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Martina Bergmann: Buchhändler sind Kaufleute

Martina Bergmann: Buchhändler sind Kaufleute
Martina Bergmann: Buchhändler sind Kaufleute
Eine gängige Meinung lautet: Kein Buchhändler hat seinen Beruf gewählt, um Kaufmann zu werden. Eine andere: Wer mit Büchern Geld verdient, hat von deren Inhalt keine Ahnung. Beides lässt sich eindrucksvoll belegen. Deswegen stimmt es trotzdem nicht.
Ich bin Buchhändler geworden, weil eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung in meinem Elternhaus die Bedingung war, um seine Studienfächer frei zu wählen. Ich wollte Geschichte studieren, paar Sprachen auch. Und Buchhändler war derjenige Lehrberuf mit größter Inhaltsnähe. Berufsschule: Zwanzig Leute durcheinander, mehr Abiturienten als Mittelschüler, ein paar abgebrochene Geisteswissenschaftler; die übliche Mischung. Und das Lamento, an das ich mich gewöhnen sollte: Buchhandelsbetriebslehre, ein Schauderwort. Allgemeine Wirtschaftslehre, und sanfter Grusel benetzte den Sitzkreis. Über allem aber immerzu der Schockbegriff: Rechnungswesen, ReWe. Kein Wort ist unter den Buchhändlern mehr emotional aufgeladen als kaufmännische Buchführung, und nicht eines so zu Unrecht.
Um es deutlich zu sagen: Ich finde Buchführung stinklangweilig. Das ist eine Tätigkeit wie Puzzeln, Briefmarken sortieren oder Nordic Walking. In der Berufsschule ist Rechnungswesen jedoch ein prüfungsrelevantes Fach, und ich verstehe den Lehrherrn nicht, der seinem Auszubildenden lauter Fünfen und gar Sechsen durchgehen lässt. Ich war ja ungelenk in Sport, da hatte ich immer schlechtere Noten als woanders. Aber nie ein Mangelhaft. Das ist für mich eine Frage von Disziplin. Wenn es gar nicht geht, sitz es ab, das gibt immer eine Gnadenvier. Aber die Buchhändlerinnen: Ich seh sie da hocken und Tee trinken; das war die Zeit dieser fiependen Silberflaschen. Facebook von heute ist demgegenüber wenig geräuschvoll. Und Facebook ist fröhlicher. Dies war eine Kakophonie von schlechter Laune, Ringelshirts und Befindlichkeiten, die mir Kopfschmerzen bereitete. Ich mochte sie nicht, aber ich hatte auch eine andere Melodie im Kopf, der ich folgen konnte. Es war mir egal. Ich hatte in Rechnungswesen hundert Punkte.
