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Wenn die Blockchain die Aborechnungen zahlt…

Die breite Diskussion der Blockchain-Technologien hat auch den Begriff des „Smart Contracting“ hervorgebracht. Die Technik verspricht, mittels Blockchains Vertrauensinstanzen wie Juristen auszuschalten und sogar den Ablauf von Leistung und Gegenleistung teilweise zu automatisieren.

Steffen Holly, Geschäftsfeldleiter beim Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT), untersucht das Gebiet systematisch. Er verrät im IT-Channel von buchreport.de, wie Smart Contracts in der Blockchain im Detail funktionieren, und erörtert unter technischen und juristischen Aspekten die Chancen, in absehbarer Zeit Smart Contracts am Werk zu sehen.

Holly spricht am 2. Mai 2018 in München bei der Tagung „Medien und Recht digital” der Akademie der Deutschen Medien zum Thema „Die Blockchain Technology: Chancen und Risiken für den Vertrieb digitaler Inhalte“.

Blockchain- und Medienspezialist Steffen Holly. Foto: Fraunhofer IDMT.

Blockchain- und Medienspezialist Steffen Holly. Foto: Fraunhofer IDMT.

Der Begriff „Smart Contract“ hat keine klare und beständige Definition, wird aber ein zentraler Bestandteil der Blockchain-Plattformen der nächsten Generation sein und dürfte zur Schlüsselfunktion für nahezu jede praktische Unternehmensanwendung werden.

Aktuelle Definitionen fallen meist in eine der zwei folgenden Kategorien:

  1. Smart Contract Code: Technologie bzw. Code, der gespeichert, überprüft und auf einer Blockchain ausgeführt wird
  2. Smart Legal Contracts: Anwendung dieser Technologie als Ergänzung oder Substitution von rechtlich bindenden Verträgen

Der Begriff „Smart Contract“ bezieht sich also auf zwei unterschiedliche Konzepte. Dies erschwert die Beantwortung sogar einfacher Fragen, wie zum Beispiel: Was sind die Eigenschaften eines intelligenten Vertrages

  1. abhängig von den Fähigkeiten der verwendeten Programmsprache und den Funktionen der Blockchain
  2. im Kontext des bestehenden Rechtsrahmens,

Bei der Verwendung der Technologie für einen rechtsverbindlichen Vertrag oder als wirksamer Ersatz für einen Vertrag ist die Antwort abhängig von der bestehenden Rechtslehre und davon, wie sich unsere juristischen, politischen und kommerziellen Institutionen im Hinblick auf die Behandlung der Technologie entscheiden. Wenn die Manager ihr nicht vertrauen, der Gesetzgeber sie nicht anerkennt und die Gerichte sie nicht interpretieren können, dann wird kein praktisch nützlicher „Vertrag“ aus ihr resultieren.

Smart Contracts als Smart Contract Code

Blockchains können neben Transaktionen auch komplexere Operationen auf Basis von Programmiersprachen durchführen. Da diese Programme in der Blockchain ausgeführt werden, haben sie im Vergleich zu anderer Software spezielle Eigenschaften:

  1. Sie sind (wie die Blockchain selber) beständig und nicht manipulierbar.
  2. Sie können selbständig Blockchain-Assets kontrollieren, zum Beispiel die Speicherung und Übertragung von Bitcoins (einmal geschrieben bedeutet selbstständig ausgeführt).

Es hat sich bei Entwicklern neben dem ursprünglichen Begriff „Smart Code“ auch der Begriff „Smart Contracts“ etabliert, der in diesem Kontext auf die komplexen Programme verweist, die in einer Blockchain gespeichert und ausgeführt werden können. Das Wort „Contract“ verdeutlicht den Prozesstyp, den diese Art Code steuert, zum Beispiel Authentifizierung oder den Austausch von Werten in Kryptowährungen oder anderen Assets.

