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Das Gegenteil von digital? Anfassbar und authentisch

Die Hamburger Kommunikations- und Gestaltungsagentur Groothuis, Lohfert, Consorten hat seit Kurzem eine Verlagsschwester, die im Oktober unter der Marke Corso ein erstes Programm ausgeliefert hat (hier die Webseite). Das besteht aus fünf reich bebilderten Büchern, die das Thema Reise reflektieren, und dem Buchmagazin „corsofolio“, das einzelne Weltstädte literarisch und mit erzählenden journalistischen Formen porträtiert, herausgegeben von renommierten Autoren als „Gastgeber“. Den Anfang macht Martin Mosebach mit Rom. Die inhaltliche und gestalterische Positionierung und Groothuis’ Renommee haben es der Neugründung erleichtert, prominente Autoren zu gewinnen. So werden u.a. Matthias Politycki und Georg Stefan Troller als weitere Gastgeber fungieren.    

Die Bücher sind schlank (im Startprogramm mit 72 bis 144 Seiten), bibliophil gestaltet und kosten zwischen 18,90 und 26,90 Euro, „corsofolio“ (160 Seiten) 24,95 Euro. Nach Reiseaufträgen und Vormerkern hat der Verlag Groothuis zufolge zwischen 2500 bis 6000 Exemplare gedruckt.

Alle Welt spricht von Digitalisierung und Sie entscheiden sich, Bücher sehr traditioneller Qualität zu produzieren. Halten Sie E-Books für hoffnungslos überschätzt?
Zarte Anmerkung vorweg: „Traditionelle Qualität“ klingt mir ein wenig zu sehr nach „bibliophil“. Wir machen Bücher, die man lesen und bezahlen kann, keine berührungsscheuen Objekte für Vitrinen. Doch zum Stichwort E-Book: Nein, es wird nicht hoffnungslos überschätzt, die Auswirkungen werden gravierend sein. Durch das iPad –  hier als Synonym für eine Entwicklung gemeint – wird der Buchhandel Probleme bekommen, weil der Vertrieb digitaler Bücher keine stationäre Buchhandlung, kein Ladengeschäft braucht. Ich fürchte, dass alle Versuche, mittelständische Download-Vertriebsfunktionen dazwischenzuschieben, scheitern werden.

Genau das hat Thalia vor und Libri bietet für angeschlossene Händler ebenfalls einen E-Reader an mit einem installierten Shop …
Ich gönne jedem Mittelständler den Erfolg in einer oligarchischen Struktur von Herzen, das wäre wirklich Grund zur Freude. Ich bin da aber sehr skeptisch, ist doch das Internet ambivalent: Auf der einen Seite ist es ein sehr demokratisches Medium, jeder kann damit umgehen, jeder zu relativ geringen Kosten eine unbeschränkte Anzahl Menschen erreichen. Auf der anderen Seite hat das Web eine immense Sogwirkung hin zur Konzentration, ja zum Nahezu-Monopol: Google, iTunes, eBay, Facebook, Amazon sind beispielsweise in ihrem jeweiligen Bereich dominant. Warum sollte sich das für digitale Bücher anders entwickeln?

Wenn es so kommt: Was wären die Folgen?
Gehen Umsätze durch E-Books verloren, sind die Folgen fatal, wenn wir bedenken, wie viele Buchhandlungen seit Jahren unterkapitalisiert sind. Bereits ein Umsatzrückgang von wenigen Prozent ist für viele Händler die existenzielle Bedrohung. Auch die Ketten werden Probleme bekommen. Die Digitalisierung fegt, nebenbei erwähnt, auch die Betriebsberater-Spezialisierungsgeheimtipps der 90er-Jahre vom Tisch – die Digitalisierung macht „Spezialisierung“ nicht mehr zu einer Strategie, mit der Händler ihre Zukunft sichern können.

