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Blauer Brief aus den eigenen Reihen

Während heute Branchenvertreter zu Tausenden in die Frankfurter Messehallen stürmen, sorgt ein offener Brief zu den technischen Schwachstellen und Managementfehlern von Libreka (Fotomontage: buchreport.de) für viel Wirbel am Hirschgraben.

In einem vierseitigen, anonym verfassten Schreiben, das an Branchenmedien verteilt wurde und auch buchreport vorliegt, stellt offenbar ein Mitarbeiter der MVB (oder mehrere Mitarbeiter) dem Verbandsprojekts ein miserables Zeugnis aus. buchreport.de dokumentiert die wesentlichen Aussagen des Schreibens.

E-Book-Vertrieb/Finanzierung

  • Über libreka.de seien im gesamten Monat September 32 E-Books an Endkunden verkauft worden; seit Start des E-Book Verkaufs vor einem halben Jahr lägen die Zahlen „stabil bei knapp über Null“.
  • Um sich aber selbst zu finanzieren (Kosten 1 Million Euro pro Jahr), müsste Libreka täglich mehrere tausend Bücher verkaufen, da die MVB nur einen kleinen Teil des Umsatzes als Provision beanspruchen könne.
  • Perspektivisch seien Einnahmen im Bereich von einigen zehntausend Euro jährlich durch Partnerangebote (Werbung, Bereitstellung von Content usw.) denkbar.
  • Die Kostenlos-Download-Aktion vor der Buchmesse Frankfurt habe nicht gewirkt, der Absatz bewege sich weiterhin nahe der Nullmarke.
  • Die hohen Libreka-Kosten belasteten die überfällige Entwicklung des VlB und gefährde schließlich die Arbeitsplätze bei der MVB; Libreka gefährde „eigentlich sichere Arbeitsplätze durch Investitionen in ein Fass ohne Boden“.

Insel im Internet

  • Libreka verzeichne im Jahresdurchschnitt etwa 5000 Kontakte von Internetanwendern pro Tag; von den Benutzern, die Libreka direkt ansteuerten, blieben nur ein paar hundert länger als 10 Sekunden auf der Website.
  • Weder die Volltexte noch relevante Teile der Libreka-Bücher seien für Suchmaschinen erreichbar; diese könnten bisher nur auf die Buchbeschreibungen zugreifen

Mangelndes Profil

  • Libreka habe keine klar umrissene Hauptaufgabe: Gestartet als Volltextsuche, inzwischen Online-Shop für E-Books – und künftig wolle man eine Buchcommunity aufbauen.
  • Statt eines Kernprofils habe Libreka von allem ein bisschen – Angebote, die in der Branche bereits vorhanden seien.

Interne MVB-Misstände: Technik und Management

  • Die MVB habe Probleme, ihre eigene hausinterne Informationstechnik am Laufen zu halten: ständig gebe es Ausfälle und Störungen, die die Arbeit aller Mitarbeiter behinderten.
  • Das VLB-System sei problematisch, weil die Technik fast komplett outgesourct worden sei.
  • Es fehle an fachlicher Kompetenz des Managements, an Wissen um Informationstechnik und Projektmanagement – und vor allem an einer klaren Strategie: „Von Planung im engeren Sinne kann man bei Libreka überhaupt nicht sprechen. (…) Es gab und gibt keinerlei nachhaltige Strategie, Planung und Umsetzung. (…) Getrieben wird Libreka von einer Mischung aus Utopien über das Internet und Techniknutzung in der Zukunft sowie kurzfristigem Handlungsdruck.“
  • Der Schutz der Original-Buchdaten sei gefährdet; Lagerung und Tranport der Buchdaten erfolge fast ohne Schutzmaßnahmen.
  • Der Hersteller der VLB Software, Bureau van Dijk, mit dem man beim VlB schon nicht zufrieden gewesen sei, habe vor der Leipziger Buchmesse 2008 einer bereits existierenden Software die Libreka-Maske übergestülpt – die Wurzel vieler technischer Probleme, darunter Mängel beim Suchen und Finden.
  • Die in Libreka selbst eingebaute Suchmaschine sei primitiv und liefere regelmäßig irrelevante Treffer.
  • Versprechungen ohne Konzept: Ideen wie „Libreka auf dem iPhone“ oder Konvertierung von vorhandenen PDF-Dateien in brauchbare Epubs zu geringen Kosten scheiterten am mangelnden Know-How, seien aber der Branche vollmundig in Aussicht gestellt worden.
  • Die MVB habe keine Kompetenz im Endkundengeschäft, kleinste Anfragen und Fehlerkorrekturen (zB einen E-Book-Kauf zu stornieren) überforderten die MVB
  • Mangelhafte Verbuchung von E-Book-Verkäufen: Es sei fast unmöglich, Zahlungseingänge bei der MVB den Umsätzen auf Libreka zuzuordnen.
  • Kritik oder Widerspruch seitens der MVB-Mitarbeiter werde vom MVB Management abgestraft.

Inzwischen hat sich MVB-Chef Ronald Schild zum Brief geäußert – um dann nichts zu sagen. Ihm selbst liege das Schreiben nicht vor. Die Vorwürfe seien „in keinster Weise nachvollziehbar“. Er wolle die Gerüchte nicht weiter kommentieren. Auch nicht die Behauptung, im September seien gerade einmal 32 E-Books verkauft worden. Libreka vertreibe im Auftrag der Partnerverlage und Buchhandlungen E-Books – und gebe grundsätzlich keine Verkaufszahlen bekannt.

Die „Download-Days“, bei denen jeweils ein Titel einen Tag lang kostenlos heruntergeladen werden kann – so weit lehnt sich Schild dann doch aus dem Fenster – „übertreffen unsere Erwartungen bei Weitem“. Die Anzahl der Downloads von „Schmerzfrei sparen“ (Campus) liege bei 35% der gesamten bisher verkauften Printauflage.

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