Letzte Woche dachte ich an meine Berufsschulklasse. Der Zusammenhang war leider kein sympathischer. Zwanzig Kilometer von hier, also fast in meiner Nachbarschaft, ging ein Buchhändler krachend in die Insolvenz. Es war einmal das erste Haus am Platz, habe ich mir sagen lassen. Wer auf sich hielt, der kaufte da. Honoratioren: Ärzte, Juristen, auch der Landadel. Und alle immerzu umsorgt und gehegt von kundigen, klugen Buchhändlern. Ich war da auch schon Kunde, und tatsächlich kann ich kein schlechtes Wort über die Fachkompetenz verlieren. Sie hat sich mir nicht mitgeteilt. Dazu hätte man mich grüßen müssen – Guten Tag, Frau Bergmann. Man hätte fragen können, Kann ich Ihnen helfen? Was kann ich für Sie tun? Stattdessen ein stummer Vorwurf, sobald ich dort hineinging. Ach, das ist doch die, die manchmal lacht. Die Verrückte, die mit ihrem Facebook. Na, na, na, wenn das die Studienräte sehen. Oder der Literaturkundelehrer aus Malente. Er würde die Nase rümpfen. Wegen mir: Soll er sich winden, der gute alte Bücherwurm, denn das ist sein Modus. Ich mag verschwurbelte, aus der Zeit gefallene Typen. Ich finde sie großartig, ich hege Bewunderung für Literaten und Wissenschaftler. Aber die, die sich so bewegen können, schlendern gemeinhin nicht als Sortimentsbuchhändler auf der so genannten Fläche. (Nebenbei, der Literaturkundelehrer von damals ist ein kluger Mann mit sonnigem Gemüt. Ich habe bei ihm viel gelernt – Werbetexte schreiben beispielsweise.)
In den Buchhandlungen halten sich jedenfalls Angestellte mit kaufmännischem Gesellenbrief auf, und keine Geistesakrobaten mit Freifahrtschein für alles mögliche. Sie sollten wissen, erstens – Der Geselle ist kein Meister. Er ist nicht der Chef. Das ist ein anderer Job, das ist der härtere. Wer den heute tut, der rüste sich wohl, der wisse, welche Risiken er eingeht. Und der wisse auch, für wen er das tut – Für sich selbst zuerst. Ich kann mir nicht erklären, woher dieses Grundverständnis des buchhändlerischen Angestellten rührt, er müsse nur konsequent schlampig rechnen oder sich überhaupt weigern, dies zu tun, dann könne er unbeschleunigt Ware verräumen, Stammdaten pflegen und wortreich seinen Verdruss über den Chef mit der geneigten Kundschaft teilen. Das ist keine Kultur, die mir persönlich liegt, und im Allgemeinen sicher keine zeitgemäße. Liebe Kollegen Unternehmer, diesen Blog schreibe ich mit Kompliment an eine Chefin in Osnabrück, die ich – an Angestellten und Gesinnungspresse vorbei – eine souveräne Kapitänin finde. Und ich schreibe ihn mit Wink an Sie alle. Die Zeiten sind leider hart, das ist so. Schauen Sie umso mehr, wer Kurs mit Ihnen hält. Ich habe letzthin zwei Leuten wegen Verdrießlichkeit gekündigt. In Ihrer und meiner Betriebsgröße, unter fünf, ist das zwanglos möglich. Es hat mir sehr gut getan, und seit ich wieder mehr im Laden sichtbar bin, steigt der Umsatz zweistellig. Das kommt meinem Wohlbefinden außerordentlich zugute: emotional und buchhalterisch.
Martina Bergmann ist Inhaberin bei Bücherland Westfalen in Borgholzhausen.

