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Wie sich die Publikumsverlage entwickeln (könnten)

Globaler Publikumsmarkt: Ende August erscheint eine neue Ausgabe des von Rüdiger Wischenbart kompilierten Rankings „Global 50“ der weltgrößten Verlagsunternehmen im Buch- und Fachinformationsmarkt. Wischenbart hat vorab Entwicklungen im Publikumsbuchmarkt im Zeichen der Pandemie analysiert und Trends im nebenstehenden Beitrag für buchreport zugespitzt. Basis ist ein ausführlicheres  White Paper auf www.wischenbart.com/ranking. (Foto: buchreport/TS)

Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest. Wie schlagen sich Unternehmen oder ganze Branchen? Welche Trends und Potenziale treten deutlicher hervor? Der Berater, Marktforscher und buchreport-Korrespondent Rüdiger Wischenbart schaut auf die großen internationalen Publikumsverlagsgruppen, auf ihre Erfahrungen im Ausnahmejahr und auf mögliche Strategien. Während bei kleineren Verlagen beispielsweise einzelne Toptitel das Bild verzerren können, verspricht ein Blick auf die größten Buchkonzerne strukturelle Entwicklungen.

Basis ist Wischenbarts Erhebung für „Global 50″, das Ranking der weltgrößten Verlagsunternehmen im Buch- und Fachinformationsmarkt. Zu der ausführlichen Analyse des internationalen Publikumsmarktes gibt es ein White Paper „Preview Global 50 2021“ unter www.wischenbart.com/ranking.

„Warum Buch und Buchhandel blühen und gedeihen“, hat Penguin Random House-CEO Markus Dohle unlängst sein Statement für das US-Magazin „Publishers Weekly“ überschrieben. Seinen notorischen Optimismus („Dies ist die beste Zeit im Verlagswesen seit Gutenberg“) lässt er auch durch die Pandemie nicht trüben. Zwar sei 2020 „für alle ein hartes Jahr“ gewesen, aber am Ende sei „das Geschäft durch die Decke gegangen“, mit tollen Zuwächsen insbesondere auch bei gedruckten Büchern in den USA, und diese Entwicklung habe sich auch im ersten Halbjahr 2021 fortgesetzt.

Pessimistische Erwartungen mit gutem Ende

Zwar gab es im Publikumsbuchmarkt die üblichen Aufs und Abs der Unternehmenskonjunkturen, aber tatsächlich lassen die Geschäftsberichte großer internationaler Buchkonzerne mit positiven Ergebnissen aufhorchen, die Dohles These des Blühens stützen.

Ein wiederkehrender Refrain in den Geschäftsberichten sind Aussagen über zunächst sehr pessimistische Erwartungen im Frühjahr 2020, als sich die Pandemie klarer abzeichnete, gefolgt jedoch von wesentlich positiveren tatsächlichen Ergebnissen zum Ende des Geschäftsjahres und der positiven Aussichten. 3 Beispiele neben Publikums-Weltmarktführer PRH:

  • Die britische Bloomsbury-Gruppe, mit einem starken Ableger auch in den USA präsent, hatte zwischen März und August 2020 ihr bestes erstes Fiskal-Halbjahr seit der Wirtschaftskrise 2008 und hat ihr Gesamtgeschäftsjahr (28.2.) mit 14% Umsatzplus und 22% Gewinnsteigerung abgeschlossen.
  • Frankreichs führende Verlagsgruppe Hachette Livre blieb trotz der massiven Lockdowns nur knapp unter Vorjahr. Einbußen in Hachettes Heimatmarkt Frankreich (–4%, geschuldet u.a. einem Rückgang im Schulbuch-Zweig) wurden ausgeglichen durch Zuwächse in Großbritannien um knapp 10% und in den USA um fast 4%.
  • Håkan Rudels, CEO der internationalen Bonnier-Gruppe, befürchtete im Frühjahr 2020 einen Umsatzeinbruch von umgerechnet knapp 100 Mio Euro. Zum Jahresende 2020 hatte Bonnier dagegen mit einem internationalen Gesamtumsatz von 6,1 Mrd Kronen (rund 600 Mio Euro) sogar erheblich zugelegt, +6% gegenüber 2019.

 

Pandemieverstärkte Trends

Grafik: buchreport

Es gibt jeweils ein ganzes Bündel von Faktoren und Trends, deren Entwicklung durch die Pandemie forciert wurden, die aber über die Ausnahmezeit hinausweisen könnten.

Beim offenkundigen Digitalisierungstrend hat etwa Bonnier mit der Distributionsplattform BookBeat eine interessante Farbe beigesteuert. BookBeat ist in mehr als 2 Dutzend Ländern aktiv, forciert besonders Hörbuch-Abonnements und hat zuletzt immerhin knapp 50 Mio Euro umgesetzt. Mit 500.000 zahlenden Kunden, die im Monatsschnitt 25 Stunden BookBeat-Angebote konsumieren, zeichnen sich neue Nutzungsmuster ab, wie auch eine interessante Publikumsbandbreite mit einer jungen Zielgruppe unter 25 Jahren, aber auch mit neu hinzugewonnenen über 65-Jährigen.

Die digitale Distribution wird in den kleinen skandinavischen Märkten besonders forciert, mit dem kleinen Ausrufezeichen, dass in Schweden 2020 erstmals mehr digitale Bücher konsumiert wurden als gedruckte.

