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Sehnsucht nach ländlicher Idylle

Das Interesse für das Landleben und Bücher darüber sind nicht neu. Mit „Herbstmilch“ zum Beispiel, den Erinnerungen der Bäuerin Anna Wimschneider von 1984, hatte Piper einen Millionenseller, der bis heute lieferbar ist. Oder die Selbstversorger-Bibel „Das große Buch vom Leben auf dem Lande“ des Engländers John Seymour, die schon 1974 bei Ravensburger erschienen ist und die Dorling Kindersley vor einem Jahr als erweiterte Ausgabe neu herausgebracht hat.

Doch die aktuelle Faszination der Deutschen für das Leben auf dem Lande wurzelt breiter und tiefer und hat eine andere Qualität. Trends kommen und gehen, aber in diesem Fall ist sich die Buchbranche mit Karl-Heinz Bonny einig: Die neue Lust der Deutschen am ländlichen Leben ist mehr als ein Modetrend.

Keine Eintagsfliege

„Wir haben es mit einem sehr langfristigen und dynamischen Lebenszyklus zu tun“, attestiert der Hauptgeschäftsführer des Landwirtschaftsverlags (Münster) im buchreport-Interview. Und er sollte es wissen, denn die in dem Münsteraner Unternehmen erscheinende Zeitschrift „Landlust“ hat das Landleben so salonfähig gemacht wie nie zuvor.

Die aktuelle Rückbesinnung auf alte Werte und überliefertes Wissen, Bodenständigkeit und Nachhaltigkeit, die Suche nach einem naturnahen und natürlichen Lebensgefühl – das Phänomen „Landlust“ wird als Wertewandel in der Gesellschaft gelesen, der stark durch Empfindungen und Empathie geprägt ist. „Die Menschen sind deutlich sensibler geworden“, sagt auch Dort-Hagenhausen-Verleger Martin Dort.

Buchverlage ziehen mit

Die Zeitschriftenverlage haben schon frühzeitig ziemlich ungeniert das Erfolgsrezept der „Landlust“-Redaktion mit fast identisch konzipierten Blättern kopiert, ohne kommerziell auch nur im Entferntesten an das Original heranzureichen. Die Buchverlage dagegen haben den Markt zunächst beobachtet und ausgelotet, wie haltbar der Trend überhaupt ist und was sich für die Umsetzung zwischen Buchdeckeln anbietet. Seit rund einem Jahr hält die Landlust auch massiv inhaltlich und bildsprachlich zwischen Buchdeckeln Einzug.
„Das Bedürfnis nach einer heilen Welt ist mittlerweile sehr ausgeprägt und bietet ein riesiges Themenfeld“, sieht Herta Winkler, Programmleiterin des Bassermann Verlags, viel Potenzial. Ergo stehen die Verlage in diesem Frühjahr mit Dutzenden von Neuerscheinungen für das „Trendthema des Jahres“ in den Startlöchern.

Mit einzelnen Titeln, teilweise mit ganzen Serien werden Pflöcke in die Bauernwiese geschlagen. Weil der Begriff Landlust so schön dehnbar ist, passt auch eine unendlich bunte Themenvielfalt unter das ländliche Dach: Garten, Wohnen, Architektur, Design, Handarbeiten, Kochen usw. Nicht fehlen darf die Landfrauenküche; ein Dauerbrenner schon seit einigen Jahren, den im Frühjahr u.a. Dr. Oetker mit „1000 Landfrauenrezepte“ pflegt.

Ganz im Sinne nachhaltigen Lebens haben auch die Selbstversorger in Stadt und Land aktuell ihren eigenen Schwerpunkt:

  • BLV schickt das Duo „Der Selbstversorger Garten“ von Elke von Radziewsky und „Das Schrebergarten-Buch“ von Martin Rist und Angelika Feiner ins Rennen.
  • Dorling Kindersley bewirbt die Neuerscheinung „Das große Buch der Selbstversorgung“ als „Seymour des 21. Jahrhunderts“.
  • Bei Gräfe und Unzer liefern Hans Gerlach und Susanna Bingemer in „Gartenküche“ zu praktischen Anbautipps die passenden Rezepte mit saisonalen Zutaten aus dem eigenen Garten.

Vom Ratgeber zum Geschenkband

So vielfältig wie die Themen ist ihre Umsetzung zwischen Buchdeckeln. Landlust wächst auf vielen Beeten: Als klassischer Ratgeber ebenso wie als opulent aufbereiteter Lifestyle-Band oder als liebevoll verpacktes Geschenkbuch. Neu sind Ratgeber mit unterhaltendem Mehrwert, in denen die Buchverlage neben praktischer Information auch die Emotionalität des Trends thematisch zu übersetzen suchen. Bassermann-Programmfrau Winkler: „Es sind nach wie vor praktische Bücher mit hohem Nutzwert, aber die Inhalte werden stärker feuilletonistisch aufbereitet und attraktiv verpackt.“

So wie z.B. die im Verlag unter der Headline „Lust aufs Land“ beworbenen vier Hardcover „Brot & Brötchen“, „Kränze & Blumenschmuck“, „Bauerngärtem auf kleinstem Raum“ und „Vergessene Gemüse“, die die Random House-Tochter zwar nicht ausdrücklich als Serie auslobt, die aber mit dem bedruckten Leinenrücken, Mattbezug und Spotlack-Titel sowie „Country“-Look im Innern ganz bewusst Reihencharakter haben.

