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Gibt es eine Zauberformel für erfolgreiche Digitalisierung?

Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) scheitern bei ihren Projekten zur Prozess-Digitalisierung. Gäbe es doch nur ein Rezept, das Unternehmen nur „nachkochen“ müssten. Oder noch besser eine Art „Zauberformel“, mit der sie ihre Prozesse erfolgreich umstellen könnten…

Technologie-Expertin Ines Bahr fragte Andreas Schmietendorf, Wirtschaftsinformatik-Professor in Berlin sowie Julia Saswito, Geschäftsführerin der Digitalagentur Triplesense Reply nach einer solchen Formel. Im Prozesschannel von buchreport.de zeigt Bahr Wege, wie KMU Misserfolge und Fehlinvestitionen vermeiden können. Die Experten fordern, Prozesse in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen.

Andreas Schmietendorf. Foto: Privat.

Andreas Schmietendorf. Foto: Privat.

Investitionen von Unternehmen in neue Prozesse erreichen sehr oft ihre Ziele nicht – dies ergab etwa die internationale Fujitsu-Studie „The Digital Transformation PACT“.

Ein Drittel der befragten Unternehmen hat in den letzten zwei Jahren bereits ein Digitalisierungsprojekt abgebrochen.

Die durchschnittlichen Kosten für gescheiterte Projekte liegen in Deutschland bei 1,1 Mio Euro. In Deutschland liegt die Rate gescheiterter Projekte bei 20%.

Relativ viele Unternehmen in Deutschland haben demnach noch erhebliche Schwierigkeiten bei der Digitalisierung ihres Unternehmens.

In diesem Bericht soll untersucht werden, wie kleine und mittelständische Unternehmen die Digitalisierung in fünf Schritten erfolgreich umsetzen können.

1. Was ist ein digitalisiertes Unternehmen?

Das Wichtigste bei der digitalen Transformation ist es, ein klares Ziel vor Augen zu haben. Ohne ein definiertes Ziel wird es schwierig, dieses auch zu erreichen. Um festlegen zu können, was ich als Unternehmen erreichen will, muss ich als erstes die Bedeutung der Digitalisierung verstehen.

Was bedeutet es also eigentlich, ein digitalisiertes Unternehmen zu sein?

Im Mittelpunkt steht für mich beim digitalisierten Unternehmen die Fähigkeit, sich mit Kunden und Partnern internetbasiert integrieren zu können, und das möglichst einfach und möglichst schnell, so dass man bedarfsorientiert hohe Automatisationsgrade erreichen kann, die zu einem schnellen Platzieren von Produkten am Markt genutzt werden können. Das ist der Dreh-und Angelpunkt: Wie schnell bin ich in der Lage, beim Kunden neue Ideen, neue Produkte, neue Lösungen zu platzieren? Bin ich hier schneller als der Mitbewerber? (Andreas Schmietendorf)

Durch die Integration entsprechender Prozesse im Unternehmen entstehen zum einen Vorteile durch Automatisierung. Zum anderen führt die Integration mit Partnern, Kunden und weiteren Stakeholdern dazu, dass ich meine Produkte besser und schneller vermarkten kann. Ein digitalisiertes Unternehmen zu sein geht weit über den simplen Einsatz von Software hinaus. Nur weil ein Unternehmen eine CRM-Software nutzt, ist es noch lange nicht digital. Es geht hier vielmehr um die vollständige Integration des Kunden und seiner Bedürfnisse in die internen Unternehmensprozesse.

Digitalisierung heißt nicht, dass jeder Prozess digital sein muss. Es geht mehr darum, die Chancen zu ergreifen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, und weniger darum, wie hoch der Digitalisierungsindex ist, ob ein Unternehmen X% der Prozesse digitalisiert oder durchautomatisiert hat. Ein digitales Unternehmen ist eines, das in den Bereichen Marketing, Zusammenarbeit, Kundenbeziehungsmanagement, aber vor allem im Bereich Innovations-, Veränderungs- und auch Data Management auf Technologieunterstützung setzt. Ich finde dagegen die Frage bei Vertrieb und Produktion gar nicht so zwingend. (Julia Saswito)

Digitalisierung ist also nicht der Einsatz von IT im Unternehmen, sondern stellt die Art und Weise dar, wie Unternehmen ihre Stakeholder auf der Basis digitaler Kanäle integrieren können.