Dabei sind zwei Typen für „Smart Contracting“ besonders relevant:

  1. Programmcode als finanzielle Transaktion (Beispiel: „Sende 1 Bitcoin von Alice an Bob am 11.11. 2016“)
  2. Programmcode als Steuerung einer Berechtigung (Beispiel: „Wenn Alice JA gesagt hat, dann entferne Bobs Stimmrecht zur Anwendung X und benachrichtige die folgenden Konten: …“)

In vielen Fällen wird „Smart Contract Code“ nicht isoliert, sondern als kleines Stück in einer größeren Anwendung verwendet. Diese Programme können Salden in einer Kryptowährung halten oder andere intelligente Anwendungen steuern. Sie handeln autonom, sobald sie einmal erstellt wurden, um eine bestimmte Aktion auszuführen. Deshalb bevorzugen viele den Begriff „Smart Agent“, analog zu dem allgemeineren Konzept eines Software-Agent.

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Die Fähigkeiten und der Zweck von „Smart Contract Code“ im Unterschied zu anderen Programmcodes werden ohne die Verwendung einer Analogie wie „Vertrag“ klarer – ähnlich wie JavaScript als Programmiersprache für Web-Anwendungen auf Basis von HTML als Markup-Language, über deren vom Inhalt getrennte Existenz heute auch keiner mehr nachdenkt.

Smart Contracts als Smart Legal Contracts

In der Finanzwelt und im Rechtssystem bezieht sich der Begriff „Smart Contract“ auf einen spezifischen Anwendungsfall des oben erwähnten „Smart Contract Code“, eben auf die Möglichkeit, mit Hilfe der Blockchain-Technologie bestehende Verträge zu ergänzen oder diese zu ersetzen. Man möchte durch die Verwendung von Programmcode etwas formulieren, überprüfen und eine Vereinbarung zwischen den Parteien durchsetzen und damit einen „Smart Legal Contract“ schaffen.

Mögliche Beispiele für eine solche Kombination aus intelligentem Vertrags-Code und traditionellen Rechtskonstrukten:

  1. Ein Hersteller tritt in einen rechtlichen Vertrag mit einem Händler, die Zahlungsbedingungen könnten als Programmcode definiert und die Zahlung automatisch ausgeführt werden, sobald die Lieferung erfolgt ist.
  2. Der Händler würde in einem Vertrag auf einer Absicherungsklausel zur etwaigen Entschädigung bei einem Defekt bestehen.

Kommerzielle Verträge sind voll von solchen Klauseln, welche die Parteien in verschiedenen Fällen schützen. Die verschiedenen Deutungsweisen und die vielen Randbedingungen, formuliert durch die natürliche Sprache in verbindlichen Verträgen, lassen eine Umsetzung in Programmcode auf absehbare Zeit noch nicht zu.

Könnten sich intelligente Verträge jemals als rechtlich durchsetzbar etablieren?

Rein formal wahrscheinlich ja, denn trotz vieler Bedenken sind die Bedingungen, unter denen aus einer Vereinbarung ein rechtskräftiger Vertrag wird, flexibel und auf die zugrunde liegende Beziehung zwischen den Parteien abgestimmt und nicht abhängig von der Form des Vertrages. Mündliche Vereinbarungen können genauso wie E-Mail-Konversation vor dem Gesetz Gültigkeit erlangen. Doch von den vielen verschiedene Arten von Verträgen sind nur einige offensichtlich als Kandidaten für den Einsatz als „Smart Legal Contracts“ geeignet. Die größte Aufmerksamkeit bekommen sie aktuell im Bereich der intelligenten Finanzinstrumente wie bei Verträgen im Handel von Aktien, Anleihen oder Derivaten. Durch derartige Verträge könnten die Finanzmärkte automatisiert und viele prozessintensive Systeme im Zusammenhang mit dem Handel und der Aktualisierung von Finanzinstrumenten vereinfacht werden.

Smart Contracts als Alternativen zu traditionellen rechtlichen Vereinbarungen

Anstatt die gesetzlichen Verträge, die wir heute nutzen, einfach zu imitieren oder zu ergänzen, könnte mit Hilfe der Blockchain-Technologie ein intelligenter Vertragskodex entstehen, der bestimmte neue Arten von kommerziellen Vereinbarungen erleichtert. Dies könnte man „Smart Alternative Contracts“ nennen.

