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Jörg Dörnemann: Vorsorge statt Quarantäne

Jörg Dörnemann: Vorsorge statt Quarantäne

WH Smith und Kobo machen Tabula Rasa: WH Smith schloss gleich die ganze Website bis sämtliche selbstverlegten Bücher entfernt worden waren, und auch Kobo nahm alle selbstverlegten Titel aus seinem UK-E-Bookstore. Die Self-Publishing-Szene ist in Wallung, nachdem das britische Magazin „The Kernel“ offengelegt hatte, was sowohl Amazon mit seinen Kindle Editions als auch fast alle großen E-Book-Stores von Barnes & Noble über Foyles bis Waterstones und WH Smith, letzterer über seinen Vertriebspartner Kobo, für Inhalte verkaufen: Es geht um Kinderpornografie, Inzest, Vergewaltigung. Das ist ekelhaft und erfordert Konsequenzen. Aber es ist falsch, nun alle selbstverlegten Bücher zu verbannen.

Dieser Skandal geht auch Epubli an. Wir unterstützen die Unabhängigkeit von Autoren und Autorinnen bei der Gestaltung ihrer Bücher, wir lassen ihnen völlige Freiheit sowohl bei Fragen von Layout und Vermarktung als auch bei den Inhalten. Wir haben eine vielfältige Autoren- und Leserschaft und ein sehr breites Genrespektrum. Weder wollen wir unseren Autoren vorschreiben, was sie schreiben, noch unseren Lesern, was sie lesen sollen. Gegen erotische Literatur oder Krimis und Thriller, in denen das Blut literweise fließt, haben wir erst einmal überhaupt nichts einzuwenden. Auch unter unseren Autoren und Autorinnen gibt es viele, die Erotica schreiben – und die eine große Leserschaft haben. Das mag für einige unter der Grenze des guten Geschmacks liegen, aber es ist nicht verboten. Der Erfolg gibt dem Genre recht, wie man am Paradebeispiel „Fifty Shades of Grey“ sehen kann. Auch dieses Buch hatte seinen Anfang im Selbstverlag. Jetzt wird es in Hollywood verfilmt.

Bei uns kann man schreiben, wie was und worüber man will. Kann man? Nach dem „Ja“ kommt das „Aber“.

Denn selbstverständlich wollen und dulden wir „keine rechtswidrigen, obszönen, rassistischen, diffamierenden, pornographischen, bedrohlichen, die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzenden oder in sonstiger Weise abzulehnenden oder schädlichen Inhalte“ auf unserer Plattform. So steht es in unseren AGB (§ 9.1c). Auch bei uns kommt es vor, dass verbotene Inhalte publiziert werden. Die entfernen wir. Unverzüglich.

Es gibt unterschiedliche Geschmäcker und unterschiedliche Toleranzlimits. Die Gürtellinien sitzen unterschiedlich hoch und manchmal ist es eine Gratwanderung, wann ein Buch Grenzen zum Unvertretbaren überschreitet. Aber es kann und darf keine Lösung sein, sämtliche Indie-Bücher auf den Index zu setzen, wie es jetzt WHSmith getan hat.

Ist derlei Zensur mit dem Rasenmäher nun der Anfang vom Ende des Self Publishing? Im Gegenteil: Self-Publishing ist gerade dabei, sich zu etablieren. Im englischsprachigen Raum ist die Szene, wie so oft, schon viel weiter als in Deutschland. Die britische Autorin, Unternehmerin und überzeugte Self-Publisherin Joanna Penn prophezeite neulich auf unserer „Rewrite the Web”-Konferenz in Berlin, dass binnen zweier Jahre „Indie Authors” zum Mainstream gehören werden.

Insofern kommt die Affäre gerade zur rechten Zeit: Jetzt muss klar abgesteckt werden, was in Ordnung und was absolut verboten bleibt. Kobo hat sicherlich recht, es geht auch darum, den Ruf selbstverlegter Bücher zu retten. Aber nicht, indem man sie unter Quarantäne stellt oder gar ganz verbannt. Die Kontrollen bei Self-Publishing-Plattformen müssen von Anfang an funktionieren. Wir alle müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass sich verbotene Inhalte im Netz nicht noch vermehren.

Keine Angst, Indie-Autoren werden nicht untergehen, noch bevor sie richtig groß geworden sind. Jetzt ist genau der richtige Moment, um über Grenzen zu diskutieren, sie festzustecken und künftig für ihre Einhaltung zu sorgen. Denn auch Unabhängigkeit kann nur innerhalb eines gesellschaftlichen Konsenses funktionieren.

Wie groß die Angst ist, dass nun sämtliche selbstverlegte Bücher vom Markt verschwinden, zeigt eine Petition auf change.org an Jeff Bezos, CEO von Amazon, Michael Serbinis, CEO von Kobo und Leonard Riggio, Gründer von Barnes and Noble: „Leave our indie authors alone“, forderten bereits mehr als 14.000 Unterzeichner und beziehen sich damit vor allem auf Erotica. „Eine große Anzahl Menschen liest dieses Genre, um der Realität zu entfliehen“, heißt es darin.

Dr. Jörg Dörnemann ist seit Januar 2010 Geschäftsführer der Print-on-Demand- und Self-Publishing-Plattform www.epubli.de. Zuvor war er in der Geschäftsleitung des epubli-Mehrheitsgesellschafters Holtzbrinck Digital, bei MTV Networks und bei BCG.

 

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