buchreport

Selbst Stammkunden wechseln ohne ein Wort

Die Migros-Tochter hat den September 2008 zum
Schnäppchenmonat erklärt: Deutschsprachige Bücher
werden in sämtlichen 119 Filialen (Bild: Luzern) mit
30% Rabatt angeboten.

Mit 119 Filialen lässt sich in der Schweiz viel Wirbel machen: Die Migros-Tochter Ex Libris demonstriert 16 Monate nach dem Fall der Buchpreisbindung eindrucksvoller denn je, wie billig Bücher sein können. 30% Rabatt gab es im September 2008, nicht nur auf Bestseller, sondern auf alle deutschsprachigen Titel.

30% Rabatt sind eine Kampfansage an eine ganze Branche. Dass Ex Libris sich diesen Luxus 30 Tage lang leistet und ihn mit ganzseitigen Anzeigen in der Tagespresse garniert, zeigt, wie wichtig es dem Unternehmen ist, die Wiedereinführung der Preisbindung mit aller Konzernmacht zu verhindern.

Die Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrats hat am 25. August jedoch ein deutliches Signal pro Preisbindungsgesetz gegeben. 2009 könnte eine entsprechende Regelung der Rabattschlacht ein Ende bereiten. Mit ihrer Kampagne zielt die Migros-Tochter auf Schnäppchenjäger. Nicht wenige Kunden assoziieren mit der Präsentation zwar einen konkursbedingten Ausverkauf, doch Geschäftsführer Peter Bamert scheint dies nicht zu stören: Die Ex Libris-Medienumsätze stiegen 2007 um 10% auf 188 Mio sFr (120 Mio Euro, davon ca. 40 Mio Euro mit Büchern) und erhöhten sich im ersten Halbjahr 2008 nochmals um 6%, wobei sich das Online-Geschäft, so Bamert, „überduchschnittlich“ entwickelt habe.

Ex Libris contra Stocker

Entsetzt sind die Schweizer Buchhändler nicht nur über die hohen Nachlässe, sondern auch über die Art und Weise, wie die Kette die Bücher präsentiert und ihnen dadurch, so eine Buchhändlerin aus Zürich, „ihren Wert nimmt“.

Besonders stark ist der Kontrast in Luzern: Das Buchhaus Stocker, mit 2500 qm und 100000 Titeln die größte Buchhandlung der Zentralschweiz, liegt direkt gegenüber einer ExLibris-Filiale. Bei Stocker werden –  wie bei allen neun Buchhandlungen der Lüthy-Balmer-Stocker-Gruppe – seit dem 14. Mai 2007 wichtige Titel mit einer Gold-, Silber- oder Bronzemedaille ausgezeichnet. Gold steht für 30% Rabatt, Silber für 20% und Bronze für 10%. Nach Auskunft von Roman Horn, Verwaltungsratspräsident der Lüthy + Stocker AG, wurden in den letzten 16 Monaten ca. 800 Titel in die Medaillenränge gehoben.

Silber gilt Mitte September 2008 u.a. für das „Langenscheidt Taschenwörterbuch Englisch“. Allerdings lohnt es sich, bei den „Siegerpreisen“ genauer hinzuschauen: In Wirklichkeit fallen die Nachlässe oft geringer aus, als die Medaillen vorgeben.

Aufschlag auf empfohlene Preise

Langenscheidt empfiehlt den Schweizern für den Toptitel einen Preis von 39,90 sFr. Der Lüthy-Balmer-Stocker-Gruppe ist das seit dem Fall der Preisbindung zu wenig: Sie setzt als regulären Preis 43,90 sFr fest; auf dem Kassenbon stehen nach Abzug des Silberrabatts 35,12 sFr, umgerechnet 22,48 Euro. Die deutschen Buchhandlungen müssen für das Wörterbuch 22,90 Euro kassieren. Das Beispiel zeigt, wie sehr sich der Markt in den vergangenen 16 Monaten verändert hat. Für den Verbraucher, der in der Buchhandlung steht, ist die Preispolitik vollkommen undurchsichtig.

Logistisch gibt es längst Lösungen für die Preisanpassungen: Die meisten Auslieferungen bieten ihren Buchhandelskunden an, auf die Preisetiketten einen gegenüber der Verlagsempfehlung erhöhten Betrag zu drucken. Dadurch denken Kunden, der Rabatt beziehe sich auf den Verlagspreis.

Roman Horn erklärt die Aufschläge damit, dass die Händler seit dem Fall der Preisbindung „verpflichtet“ seien, „alle Preise selbst zu kalulieren“. Dies führe bei Lüthy Stocker Balmer „teilweise zu leicht höheren und teilweise zu leicht tieferen Preisen. Im Durchschnitt seien die Preise nach wie vor auf dem Niveau der von den Verlagen empfohlenen Verkaufspreise.

