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Im Prinzip muss man der Wikipedia doch dankbar sein

Im Laufe weniger Jahre hat Wikipedia die Suche nach Wissen revolutioniert. Björn Hoffmann (Foto) hat aus erster Hand miterlebt, wie der Brockhaus-Verlag auf die veränderten Nutzungsgewohnheiten reagierte und sich an eigenen Online-Projekten versuchte. Im Interview mit buchreport.de erklärt der ehemalige Brockhaus-Abteilungsleiter für Online-Publishing, wie die Enzyklopädie der Zukunft aussehen könnte und wie sich Verlage im Mitmach-Web noch profilieren können.

Die Zeit schreibt: „Wikipedia ist das Gegenstück zu all den Vertretern der Superclass: den Egomanen wie Apple-Chef Steve Jobs, der sich wie ein Gott inszeniert oder gefeierten Fußballstars.“ Sind Lexika als Superclass des Wissens von Wikipedia abgelöst worden?

Die Ära der gedruckten Lexika ist erst einmal vorbei. Daran wird sich auch solange es vernetzte Computer gibt und sich kein großer Kulturskeptizismus in unserer Gesellschaft einstellen sollte, nichts mehr ändern. Ich glaube aber dennoch fest daran, dass der Mensch in seinem Informationsbedürfnis gerade auch im Internet lieber klare und verlässliche Antworten auf seine Fragen als Texte unklarer Herkunft hätte. So beengend das Medium Buch auch war, so sehr führte es auch zu einer gewünschten Verdichtung und einer Qualitätssicherung der Information, weil man ja nichts mehr ändern konnte. Wenn man unter einem Lexikon eine verdichtete, qualitativ geprüfte und für das Internet ideal aufbereitete Wissensbasis verstehen würde, dann würde ich dem Lexikon sogar eine ganz große Zukunft voraussagen wollen.  

Woran sind Projekte wie die Brockhaus-Enzyklopädie gescheitert, wurde Wikipedia nicht ernst genug genommen?

Die Wikipedia wurde sicher in den Jahren 2003 oder 2004 in den Verlagen noch belächelt, aber dann auch ganz schnell nicht mehr und man hat das große Potenzial erkannt, das in ihr steckt. Denn im Prinzip muss man der Wikipedia doch dankbar dafür sein, dass sie gezeigt hat, wie wichtig der Rohstoff Wissen in unserer Gesellschaft ist und dass man eines der größten Portale weltweit nur mit Wissen aufbauen kann. Wenn die Wikipedia einmal nicht mehr genügend Spenden einsammeln würde, wonach es derzeit nicht aussieht, dann würde sie ihr Portal auch problemlos mit ein wenig Werbung finanzieren können. Die Versuche von Brockhaus mit Meyers Lexikon online waren damals aus meiner Sicht sehr vielversprechend und ich bin mir sicher, dass der neue Eigentümer von Brockhaus auf kurz oder lang den Weg einer werbefinanzierten Veröffentlichung der Brockhaus Enzyklopädie gehen wird, wenn sich bis dahin nicht Paidcontentmodelle wie sie z. B. von Apple vorangetrieben werden, etabliert haben.

Wie hat Wikipedia das Selbstverständnis der Sachbuchverlage verändert?

Ehrlicherweise kenne ich mich auf dem Sachbuchmarkt nicht so gut aus, aber ich kann Ihnen hier mein eigenes Verhalten schildern: Ich kaufe außer wissenschaftlichen Fachbüchern kaum noch Sachbücher, es sei denn, es steht dahinter ein bekannter Autor wie etwa Kevin Kelly oder Frank Schirrmacher. Vielleicht eine gewagte These, aber ich versuche es mal: Sachbuchverlage sollten wie Literaturverlage mehr auf ihre Autoren achten, denn die reine Informationen zu jedem beliebigen Thema gibt es schon zur Genüge im Internet.

Droemer Knaur verlagert die Manuskriptauswahl auf eine Online-Plattform und lässt eine Community über ihre Qualität entscheiden. Ist die Einbeziehung von Laien das Verlagsmodell der Zukunft oder sollten sich Verlage durch Qualität aus den eigenen Reihen vom „Brockhaus des Halbwissens“ Süddeutsche Zeitung, 2004) abgrenzen?

Die Nutzer als „Community“ in das Verlagsgeschäft mit einzubeziehen, ist in jedem Fall eine gute und richtige Idee. Ich halte das im Zeitalter der sozialen Vernetzung sogar für die zentrale Frage für Verlage. Die Nutzer wissen schließlich am besten, was sie gerne als Buch haben möchten und fühlen sich dann im Nachhinein durch ihre Mitarbeit an den Verlag gebunden. Der Verlag muss nur aufpassen, dass die Qualität darunter nicht leidet, an den Lektoren wird man also dadurch nicht sparen können. Es kommt auf ein Konzept zur Zusammenarbeit an. An einem solchen Konzept für Brockhaus online hatte das Bibliographische Institut vollkommen zu Recht lange gefeilt. Es ist wichtig.

Wie sieht die verlegerisch konzipierte Enzyklopädie der Zukunft aus?

Die Enzyklopädie der Zukunft ist digital, sie bietet ausschließlich geprüfte, verdichtete Inhalte an und speist sich zu großen Teilen auch aus redundanzfreien, semantisch aufgebauten Datenbanken. Sie ist multimedial. Jeder Artikel ist weiterhin durch einen Experten geprüft, aber in Zusammenarbeit mit der „Weisheit der Vielen“ entstanden. Sowohl die Experten als auch die Community haben an ihrer Pflege Spaß und werden für ihre Arbeit auch entsprechend ihrer tatsächlichen Arbeit entlohnt. Im Falle der Community muss das nicht notwendigerweise heißen, Geld zu bekommen. Aufmerksamkeit ist die Währung des Internets.

Die Fragen stellte Lucy Kivelip.

Kommentare

1 Kommentar zu "Im Prinzip muss man der Wikipedia doch dankbar sein"

  1. Ein wirklich gutes Interview mit einer für unsere Breitengrade leider selten emotionsfreien und analytischen Darstellung des Phänomens Wikipedia, Crowdsourcing und dem Zusammenspiel von Weiheit der Vielen und Kuratoren.

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