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Chinesische Kultur hat Exotik-Status noch nicht abgelegt

Im Gastland-Jahr wird das Interesse an chinesischer Literatur auch durch eine höhere Übersetzungsleistung der Verlage geschürt. Warum gab es bislang so wenig Interesse an chinesischer Gegenwartsliteratur?
Wenn 2009 über 80 Titel aus dem Chinesischen übersetzt werden, so liegt das einzig am Ehrengast-Status. 2008 wurden nur 11 Titel aus dem Chinesischen übersetzt. Das geringe Interesse deutscher Leser und Verlage an chinesischer Literatur ist ganz normal und auch begründet: Der erste Grund ist, dass es gute deutsche Literatur gibt; Deutschland ist eines der Länder mit der höchsten Neuerscheinungsmenge pro Jahr. Wenn Übersetzungen gelesen werden, so sind es in der Regel Übersetzungen von amerikanischer Literatur. Natürlich gibt es in geringerem Umfang auch Übersetzungen aus dem Spanischen, Französischen, Italienischen etc., sicherlich auch ab­hängig von Modewellen, wie dem magischen Realismus etc., oder wenn ein Autor einer kleinen Nationalliteratur den Nobelpreis erhielt. Der zweite Grund ist, dass es in Deutschland viele Kleinverlage gibt. Für den Verleger eines kleinen Ver­lages ist das Kostenrisiko sehr groß, wenn er einen Autor einer kleinen Nationalliteratur übersetzen lässt, selbst wenn es ein Spitzenautor ist. Der dritte Grund ist, dass Kulturen unterschiedliche Attraktivität besitzen. Deutschland ist kulturell stärker nach Amerika ausgerichtet. Die chinesische Kultur hat in Deutschland keine Lobby.

Eine zu geringe Präsenz?
Mit China verbindet man China-Restaurants, einige Filme von Zhang Yimou und anderen, die Peking-Oper, Kung-Fu, Konfuzius, Menschenrechtsverletzungen, Internetzensur und seit der documenta vielleicht Aktionskünstler wie Ay Weiwei. Chinesische Weisheiten werden immer noch esoterisch verklärt. Die chinesische Kultur hat ihren Exotik-Status noch nicht abgelegt. Tatsächlich sind die deutsche und chinesische Kultur sehr distant. In Frankreich wird mehr aus dem Chinesischen übersetzt, die Kulturen sind sich in vielerlei Hinsicht näher, wie Kulturwissenschaftler wie mein Kollege Geert Hofstede herausgefunden haben.
Spiegeln die zahlreichen Neuerscheinungen im belletristischen Bereich die

Entwicklungen auf dem chinesischen Buchmarkt?
Nein, bei den Neuerscheinungen vertreten sind die Strömungen Vagabundenliteratur, die Literatur der Mega-Citys, Frauenliteratur, die Nostalgiewelle mit der Neuinterpretation von Klassikern, Meistererzählungen von Yu Hua und Mo Yan sowie die Literatur des seelischen Notstandes. Die angeblichen deutschen „Neuerscheinungen“ des Jahres 2009 sind aber in China durchschnittlich schon 5,5 Jahre alt und großteils schon wieder aus den chinesischen Bücherregalen verschwunden. In China stehen derzeit junge Autoren vorn, die es nicht auf Deutsch gibt, wie Guo Jingming („Tränen gegen den Strom“, 2007) und Han Han („Tage des Ruhms“ und „Sein Land“; 2009). Sie vertreten die sogenannte „Kultliteratur“. Diese jungen chinesischen Autoren werden in China wie Popstars gefeiert. Sie schreiben schon als Schüler, begeistern Jugendliche, entspringen Casting-Shows und bauen eine Fangemeinde im Internet auf. Han Han ist dabei Vertreter einer gesellschaftskritischen Surrealität mit antipatriotischer Tendenz. Guo Jingming ist eher ein Soap-Star, der seine Bücher zu Buchreihen macht und Geschichten umschreibt oder seinen Namen unter Geschichten seines Autorenteams setzt. Eine weitere Gruppe sind die in China verbotenen Autoren. Hier gibt es die Skandalliteratur (Sex, Drogen, Alkohol) wie Mian Mian mit „Panda Sex“, die erst im Februar 2009 in zensierter Form erscheinen konnte. Dazu zählt auch die kritische Reportage­literatur wie von Chen Guidi und Wu Chuntao, die mit „Zur Lage der chinesischen Bauern“ einen Bestseller landeten, der dann eingestampft wurde. Zhang Yihe, die zu Unrecht zu 20 Jahren Straflager verurteilt wurde, schrieb den kritischen Roman über die Kulturrevolution: „Vergangenes vergeht nicht wie Rauch“; auch dieses Buch ist in China verboten.

