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Es geschieht eigentlich überall

Die Vorwürfe einer Journalistin gegen FDP-Politiker Rainer Brüderle haben in den Medien eine breite Diskussion über Sexismus ausgelöst. Wie virulent ist das Problem in der Buchbranche? Bücherfrauen-Vorsitzende Valeska Henze hat eine Anfrage von buchreport an die Mitglieder des Branchennetzwerks weitergegeben. 
„Wir waren überrascht vom großen Echo auf unser Mailing. Die erste Antwort kam schon wenige Minuten, nachdem ich die Mail verschickt hatte. Viele äußerten sich dankbar, dass das Thema angesprochen wird“, berichtet Henze.

Die von Henze geschilderten Ergebnisse der Blitz-Umfrage:

  • „Die Schilderungen und Erzählungen reichen von unerwünschten Körperkontakten – vom ausgedehnten Händedruck zur Begrüßung bis zum Pograbschen oder Schulterklopfen – über verbale Anzüglichkeiten, Abwertungen, sexualisierten Andeutungen und Verbalsex bis hin zu eindeutigen Angeboten bzw. Nötigungen.
  • Sexistisches Verhalten gegenüber Frauen geschieht in Verlagen, Buchhandlungen, auf Messen, Autorenlesungen, bei Verhandlungen – eigentlich überall. Die Übergriffe kommen nicht nur von Kollegen und Vorgesetzten, sondern auch von Kunden in Buchhandlungen oder von Autoren gegenüber Verlagslektorinnen oder Pressereferentinnen.
  • Es gab Geschichten von Bewerbungsgesprächen, Verlagssitzungen und allgemeinen, alltäglichen Bürobegegnungen – allen gleich ist, dass es eine Abhängigkeit bzw. ein Machtgefälle zwischen den Beteiligten gibt; manches klingt nach unbewusstem, unüberlegtem Handeln und Reden, aber es gibt auch Geschichten, bei denen man wohl eher von Machtmissbrauch sprechen würde.
  • Alles in Allem sprechen die Antworten der Mails ganz klar dafür, dass sich die sexistischen Vorfälle und Übergriffe in der Buchbranche kaum von denen in anderen Branchen und anderen Teilen der Gesellschaft unterscheiden.
  • Die Grenze zwischen Sexismus und Mobbing sind fließend, so werden sexistische Äußerungen und Handlungen offenbar auch bewusst als Mittel eingesetzt, Mitarbeiterinnen zu diskreditieren.“

Kommentare

12 Kommentare zu "Es geschieht eigentlich überall"

  1. Es wäre schön, wenn wenigstens eine so stark mit Sprache operierende Branche wie der Buchhandel korrekt von sexueller Belästigung und nicht falsch von Sexismus, also Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, sprechen würde. Das sind zwei unterschiedliche Probleme, auch wenn Sexismus die Grundlage für die Akzeptanz sexueller Belästigung sein kann.

    • Das ist grundsätzlich richtig, vielen Dank für den Hinweis. In der Blitzumfrage wurden aber beide Problemfelder angesprochen, so dass in diesem Fall auch Sexismus zutreffend ist.

    • Sexismus ist die ideologische Grundlage und psychische Verfasstheit einer Gesellschaft, in der „Herrenwitze“, Ausbeutung des weiblichen Körpers in Werbung und Medien, sexuelle Belästigung, Angrapschen, Vergewaltigung und Frauenmord zur Festigung der Dominanz des männlichen Geschlechts eingesetzt werden. Und dies alles festigt wiederum die unterbezahlte und nicht bezahlte weibliche Arbeitskraft. Insofern besteht sehr wohl ein Zusammenhang.

  2. O ja, ich kann ein Lied davon singen… Auf meiner ersten Leipziger
    Buchmesse 2004 wurde ich von einem Unbekannten im Dunkel der
    Moritzbastei angequatscht. Er hatte nur eines im Sinn: Mir an die
    Wäsche. Und – ich liess es zu… Ein paar Tage später. Unsere
    Tochter ist heute fast acht Jahre alt und ich freue mich, dass ich –
    um gängige Formulierungen zu benutzen – dazu „vergewaltigt“
    worden bin.

    Was ist das für eine blödsinnige, verlogene Diskussion!!

    • Ihre allerliebste Lovestory ja in wohlmeinenden Ehren, aber was hat das mit der Debatte um sexuelle Belästigung, Sexismus oder sexueller Gewalt zu tun? Ein paar relativierende Anführungszeichen um das Wort „vergewaltigt“ helfen keiner Frau, der gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen oder genötigt wurde und sie helfen keiner Frau, die sich in ihrem Arbeitsalltag mit verbalen Anmaßungen, physischen Bedrohungen und anzüglichen Blicken/Handlungen auseinandersetzen müssen.

      Blödsinnig? Verlogen? Na herrlich, erzählen Sie das den Frauen und Mädchen, die sich schamvoll und gedemütigt sexueller Dominanz ausgesetzt sehen, erzählen Sie das den jungen Frauen, die sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht auf die Straße trauen, erzählen sie das den Frauen, die aufgrund gängiger Machtstrukturen überhaupt nicht dazu in der Lage sind, sich in Führungsetagen vor zu arbeiten und WOHLZUFÜHLEN mit ihrer Weiblichkeit, egal wie kurz der Rock. Blödsinnig? Ich finde Ihren Redebeitrag da oben BLÖD und unSINNIG. Vielleicht lernen wir uns unter Klarnamen mal kennen, dann reden wir mal über sexuelle Belästigung und „vergewaltigung“… und bis dahin noch viel Freude an ihrem bettvorlegerbreiten Horizont. Ich laufe so lange noch ein Bisschen rum, gucke Männern, ach was, dreizehnjährigen Jungen auf den Hosenstall und pfeife anerkennend, wenn eine ansehnliche Beule zu erkennen ist.. mal sehen, ob ich in neun Jahren auch ein süßes Mädel zur Schule fahre 🙂

  3. Beim Strukturwandel im Buchhandel werden wir gemeinsam nur dann erfolgreich sein, wenn sich auch und vor allem die Frauen in der Branche wohlfühlen.

