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Mit eisern angenehmer Arbeitsroutine

Blick auf den Schreibtisch: Hier herrscht strenge Arbeitsroutine

Die meiste Zeit schreibe ich in einem Zimmer in einem Haus in einem kleinen katalanischen Dorf in der Nähe des Meeres und der alten französischen Grenze, eineinviertel Stunden von Barcelona entfernt, wo ich immer mehr Zeit verbringe.

Mein Arbeitszimmer ist groß: Der frühere Besitzer des Hauses nutzte den Raum für Pilateskurse. Ich schreibe an einem Computer an einem Tisch, der mit Papieren, Büchern und Notizbüchern vollgestopft ist. Um mich herum stehen ein Sofa, zwei größere und ein kleinerer Sessel, Aktenschränke, ein kleiner Tisch und ein Fernseher, auf dem ich früher Filme auf DVD anschaute, umgeben von mehreren Stapeln DVDs, die ich aber kaum noch abspiele, weil ich heute fast alle Filme auf den Streaming-Plattformen finde. Die Wände des Zimmers sind mit Bücherregalen gesäumt; zu meiner Rechten befindet sich ein großes Fenster. Es öffnet sich zu einem Garten, in dem zwei Platanen, ein Maulbeerbaum und eine Weide wachsen.

Spiegelung im Fenster (Foto: Robert Darch)

Außer wenn ich auf Reisen bin –, was nur allzu oft der Fall ist – ist meine Arbeitsroutine eisern und angenehm: Ich stehe früh auf, laufe genau fünfundvierzig Minuten durchs Feld, frühstücke und beginne dann gegen halb neun mit dem Schreiben. Am Vormittag mache ich eine Pause und trinke eine Tasse Tee und esse ein paar Maispfannkuchen; gegen Ende des Vormittags mache ich eine weitere Pause, trinke Cola und esse Nüsse. Um ein Uhr esse ich zu Mittag, und dann mache ich eine dreißigminütige Siesta. Letztere ist unerlässlich: Ich bin der letzte Spanier, der Siesta hält, also habe ich eine Verpflichtung, diesen gesunden und uralten Brauch zu bewahren. (Außerdem können es sich Leute wie ich, die viel arbeiten, nicht leisten, kein Nickerchen zu machen.)

Am Nachmittag schreibe ich weiter, bis ich so erschöpft bin, dass ich die Buchstaben auf dem Computerbildschirm nicht mehr erkennen kann. Dann, um mich auszuruhen, beginne ich zu lesen: Ein Schriftsteller ist in erster Linie ein Leser, und ich denke, ich schreibe, um besser lesen zu können.

Abends, nach dem Essen, lese ich weiter oder sehe mir einen Film oder eine Serie an. Da stimme ich dem Klischee zu, das besagt, dass heutzutage einige der besten Filme vom Fernsehen gemacht werden. Dann gehe ich ins Bett und versuche zu vergessen, was ich gerade schreibe. Wenn ich das nicht hinbekomme, ist das schlecht: Dann kann ich leider nicht schlafen.

Ansonsten habe ich keine Marotten oder abergläubischen Rituale wenn ich schreibe, außer, dass ich es in völliger Stille tue. Ich mag Musik zu sehr, um zu schreiben, während ich sie höre.

Allerdings möchte ich hinzufügen, dass ich gefährlich neurotisch bin: Als ich noch rauchte, kam ich immer mit einem Feuerzeug in der Tasche nach Hause, weil ich Angst hatte, dass mir das Feuer ausgeht. Jetzt komme ich mit Taschen voller Stifte nach Hause, aus Panik, dass ich nichts mehr zum Schreiben habe. In allen Zimmern meines Hauses, in allen meinen Mänteln, Jacken, Hemden und Hosen gibt es Notizbücher, Papiere mit Notizen, Stifte.

Ich arbeite allein, und ich bespreche das, was ich schreibe, mit niemandem, es sei denn, es ist unbedingt notwendig. Hemingway sagte zu Recht, dass etwas Wesentliches verloren geht, wenn man jemandem erzählt, was man schreibt.

Es gibt viele Dinge, die mich zum Schreiben inspirieren, vor allem die Dinge, die ich nicht verstehe. Ich schreibe, um zu verstehen. Natürlich scheitere ich immer. So wie ich es verstehe, ist Literatur der gescheiterte Versuch zu verstehen.

Aus dem Spanischen von Lena Scherer

Messe-Gastland Spanien – im buchreport.magazin 10/2022

Javier Cercas

Javier Cercas (Foto: Pietro Pesce)

Javier Cercas, geboren 1962 in Ibahernando (Spanien), ist Schriftsteller, Publizist und Universitätsdozent. Mit seinem Roman „Soldaten von Salamis“ wurde er international bekannt. Sein Werk ist in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erscheinen seine Bücher bei S. Fischer.

Zuletzt veröffentlichte Cercas eine Krimireihe um den Ermittler Melchor Marín. Für den ersten Band „Terra Alta“ (deutsch: „Terra Alta. Geschichte einer Rache“) wurde er 2019 in seiner Heimat mit dem „Premio Planeta“ ausgezeichnet. Hierzulande ist zuletzt im Juli der 2. Band der Reihe, „Die Erpressung“, in deutscher Übersetzung von Susanne Lange erschienen.

Javier Cercas ist Teil der 200-köpfigen spanischen Ehrengast-Delegation, die zur Frankfurter Buchmesse reist. Auch Autorinnen und Autoren wie Irene Vallejo, Antonio Muñoz Molina, Rosa Montero, Sara Mesa und Fernando Aramburu werden ihre Bücher in Frankfurt präsentieren.

Auszeichnungen (Auswahl)

  • Premio Nacional de Narrativa für „Anatomía de un instante“ (2010)
  • Prix Méditerranée Étranger für „Les lois de la frontière“ (2014)
  • Preis des Europäischen Buches für „El impostor“ (2016)
  • Premio Planeta für „Terra Alta“ (2019)

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