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Ressourcen für Innovation schaffen – »Kampfaufgabe« für Verlage

Unter „Innovation“ verstehen viele Verlage die Kreativität, immer wieder neue Buchthemen zu besetzen und den Kunden neue Angebote zu machen. Dies allein reicht nicht, ist Change-Berater Edgar Rodehack überzeugt. Stillstand in der Organisation lähmt am Ende auch die Programm-Innovation, ist er überzeugt.

Im Channel Produktion und Prozesse von buchreport.de erklärt Rodehack, wie Verlage auch in Fragen der Organisation innovativ werden können, was ihnen das im Einzelnen bringt und woher sie die nötigen Ressourcen für solche organisatorischen Innovationsprozesse nehmen.

Foto: Pixabay

Warum sollten sich Verlage überhaupt mit Innovation ihrer Wirtschaftsweise befassen?

Innovation bedeutet Weiterentwicklung. Wer als Unternehmen darauf verzichtet, sich mit Innovation zu befassen, verzichtet darauf, sich weiterzuentwickeln. Das kann und wird die Existenz eines jeden Unternehmens gefährden. Denn die Märkte bewegen und wandeln sich immer. Wenn Firmen vergessen, ausblenden oder gar bewusst ignorieren, dass Produktneuerungen ein wichtiger und existentieller Bestandteil ihrer Aufgabe sind, könnte das dazu führen, dass ihre Produkte für den gewandelten Markt nicht mehr passen.

Genau solche Tendenzen sind für den Buchmarkt erkennbar – selbst wenn die so genannten Endkunden der Verlage bis vor ein paar Jahren wenig Innovationen am Produkt Buch gefordert haben. Mit den veränderten technischen Möglichkeiten, mit dem Aufkommen von Internet und Smartphones und vor allem mit dem Aufkommen größerer Content-Anbieter und -Angebote beginnen sich die Ansprüche radikal zu ändern.

Wir können alle nicht in die Zukunft blicken. Dennoch sollten wir damit rechnen, dass diese Entwicklung längst noch nicht zu Ende ist, sondern im Gegenteil immer mehr an Fahrt gewinnen wird. Als Publikumsverlag kann man da vielleicht von den Kollegen in der Fachinformation lernen. Dort ist man im einen oder anderen Bereich wahrscheinlich schon ein bisschen weiter.

Wird denn nicht der gesamte Verlagsprozess so stark von den Erfordernissen von Rechteerwerb, Produktion und Vertrieb determiniert, dass ein „Ausbruch“ zwecklos ist?

Natürlich gibt es immer und überall sehr viele stabile Abläufe, die wie Zwänge oder zumindest als starke Notwendigkeit erscheinen und auf den ersten Blick vielleicht sogar unveränderbar. Aber was bringt es uns, wenn wir die vermeintlichen oder tatsächlichen Erfordernisse der Titelakquise, der Buchproduktion und des Buchvertriebs erfüllen, unsere Inhalte aber in dieser altbekannten Form und in den altbekannten Vertriebskanälen nicht mehr gekauft werden?

Alternativ, das ist klar, ist es natürlich immer möglich zu sagen: „Lassen wir es bleiben! Es ist zwecklos, etwas an den bestehenden Prozessen zu verändern.“ Das allerdings fände ich für die Branche mindestens schade. Denn so würden sich die Verlage, die trotz einer solchen „Strategie“ überleben, sehr wahrscheinlich in eine Nische für wenige bibliophile Buchliebhaber verabschieden. Die Branche gäbe so endgültig ihre wichtige Stellung als Meinungsbildner und Sprachorgan für wichtige Geschichten und Diskurse auf, um sie anderen zu überlassen. Und viele engagierte Menschen verlieren so ihre Existenzgrundlage.

Wenn Sie das Publishing mit anderen Branchen vergleichen, für die Sie als Berater aktiv sind – wie sind die anderen in Sachen Innovationskultur unterwegs?