Eine gängige Meinung lautet: Kein Buchhändler hat seinen Beruf gewählt, um Kaufmann zu werden. Eine andere: Wer mit Büchern Geld verdient, hat von deren Inhalt keine Ahnung. Beides lässt sich eindrucksvoll belegen. Deswegen stimmt es trotzdem nicht.

Ich bin Buchhändler geworden, weil eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung in meinem Elternhaus die Bedingung war, um seine Studienfächer frei zu wählen. Ich wollte Geschichte studieren, auch ein paar Sprachen. Und Buchhändler war derjenige Lehrberuf mit größter Inhaltsnähe. Berufsschule: Zwanzig Leute durcheinander, mehr Abiturienten als Mittelschüler, ein paar abgebrochene Geisteswissenschaftler; die übliche Mischung. Und das Lamento, an das ich mich gewöhnen sollte: Buchhandelsbetriebslehre, ein Schauderwort. Allgemeine Wirtschaftslehre, und sanfter Grusel benetzte den Sitzkreis. Über allem aber immerzu der Schockbegriff: Rechnungswesen, ReWe. Kein Wort ist unter den Buchhändlern mehr emotional aufgeladen als kaufmännische Buchführung, und nicht eines so zu Unrecht.

Um es deutlich zu sagen: Ich finde Buchführung stinklangweilig. Das ist eine Tätigkeit wie Puzzeln, Briefmarken sortieren oder Nordic Walking. In der Berufsschule ist Rechnungswesen jedoch ein prüfungsrelevantes Fach, und ich verstehe den Lehrherrn nicht, der seinem Auszubildenden lauter Fünfen und gar Sechsen durchgehen lässt. Ich war ja ungelenk in Sport, da hatte ich immer schlechtere Noten als woanders. Aber nie ein Mangelhaft. Das ist für mich eine Frage von Disziplin. Wenn es gar nicht geht, sitz es ab, das gibt immer eine Gnadenvier. Aber die Buchhändlerinnen: Ich seh sie da hocken und Tee trinken; das war die Zeit dieser fiependen Silberflaschen. Facebook von heute ist demgegenüber wenig geräuschvoll. Und Facebook ist fröhlicher. Dies war eine Kakophonie von schlechter Laune, Ringelshirts und Befindlichkeiten, die mir Kopfschmerzen bereitete. Ich mochte sie nicht, aber ich hatte auch eine andere Melodie im Kopf, der ich folgen konnte. Es war mir egal. Ich hatte in Rechnungswesen hundert Punkte.

Letzte Woche dachte ich an meine Berufsschulklasse. Der Zusammenhang war leider kein sympathischer. Zwanzig Kilometer von hier, also fast in meiner Nachbarschaft, ging ein Buchhändler krachend in die Insolvenz. Es war einmal das erste Haus am Platz, habe ich mir sagen lassen. Wer auf sich hielt, der kaufte da. Honoratioren: Ärzte, Juristen, auch der Landadel. Und alle immerzu umsorgt und gehegt von kundigen, klugen Buchhändlern.

Ich war da auch schon Kunde, und tatsächlich kann ich kein schlechtes Wort über die Fachkompetenz verlieren. Sie hat sich mir nicht mitgeteilt. Dazu hätte man mich grüßen müssen – Guten Tag, Frau Bergmann. Man hätte fragen können: Kann ich Ihnen helfen? Was kann ich für Sie tun? Stattdessen ein stummer Vorwurf, sobald ich dort hineinging. Ach, das ist doch die, die manchmal lacht. Die Verrückte, die mit ihrem Facebook. Na, na, na, wenn das die Studienräte sehen. Oder der Literaturkundelehrer aus Malente. Er würde die Nase rümpfen. Wegen mir: Soll er sich winden, der gute alte Bücherwurm, denn das ist sein Modus. Ich mag verschwurbelte, aus der Zeit gefallene Typen. Ich finde sie großartig, ich hege Bewunderung für Literaten und Wissenschaftler. Aber die, die sich so bewegen können, schlendern gemeinhin nicht als Sortimentsbuchhändler auf der so genannten Fläche. (Nebenbei, der Literaturkundelehrer von damals ist ein kluger Mann mit sonnigem Gemüt. Ich habe bei ihm viel gelernt – Werbetexte schreiben beispielsweise.)

In den Buchhandlungen halten sich jedenfalls Angestellte mit kaufmännischem Gesellenbrief auf, und keine Geistesakrobaten mit Freifahrtschein für alles mögliche. Sie sollten wissen: Erstens – Der Geselle ist kein Meister. Er ist nicht der Chef. Das ist ein anderer Job, das ist der härtere. Wer den heute tut, der rüste sich wohl, der wisse, welche Risiken er eingeht. Und der wisse auch, für wen er das tut – für sich selbst zuerst. Ich kann mir nicht erklären, woher dieses Grundverständnis des buchhändlerischen Angestellten rührt, er müsse nur konsequent schlampig rechnen oder sich überhaupt weigern, dies zu tun, dann könne er unbeschleunigt Ware verräumen, Stammdaten pflegen und wortreich seinen Verdruss über den Chef mit der geneigten Kundschaft teilen. Das ist keine Kultur, die mir persönlich liegt, und im Allgemeinen sicher keine zeitgemäße.