Wie mein digitalisiertes Unternehmen genau aussieht, hängt natürlich davon ab, welche Art von Unternehmen ich darstelle. Es gibt Unternehmen, die ihr Kerngeschäft digitalisieren können bzw. deren Kerngeschäft digital ist. Weiterhin gibt es die klassischen analogen Unternehmen. Beide Unternehmensformen können von der Digitalisierung in gleicher Weise profitieren. Anhand von zwei Beispielen erklären die Experten, wie digitalisierte Unternehmen aus diesen unterschiedlichen Bereichen aussehen – ein Unternehmen, dessen Kernprozesse weitgehend digitalisierbar sind…

 

… und ein Unternehmen mit „analogem“ Kern…

 

2. Timing ist alles

Es wird ständig davor gewarnt, zu spät mit der digitalen Transformation anzufangen, um nicht auf der Strecke zu bleiben und Wettbewerbsvorteile zu verlieren. Das ist auf jeden Fall richtig und dieser Punkt stellt eine große Gefahr dar. Jedoch gilt auch bei der Digitalisierung: Timing ist alles. Es ist wichtig, passend zu meinem Geschäftsmodell den richtigen Einstiegszeitpunkt in die Digitalisierung zu finden. Wenn ich ein Unternehmen mit sehr konservativen, älteren Kunden habe, kann ich deutlich später in die Digitalisierung einsteigen. Der Kunde ist auf neuen Plattformen nicht anzutreffen und erwartet keine digitale Präsenz von mir. Hat ein Unternehmen jedoch eine junge Zielgruppe, werden digitale Zugänge erwartet. Junge Menschen möchten nicht in einem Restaurant anrufen. Sie möchten einfach online mit dem Smartphone einen Tisch reservieren.

Im Endeffekt treibt das Geschäftsmodell (sprich: wie will ich am Markt Erlöse erzielen?) meine Digitalisierungs-Strategie an. Ich muss also immer meinen Kunden verstehen und ihn möglichst ideal über diese vielfältigen digitalen Kanäle bedienen. Der Zeitpunkt der Digitalisierung und der Grad der Digitalisierung sollten marktgetrieben sein. Die Digitalisierung technologiegetrieben anzufangen ist ein Fehler. Zum Schluss treibt mich der Markt, und den muss ich verstehen. Verstehe ich den Markt nicht, habe ich keine Chance. Daran ändert auch die Digitalisierung nichts. (Andreas Schmietendorf)

3. Welche Prozesse sollen in meinem Unternehmen digitalisiert werden?

Hat man die Digitalisierung und die Wichtigkeit des richtigen Timings verstanden, geht es nun darum, zu definieren, welche Prozesse tatsächlich digitalisiert werden sollen. Wie ein Unternehmen die entsprechenden Unternehmensbereiche identifiziert, die mit Software unterstützt werden sollen, erklärt Frau Saswito anhand ihrer 3-Perspektiven-Digitalisierungsstrategie.

Perspektive 1: Kundensicht

Die allererste und wichtigste Perspektive ist, sich ganz strikt auf den eigenen Kunden zu fokussieren. Es muss letztendlich bei jeder Digitalisierungs-Entscheidung darum gehen, einen wirklichen Mehrwert für den Kunden zu erreichen. Unternehmen sollten da anfangen zu digitalisieren, wo es am wichtigsten ist und wo man auch wirklich etwas bewirkt. Wirklich bewirken kann ich etwas im CRM-Bereich. Ich sollte hier anfangen, Daten vorzuhalten, die mir tatsächlich helfen, Kundenbeziehungen effizient zu managen. (Julia Saswito)

Das Wichtigste beim Aufstellen einer Digitalisierungsstrategie ist, den eigenen Kunden zu kennen. Ich muss wissen, wie sich mein Kunde durch die Digitalisierung verändert, welche Erwartungen er an mich als Unternehmen hat und was ihm wirklich hilft. Danach kann überlegt werden, welche Prozesse in meinem Unternehmen verbessert oder sogar neu gestaltet werden müssen, um den Bedürfnissen zu entsprechen. Diese Überlegen sollten erst einmal völlig unabhängig von Technologien ablaufen.