Nicht nur die großen Ratgeberverlage haben das Thema Landlust entdeckt. Auch für Verlage aus der zweiten Reihe bietet sich hier eine gute Gelegenheit, sich mit dem Trendthema in Szene zu setzen:

  • Landleben“ und „Nachhaltig leben“ sind die beiden Bereiche, auf denen das Programm des Dort-Hagenhausen-Verlags (München) fußt, hinter dem mit Martin Dort ein Mann steht, der als ehemaliger Verleger und Mitinhaber der Prestel Publishing Group viel Erfahrung mit gut gemachten, opulent illustrierten Sachbüchern im Lifestyle-Bereich hat. Besonders erfolgreich sei die im Frühjahr 2010 gestartete Reihe „Aus Liebe zum Landleben“, die mittlerweile auf sieben Titel angewachsen ist und im Herbst fortgesetzt wird.
  • In Busse Seewalds „Lifestyle“-Label steht die feine Art der Landlust regelmäßig Pate für aufwendig gestaltete Bücher; z.B. die aktuelle Neuerscheinung „Belle Blanc: Aus Liebe zu Weiß“, die der Verlag „als Ausgleich zu unserer bunten und grellen Welt“ bewirbt.
  • Der 2010 von Rainer Groothuis und Christoph Lohfert gegründete Verlag Corso ist zwar eigentlich auf literarische Reisetitel spezialisiert, aber auch die können Spaß auf Landlust machen,  so wie „Eden auf Erden: Die Liebe zwischen Mensch und Garten“, in dem sich Christa Hasselhorst auf die Spuren passionierter Gartenbesitzer in der ganzen Welt begibt.

Kein ganz neues Thema

Von der Landlust-Euphorie profitieren auch Verlage, die das Themenfeld bereits bearbeitet haben, als es die „Landlust“-Welle noch gar nicht gab. So wie die DVA, die Bücher über den Umbau oder die Renovierung von Bauernhäusern „schon vor 20 Jahren“ gemacht hat, wie Roland Thomas, der die Programmbereiche Bauen, Wohnen und Garten verantwortet, abgeklärt feststellt. Aber auch der Münchner Verlag pflegt mittlerweile das Trendthema ganz bewusst, egal ob mit Backlisttiteln wie „Ein Landhausgarten für Genießer“ (2010) und Jasper ConransCountry“ (2010), das trotz des stolzen Preises von 59 Euro bereits nachgedruckt wurde, oder aktuellen Neuerscheinung wie „Ein stimmungsvoller Rosengarten“.

Misthaufen macht erzählerische Karriere

War die Landlust bislang in erster Linie das Revier der Sachbuch- und Ratgeberverlage, haben jetzt auch deren Kollegen im erzählenden Bereich Misthaufen, Gummistiefel und Trecker als einträgliches Buchthema entdeckt. Sie bedienen den Markt und die, die vom Häuschen im Grünen träumen, mit rund einem Dutzend authentischer Alltagserlebnisse, geschrieben von denen, die ausgezogen sind, das Landleben aus eigener Anschauung zu erleben.

Diese „Live-Reports“ reichen von ernsthaft bis humorvoll-herzlich und werden durchgängig als Lesevergnügen pur für Stadtflüchtlinge und -träumer beworben. Die Titel sind Programm, egal ob „Schöner Mist“ von Irmgard Hochreither (Ullstein) oder „Der Landneurotiker“ von Bob Tarte (mvg). Auch Kultur-Moderator und Biobauer Dieter Moor ist wieder mit von der Partie. Rowohlt bringt im Oktober „Bauer sucht Frau mit Trecker“ als Nachfolger des Bestsellers „Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht“, von dem die Reinbeker mittlerweile 200000 Exemplare verkauft haben.

Auf Landlust reimt sich Landfrust, und tatsächlich hat es nicht lange bis zur ersten Neuerscheinung mit diesem Titel gedauert: Axel Brüggemann hat sich für Kindler kritisch in der deutschen Provinz umgesehen und seine gar nicht so begeisterten Eindrücke von der angeblichen Idylle in dem März-Titel „Landfrust“ zusammengefasst. Mit seiner Forderung nach „Schluss mit der Romantisierung des Landlebens“ steht der Journalist (noch) allerdings ziemlich allein im ländlichen Bücherwald da.

Anja Sieg

Mehr zum Thema lesen Sie im aktuellen buchreport.magazin 3/2011,

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