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Verlage werden Organisationsnetzwerke von Fans

Die Digitalisierung der Buchbranche wird in den meisten Fällen einseitig diskutiert: Wie sehen die neuen Geschäftsmodelle für elektronische Medien aus? Kannibalisieren digitale Produkte die herkömmlichen Print-Angebote? In dieser Debatte rücken die klassischen gedruckten Titel der Verlage oft auf die Verliererstraße. Eine buchreport-Runde mit Verlagen und Verlagsberatungen diskutierte dagegen über die Frage, wie Print-Produkte von der Digitalisierung profitieren. Am Diskussionstisch saßen (Foto v.li

  • Kilian Müller, Geschäftsführer des Zeitschriftenverlags publish-industry Verlag
  • Ehrhardt F. Heinold, Heinold, Spiller & Partner Unternehmensberatung
  • Wolfgang Michael Hanke, Gesamtherstellungsleiter bei Random House
  • Helmut von Berg, Klopotek & Partner
  • Ulrich Ehrlenspiel, Verlagsleiter im Gräfe und Unzer Verlag.

Im Interview, das komplett im buchreport.spezial „Herstellung und Management“ nachzulesen ist (hier zu bestellen), steht unter anderem die Frage im Fokus, welchen Stellenwert Communities für Verlage haben. Hier ein Auszug:

Haben Verlage haben die Chance, über das Internet den Kunden besser kennenzulernen und so passendere Produkte zu konzipieren?
von Berg: Der Ansatz ist nicht neu. Ich kann mich an Dr. Oetker erinnern, die Küchen für Hausfrauen aufgebaut haben. Jetzt hat man im Internet andere Möglichkeiten. Entscheidend ist für die Verlage die Kreation, die sie in Worte fassen müssen. Doch meine Überzeugung ist, dass sie daran scheitern, weil sie nur gewohnt sind, zu verkaufen. Im digitalen Bereich merkt man das aktuell ganz deutlich: Den Verlagen fällt nichts ein, um ihren Content tiefer zu strukturieren – zumindest jenseits der Fachinformation und Wissenschaft. Es geht um neue Inhalte, die nicht ohne Weiteres in Zeichen abgebildet werden können.

Ehrlenspiel: Das ist eine Frage des eigenen Rollenverständnisses. Das traditionelle Verlagsmodell hat sich überholt. Während sich die Nutzer kreativ ausleben und selbst eigene Zielgruppen schaffen können, werden wir nicht mehr gebraucht. Unsere Rolle wird von der des Türstehers weggehen. Wir werden mehr Mäzenatentum betreiben und Tore im Internet öffnen müssen, durch die die Leute gern zu uns kommen. Wenn wir es gut machen, wird es uns gelingen, ein Qualitätsabsender im Internet zu sein für Autoren, die eine Botschaft haben und vielleicht sogar als Premium-Produkt aus dieser Welt ein Print-Produkt zu machen.

Heinold: Tim O’Reilly hat gesagt, dass die Existenzberechtigung von Verlagen wesentlich davon abhängen wird, ob sie mehr Fans und Reichweite generieren können als diejenigen, die sie verlegen. Wenn aber ein Autor wie Tim O’Reilly selbst 2 Mio Follower auf Twitter hat, braucht der keinen Verlag mehr; wenn der twittert, ich habe ein neues Buch geschrieben, dann verfügt er über eine gigantische Reichweite.

Sollte der Verlag künftig Freunde- und Fan-Netzwerke organisieren?
Müller: Ja, wir werden Organisationsnetzwerke von Fans, die einer gemeinsamen Idee folgen, aus beruflichen oder privaten Gründen.

Heinold: Eine emotionale Beziehung zum Kunden aufbauen?

Müller: Es geht um emotionale und glaubwürdige, Nutzen stiftende Werte. Früher gab es nur den Nutzen, und der war gern selbsterklärend – wir haben den Nutzen gemacht. Heute ist der Nutzen messbar, was uns die große Chance bietet, zu sehen, an welcher Stelle wir etwas richtig oder falsch machen. Als Verlage müssen wir aber aufpassen, dass wir uns nicht auf die Position zurückziehen, in dieser neuen Rolle auch Technikentwickler zu werden. Zu Beginn des Internets haben wir alle versucht, im übertragenen Sinne Druckmaschinenentwickler zu werden. Da wird viel Geld in Systeme investiert, die aber nicht genutzt werden können. Die Verlage entwickeln iPad-Apps, die im nächsten Moment schon wieder überholt sind.
Sind solche Experimente nicht notwendig?

Müller: Aber das können wir zumindest als kleine Verlage nicht stemmen, wir können nicht alle Druckmaschinen entwickeln. Unsere Zunft muss lernen, sich anders zu organisieren und stärker in Netzwerken zusammenzuschließen.

von Berg: Die Verlage werden lernen müssen, sich mit Technologie nur so weit zu beschäftigen, dass sie verstehen, was man damit tun kann, nicht mehr. Dann müssen sie Konzepte entwickeln und ihre Forderungen an die Technologie-Provider stellen: Das ist unser Bild der Nutzung unseres Content, weil unsere Nutzer diese Funktionalitäten von uns erwarten. Heute sind die meisten Verlage aber gar nicht in der Lage, diese Anforderung zu definieren.

Müller: Wir dürfen nicht Technologie-Entwickler werden, wir sind und bleiben Content-Provider oder -Lieferanten, Selektierer und Qualitätsverbesserer. Die App-Programmierung ist die nächste gefährliche Welle, die sicher nur von den Großen bewältigt werden kann.

Wie können Verlage konkret die neuen Medien nutzen bei der Evolution von Print-Produkten? Bei Neobooks kommentiert die Community Bücher, und der Verlag moderiert dies und leitet am Ende wieder Print-Produkte ab. Ist dies ein Weg, den Sie befürworten?
Hanke: Autoren fallen nicht immer nur vom Himmel, weshalb es klassischerweise Verlage gibt, die Autoren und Stoffe finden. Dort hat der Verlag im Vergleich zur Community ein weitaus größeres Potenzial und Know-how, um Produkte zu entwickeln und mit Lektorat, Vertrieb und Pressearbeit auf dem Markt zu platzieren.
Lässt sich mithilfe der Community das Risiko des Flopps minimieren?

Hanke: Die Community wird dem Verlag nicht signalisieren können, wie hoch die Auflage angesetzt werden soll.

Ehrlenspiel: Das möchte ich auch bezweifeln. Die Menschen verhalten sich grundsätzlich verschieden, wenn es darum geht, die Meinung zu sagen oder den Geldbeutel zu öffnen. Die Verlagsexpertise und das oft leidenschaftslose Denken des Vertriebs, der seinen Haken unter die Absatzschätzung machen muss, sind sehr förderlich. Dass die Community uns schon etwas flüstern kann, ist eine Illusion.

von Berg: Dem stimme ich zu. Jede DSDS-Show würde sonst einen echten Superstar produzieren. Der Verlag kann die Community als Stichwortgeber betrachten oder als Unterstützung für Marktuntersuchungen, nicht mehr.

Hanke: Die Verlage entdecken meistens die tollen Figuren, also interessante Persönlichkeiten mit spannenden Biografien oder auch interessante Geschichten. Da lohnt sich auch die Investition, um solche Inhalte entsprechend zu transportieren, und das wird unterschätzt und das kann die Community nicht leisten.

Die Fragen stellte Daniel Lenz

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