Offensive Online-Nachlässe

Während die stationären Lüthy-Balmer-Stocker-Filialen im Vergleich zu Ex Libris relativ dezent mit Rabatten umgehen, wird das Preismarketing im Web-Shop der Kette ganz groß geschrieben: Bei www.buchhaus.ch sind Nachlässe bis zu 40% an der Tagesordnung, die es nach Auskunft der Buchhandlung aber nur „auf Restexemplare“ gibt.

Bemerkenswert ist, dass die Rabatte keineswegs immer mit denen der Läden identisch sind. Im Einzelfall können sie sogar niedriger ausfallen als dort. Beispiel wieder das „Langenscheidt Taschenwörterbuch Englisch“: Im Internet gab Lüthy Balmer Stocker auf den Klassiker Mitte September nur 10% Rabatt. Koch- und Weinbücher hingegen wurden mit bis zu 40% Abschlag angeboten, darunter Standardwerke wie „Hugh Johnsons Weinwelt“, das statt 72 sFr vorübergehend nur noch 43,20 sFr kostete.

Wer sich im Nachlass-Dschungel zurechtfinden möchte, loggt sich bei einem Preisagenten ein. Unter www.billigbuch.ch etwa werden in wenigen Sekunden die Web-Preise von 17 Anbietern ausgewertet. Obenan stehen trotz ihrer hohen Pauschalrabatte von 30 bzw. 25% nicht immer Ex Libris und amazon.de.

Thalia weiterhin standhaft

Die anderen Filialisten setzen das Preismarketing wesentlich dezenter ein als Ex Libris und Lüthy Balmer Stocker: 

  • Orell Füssli (OF), mit einem Umsatz von 122 Mio sFr (78 Mio Euro) und 14 Standorten die größte Schweizer Buchhandelskette, hat grundsätzlich an der Aktion „best prize by orell füssli“ festgehalten. Im Internet wird sie jedoch inzwischen recht zurückhaltend beworben und auch in den Geschäften werden die reduzierten Bücher nicht mehr so auffällig präsentiert wie in der Phase kurz nach dem Fall der Preisbindung. Parallel dazu bietet OF Geschäftskunden ein volumenabhängiges Preismodell an und gewährt Studierenden – wie die meisten Schweizer Buchhandlungen – pauschal 10% Nachlass auf alle Bücher.
  • Sogar der Online-Shop weltbild.ch verzichtet auf marktschreierische Elemente, die im Zusammenhang mit den Möglichkeiten einer freien Preisgestaltung stehen, und informiert eher moderat über die nach wie vor deutlichen Nachlässe (bis zu 31%) bei Bestsellern.
  • Die Schweizer Thalia-Gruppe (Umsatz ca. 70 Mio Euro mit 19 Läden) hat von Anfang an auf Preisaktionen verzichtet und gibt sich weiterhin distinguiert. Dies zeigt sich beispielsweise bei der soeben mit einem Investitionsvolumen von 1 Mio sFr umgebauten Buchhandlung Vogel Thalia in Winterthur: Auf 500 qm sind mehr als 30000 Titel zu finden, im ersten Obergeschoss lockt eine Kaffee-Bar und in einer Vitrine wird mit antiquarischen Bücher-Katalogen visualisiert, dass die im Juni 2008 von Thalia übernommene Buchhandlung auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Ob diese Politik angesichts der wachsenden Konkurrenz von Ex Libris unter dem Nachfolger des soeben ausgeschiedenen langjährigen Thalia-CEO Hanspeter Büchler beibehalten wird, bleibt abzuwarten.

Buchhandelsvielfalt gefährdet

Am schlimmsten sind die Folgen der Rabattschlacht erwartungsgemäß für unabhängige Sortimente wie die Buchhandlung zur Schmidgasse in Zug. „Ohne Preisbindung sind wir in zwei, spätestens in drei Jahren weg“, erklärt Inhaberin Susanne Giger. Sie führt die 1980 gegründete Buchhandlung seit 1990. Ihre Kunden fragen nicht nach Rabatten, aber einige kommen einfach nicht mehr, „weil die Preisvorteile der Filialisten zu groß sind“. Speziell auf hochpreisigen Büchern bleibt die Buchhandlung zur Schmidgasse inzwischen sitzen: „Belletristik wird noch nachgefragt, aber Kunst- und Architekturbücher laufen gar nicht mehr.“

Einfallslos ist Susanne Giger nicht: Vor einigen Monaten hat sie einen immerwährenden Fotokalender und eine Postkartenserie mit Motiven aus Zug aufgelegt, um durch ein Exklusivangebot Kunden zu halten/zu gewinnen. Die Edition läuft gut, aber „diese Kunden nehmen keine Bücher mit“.

Selbst Rabatte zu geben kommt für die Buchhandlung zur Schmidgasse nicht in Frage: „Wir könnten dann nicht mehr kostendeckend arbeiten.“ Nur für Bibliotheken wurde der Nachlass von bisher 5 auf 10% erhöht, um wenigstens diese als Kunden zu erhalten.
 
Maria Ebert, ebert@buchreport.de

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