Das bedeutet aber auch keine gute Perspektive für Corso …
Warum nicht? Wir kommen mit Corso möglicherweise genau richtig. Die Chance des Buchhandels liegt doch darin, das wieder zu beleben, was das Sortiment einmal erfolgreich gemacht hat, nämlich eine kulturelle Plattform mit Beratungsqualität zu sein. In wenigen Jahren, wenn es vieles digital gibt, wird den Unterschied das Dingliche des Buches ausmachen. Wenn es mit diesem Dinglichen keine angemessene Begegnung gibt, warum soll jemand dann noch seinen Sessel verlassen?

Um zu stöbern und anzufassen?
Zumindest liegt die Chance darin, Kunden zu erinnern, dass es Freude machen könnte, gezielt in einen interessanten Laden zu gehen. Was nicht fordert, dass dieser ausschließlich die „Kulturtapete“ führt. Aber es muss neben dem Gängigen eine andere Präsentation und das Besondere geben, sonst gibt es keinen Grund mehr, Orte aufzusuchen. Eine andere Überlebensstrategie sehe ich nicht.
Wenn ich einen Laden habe, in den die Menschen kommen sollen, dann muss ich etwas so anbieten, dass sie zu mir kommen. Da zählt das kulturelle Angebot über das Produkt selbst hinaus. Wenn ich die Auseinandersetzung mit dem Digitalen gewinnen will, muss ich ihm das entgegensetzen, was das Gegenteil von digital ist. Und das ist das Anfassbare, das Dingliche, das Sinnliche, das Authentische – auch im menschlichen Umgang. Es wird wieder verstärkt um gute Tugenden gehen: So um Kompetenz in der Beratung und Empathie im Umgang mit Kunden.

Was bedeutet das für die Großfläche?
Die Digitalisierung trifft hier auf ein quadratmeterintensives Expansionskonzept – das dürfte spannend werden. Das Groß­flächenprinzip ist ein altes Handelskonzept, davon abhängig, möglichst viel Umsatz bei geringen Kosten pro Quadratmeter zu haben, was entsprechend wenig Personal als Kostenfaktor fordert. Aber wenn sich das Produkt geradezu verflüchtigt, geht der Verkauf zu Ende … Das ist, in wenigen Stichworten, die Sorge, die ich um jeden stationären Buchhandel habe.

Wenn die Großfläche womöglich nicht mehr trägt, hat dann die 200-qm-Buchhandlung wieder eine gewisse Perspektive, weil sie den Beratungsaspekt besser erfüllen kann?
Die Möglichkeit der Beratung ist nicht von der Fläche abhängig. Was kleinere Buchhandlungen anlangt, gibt es einen interessanten Trend. Wir finden in allen großen Städten sich verändernde und entwickelnde Stadtteile, in denen man mit 200 bis 300 qm gut präsent ist. Auch der regionale Bezug der „Buchhandlung um die Ecke“ kommt auf jeden Fall wieder: Ich kenne eine Reihe von Menschen, die in der Innenstadt bewusst keine Bücher mehr kaufen, sondern ihren Einkauf bei ihrem „kleinen Buchhändler“ in ihrem Stadt­teil machen.

Zum Beispiel in Hamburg-Ottensen.
Ein typischer Stadtteil. Alles, was hier in den letzten Jahren erfolgreich aufgemacht hat, ist dem Gedanken der „Manufaktur“ verbunden, des Besonderen zum eher gehobenen Preis. Das halte ich nicht für einen Modetrend, sondern für einen Wandel. Von daher wird ein Händler in einem lebendigen Stadtteil mit einer 200-qm-Buchhandlung besser dran sein können, möglicherweise besser als je­mand mit einem großen Apparat von 300 Filialen und Großflächen. Der muss eine andere Antwort auf die Digitalisierung finden, will er seine Marktposition behaupten.

Sind Sie der Prophet des Retro-Trends?
Was ist „retro“ an der Tatsache, dass sich, gottlob, Menschen, viele Menschen wieder Gedanken um die Frage machen, was ihnen wichtig ist, wie sie leben wollen, was ihnen Kultur und Werte sind? Das ist nicht rückwärtsgewandt, das ist Zukunft.

