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Behauptung gegen die Internet-Multis: Die Rolle der Verlags-Hersteller

Die Herstellungsleiter der Buchverlage haben digitale Publishing-Workflows eingerichtet und Verlage fit gemacht für die crossmediale Produktion in den unterschiedlichsten Formaten und Granularitäten. Eine notwendige Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit – aber auch eine ausreichende? Eine provozierende und gut mit Fakten belegte Keynote des Medien-Vordenkers und Journalisten Richard Gutjahr stimmte die Herstellungs-Manager auf ihrer jährlichen Tagung in Irsee auf weitere Herausforderungen ein. 

Der Griff der Internet-Oligopole um die Medienmärke wird enger und enger. Die FAZ verkündete vorvergangene Woche, bei Facebook Instant Articles mitzumachen, das bedeutet: zugunsten der Reichweite auf zähl- und monetarisierbare Online-Richard Gutjahrs Vortrag von der Herstellungsleiter-Tagung 2016 auf pubiz.de - Foto Michael LemsterLeser zu verzichten – vorläufig, wie Digital-Chef Blumencron betonte. Er dürfte die Schwierigkeit unterschätzen, vom süßen Gift des Social Traffic wieder loszukommen.

Die Premium-Marke FAZ folgt damit zahllosen anderen deutschen News-Portalen. An vielen Stellen sieht man Verlage in enger Umarmung mit GAFA – Google, Facebook, Amazon, Apple. Die Umarmung könnte für einige tödlich werden, warnte Journalist und Medien-Vordenker Richard Gutjahr in seiner Keynote die Herstellungs-Manager auf ihrer jährlichen Herstellungsleiter-Tagung in Irsee.

Tödlich nicht allein, weil den betroffenen Verlagen Stück für Stück die Kontrolle über ihre Kunden und ihre Inhalte entgleitet. Sondern auch weil die GAFA ihrerseits in unglaublicher Intensität in die Produktion von Inhalten  investieren. Amazon gibt für sein Fire TV in einem Jahr mehr Serien in Auftrag als ARD und ZDF gemeinsam in zehn Jahren. Das detaillierte Wissen um die Vorlieben ihrer Nutzer erlaubt es den großen Plattformen, sehr zielbewusst zu konzeptionieren und zu planen. Das bedeutet: weit weniger Fehlschläge und mehr Ressourcen für das Marketing als in den klassischen Medienunternehmen, die nicht den kompletten Produktions- und Verkaufsprozess kontrollieren.

Heute fokussieren die Eigenproduktionen der Internet-Unternehmen besonders Bewegtbild-Inhalte mit breiter Zielgruppe – das könnte sich morgen ändern. Denn gleichzeitig arbeiten die GAFA daran, die Verlage überflüssig zu machen und ihre Rolle zu schwächen: Reichweite plus Publishing-Plattform plus Transaktions-Plattform sind alles, was ein Autor oder Journalist heute braucht. Der Mittelmann steckt in dieser Klemme und muss sich neu erfinden – schneller als bisher, wie Richard Gutjahr in Irsee anmahnte. Denn der Zusammenbruch etablierter Medienmärkte könnte schneller kommen, als mancher Produktions-Leiter es erwartet. Dafür führt er zwei Gründe an:

  • jüngere Zielgruppen bevorzugen einen komplett anderen Medienmix als mittlere oder ältere
  • ältere Zielgruppen lernen von den jüngeren und vollziehen nachweislich deren Verhaltens-Änderungen mit Verzögerung nach – wenn auch nicht in derselben Intensität

Die auch von den anwesenden Herstellungsleitern zuweilen gehörte Hoffnung, dass die jungen Zielgruppen mit dem Älterwerden schon „vernünftig werden“ und sich stärker auf klassische News-Medien stützen werden, hat ein dünnes Andreas von der Heydt auf pubiz.deFundament. Leicht vorstellbar, was dies mit dem über Jahrzehnte fein austarierten Ökosystem Print und auch mit den Buchverlagen auf die Dauer anstellen könnte. Auch der englische Druck-Berater Richard Gray sekundierte mit Zahlen von den globalen Print-Märkten, die er regelmäßig im Auftrag der drupa erhebt.