Perspektive 2: Innensicht

Die zweite Perspektive ist die Innensicht. Unternehmen sollten einfach mal darauf schauen, was denn so richtig schlecht im Unternehmen läuft und was besser funktionieren könnte. Da werden jedem Unternehmer sofort Dinge einfallen, die sich verbessern ließen. Diese Bereiche muss man identifizieren, denn da werde ich mit einer Digitalisierung aller Wahrscheinlichkeit nach die größte Wirkung erzielen. (Julia Saswito)

Als Manager sollte ich mich also mit den verschiedenen Abteilungen meines Unternehmens zusammensetzen und die existierenden Prozesse genau untersuchen. Mittels Brainstormings mit den Teams sollte ich folgende Punkte erfassen:

  • Was sind sogenannte Pain Points in meinen Prozessen?
  • Welche Prozesse nehmen viel Zeit in Anspruch und können auch automatisiert werden?
  • Welche Prozesse sind fehleranfällig und benötigen Unterstützung?

Perspektive 3: Außensicht

Ich habe auf meinen Kunden und nach innen geschaut. Jetzt muss ich auch nach außen blicken. Hier geht es um das Thema Trendbeobachtung. Wenn ich nicht weiß, was draußen passiert, kann ich auch nicht entscheiden, ob es vielleicht für einen meiner Unternehmensbereiche relevant ist. Es gibt Trends wie Predictive Data, Blockchain und so weiter. Es macht Sinn – auch wenn es viel ist – überall einmal hineinzuschauen. Das heißt aber auch, dass man ganz konkret Zeit und Manpower investieren und abstellen muss, um dieses Wissen dann auch nach innen ins Unternehmen zu vermitteln.  (Julia Saswito)

Das sind die verschiedenen Perspektiven, die jedes Unternehmen erst einmal beleuchten muss. Nach Durchlaufen dieser drei Phasen können Unternehmen ihre Digitalisierungsstrategie aufstellen. Erst danach können sie entscheiden, bei welchen Unternehmensbereichen, welchen Prozessen und welchen Kunden- oder Lieferantenbeziehungen sie anfangen wollen, in Software zu investieren.

Julia Saswito. Foto: Triplesense Reply.

Julia Saswito. Foto: Triplesense Reply.

4. Nun zum Thema Software: Auswahl der passenden Systeme

An dem Prozess der Softwareauswahl sollten „das Management, die IT, verschiedene Fachbereiche sowie Endanwender“ beteiligt sein, sagt Julia Saswito. Die Entscheidung für eine Software ist so komplex, dass sie nicht allein von einer Person im Management getroffen werden sollte. Die Erfolgsaussichten für die richtige Softwareauswahl steigen, wenn mehrere Personen miteinbezogen werden. Vor allem die Endanwender sollten bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Wenn das Management im Alleingang einfach eine Software auswählt und einführt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehlinvestition hoch.

Lasse ich zu viele unterschiedliche Softwareprodukte in meinen verschiedenen Abteilungen zu, wird es schwierig, diese zu managen. Setze ich jedoch nur die Software eines Anbieters ein, bin ich komplett vom Hersteller abhängig. Prof. Schmietendorf zufolge muss „das Management einen geeigneten Mittelweg finden zwischen der Einschränkung, dass ich nicht an eine Lösung und dessen Vendor-Lock In gebunden bin und der, dass mein Software-Portfolio zu groß ist und ich dessen Management nicht mehr beherrsche.“

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Im Endeffekt muss jedes Unternehmen individuell für sich entscheiden, welche Bereiche mit Software unterstützt werden sollen, welche Softwareprodukte am sinnvollsten sind, wie viel für Produkte ausgegeben werden möchte bzw. kann und wie hoch die Experimentierfreude und Offenheit im Unternehmen gegenüber Software ist. Allgemein betrachtet kann man laut Prof. Schmietendorf an dieser Stelle jedoch sagen, dass die „klassischen Bereiche, die man betriebswirtschaftlich braucht, immer mit Software unterstützt sein müssen“. Das sind meist Standard-Softwaresysteme wie Customer-Relationship-Management, Supply-Chain-Management, Enterprise-Resource-Management, Managementinformationssysteme usw.