Ist das ein Grund, als Verleger auf E-Books zu verzichten? Oder passt das einfach nicht zu Ihrem Verlag?
Wir denken über manches nach, haben aber auch manches noch nicht geschafft… Das digitale Produkt der Zukunft wird jedenfalls keine 1:1-Transformation aus dem Gedruckten sein, sondern Zusatzelemente enthalten wie Videosequenzen und vieles andere. Und niemand weiß zur Zeit wirklich, was die Menschen bereit sind, dafür zu zahlen. Wir warten erst einmal getrost ab. Man muss auch nicht sofort auf jeden Zug springen, der vorbeitingelt.

Keine Angst, den Zug zu verpassen?
Nein, ich habe eher ein Mitgefühl mit denen, die in den letzten Monaten viele Euro versenkt haben. Wenn man später mit überzeugenden Produkten in einen dann entwickelten Markt geht, kann man sich wo­möglich sogar er­folg­reicher behaupten. Und hat die Geburtswehen der Entwicklung nicht mitfinanziert.

In den USA gibt es bereits einen lebhaften Markt.
Ja, dort verkündet Herr Jobs auch jedes Quartal eine neue Kulturrevolution und es wollen Leute den Koran verbrennen… Ja, Europa guckt auf die USA. Gleichzeitig sagen viele hinter vorgehaltenen Händen: Wir wissen schon, dass die amerikanische Kultur eine andere ist als die europäische. Doch ebenso viele laufen im Moment hinterher und rechnen hoch – aber keiner weiß, was auf unserer Seite wirklich passiert. Wissen wir denn, ob sich das iPad und ähnliche Formate derart durchsetzen, wie sich in den letzten 15 Jahren das Handy durchgesetzt hat? Vielleicht reden wir in drei, in fünf Jahren über etwas ganz anderes.

Inwieweit stört den Buchgestalter die Auflösung der Form beim Digitalprodukt, denn man kann Inhalte und Form ja nicht so festschreiben, wie beim Printprodukt?
Das Buch ist, aber Digital wird, und zwar permanent. Klar ist: Das iPad ist der Paradigmenwechsel. Es wird auch in der Gestaltung Veränderungen geben durch die Herausforderungen, welche sich durch die dritte Dimension, die Tiefe, ergeben.

Und wie verändert sich das Buch?
Irgendwann, wenn das Gedruckte zum Statement an sich wird, werden die Menschen spontan erleben und verstehen wollen, warum ausgerechnet dieser und jener Inhalt ge­druckt vorliegt. Da muss das einzelne Produkt Buch eine Antwort geben. Diese Antwort wird auch die Qualität des Sinnlichen sein.
Was wir mit Digitalisierung angesprochen haben, wird zunächst die Taschenbücher treffen. Die Erwartung des „digitalen Publikums“ ist doch, ein Download solle nicht 8, sondern unter 4 Euro kosten. So kommt zunächst einmal das Taschenbuch in Schwierigkeiten: Das lässt sich für unter 10 Euro produktionstechnisch gar nicht so aufwerten, dass es sich vom digitalen Produkt in seiner Ausstattungsqualität deutlich abhebt – die broschierte Form als solche kommt also als Erste unter Druck. Die lustvolle Herausforderung ist es, die Originalausgaben im Hardcover geradezu entzückend auszustatten, ihre Bedeutung in der Verkaufs- und Wertschöpfungskette wird zunehmen.

Verlage müssen kleinere Auflagen kalkulieren?
Je mehr sich das Digitale durchsetzt – natürlich. Wer Austauschbares digital gelesen hat, wird es kaum mehr gedruckt kaufen. Das ist kein Grund für kulturpessimistischen Tränenreichtum: Wenn jener Teil unserer Angebotsvielfalt, den wir alle als austauschbar erleben, im Digitalen verschwinden sollte, ist das – wenn man vom Ökonomischen absieht – für mich der Lichtblick in der ersten Phase der Digitalisierung.
Die Fragen stellte Thomas Wilking

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