Verlags-Strategien mit und gegen Google, Facebook & Co.

Die knapp 100 Teilnehmer ließen sich aber nicht spürbar aus der Ruhe bringen. Als durchweg erfahrene Manager/innen haben sie schon manches gesehen und gehört – auch düstere Prophezeiungen.

Das Arbeits- und Vortrags-Programm war jedenfalls bestens darauf abgestimmt, wie sich Buchverlage und besonders die Herstellung in diesem Szenario zunehmenden Wandels orientieren und aufstellen können. Auf den Punkt gebracht, folgte es Richard Gutjahrs Appell – das intensiver zu tun, was nur Verlage können:

  • contentgetriebene Vernetzung ihrer Zielgruppen zu Spezial-Communities. In der Fachinformation, in Special Interest und in der Genre-Literatur ist dieser Ansatz bereits verbreitet. Ein Beispiel ist der Murmann Verlag.
  • personalisierte Verbreitung ihrer Inhalte, seien sie gedruckt oder digital. Dies wertet die Inhalte auf und stärkt die Bindung der Kunden. Es bedeutet einen teilweisen Abschied von der klassischen Massendistribution, die ohnehin von den Bestsellern abgesehen heute schwieriger denn je ist. E-Content und Digitaldruck sind die technischen Plattformen. Auch hier weist die Fachinformation den Weg.
  • Organisation von Live-Events wie Fachkongresse, Autoren-Auftritte, Messen und anderem. „Dabei gewesen zu sein“ zählt heute bei Verbrauchern mehr denn je. Im Social Media-Zeitalter profilieren sich Menschen intensiv über die Teilnahme an Live-Events und sind bereit, ihre Erfahrungen und ihre Begeisterung in ihren Netzwerken zu teilen. Diese Profilierung macht sie selbst zu Multiplikatoren für Event und Veranstalter.
  • Sinnlichkeit und Erlebnis. Diese können einerseits aus der Teilnahme an Live-Events resultieren, andererseits aus den Produkten selbst. BelletristikVerlage haben dies erkannt und investieren in die Haptik ihrer Bücher.
  • ein Marketing, das auch ohne GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) auskommt und die Verlage nicht an diese ausliefert. Das bedeutet etwa, weiterhin zu investieren in direkte Beziehungen zu den Leser/innen und die verschiedenen Marketing-Kanäle zu behaupten und bestmöglich miteinander zu verknüpfen – eine eigene, auch mobile Website und Newsletter-Marketing gehören zum Minimalstandard.
  • Einsatz von Verlags-IT und Technologie als „Backbone“, der es erst ermöglicht, von produktbezogenen zu servicebezogenen Prozessen zu gelangen. Konkret heißt dies: automatisieren, standardisieren, flexibilisieren überall dort, wo es die Produkte aus Sicht der Leser/innen verbessert. Gleichzeitig ist die notwendige Ergebnis-Transparenz nur mit IT möglich.

Gruppenarbeit bei der Herstellungsleitertagung 2016 - Foto Michael LemsterMenschen und Technik

Digitaldruck, Semantic Publishing, Multimedia, Datenanalyse, aber auch Mediendesign und Typographie taugen als Werkzeuge des Wandels. Sie alle zeigten auf der Herstellungsleiter-Tagung 2016, wie man sie einsetzen kann.

Das „Live-Event“ im besten Sinne ist mit einer 66-jährigen ununterbrochenen Tradition eine der ältesten Fachtagungen im deutschsprachigen Buchgewerbe. Es findet seit 1988 am langen Wochenende von Christi Himmelfahrt im schwäbischen Tagungszentrum Kloster Irsee statt.

Die Teilnehmer „schenken“ ihren Unternehmen dabei zwei freie Tage. Ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm mit schmalen Ruhe- und Networking-Pausen ist der Lohn für ihr Engagement.

Michael Lemster

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