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Scharfer Wind in München

Bei der „Süddeutschen Zeitung“, Flaggschiff des Süddeutschen Verlags, der seit knapp einem Jahr der Südwestdeutschen Medien Holding gehört, wird die Luft wegen wegbrechender Anzeigeneinnahmen immer dünner: Geschäftsführer Karl Ulrich kündigte am Dienstag auf einer Betriebsversammlung ein drastisches Kostensenkungsprogramm an. Weil für das kommende Jahr mit weiteren Anzeigenrückgängen im Umsatzvolumen von bis zu 30 Mio Euro gerechnet wird, werden betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Bei der Nebengeschäft-Abteilung „Neue Produkte“, Schmiede der buchhandelsrelevanten Sondereditionen der „SZ“, sind tiefe Einschnitte bereits beschlossene Sache.

Nebengeschäfte mit stark reduzierter Mannschaft

In dem Ressort, Vorreiter auf dem Geschäftsfeld der Sondereditionen für den Buchhandel, stehen folgende Veränderungen an:

  • Dirk Rumberg, Leiter des Bereichs „Neue Produkte“ und seit dem Wechsel von Klaus Füreder in die Ullstein-Geschäftsführung im Februar 2007 kreativer Kopf hinter den Sondereditionen, wird das Unternehmen zum Jahresende verlassen.
  • Sein bislang 20-köpfiges Mitarbeiterteam wird stark reduziert. Insgesamt zwölf Stellen werden gestrichen.

Mit dem Einschnitt markieren die neuen Inhaber des Süddeutschen Verlags eine Zäsur auf einem von dem Medienhaus selbst erfundenen Geschäftsfeld, das in der Buchhandelslandschaft neue Maßstäbe setzte. Man nehme bekannte Bücher von gestern, drucke sie in hoher Auflage und serviere sie anschließend im Hardcover mit einem Werbeetat in Millionenhöhe zu Kampfpreisen (4,90 Euro) im Buchhandel: Mit der Rezeptur der „SZ-Bibliothek“ definierte die „Süddeutsche Zeitung“ im März 2004 den Begriff „Sonderedition“ neu. Befeuert von der medialen Marketingmacht der Mutter legte die erste Staffel der auf 50 Titel begrenzten „SZ-Bibliothek“ einen Traumstart hin, der die Branche allerdings polarisierte.

Als im März 2005 mit dem letzten Band der Zieleinlauf erfolgte, feierte die „SZ“ 11,3 Mio verkaufte Exemplare. Der Buchhandel klinkte sich ein, klagte aber über magere Margen und die beschleunigte Erosion des sensiblen Preisgefüges. Viele Verlage plagten allerdings keine Berührungsängste. Sie zogen mit, weil sie neue Vermarktungschancen bereits verwerteter Inhalte witterten. Gleichzeitig regte die „Mutter aller Sondereditionen“ viele andere Medienhäuser zu Projekten nach ähnlichem Schnittmuster an. Schon kurz nach der Premiere der „SZ-Bibliothek“ zäumten Weltbild und „Bild“ das 50-bändige Gemeinschaftswerk „Bild-Bestsellerbibliothek“ auf.

Aus dem anfänglichen Aufreger mit signifikant hohen Absatzzahlen ist heute der Normalfall geworden: Sondereditionen haben sich zu einem eigenen Genre entwickelt, das umsatzmäßig auf deutlich kleinerer Flamme gekocht wird. Aber nicht nur aus diesem Grund ist bei den Süddeutschen das Ressort „Neue Produkte“ in den Blick der Controller geraten. In München wird auch über fragwürdige Entscheidungen der Geschäftsführung diskutiert. Aus medienpolitischen Gründen soll sie eine große DVD-Edition mit der ARD-Serie „Tatort“, Hauptprojekt für 2008/09, von heute auf morgen aus der Agenda gestrichen haben.

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