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Das Kinderbuch wird verdrängt

Auf der Messe in Bologna haben sich in der vergangenen Woche die Kinder- und Jugendbuchverlage getroffen. Im buchreport-Interview warnt Regina Pantos, Chefin des Arbeitskreises für Jugendliteratur, vor einem drohenden All-Age-Einheitsbrei und ruft die Verlage zu mutigeren Büchern auf.

Schadet All Age dem Kinderbuch?

Ja, diese Gefahr sehe ich. All Age heißt ja nicht, dass es sich um Bücher handelt, die sich für jedes Alter eignen, sondern All-Age-Bücher wenden sich in der Regel an Leser zwischen 12 und 35. Darunter ist das Kinderbuch angesiedelt, das in Verdrängung gerät: Während das Jugendbuch kräftig zugelegt hat, stagniert das Kinderbuch. Ich habe Sorge, dass durch die Fokussierung aufs lukrative All Age die speziellen Lektürebedürfnisse der Kinder unter die Räder geraten.

Wo sparen denn die Verlage?

Viele All-Age-Bücher sind Übersetzungen. Die Verlage kaufen also Bücher ein, die in anderen Ländern schon gut gelaufen sind, und gehen so auf Nummer sicher. Bei Kinderbüchern kann man das aber nicht so einfach machen, weil die Kinder in diesen Büchern ein Stück ihrer realen Lebensumwelt wiederfinden müssen und kulturelle Unterschiede dies oft verhindern. Außerdem sind die meisten erfolgreichen All-Age-Titel im Fantasy-Genre angesiedelt, und in Fantasy-Welten spielt die eigene kulturelle Tradition kaum noch eine Rolle.

Tendiert der Kinder- und Jugendbuchmarkt zum Einheitsbrei?

Ich fürchte schon. Die inhaltlich und formell herausragenden Bücher muss man wirklich suchen. Es wird sehr viel für jüngere Leser in Serien angeboten, die sich uralter Klischees bedienen und sehr geschlechtsspezifisch ausgerichtet sind: Die Prinzessin für die Mädchen, die Piraten für die Jungs. Irgendwann muss man aus dieser Geschlechtersackgasse auch wieder rauskommen, schließlich leben Männer und Frauen zusammen, gehen ja auch miteinander zur Schule, verlieben sich. Da muss man mehr voneinander wissen.

Kann ein Kinder- und Jugendbuch „zu unterhaltsam“ sein?

Nein, auch gute Literatur unterhält. Ein unterhaltsames Buch kann aber zu einseitig sein, sich nur vorgefertigter Meinungen bedienen. Das Kind soll aber lernen, darüber hinauszugehen. Literatur lesen lernen ist wie Fitnessstudio für die literarische Sozialisation. Der Leser sollte, um sich entwickeln zu können, mit Dingen konfrontiert werden, die aus dem Rahmen fallen.

Was können denn Verlage ändern?

Sie sollten mehr Mut haben, auch ungewöhnlichere Bücher auf den Markt zu bringen. Es gibt ja immer wieder Überraschungen. Sicherlich ist das nicht einfach in einem kleinen Segment wie dem Kinderbuch, das sich hauptsächlich an die 6- bis 10-Jährigen wendet und in dem die Bücher von den Erwachsenen gekauft werden.

Regina Pantos ist Vorstandsvorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur (AkJ). Die Studiendirektorin i.R. war an der 1. Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik Berlin Fachbereichsleiterin für Kinder- und Jugendliteratur, Sprache und Theater.
Von 1988 bis 2000 war sie Vorsitzende der AG Jugendliteratur und Medien (AJuM) der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin, von 2000–2009 deren Bundesvorsitzende.

aus buchreport.express 12/2010

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