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Wie soll die Digitalisierung gelingen, wenn sie aus den Klassenzimmern ausgesperrt wird?

Die Schulkinder von heute: Im Klassenraum analog, im Leben digital. Wie kann da Unterricht gelingen? Bildungsverlage und -startups machen ernüchternde Erfahrungen mit Technik in Schulen. Es geht auch anders. Das zeigt Ex-Haufe-Mann Stephan Grabmeier, jetzt bei Kienbaum engagiert, im IT-Channel von buchreport.de.

Stephan Grabmeier, Chief Innovation Officer, Kienbaum. Foto: privat.

Stephan Grabmeier, Chief Innovation Officer, Kienbaum. Foto: privat.

Wenn schon die Millennials Digital Natives sind, dann sind es diejenigen, die heute zur Schule gehen, doch erst recht. Die digitale Welt fordert zahlreiche neue Kompetenzen von uns. Gleichzeitig macht der Einsatz technologischer Tools aber auch den Erwerb von vielen Skills einfacher und bringt Spaß. Immer wieder versuchen nicht nur Gründer, mit Apps und Online-Angeboten im Bildungssektor Fuß zu fassen. Gerade im schulischen Bereich ist das jedoch überaus schwierig. Mit der Digitalisierung der Schulen hapert es noch. Wie soll die Digitalisierung im Allgemeinen gelingen, wenn sie aus dem Bildungs- und Erziehungswesen systematisch ausgesperrt wird?

Diskussion um Digitalisierung der Schulen: paradigmatisch statt pragmatisch

Im Artikel „9 Thesen zur Digitalisierung der Schulen“ (Paywall), der am 3. März 2018 in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen ist, schreiben die Autoren, dass die Frage „Digitalisierung der Schulen“ in Deutschland – wie so oft – grundsätzlich und paradigmatisch diskutiert wird, statt pragmatisch und praxisorientiert an das Thema heranzugehen. Konkret: Die Gegner der Digitalisierung der Schulen wollen die Schulen als „geschützten Raum“ vor der technischen Welt bewahren, quasi als letzte Bastion, in der man noch in Büchern blättern darf und mit der Hand schreiben lernt. Welche Zukunftsskills Kinder notwendig brauchen, darum geht es nicht. Man könnte sie die „Kulturpessimisten“ nennen, die der Meinung sind, Internet und Computer machten Kinder und Jugendliche grundsätzlich verhaltensauffällig.

IT-Grundlagen und Technologien der Zukunft

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Doch einen Computer bedienen und mit einem Stift auf Papier schreiben zu können, das schließt sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil: Heute entscheidet die Vielfalt an Fertigkeiten und nicht das ideologische Verdammen neuer Technologien.

Dabei geht es Bildungsstartups, die im schulischen Bereich Fuß fassen wollen, in der Regel nicht darum, was im Einzelnen gelernt wird, sondern darum, wie etwas gelernt wird. Es geht darum, digitale Tools ergänzend einzusetzen, um den Lernerfolg der Schüler zu verbessern. Von einer pragmatischen und ideologiefreien Diskussion könnten Schüler, Schulen und Lehrer profitieren.

Schwierige Rahmenbedingungen für Bildungsstartups

Bildungsstartups haben hierzulande einen schweren Stand. (Schul-)Bildung ist in Deutschland ein öffentliches Gut, für das man nicht bezahlen muss. Um in digitale Lernangebote zu investieren, fehlt den meisten Schulen das Geld. Außerdem sorgt die föderale Struktur, in der die Kompetenz „Bildung“ Ländersache ist, für ein ausdifferenziertes System, dem sich Bildungsstartups anpassen müssen. Der Lehrplan in Bayern unterscheidet sich nun mal von dem in Nordrhein-Westfalen. Jahrzehntelange Kooperationen zwischen Schulbuchverlagen und Schulen sowie rechtliche Unklarheiten tun ein Übriges. Schließlich handelt es sich beim Bildungsbereich um einen staatlich regulierten Sektor. Viele Bildungsstartups, die im schulischen Bereich gestartet sind, sind mittlerweile umgeschwenkt auf Weiterbildung, berufliche Bildung oder Nachhilfe.

Politiker streiten lieber um ihre individuellen Machtbereiche, anstatt ein zukunftsfähiges Bildungssystem für Deutschland zu designen. Aber wir können nicht mit der Denke von vor 80 Jahren und tradierter Bildungsarchitektur die Bedarfe der Zukunft unserer Gesellschaft entwickeln. Es bedarf eines umfangreichen Politikwechsels der Bildung.

Digitalangebote für Bildung: 3 Erfolgsstorys

Aus diesen Gründen ist es für Bildungsstartups schwer, Kooperationspartner unter den Schulen zu finden – und noch viel schwieriger, sich ohne solche Partner am Markt zu behaupten. Wegen dieser unsicheren Perspektive scheuen auch Kapitalgeber vor Investitionen in Bildungsstartups zurück. Nur 4% der Investitionen flossen laut Deutschem Startup Monitor 2017 in das Thema Bildung. Ein Teufelskreis, den die politischen Entscheider nicht auflösen wollen. Traurig!

Aber es gibt Bildungsrebellen, die zeigen, dass es trotz dieser Rahmenbedingungen gehen kann. Im folgenden drei Beipiele.