Liebe Kollegen Unternehmer, diesen Blog schreibe ich mit Kompliment an eine Chefin in Osnabrück, die ich – an Angestellten und Gesinnungspresse vorbei – eine souveräne Kapitänin finde. Und ich schreibe ihn mit Wink an Sie alle. Die Zeiten sind leider hart, das ist so. Schauen Sie umso mehr, wer Kurs mit Ihnen hält. Ich habe letzthin zwei Leuten wegen Verdrießlichkeit gekündigt. In Ihrer und meiner Betriebsgröße, unter fünf, ist das zwanglos möglich. Es hat mir sehr gut getan, und seit ich wieder mehr im Laden sichtbar bin, steigt der Umsatz zweistellig. Das kommt meinem Wohlbefinden außerordentlich zugute: emotional und buchhalterisch.

Martina Bergmann ist Inhaberin von Bücherland Westfalen in Borgholzhausen.

Kommentare

3 Kommentare zu "Martina Bergmann: Buchhändler sind Kaufleute"

  1. Martina Bergmann | 13. Mai 2012 um 16:34 | Antworten

    Liebe Frauke Schramm und lieber Peter&Paul,
    Sie können natürlich immer hier bei uns vorbeikommen, da freuen wir uns. Im Sommer wird es auch ein Fest geben – Ich hab immer am selben Tag Geburtstag wie die Firma. Ich bin nur 31 Jahre älter. Aber davon unabhängig: Gehen Sie los, fordern Sie bei Ihrem Buchhändler am Ort das ein, was Ihnen fehlt. Oft ist es wirklich nur ein Lächeln. Denn bei allem Spott über manchen etwas eigenwilligen oder entnervten Kollegen – An Kompetenz mangelt es im seltensten Fall. Unterstützen Sie den Buchhandel in Ihrer Stadt durch Aufmerksamkeit und Feedback. Davon leben wir (auch): Vom Engagement der Kunden.

  2. WOW. Nach Ihrer Beschreibung zu urteilen, haben wir ungefähr gleichzeitig unsere Ausbildung gemacht … und ja, ich hab‘ das genauso erlebt. Später in meiner beruflichen Laufbahn habe ich dann versucht, BuchhändlerInnen ein WWS nahezubringen … das Schärfste war eine Azubine, die sich glattweg geweigert hat, das zu lernen. Begründung: „Ich hab mich für den Beruf der Buchhändlerin entschieden, weil ich nichts mit Computern zu tun haben will.“ (ist schon ein paar Jährchen her … aber auch damals waren Computer schon ziemlich allgegenwärtig !). Ich konnte es nicht fassen – ich kann es bis heute nicht fassen. Und daß Sie Leute wegen Verdrießlichkeit kündigen – das hat sicherlich zum Verdruß dieser beiden Menschen beigetragen. Was mir durchaus leid tut für die 2. ABER: noch schlimmer finde ich das dumpfe Gefühl, daß die daraus nichts, aber auch gar nichts lernen werden. Und weiterhin als Mufflons durch die Weltgeschichte stapfen und sich ungerecht behandelt fühlen werden. Somit – schließe ich mich peter&paul an, schade, daß Sie so weit weg sind, sonst stünde ich spätestens morgen bei Ihnen im Laden ;-))

    Herzliche Grüße von einer Buchhändlerin aus Überzeugung, die immer noch in der Branche arbeitet, allerdings mittlerweile einen „Schreibtischjob“ hat ;-))
    Frauke Schramm

  3. liebe frau bergmann,
    ein super-statement aus der feder einer buchhändlerin.
    leider mit diesem tenor nicht so oft aus der branche zu vernehmen.
    bei ihnen würde ich gerne einkaufen kommen, leider trennen uns mehr als 400 km.
    ich wünsche ihnen weiterhin besten erfolg!!!

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