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Der Roman ist tot, es lebe der Roman

In der „Süddeutschen Zeitung“ feiert Ijoma Mangold Tod und Wiedergeburt des Romans durch John M. Coetzees „Tagebuch eines schlimmen Jahres“: „Also doch. Es ist also doch genau so, wie es der Katechismus der Moderne uns immer gepredigt hat: Nur wer das konventionelle Erzählen hinter sich lässt, schenkt dem Leser neue ästhetische Erfahrungen.“  Coetzees „Tagebuch“ sei ein solches Buch. Der Literaturnobelpreisträger habe den Roman auseinander genommen bis auf sein Skelett, alles, was an ihm romantisch oder romanhaft sei, wie überflüssiges Fett weggeschnitten und die Gattung auf Diät gesetzt, abgespeckt auf die Fastenkost einer Reihe von Essays eines alten Mannes, J. C., der in Sydney lebt.

Aber weil alles, was verdrängt werde, sich aus dem Unbewussten wieder nach oben kämpfe, führe das „Tagebuch“ zugleich die Wiederkehr des Romans vor. Das Romanhafte erobere sich erneut seinen Platz, und während oben die Reflexionsprosa laufe, meldeten sich unten die Leidenschaften zu Wort: „Der Roman ist tot, es lebe der Roman.“

Konkret befreie Coetzee die Buchseite aus ihrer bloßen Linearität und ziehe neue Ebenen ein, so dass man das Ganze lesen müsse wie eine Partitur. Es gebe drei verschiedene Stimmen, die synchron oder zumindest graphisch parallel nebeneinander herlaufen: In der Oberstimme die Essay-Melodie, in der Mittelstimme erzähle der Verfasser dieser Essays, J. C., von seiner sehr gut aussehenden Nachbarin Anya, die er als Schreibkraft angeheuert hat, die Unterstimme gehöre eben dieser Anya, die darin als basso continuo von ihren Erlebnissen mit „Senor C.“ berichte.

Der Leser müsse sich also eine ganz neue Lektürepraxis zulegen und versuchen, den motivischen Zusammenklang der einzelnen Szenen zu vernehmen. Ein synchroner thematischer Gleichklang der drei Stimmen finde aber nicht statt, es gebe auch merkwürdige Modulationen, die Fragen aufwerfen, ohne eine Antwort zu geben. „Man könnte sagen: Das ist, für diesen ganzen formalen Aufwand, zu wenig. Es ist aber in Wahrheit das Äußerste, was kluge Bücher zu leisten vermögen.“

J. M. Coetzee: Tagebuch eines schlimmen Jahres. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer 2008, 19,90 Euro
„Süddeutsche Zeitung“ (Seite 16)

NACHGELESEN – Bücher heute in den Zeitungen

Belletristik

Katharina Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen. Kiepenheuer & Witsch 2008, 16,95 Euro.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 34)

Kerstin Hensel: Alle Wetter. Gedichte. Luchterhand 2008, 7,00 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 34)

Christian Zehnder: Gustavs Traum. Erzählung. Ammann 2008, 17,90 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 34)

Vendela Vida: Weil ich zu spät kam. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Almuth Carstens. Btb 2008, 19,95 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 34)

Sachbuch

Nicolas Pethes, Birgit Griesecke, Marcus Krause und Katja Sabisch (Hrsg.): Menschenversuche. Eine Anthologie. 1750-2000. Suhrkamp 2008, 22,00 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 37)

Ingo Harden, Gregor Willmes: PianistenProfile. 600 Interpreten: ihre Biografie, ihr Stil, ihre Aufnahmen. Unter Mitarbeit von Peter Seidle. Bärenreiter 2008, 69,00 Euro
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Seite 37)

Steve Coll: Die bin Ladens. Eine arabische Familie. Aus dem Englischen von Werner Roller, Violeta Topalova und Stephanie Singh. DVA 2008, 25,00 Euro
nzz.ch

Hartmut Häussermann, Dieter Läpple, Walter Siebel: Stadtpolitik. Suhrkamp 2008, 14,00 Euro
nzz.ch

Werner Biermann: Der Traum meines ganzen Lebens. Humboldts amerikanische Reise. Rowohlt · Berlin 2008, 19,90 Euro
„Süddeutsche Zeitung“ (Seite 16)

VORAUSGEHÖRT – Bücher im Radio

Heute startet beim Nordwestradio die Vertonung von Hans Magnus Enzenbergers jüngstem Werk, „Hammerstein oder Der Eigensinn“ über Kurt von Hammerstein (1878 – 1943), Chef der Reichswehr, Grandseigneur, Gegner des Nationalsozialismus und unbestechlicher Zeuge des Untergangs seiner Klasse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Er nahm seinen Abschied – und wurde fortan politisch geschnitten – , nachdem Hitler seine Weltkriegspläne 1933 in einer Geheimrede vor führenden deutschen Militärs und Politikern offenbart hatte. Ergänzt wird das Personal in dieser fesselnden Familienbiographie durch seine Frau und durch Ereignisse um seine sieben Kinder. Drei seiner Töchter verliebten sich in Juden und arbeiteten mit den Kommunisten zusammen, zwei seiner Söhne hatten sich dem Widerstand vom 20. Juli 1944 angeschlossen – für die Nazis erwärmte sich in dieser Familie keiner, auch wenn die Kontakte in die rechte und antirepublikanische Szene vielfältig waren.

Enzensberger hat die Geschichte des Generals von Hammerstein aus allen erreichbaren Quellen recherchiert und entfaltet zugleich einen wichtigen Teil deutscher Geschichte meisterhaft in Form eines dokumentarischen Dramas, hier dargeboten mit den Mitteln des Hörspielgenres. Regie: Christiane Ohaus. Mit Friedhelm Ptok, Hans-Michael Rehberg, Lieselotte Lau, Tatja Seibt, Klaus Herm, Gisela Trowe u. v. a.
Livestream

Teile 2 und 3 sind am 18. und 25. Juli um 22.05 Uhr im Nordwestradio zu hören, Wiederholungen sendet der SWR am 13. und 20. Juli um jeweils 18.20 Uhr.

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