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Kannibalisierung ist unvermeidbar

Wie können Buchverlage die Anforderungen des digitalen Zeitalters meistern? Der App-Entwickler und Buchautor George Berkowski glaubt, sie müssen u.a. in den Digitalvertrieb und Fachpersonal investieren. Im Bookseller-Interview ruft er zu mehr Innovationsfreude und Wagemut in der Verlagsbranche auf.

Berkowski ist ein Vordenker, der Projekte in den Branchen Raumfahrt, Online-Dating, Transport und mobile Apps umgesetzt hat. In seinem Buch „How to Build a Billion Dollar App“ enthüllt er die Erfolgsprinzipien von viel genutzten Apps wie Instagram, Whatsapp und Angry Birds.


George Berkowski ist einer der Referenten auf der Konferenz buchreport 360° mit dem Thema Mobile Publishing, die im Februar 2015 in Dortmund stattfinden wird. Hier die Infos.


Was kann die Verlags- von der Technikwelt lernen?

Die wichtigste Fähigkeit ist überwiegend philosophisch: Man muss anerkennen, dass die einzige Konstante die Veränderung ist. Man muss womöglich alle paar Jahre jeden Teil des eigenen Geschäfts neu erfinden, vom Geschäftsmodell bis zur Produktion, der Interaktion und dem Design – manchmal sogar alle paar Wochen.

In meinem Geschäft ist Software eine lebendige, atmende Sache; man bringt keine App heraus und wartet dann darauf, dass sie Geld einbringt. Man konstruiert eine App und sie entwickelt sich mit ihren Nutzern weiter. Was die Leute heute wollen, ist mit Sicherheit nicht das, was sie in sechs Monaten wollen werden. Die Unternehmen, die in diesem Bereich wirklich florieren, sind diejenigen, die schlichtweg akzeptieren, dass es dauernd neue Wege geben wird, um Dinge besser zu machen.

Gibt es irgendwelche Hindernisse?

Ein Problem ist, dass nicht mehr klar ist, was Publishing noch sein soll. Publishing ist Twitter, Publishing sind Blogs, Publishing sind Zeitschriften und Bücher. Für mich sind das alles bloß unterschiedliche Formate, um zwei Dinge – Information und Unterhaltung – auf unterschiedliche Weise zu verarbeiten. Ich würde behaupten, dass große Verlage die Vorherrschaft über diese Formate haben sollten und sie als ein Portfolio begreifen sollten: ein großer Haufen von Informationen, die über verschiedene Kanäle verwertet werden. Die Tatsache, dass Buchverlage nicht auch Zeitschriften machen oder Blogs und Plattformen führen, erstaunt mich, weil es mir so ähnlich vorkommt; so konvergent und schnell möglich ist.

Eine Sache, die viele Tech-Unternehmen machen – und akzeptiert haben – ist, dass sie ihr eigenes Geschäft in einer fortlaufenden, vorhersehbaren Weise kannibalisieren müssen. Darüber zu jammern, dass man überall Konkurrenten hat und sie mit rechtlichen und anderen primitiven Mitteln zu bekämpfen, dient lediglich dazu, Nutzer, Autoren und Distributoren zu vergraulen, und das ist wirklich keine nachhaltige Strategie. Verlage sollten jeden Kanal aktiv annehmen und Leute einstellen, die ihnen in Bezug auf die gezielte Kannibalisierung helfen können. Kannibalisierung ist unvermeidbar, also akzeptieren Sie sie – und lassen Sie sie zur Methode werden. Bauen Sie etwas auf, scheitern Sie, kommen Sie dahinter und lernen aus Ihren Fehlern.

Was bremst Verlage im digitalen Zeitalter am stärksten aus?

Die Distribution. Ein großer Verlag, der nicht in der Lage ist, seine Ebooks direkt zu verkaufen, ist mehr als lächerlich. Wenn Sie als einer der Big Five keinen eigenen Vertriebskanal haben, der für die Leser interessant ist, haben Sie keinerlei Beziehung zu Ihren Endnutzern.

Warum sollte ich dann als Autor 90% der Einnahmen an Sie abtreten? Apple setzt den Schnitt bei 30% und setzt mich 100 Mio Menschen vor. Wie vielen Leuten setzen Sie mich vor? Wenn Sie keine Beziehung mit dem Endnutzer haben, werden Sie komplett Ihrer Vermittlerrolle beraubt. Sie werden zum bloßen Content-Einkäufer und -Aufbereiter. Ich sehe nichts besonders Nachhaltiges oder Interessantes im aktuellen Angebot der Verlage. Aber so muss es nicht bleiben. In Zeiten des Internet ist es besonders schnell möglich, Marken aufzubauen, um mit der Zielgruppe in Kontakt zu treten. Wir haben beobachtet, wie Digitalunternehmen innerhalb von nur ein, zwei oder drei Jahren zu riesigen Marken geworden sind.

Was ist der Kern des Problems?

Es läuft darauf hinaus, dass dem Verlagswesen die Innovationsanreize fehlen. Man zieht die besten Leute an, indem man ihnen die Möglichkeit gibt, ein Geschäft zu verändern, zu transformieren. Letztlich werden die Verlage selbst davon profitieren. Ob sich das direkt bezahlt macht, ist nicht relevant – sondern die Perspektive. Das werden Sie nicht erreichen, wenn Sie Leuten 28.000 Pfund im Jahr zahlen. Jeder Entwickler, den ich kenne, der unter 50.000 Pfund im Jahr verdient, ist unterbezahlt.

Man baut kein brillantes Digitalteam auf, indem man ein oder zwei Leute als Abteilungsleiter einstellt. Man muss den Wandel schrittweise angehen. Man muss Strukturen aufbrechen – was ein paar mutige Entscheidungen des Chefs erfordert. Man muss Leute ins Boot holen.

Sie haben ein klassisches Buch veröffentlicht. Wie fanden Sie diese Erfahrung?

Was Verlage sehr gut machen, ist die Lektoratsarbeit. Ich bin kein großer Autor, aber durch viel Polieren und Strukturieren haben wir ein gutes Produkt erzielt. Mein Lektor war fantastisch. Das Marketing? Alles, was der Verlag getan hat, war, eine Handvoll Buchhandlungen zu kontaktieren. Auch in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit und die Kundenbeziehung ist das nicht sonderlich gut. Wenn ein Start-up mit diesen Ausgaben auf diesem Level arbeiten würde, dann wäre es innerhalb von drei Monaten tot. Wir konnten noch nicht einmal eine Gratisversion des Ebooks an Rezensenten schicken, was frustrierend war. Sie machen Witze, oder? Es ist 2014, nicht 1996.

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