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Hajo Hoffmann: Crowdfunding – Chancen, Risiken und Nebenwirkungen für Verlage

Hajo Hoffmann: Crowdfunding – Chancen, Risiken und Nebenwirkungen für Verlage

Die Frage, ob Verlagsmanager Crowdinvesting und Crowdfunding – die Schwarmfinanzierung von Projekten mit oder ohne Gewinnbeteiligung – zumindest als eine Finanzierungsmöglichkeit auf dem Monitor haben sollten, dürfte sich allein aus den Daten zur Entwicklung dieses neuen Geschäfts beantworten.

Die Deloitte-Studie „Technology, Media & Telecommunications Predictions 2013“ schätzt das Volumen, das entsprechende Portale im Jahr 2013 in den USA branchenübergreifend einsammelten, auf drei Milliarden US-Dollar – demnach hätte sich diese Summe innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. In Deutschland spielt sich dasselbe größenordnungsmäßig eine Etage tiefer, aber mit ähnlich beeindruckenden Steigerungsraten ab (wobei die Daten nicht direkt vergleichbar sind): Laut Crowdfunding-Monitor des Portals fuer-gruender.de ergab sich 2013 gegenüber 2012 beim vermittelten Kapital ein Plus von 175 % (von 1,95 auf 5,36 Mio. EUR), die Zahl der erfolgreich finanzierten Projekte steigerte sich um 86 % auf etwas über 900. Für 2014 geht die Plattform von einem vergleichbaren Zuwachs aus. Beim Crowdinvesting ist die Kurve noch steiler: Dieser Bereich wuchs binnen Jahresfrist um 250 % auf knapp 20 Mio. EUR.


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Eklatante Steigerungsraten, wobei einzuschränken ist: auf niedrigem Niveau – bislang machen die Crowd-Finanzierungsformen nur etwa ein Prozent des gesamten US-Kapitalmarktvolumens aus, wie die Deloitte-Studie festhält. Trotzdem: Schon allein aufgrund der Zuwächse ist es ratsam, das Thema im Auge zu behalten. Es gibt aber noch etwas, das künftig schwerer wiegen könnte als die nackten Zahlen – und auch Verlage betrifft, für die eine Schwarmfinanzierung nicht in Frage kommt, weil beispielsweise die finanzielle Ausstattung solche Überlegungen nicht notwendig macht. Es sind die veränderten Spielregeln für das Geschäft. Zum einen fördert Crowdfunding, eine Art Geschwister des Selfpublishing, die direkte Zusammenarbeit von Lesern und Autoren, und so könnte diese Finanzierungsform dazu beitragen, dass Autoren mehr und mehr geneigt sind, die Vernunftehe mit Verlagen gegen die Liebesheirat mit ihren Fans einzutauschen. Zum anderen wird sich das Entstehen von kreativen Werken ändern, da Autoren und Publikum – teilweise mit wechselnden Rollen –, auf eine direkte Weise kommunizieren können, die vor Internet und Social Media undenkbar war. Diesen Effekt versuchen innovative verlegerische Geschäftsmodelle, mit denen sowohl etablierte Medienhäuser wie auch Start-ups experimentieren, unter dem Stichwort Crowdsourcing zu nutzen.

Das Social Web hat die Tür zu dynamischen inhaltlichen Prozessen aufgestoßen

Und darin liegt das eigentlich Neue. Denn es darf bei alldem natürlich nicht vergessen werden: Die Idee der Vorfinanzierung von verlegerischen Werken durch ein interessiertes Publikum ist ja nicht die eigentliche Innovation, sondern gehört als Subskriptionsangebot zu den klassischen verlegerischen Finanzierungstools. Und zum sozialen Aspekt hat Andrea Kamphuis, freie Publizistin und Mitbegründerin von Kraut Publishers, auf boersenblatt.net zutreffend formuliert: „Fast alle der erfolgreichen Publikumsverlage der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (bis hin zur viel beschworenen Suhrkamp-Kultur) lebten letztendlich von solchen Communities – nur hießen sie früher anders, Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit etwa oder intellektuelles Milieu. Die Öffentlichkeiten und die Milieus, die diese Verlage getragen haben, gibt es so aber nicht mehr … Das bedeutet nicht, dass nicht andere Formen von intellektuellen Foren und Debatten denkbar sind, aus denen sich Verlage speisen könnten; das Netz bietet jedenfalls gute Möglichkeiten dazu, solche Foren (neu) aufzubauen.“

Die taz hat mit ihrem Genossenschafts-Modell längst gezeigt, dass sich dieser Ansatz auch auf die periodische Presse übertragen lässt. Die GenossInnen dürfen aber, so jedenfalls der aktuelle Stand laut taz-Website, nur einmal im Jahr an der Generalversammlung teilnehmen. Das Social Web hingegen hat die Tür zu dynamischen inhaltlichen Prozessen aufgestoßen. Ein Blick ins Internet zeigt das Spektrum von Möglichkeiten, die mit Crowdfunding/-investing einhergehen – wo allerdings, dies sei nicht verschwiegen, auch manche Grabstelle eines vorzeitig beerdigten Projekts zu besichtigen ist. Ein paar bunt gemischte Beispiele, bleiben wir zunächst bei Büchern:

