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Amazons Marktanteil wächst trotz Agency

Ob und wie dynamisch der E-Book-Markt hierzulande und in den USA wächst, ist umstritten. Viel diskutiert wird derzeit über die These, dass sich die Verlage mit ihrer Pricing-Politik selbst schaden. Im Interview sucht der Marktforscher Peter Hildick-Smith (Codex, Foto) nach Ursachen des teilweise abgeflauten Wachstums, beurteilt die Preissetzungs-Strategien der Big-5 – und erklärt, warum Amazon dennoch zulegt.

Auf den Punkt gebracht hat das Thema kürzlich das „Wall Street Journal“, das die sinkenden digitalen Erlöse von Verlagsgruppen wie Hachette (Umsatzanteil von E-Books im ersten Halbjahr 2015: 24%, minus 5 Prozentpunkte; Gesamtumsatz: –8%) nicht auf eine quasi natürliche Marktentwicklung, sondern eine verfehlte Preispolitik gerade der fünf großen US-Publikumsverlagsgruppen zurückführt: Die Leser seien nicht bereit, die im Zuge der Agency-Wiedereinführung vorgenommenen Preiserhöhungen mitzugehen. 
Warum stagiert der US-amerikanische E-Book-Markt?
Der E-Book-Markt florierte ab 2007 zunächst wegen der Neuartigkeit und großen Nützlichkeit von E-Readern und anderen Lesegeräten. Die Leser, die sich solche Geräte angeschafft haben, bleiben mit Abstand die stärksten E-Book-Konsumenten, sie lesen wöchentlich vier bis fünf Stunden damit. Im Jahr 2010 ließ das iPad den Tablet-Markt explodieren – ein Gerät, dessen Funktionen weit über die des E-Readers hinausgehen und entsprechend auch eine größere Anziehungskraft auf Leser ausübt. Dies hat bei Viellesern dann zu einer großen Ablenkung geführt, auf Tablets lesen Buchkäufer durchschnittlich nur noch eine bis eineinhalb Stunden pro Woche.
Dann kam das Smartphone…
Mit einem noch größeren Funktionsumfang, was dazu geführt hat, dass Buchkäufer darauf nur noch 20 Minuten pro Woche lesen. Nur noch ein Drittel der Buchkäufer besitzt E-Reader, und die Zahl sinkt weiter, weil die Geräte verschleißen und nicht ersetzt werden. Dagegen nutzen drei Viertel der Buchkäufer Smartphones und Tablets. Neben der Verlagerung weg von den E-Readern haben die veränderten E-Book-Pricing-Modelle Auswirkungen auf den Markt. Erst hat Amazon mit Wholesale-Verträgen (bei dem die Händler den Preis festsetzen dürfen, d. Red.) E-Books für 9,99 Dollar und niedriger angeboten, um Marktanteile zu gewinnen. Dann hat die Einführung des Agency-Modells 2012 dazu geführt, dass die Preise über 12 Dollar angehoben wurden, worauf das US-Justizministerium die Agency-Preissetzung für zwei Jahre auf Eis legte und so wieder große Amazon-Rabatte ermöglichte. In den vergangenen zwölf Monaten ist das Agency-Modell schließlich wieder zurückgekehrt. Dies hat dazu geführt, dass die Preiserwartungen der Verbraucher asynchron zu den sich ständig ändernden Preisen auf dem Markt verlaufen.

Was bedeutet das?

Aktuell erwarten die Käufer immer noch, dass sie weniger als 9 Dollar für ein Kindle-E-Book ausgeben, doch die Durchschnittspreise der fünf großen Publikumsverlagsgruppen liegen über 11 Dollar, was Dissonanz und verringerte Zahlungsbereitschaft hervorruft. Der dritte Faktor beim stagnierenden E-Book-Markt, neben dem Hardware-Wechsel und den Pricing-Strategien, ist die Tatsache, dass im laufenden Jahr die großen belletristischen All-Age-Titel des Vorjahres fehlen, weshalb sich der Markt von den Blockbustern in die Genreliteratur verlagert.

Also ist die Pricing-Strategie der Big-5-Verlage verfehlt?
Deren Strategie ist einerseits notwendig, um ein Gleichgewicht im Buchhandel zu erhalten. Der Marktanteil von Amazon – auf Basis des Buchabsatzes – ist während der digitalen Wachstumsphase auf über 40% des gesamten US-Buchmarkts explodiert. Dies hat Amazon dadurch erreicht, dass Bücher unter Einkaufspreis verkauft wurden. Dadurch wurden wohlhabende Kunden angezogen, die auch in allen anderen Produktgruppen eingekauft und so Amazon Jahr für Jahr dramatische Zuwächse beschert haben. Doch selbst vor dem Hintergrund des Agency-Modells wird der Marktanteil von Amazon weiter steigen, was mit dem großen Wachstum von „Amazon Prime“ zusammenhängt. Dieses Kundenbindungsprogramm steigert die Loyalität auch der Buchkäufer. Wir gehen davon aus, dass mehr als 40% der Buchkäufer Prime-Mitglieder sind, der Anteil wird in den kommenden Monaten auf 50% wachsen. Wenn ein Buchkäufer zum Prime-Mitglied wird, verdoppelt er seine Ausgaben für Bücher und halbiert die Ausgaben bei anderen Buchhändlern.
Wie lässt sich die Preisschere von Verlags- und Selfpublishing-Titeln erklären?
Die Frage nach dem Verlag, dessen Buch sie zuletzt gekauft haben, kann nur jeder zweite US-Leser beantworten – deshalb sind solche Erklärungsversuche schwierig. Buchkäufer fokussieren auf individuelle Bücher und deren Autoren. Es wird vermutlich mindestens ein bis zwei Jahre dauern, bis sich die Preiserwartungen der Verbraucher bei hochqualitativen Bestseller-Titeln so weit nach oben bewegen, dass sich die aktuelle Dissonanz verringert.
Wie werden sich die E-Book-Preise in den kommenden drei Jahren entwickeln?
Das Agency-Pricing wird bleiben, weshalb davon auszugehen ist, dass auch die professionell verlegten Bücher der großen Verlage auf dem aktuellen Preisniveau bleiben werden, um eine Marktbalance abzusichern. Das kolossale Wachstum der Selfpublisher ist inzwischen etwas abgeflacht, die Anzahl der 99-Cent-Titel wird also auf dem heutigen Niveau bleiben. In dieser neuen Pricing-Welt werden sich die Buchkäufer entscheiden müssen, welche Bücher sie favorisieren.
Das 2004 von Peter Hildick-Smith gegründete Marktforschungsunternehmen Codex untersucht quartalsweise Trends des US-Buchmarkts. Zu den Kunden gehören Unternehmen wie Barnes & Noble, Walmart sowie Random House.

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