5. Fast geschafft: Implementierung der Software

Neben der durchdachten Auswahl der richtigen Software geht es vor allem um die Anpassung der eigenen Prozesse an das gekaufte Tool sowie die Veränderung vorhandener und gegebenenfalls die Definition neuer Prozesse. Dies sind Schlüsselkomponenten, um den Softwareeinsatz erfolgreich zu gestalten. Ich werde meine bisherigen Prozesse nicht 1:1 in die Software übernehmen können und damit erfolgreich sein. Der Einsatz von Software stellt eine veränderte Strategie in meinem Unternehmen dar, die auch mit Veränderungen in meinen vorhandenen Prozessen einhergeht. Frau Saswito erinnert uns an das sehr treffende Zitat von Thorsten Dirks von Telefónica Deutschland:

Wenn es ein mieser Prozess ist, kann man ihn digitalisieren, soviel man will. Es bleibt trotzdem ein mieser Prozess.

Wurde die passende Software ausgewählt und wurden die Prozesse angepasst, folgt mit der Implementierung der letzte Schritt zur erfolgreichen Digitalisierung des Unternehmens.

Frau Saswito zufolge ist „das Wichtige bei der Implementierung ein Test- und Experimentiermodus im Unternehmen. Gerade bei neuen Trends und Innovationen muss man Dinge ausprobieren. Man muss sie machen, um zu verstehen, wie sie funktionieren. Offenheit und Mitarbeiter-Feedback ist an dieser Stelle ganz wichtig. Man sollte dann auch schnell entscheiden, wenn etwas nicht lief wie geplant oder wenn mehr investiert werden muss, um Erfolg zu haben.“

Fazit

Jedes Unternehmen muss seinen richtigen Grad der Digitalisierung finden. Dafür wird es kein allgemeingültiges Rezept geben. Es gibt jedoch viele Kriterien, die Einfluss nehmen. Der Schlüssel zur Digitalisierung liegt letztendlich beim Verständnis der Kundenbedürfnisse und bei der Fähigkeit der Integration auf allen Ebenen – von einer rein technologischen bis zu einer soziologischen Ebene der Integration. Wer das kann, wer das beherrscht, der wird zum Schluss erfolgreich sein. (Andreas Schmietendorf)

Digitalisierung heißt also nicht, einfach verschiedene Cloud-Produkte im Unternehmen einzusetzen. Digitalisierung heißt, Prozesse zu identifizieren, die durch digitale Technologien verbessert und automatisiert werden können. Digitalisierung bedeutet, Kunden bedürfnisorientiert auf digitalen Kanälen zu bedienen, um ihnen dadurch einen echten Mehrwert zu verschaffen. Digitalisierung bedeutet, verschiedene Stakeholder durch Software in unternehmensinterne Prozesse einzubinden, um besser und effizienter arbeiten zu können.

Digitalisierung bedeutet, Chancen zu ergreifen. (Julia Saswito)

Es gibt also wohl keine Zauberformel für die erfolgreiche digitale Transformation, und jedes Unternehmen muss je nach Geschäftsmodell, Marktanforderungen und Zielgruppe seine eigene Strategie finden. Es gibt jedoch unzählige verschiedene Chancen, die sich aus der Digitalisierung für Unternehmen ergeben – und diese sollten genutzt werden.

 

Ines Bahr. Foto: Capterra.

Ines Bahr. Foto: Capterra.

Ines Bahr ist nach Kommunikationsstudium in Calw und Valencia und einer Station im B2B-Marketing bei Vodafone heute International Content Analyst bei Capterra, einem Beratungshaus für Software-Analyse, das zu Gartner gehört.

 

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