Wo liegen die Ursachen dafür, dass die Breite der Produktion nur lückenhaft präsentiert wird?
Es gibt drei Ursachen: Die erste ist, dass die deutschen Verlage sich bei der unbekannten chinesischen Literatur lieber auf die von Literaturkritikern als „hohe Literatur“ eingestuften Titel setzen, da die Übersetzung, Produktion und Werbung der chinesischen Literatur in Deutschland riskant und kostspielig sind. Es gibt überhaupt so wenige Übersetzungen ins Deutsche, dass man sich lieber auf wenige, teils mehr im Ausland als im chinesischen Inland bekannte Autoren konzentriert. Die zweite ist, dass das chinesische Propaganda-Ministerium gezielt bestimmte Titel fördert und insgesamt 500000 Euro investiert; die gesamten chinesischen Staatsausgaben im Zusammenhang mit der Buchmesse betragen etwa 7 Mio Euro. Die dritte Ursache ist, dass nur ganz wenige deutsche Verlage sich an die zwei Sorten authentischer chinesische Literatur wagen, die erste ist die Massenliteratur, die zweite die kritische, die keine Zugeständnisse an die Zensur macht und deshalb in China nur unter der Ladentheke zu heimlichen Bestsellern avanciert.

Demnach wurden zu wenig Fördergelder lockergemacht?
Grundsätzlich sollte es mehr un-abhängige Übersetzungsförderung geben, d.h. von Literaturstiftungen wie auf deutscher Seite von Litprom oder auch der Robert-Bosch-Stiftung. Auf chinesischer Seite gibt es keine unabhängige Förderung, sondern nur eine Förderung durch die chinesische Propaganda- und Zensurbehörde. Selbst unverdächtige Titel, für die eine Förderung beantragt wurde, wurden nicht gefördert, andere wiederum, die teils schon in Übersetzung vorlagen, erhielten eine „Übersetzungsförderung“. Dann gab es Titel, die gefördert wurden, bei denen aber nicht der Übersetzer, für den die Förderung offiziell gedacht ist, diese erhielt, sondern der Verlag. Das ist alles sehr undurchsichtig und erscheint zumindest willkürlich. Da jedoch bestimmte kritische Titel nicht gefördert wurden und sogar das deutsche Buch-Informations-Zentrum in Peking davon abriet, dafür Förderanträge zu stellen, handelt es sich hier nicht mehr nur um reine Willkür, sondern um gezielte Manipulation. Und das sollte man nicht unterstützen. Geld von einer Behörde anzunehmen, die für das Verbot kritischer Bücher verantwortlich ist, ist ohnehin eine Frage des Anstands. Auch die chinesische Seite hat hier noch einen weiten Weg vor sich. Ein erster Schritt wäre eine wirklich unabhängige Stiftung für Literaturförderung.

Kommt Literatur, in der auch unverhohlen Systemkritik geübt wird, vor allem aus dem englisch- und fran­zösischsprachigen Ausland nach Deutschland?
Systemkritik ist natürlich einfacher von Exil-Autoren zu üben, und dementsprechend gibt es durchaus kritische chinesische Literatur, die in Deutschland, England, Frankreich und Amerika erscheint. Näher dran sind natürlich Autoren, die nach Hong­kong fliehen konnten und dort recht unzensiert schreiben können. Den Autoren, die in China leben, ist es entweder nur im Untergrund möglich, zu veröffentlichen, womit sie sich selbst gefährden und ihr Auskommen nicht sichern können, oder sie müssen sich mit der Zensurbehörde arrangieren. Dieses Arrangement mag aus unserer Sicht ethisch verwerflich sein, sieht aber oft so aus, dass die zu­nächst offensichtliche Kritik subtiler in den Text eingearbeitet wird. Diese Form der „Kritik zwischen den Zeilen“ kennen wir aus der DDR-Literatur und die chinesischen Leser haben für diese Form der Kritik natürlich sehr sensible Antennen.

Wie schätzen Sie die Nachfrage nach chinesischer Literatur auf dem deutschen Buchmarkt ein?
Die Nachfrage ist derzeit sehr gering, durch die Buchmesse wird es kurzfristig eine Belebung geben, aber schon ein Jahr später wird das Interesse möglicherweise schon wieder einschlafen. Mittelfristig haben nur Long­seller eine Chance, wie etwa der jetzt zur Buchmesse endlich erscheinende berühmteste chinesische Ro­man „Der Traum der Roten Kammer“, der schon vor 250 Jahren ge­schrieben wurde und längst in allen Weltsprachen vorliegt, nun also auch auf Deutsch. Darüber hinaus wird es immer Einzelphänomene geben, wie Dai Sijie oder wenn wieder einmal ein chinesischer Autor einen Literatur-Nobelpreis erhält.

Die Fragen stellte Nicole Stöcker

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