetrieb ausmacht und mehr literarische Werke von Frauen im Feuilleton und insbesondere im Schulunterricht einfordert.

Seifert bezieht sich unter anderem auf eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Ro­stock, die rund 2000 Re­zen­sio­nen aus 69 deut­schen Me­dien aus­wer­tete, mit dem Er­geb­nis, dass Bü­cher von Män­nern dop­pelt so häu­fig be­spro­chen wer­den wie Bü­cher von Frauen. Die Stu­die be­schei­nige dem Li­te­ra­tur­be­trieb eine struk­tu­rell nach­weis­ba­re, ge­schlech­ter­be­zo­gene Vor­ein­ge­nom­men­heit, fasst Delius zusammen. Wie un­durch­dring­lich und kon­kret diese „Vor­ein­ge­nom­men­heit“ sei und ob sie sich nicht viel­leicht ge­rade wan­dele, könne Sei­fert in ihrem „le­sens­wer­ten, fe­mi­nis­tisch mo­ti­vier­ten Buch“ nicht ent­schlüs­seln, formuliert Delius vorsichtig Kritik: „Ebenso wenig wie sie er­klärt, wie diese Struk­tu­ren kon­kret aus­se­hen, zumal wenn man das Bei­spiel einer Kri­ti­ke­rin her­an­zö­ge: Sollte die Kri­ti­ke­rin vor allem Bü­cher von Au­to­rin­nen be­spre­chen, um für eine ge­schlech­ter­ge­rechte Ver­tei­lung be­spro­che­ner Titel zu sor­gen? Oder ge­rade im Ge­gen­teil nur Au­to­ren, damit ihre männ­li­chen Kol­le­gen auch mal auf Au­to­rin­nen kom­men? Oder müsste man nicht kühn fra­gen, ob solch ein ak­ti­vis­ti­scher Ehr­geiz die Kri­tik ab­schafft? Oder noch küh­ner, ob denn heute über­haupt die Prä­misse noch stimmt, dass al­lein die Tat­sa­che, ob ein Buch von der Kri­tik auf­ge­nom­men wur­de, dar­über ent­schei­det, ob es sich ver­kauft und damit seine Au­to­rin, wie Sei­fert es will, ’sicht­ba­rer‘ wird?“

Delius versucht Seiferts Thesen auch durch den Verweis auf deren eigene Zahlen zum Ver­hält­nis von Au­to­ren zu Au­to­rin­nen in den Ver­lags­pro­gram­men etwas zu relativieren: In den vergangenen Jahren sei dieses ins­ge­samt 60 zu 40 ge­we­sen. „Keine allzu schlechte Zahl“, findet Delius, und nennt aktuelle Beispiele dafür, dass Me­ga­best­sel­ler und Li­te­ra­ten­pop­stars mittlerweile über­wie­gend Frau­en seien wie Amanda Gor­man, Sally Roo­ney, Chi­ma­manda Ngozi Adi­chie und Hil­ary Man­tel, außerdem gebe es Wiederentdeckungen wie Susan Tau­bes, Tove Dit­levsen, Lucia Ber­lin und Ga­briele Ter­git und zu guter Letzt seien die großen Li­te­ra­tur­preise vor allem an Frau­en gegangen: Helga Schu­bert (Bach­mann­preis), Anne We­ber (Deut­scher Buch­preis), Elke Erb (Ge­org-Büch­ner-Preis), Ber­nar­dine Eva­ri­sto und Mar­ga­ret At­wood (Boo­ker Prize) und Louise Glück (Li­te­ra­tur­no­bel­preis).

Delius‘ Fazit: „Viel­leicht hat sich doch mehr ge­tan, als in der Meis­ter­er­zäh­lung der aus­ge­grenz­ten Frau zu lesen ist.“

Wenig Bewegung bei der Frauenquote

Kommentare

Kommentar hinterlassen zu "Was ist dran an der »Meistererzählung der aus­ge­grenz­ten Frau«?"

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihre Daten elektronisch gespeichert werden. Diese Einverständniserklärung können Sie jederzeit gegenüber der Harenberg Kommunikation Verlags- und Medien-GmbH & Co. KG widerrufen. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutz-Richtlinien

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*