Vom Volumen und der Stabilität noch bemerkenswerter ist allerdings die in den großen Märkten hohe Nachfrage nach gedruckten Büchern. Die hat in den Pandemiemonaten freilich ebenfalls stark auf den Online-Vertrieb eingezahlt und ist damit vor allem Amazon zugute gekommen: Für die USA berichtet Markus Dohle, dass mittlerweile 4 von 10 Büchern, die Penguin Random House verkauft, von Amazon ausgeliefert werden.

Und so nährt Dohle seinen übergreifenden Optimismus aus einem Mix von Entwicklungen, u.a. aus den in Summe stabilen Vertriebswegen für alle Formate, aus der robusten Nachfrage im physischen Buchmarkt, dem zukunftsträchtigen Wachstum des Kinderbuchs ebenso wie dem anhaltende Hörbuchtrend, der andere Formate nicht kannibalisiere.

Diese Zuversicht nährt sich freilich auch aus der starken Startposition, in die sich weltweit rund ein Dutzend führender Konzernverlage bringen konnten. Dazu gehört der gute Zugang zu den englischsprachigen Buchmärkten, bereits vor der Pandemie eingeleitete Rationalisierungen und das Vermögen, immer komplexere Wertschöpfungs- und Lieferketten zu bedienen. Für kleinere Unternehmen wird dies freilich zur strategischen Herausforderung.

Doch selbst bei den internationalen Marktführern deuten Zeichen auf einen Umbruch – nicht notwendigerweise als direktes Resultat einer durch die Pandemie ausgelösten Disruption, sondern durch Beschleunigung bereits früher begonnener Fliehkräfte am Markt.

Im Rampenlicht stehen dabei zwei Groß-Übernahmen in den USA:

  • Penguin Random House, schon bislang weltgrößter Publikumsverlag, steht vor der 2,2 Mrd Dollar teuren Übernahme des amerikanischen Verlagsjuwels Simon & Schuster.
  • HarperCollins hat sich den Publikums-Arm von Houghton Mifflin Harcourt mit 349 Mio Dollar und deutlichen Einsparplänen gesichert.

Aber auch Disney erinnert sich seiner über lange Zeit kaum präsenten Verlagssparte, um Spin-off-Bücher aus seiner riesigen Film- und TV-Welt sowie dem Abo-Dienst Disney+ zu entwickeln. „Wir sind 100% auf Übernahmen eingestellt“, verlautet es aus dem Medienriesen.

Und auch in der zweiten Reihe zeichnen sich weitere Konsolidierungen ab, wie Bonniers Übernahme der finnischen Verlage Minerva und Docendo. Und in Frankreich schlüpften die legendären Editions du Minuit unter die Decke von Gallimard.

 

Buch in Alleinstellung oder im Medienverbund

Möglicherweise löst die Pandemie eine neue Runde in einer alten Grundsatzdebatte der großen Medienwelt aus, die auch die vergleichsweise trägen Verlagsmärkte aufmischt: Funktioniert das Buchgeschäft nachhaltig am besten, wenn es sich selbst Zentrum ist?

Dafür stand der bei Hachette rausgedrängte Arnaud Nourry (s. Kasten unten) und dafür steht in gewisser Weise auch Markus Dohle, der mit seiner Übernahme von Simon & Schuster einen Traditionsverlag aus dem gerade neu aufgestellten Medien-Konglomerat ViacomCBS herauslöst. Auch wenn Dohle kraft seiner besonders erfolgreichen Sparte für das Buch eine Sonderstellung beansprucht, trachtet allerdings auch Bertelsmann danach, alle Mediensparten (neben PRH, RTL und Gruner + Jahr) stärker zu verzwirbeln.

Führt die Digitalisierung zu mehr Multi-Format- und Multi-Vertriebsmodellen? Die Gespräche zwischen dem rasch expandierenden schwedischen Audiobuch- und Abo-Pionier Storytel mit der Musik-Streaming-Plattform Spotify – und Gerüchten einer sogar möglichen Übernahme durch Spotify – heizen Spekulationen für solche Perspektiven an.

Konzentration und Medienvernetzungstrends werden den Publikumsbuchmarkt nachhaltiger verändern. Die Entwicklung trifft aber nicht, wie vor einem Jahr noch befürchtet, auf eine stark pandemiegeschwächte Branche.

Strategiewechsel bei Hachette

Frankreichs führende Buchverlagsgruppe Hachette, international auch in den englischsprachigen Märkten aktiv, ist umsatzstabil durch das Pandemiejahr 2020 gekommen, mit zweistelligem Profitabilitätzuwachs. Trotz der beeindruckenden Zahlen folgte im Frühjahr 2021 das Aus für den Langzeit-CEO Arnaud Nourry wegen einer grundsätzlich strategischen Meinungsdifferenz mit Mehrheitseigentümer Arnaud Lagardère. Nourry stand seit seinem Antritt bei Hachette für einen exklusiven Fokus auf den Buchbereich in allen seinen Facetten. Lagardère indessen setzt auf mögliche Synergien mit dem Misch-Medienkonzern Vivendi, zu dem auch die zweitgrößte französische Verlagsgruppe Editis gehört.

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