  • Der New Yorker Fotograf Christopher Herwig wirbt auf Kickstarter, einem der internationalen Marktführer unter den Crowdfunding-Plattformen (allerdings ohne deutsches Angebot), für seinen Bildband „Soviet Bus Stops“  – bereits 20 Tage vor Ablauf hat er mit 34 000 US-Dollar mehr als das Dreifache des ursprünglich angesetzten Finanzierungsvolumens erreicht. Nach eigenen Angaben hat Kickstarter seit seinen Anfängen im Jahr 2009 insgesamt über eine Milliarde US-Dollar umgesetzt.
  • Der englische Startup-Verlag Unbound finanziert sein gesamtes Buchprogramm mittels Crowdfunding. Im dritten Jahr seines Bestehens hat der Verlag 30 Titel veröffentlicht, 41 sind finanziert oder in der Finanzierungsphase.
  • Es geht aber auch eine Nummer größer: Das Düsseldorfer Start-up Readfy, das einen kostenlosen, werbefinanzierten E-Book-Verleih anbietet, hat auf der Crowdinvesting-Plattform Companisto kurz vor Ende der Funding-Phase über 400 000 Euro eingesammelt.
  • Die Münchner Verlagsgruppe hat mit ihrem Projekt 100fans.de das Crowdfunding fest im Programm verankert – sobald für ein Buch 100 Vorbestellungen eingegangen sind, wird gedruckt (und ein E-Book produziert).

Crowdfunding funktioniert aber auch bei (digitalen) Zeitschriften:

  • Das redaktionelle Konzept der journalistischen Online-Plattform „De Correspondent“ überzeugte im vergangenen Jahr in den Niederlanden Tausende neuer Leser und brachte so innerhalb von drei Wochen eine Million Euro in die Kassen des Start-ups. Das Team will den Begriff „News“ gemeinsam mit den Lesern neu interpretieren und diese in die Entwicklung der Themen einbeziehen. Jay Rosen, renommierter Journalistik-Professor an der New York University, schrieb dazu im April 2013 auf Twitter: „Das ist es. Ich erkläre De Correspondent zum interessantesten journalistischen Start-up unter allen, die mir 2013 unter die Augen kamen“.
  • Auch die Guardian Mediengruppe experimentiert mit Crowdfunding: Die als Mischung aus Crowdfunding und Crowdsourcing gedachte Plattform Contributoria soll mithilfe einer Community hochwertigen Journalismus finanzieren. Die Leser werden in den Schreibprozess miteinbezogen und später auch zur Kasse gebeten, allerdings ist die Mitgliedschaft während der Betaphase noch kostenlos.
  • Bereits 2009 hatte der britische Online-Journalist Paul Bradshaw die Crowdsourcing-Plattform ”Help Me Investigate“ eingerichtet. Journalisten und interessierte Bürger können dort Recherche-Fragen einstellen und auf Antworten aus der Crowd hoffen.
  • Eine Crowdfunding-Kampagne für ein digitales Wissenschaftsmagazin mit dem Titel „Substanz“  haben die beiden früheren FTD-Journalisten Georg Dahm und Denis Dilba vor einigen Wochen gestartet. Über zwei Drittel der benötigen 30 000 Euro sind bereits zusammengekommen, die Funding-Kampagne auf der Plattform Startnext läuft noch.
  • Das englischsprachige Wissenschaftsmagazin Matter ist ebenfalls crowdfinanziert, in diesem Fall über Kickstarter. Das 2012 in San Francisco gestartete Digitalangebot konnte über 2500 Unterstützer gewinnen, die 140 000 US-Dollar zuschossen. Gefordert waren nur 50 000 Dollar, somit war das Projekt gewissermaßen fast dreifach überzeichnet.
  • In Deutschland hat sich mit Krautreporter eine Finanzierungs-Plattform für journalistische Projekte etabliert. Laut Startseite wurden seit Gründung Anfang 2013 insgesamt 40 Projekte im Wert von knapp 174 000 EUR finanziert, was einen durchschnittlichen Projektwert von rund 4350 EUR ergibt. Verglichen mit den Zahlen, die ansonsten in der Medienwirtschaft bewegt werden, eher Peanuts. Aber mancher Journalist könnte ins Grübeln kommen, ob er gerade bei den interessanteren Stories demnächst mal auf den Umweg über einen Verlag verzichtet.

So wie der erfolgreiche Crowdfunder und Autor Dirk von Gehlen (Süddeutsche Zeitung, Suhrkamp). Der schilderte gegenüber Spiegel online aber auch die Schattenseiten seiner neuen Freiheit. So müsse er sich um Marketing, Lektorat und Druck selbst kümmern – das könnten Verlage künftig doch auch bei Crowd-finanzierten Büchern übernehmen. Der Crowdfunding-Boom bedeutet also nicht, dass professionelle Medienhäuser demnächst verzichtbar werden. Vorausgesetzt, sie erfüllen zumindest eines dieser drei Kriterien: Entweder sie verstehen sich als Dienstleister von Autoren und Leserschaft, oder sie haben ein unverwüstlich strahlendes Markenimage und dürfen daher ein wenig arrogant sein, oder sie mischen selbst auf die eine oder andere Weise aktiv im Crowdfunding/Crowdsourcing mit – was dann wieder, richtig umgesetzt, dem ersten Punkt entspricht.

Dr. Hans-Joachim Hoffmann ist assoziierter Partner bei der Verlagsberatung Heinold, Spiller & Partner mit Sitz in Hamburg. Der Artikel ist zuerst im Newsletter der Verlagsberatung erschienen. Hier das Archiv der sehr lesenswerten HSP-Newsletter.

Kommentare

1 Kommentar zu "Hajo Hoffmann: Crowdfunding – Chancen, Risiken und Nebenwirkungen für Verlage"

  1. Michael Dreusicke | 9. März 2014 um 12:28 | Antworten

    Großartiger Artikel!

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