  4. Die Vehemenz mit der die Diskussion geführt wird, zeigt, dass sie schon viel früher auf die Agenda gehört hätte. Insofern kommt der Beitrag in meinen Augen zur richtigen Zeit

  5. Herzlichen Glückwunsch! Spät, aber offenbar nicht zu spät hat sich nun auch die Buchbranche dieses „dankbaren“ Themas angenommen.Dabei ist doch eigentlich zu diesem Thema bereits alles gesagt, aber anscheinend noch nicht von jedem.
    Man fragt sich wirklich ob Deutschland und gerade auch der Buchhandel keine ernsteren Probleme hat, als wochenlang über die in weinseliger Laune gemachten, anscheinend missglückten Avancen eines Endsechzigers zu diskutieren. Offenbar können uns die übrigen Problemfelder noch nicht genug drücken, denn ansonsten gäbe es genug zu tun, um den Strukturwandel im Buchhandel zu meistern, ohne dass die meisten mittelständisch geführten Buchhandlungen dabei auf der Strecke bleiben.

    • Es ist ein Missverständnis zu glauben, es drehe sich bei der aktuellen Debatte um die Probleme von Herrn Brüderle. Es geht vielmehr um die täglich stattfindenden sexistischen Übergriffe auf einen großen Teil der deutschen Bevölkerung, es geht um Machtmissbrauch, verkrustete Strukturen und veraltete Führungsmechanismen. Wenn also Sexismus auch in der Buchbranche diskutiert wird, dann ist das keineswegs überflüssig, sondern gerade im Hinblick auf die anstehenden Veränderungen relevant.
      Diskriminierung – nicht nur gegen Frauen – erschwert jeden Wandel, verhindert Innovation. Wenn die Branche Frauen- und familienfreundlicher werden will, um noch attraktiv genug zu sein für den akademischen Nachwuchs, so sollte dieses Thema im größeren Zusammenhang sehr ernst genommen werden.
      Das Herunterspielen gehört übrigens zu einem der beliebtesten männlichen Ablenkungsmanöver. Aber es hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren schon Einiges verändert: Frauen lassen sich eben nicht mehr so leicht kleinmachen.

    • Ich möchte meinem ehemaligen Kollegen ausnahmsweise widersprechen. Wenn zu diesem Thema schon alles gesagt sein sollte, würden sich nicht alle auf „dieses Thema“ stürzen. Und das sollte endlich auch das männliche Geschlecht begreifen… können und wollen. In diesem Sinne wünsche ich mir eine positive Veränderung; vielleicht kommt ja bei beidseitiger Akzeptanz der Geschlechter auch der Strukturwandel in unserer Buchbanche erfolgreicher voran:-)

    • Ich denke, Sie verstehen nicht, dass überall dort, wo entsprechende Übergriffe geschehen, IMMER Redebedarf ist und es da überhaupt nichts nutzt, wenn das entsprechende Thema nun schon 5 Tage vorher im Fernsehen, in Talkshows, auf Blogs behandelt wurde.

      Ein unverfängliches Beispiel, vielleicht auch für einen Mann wie Sie verständlich: wenn es ein Hochwasser gibt – meinetwegen an der Elbe – und dies zuerst weiter flußaufwärts geschieht, darüber in dem Medien berichtet wird und dann in „meiner“ Region und ich eine Evakuierung, vielleicht den Verlust von Sachen oder meines Heimes erfahren muss, dann habe ich TROTZ vorheriger Berichterstattung im Fernsehen, Erfahrungberichten auf Blogs etc. trotzdem ziemlich wahrscheinlich einen hohen Redebedarf, um diese Erfahrungen zu verarbeiten und Wege zu finden, damit umzugehen. Ist das so schwer zu verstehen? Nein, ich denke eigentlich nicht. Mit etwas menschlichen Einfühlungsvermögen wäre das kein Problem – außer…. ja außer es gibt in einem selber liegende Gründe, ein Thema verharmlosen zu müssen….

    • Ein kleines unverfängliches Beispiel, um es für Sie verständlich zu machen, warum es weiterhin wichtig ist darüber zu sprechen.

      Angenommen, es gäbe ein Hochwasser an der oberen Elbe und es würde in allen Medien darüber berichtet. Nun würde das Hochwasser nach einiger Zeit zur unteren Elbe gelangen. Würden Sie den Leuten dort auch sagen, es ist schon zur Genüge darüber gesprochen worden, ich kann es nicht mehr hören. Nein, würden Sie sicher nicht, oder? Sie würden es ohne Probleme verstehen, dass auch die Leute an der Unterelbe ein Bedürfnis haben, über dieses mehr oder weniger traumatische Ertlebnis zu sprechen, sich auszutauschen und sich dadurch Unterstützung zu geben.

      Warum nur, ist dieses Verständnis hier nicht da?

      Es legt, wie schon andere gesagt haben, die Vermutung nahe, dass hier abgewiegelt und heruntergespielt werden soll, weil es Gründe gibt, dies zu tun. Welche Gründe haben Sie?

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