Dieser Ansatz bietet eine umfassendere Sicht auf reale Probleme, die durch Verträge gelöst werden. In der Geschäftswelt treffen Einzelpersonen miteinander stabile, vorhersehbare Vereinbarungen. Verträge sind gemeinsam mit einem starken Rechtssystem die primären Mechanismen, die helfen, solche gegenseitigen Vertrauensbeziehungen herzustellen, die erforderlich sind, eventuell riskante Geschäfte zu tätigen, indem sie genug Anreize schaffen, sich an die Vereinbarungen zu halten. Oft sind indessen rechtliche Vereinbarungen nicht die einzige Lösung für diese Aufgabenstellung. „Smart Contract Code“ bietet neue Werkzeuge, um Klauseln und Anreizsysteme zu artikulieren und durchzusetzen, die wiederum neue Geschäfte ermöglichen.

Die am meisten diskutierte Möglichkeit dieser Art ist der direkte Handel zwischen Maschinen. Das wachsende Ökosystem von intelligenten Geräten, insbesondere solchen, die in gewisser Weise eigenständig sind, benötigt Programmcode, um geschäftlich miteinander zu interagieren. Ein Beispiel sind Autos, welche für ihren Strom selber zahlen. Diese Transaktionen erfordern immer noch ein Mindestmaß an Vertrauen, um kommerziell lebensfähig zu sein, sind aber schlecht für juristische Verträge geeignet, die vergleichsweise aufwändig sind und die Beteiligung juristischer Personen oder eines Menschen erfordern. Intelligente alternative Verträge könnten eine völlig neue Art von Handel ermöglichen, die zwischen unseren Computern, Autos, Telefonen und Geräten durchgeführt wird. Intelligente alternative Verträge können das Netz des Vertrauens jenseits der Reichweite des Rechtssystems ausdehnen, wo sie neue Formen des Handels ermöglichen, die heute nicht möglich sind.

Ausblick

Bei der Beschäftigung mit der Blockchain-Technologie müssen sich alle bewusst sein, wie der Begriff „Smart Contracts“ in verschiedenen Communities verwendet wird. Dazu muss eine Reihe schwieriger aber notwendiger, klärender Fragen zur ihrer Natur und ihrem Potenzial gestellt werden.

  1. Auf Grund des interdisziplinären Ansatzes der Blockchain-Technologie und insbesondere der „Smart Contracts“ betrachten die Akteure die Technologie nur aus ihrem Blickwinkel und eventuell auf Kosten der anderen Beteiligten.
  2. Rechtsanwälte sehen häufig „Smart Contracts“ nur als marginal verbesserte gesetzliche Vereinbarungen, ohne das volle Potenzial der Blockchain-Technologie und deren mögliche Reichweite zu betrachten.
  3. Entwickler hingegen betrachten bei „Smart Contracts“ vor allem die grenzenlosen Möglichkeiten von Software, ohne die Feinheiten und kommerziellen Realitäten, die sich in traditionellen rechtlichen Vereinbarungen widerspiegeln, zu hinterfragen.

Diese Positionen gilt es einander anzunähern, um die Blockchain als Betriebssystem für Verträge operabel zu machen.

 

Steffen Holly studierte als ausgebildeter Industrie-Elektroniker Musik, bevor er in der Musikindustrie vor allem im Bereich Lizenzierung und Werbung arbeitete. Von 2000 bis 2009 war er als Director Audio Products & Technology Licensing bei der MAGIX AG verantwortlich für Produktentwicklung und Technologie-Lizenzen. Gemeinsam mit der späteren MAGIX-Tochtergesellschaft m2any, einem Spin-Off des Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT), leitete er die Entwicklung mehrerer neuer Ideen und Anbieter für Audio-Identifizierung und Musikempfehlungen, zum Beispiel Mufin.com. Von 2009 bis 2012 arbeitete Steffen Holly als CTO für das Berliner Startup AUPEO Personal Radio, verantwortlich für Technologie, Produkt und das globale Musiklizenz-Programm, was u.a. Kooperationen mit dem Fraunhofer IDMT und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) beinhaltete. Seit Januar 2013 leitet er das Geschäftsfeld Media Management & Delivery am Fraunhofer IDMT.

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