Sofatutor und Math42

Dem Bildungsstartup Sofatutor ist es gelungen, Kooperationen mit Schulen in Berlin und Bremen aufzubauen, wo Lehrer die Angebote für Unterricht und Hausaufgaben nutzen. Hilfreich war dabei sicherlich auch, dass der Schulbuchverlag Cornelsen zu den Kapitalgebern gehört.

Sofatutor, von Cornelsen mitfinanziert, kooperiert mit verschiedenen Schulen.

Sofatutor, von Cornelsen mitfinanziert, kooperiert mit verschiedenen Schulen.

Die multimediale Lernplattform setzt auf spielerisches Lernen und hat heute 100 feste und 150 freie Mitarbeiter. Gerade hat Gründer Stefan Bayer 3 Mio frisches Kapital bei Investoren eingesammelt.

KI-gesteuerte Mathe-Lernapp für Schüler: Math42.

KI-gesteuerte Mathe-Lernapp für Schüler: Math42.

Auch die in Deutschland entwickelte Mathe-Lern-App Math42 ist zur Erfolgsstory geworden: Für 12 Mio Dollar wurde sie vom US-Bildungsanbieter Chegg gekauft. Math42 unterstützt Schüler beim Verstehen von Mathematik. In den USA ist der Bildungsmarkt weitaus umkämpfter als hier in Deutschland, weshalb sich dort auch mit Bildungsangeboten Geld verdienen lässt.

School of one

Wie individuelle Förderung mithilfe von Digitalangeboten Schülerleistungen signifikant verbessern kann, zeigt das Beispiel der David A. Boody Intermediate School in Brooklyn, New York. Dort besuchen tausend Schüler die sechste bis achte Klasse. Ein Großteil der Schüler stammt aus sozial schwachen, bildungsfernen Verhältnissen. Größtes Problem war bis 2010 der Mathematikunterricht. Dann entdeckte der Schulleiter die „School of one“, die digital tausende Mathe-Lerneinheiten zur Verfügung stellt. Für jedes Kind wird über den Zentralrechner der Lehrplan für den nächsten Tag ermittelt. Basis dafür sind Daten aus Online-Tests, die die Schüler am Ende jeder Unterrichtsstunde machen. Durch einen Algorithmus prüft das Programm, ob das Kind die Lektion verstanden hat. Auch Lernmethoden werden individuell ausgewählt. Drei Jahre nach Programmstart hatten sich die Leistungen der Schüler deutlich verbessert und lagen weit über dem New Yorker Durchschnitt.

ISR Neuss

Die Modellschule ISR in Neuss setzt konsequent auf den Einsatz digitaler Technologien im Klassenzimmer. Ob das den Lernerfolg der Schüler tatsächlich verbessert, wissen die Verantwortlichen nicht. Sie gehen ergebnisoffen an das Thema „Digitalisierung der Schulen“ heran. Statt mit Vorurteilen um sich zu werfen, testen sie zahlreiche digitale Möglichkeiten zur Lernunterstützung. Von Whiteboards bis Virtual Reality-Brillen haben Schüler und Lehrer alle Möglichkeiten, die die Technik hergibt. Ein gigantisches Experiment statt ideologiebehafteter Theorie. Dafür bringt die Schule aber auch einiges an Ressourcen mit: Für einen Oberstufenschüler zahlen die Eltern 17.400 Euro Schulgeld pro Jahr.

Potenziale der Digitalisierung ausschöpfen

Die Erfolgsbeispiele zeigen: Beim Thema Bildung bieten Digitalangebote viele Chancen für Schüler und Lehrer. Wie können wir Hindernisse abbauen und das Potenzial, das die Digitalisierung der Schulen bietet, nutzen?

  1. Bewusstsein schaffen in den Schulen, in der Bildungspolitik, bei den Eltern
  2. Lehrer entsprechend aus- bzw. fortbilden
  3. Ressourcen zur Verfügung stellen

Eine ideologiefreie Diskussion, die die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, ist für die Digitalisierung der Schulen oberstes Gebot. Denn die Digitalisierung hat längst den Alltag erobert – im Privaten wie im Geschäftlichen. Es ist auch die Aufgabe der Schulen, Schüler darauf vorzubereiten. Aussagen wie „Heute gelernte digitale Kompetenzen sind morgen ohnehin veraltet“ sind nicht mehr als Ausreden.

Es geht nicht darum, den Schülern beizubringen, wie sie Computer bedienen – das können sie längst. Wichtig ist, ihnen mit Medien die notwendige Lernkompetenz zu vermitteln. Denn mediale Lernkompetenz ist heute Lebenskompetenz: Es geht um das soziale Miteinander, wie wir zusammen leben und in Dialog treten. Die Digitalisierung spielt dafür heute eine entscheidende Rolle: Um solche Grundkompetenzen zu vermitteln, ist die Schule der richtige Ort.

 

Stephan Grabmeier ist Seriengründer und Technologie-Experte. Führungspositionen unter anderem bei der Deutschen Telekom. Von 2015 bis 2017 Chief Innovation Evangelist bei der Haufe Group, seitdem Chief Innovation Officer bei Kienbaum und Partner.

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