In Sachen Prozesse macht der Branche so leicht keiner was vor. Das war ja schon immer so, schon weit vor dem Internetzeitalter. Und ich finde, dass die Verlagswelt – nach anfänglichem Zögern – auch das Thema Digitalisierung gut und professionell aufgegriffen und viel besser umgesetzt hat als viele andere Branchen. Ironischerweise haben ja nicht zuletzt die großen Player im Internethandel sehr stark davon profitiert: Welche andere Branche kann denn ihren Wiederverkäufern Katalogdaten von so gut wie allen lieferbaren Produkten und von so gut wie allen Lieferanten in der standardisierten und zugleich offenen Form bereitstellen, wie es die Buchbranche tut? Wo gibt es vergleichbare technischen Standards für Formate wie zum Beispiel für E-Books und vielleicht bald auch für elektronische Werbemittel und den Social Media-Austausch?

Doch bei all diesen durchaus ja positiven Errungenschaften: Strukturell haben sich Verlage eben nicht weiterentwickelt. Prinzipiell arbeiten Verlage noch immer wie vor 50 Jahren. Und das heißt: Strukturell sind sie schlicht nicht auf Innovation ausgerichtet. Im Gegenteil: Primär geht es organisatorisch darum, Stabilität zu erhalten und eben keine Veränderungen zu riskieren. Das ist auch nur logisch: Denn das war im letzten Jahrhundert wichtig, erforderlich und auch: wahnsinnig erfolgreich.

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Und das E-Book?

Selbst das E-Book hat das nicht geändert. Bestrebungen für strukturelle, organisatorische (!) Erneuerung hat es auch bei Einführung des E-Books kaum bis gar nicht gegeben. Und wenn, wurden sie in dem Moment eingestellt, als die Prozesse für E-Books in die bestehenden Abläufe integriert waren. Ich lasse mich gerne eines anderen belehren, aber: Außer den Buch-Apps sind mir wesentliche Initiativen nicht bekannt, das Produkt „Buch“ oder „Text“ weiterzuentwickeln oder auf anderen Wegen als den bisherigen zu vertreiben, um dem veränderten Konsumverhalten der Leser zu entsprechen. Oder gar dem Leser neue Varianten anzubieten, die es noch gar nicht gibt oder gab.

Mir kam und kommt es so vor, als seien die Verlage froh gewesen, dass ihre Hersteller jetzt eben auch E-Books machen können. So konnten sie das Thema Digitalisierung abhaken und endlich wieder das machen, was sie immer gemacht haben: Auf organisatorisch die selbe Art und Weise wie bisher – nämlich sehr hierarchisch, in festen Silos und Rhythmen – Themen- und Autorenakquise, Pressearbeit, Marketing und Vertrieb zu betreiben. Da kommt meine These her: Verlage haben seit Einführung des Taschenbuchs strukturell nichts Wesentliches an der Art und Weise verändert, wie sie arbeiten. Und zwar deshalb, weil sie es bis zur Jahrtausendwende auch nicht mussten. Es lief ja gut. Sehr gut.

Seit einiger Zeit läuft es aber eben nicht mehr gut. Vor allem im Publikumsbereich verstärken sich in den letzten Jahren immer rasanter jene unseligen Trends, die den Verlagen arge Schwierigkeiten bereiten. Zunächst natürlich, weil sie für Verlage rückläufige Ab- und Umsätzen bedeuten, auf die wir ja alle immer zuerst schauen. Vor allem aber, weil das Geschäft für Publikumsverlage heute im Grunde genommen vollkommen anders läuft also noch vor zehn Jahren: Ein verändertes Spitzentitel-Geschäft, von der Backlist sprechen wir schon gar nicht mehr, die schwindende Bedeutung der einst verlässlichen Vertriebs- und Marketingkanäle (immer mehr Internethandel, immer weniger Einzelhandel; zersplitterte Communities und sonstige Internetkanäle, sinkende Bedeutung der Feuilletons), der Trend zu immer kleineren Auflagen, die allgemein sinkende Bereitschaft und Fähigkeit zum Lesen von Büchern vor allem in den nachwachsenden Zielgruppen…

Also könnte man vermuten, dass Verlage jetzt anfangen zu hinterfragen, wie das Geschäft in dieser unsteten und unsicheren Situation neu auszurichten ist. Und dass sie dabei hier und da Neues ausprobieren. Aber ist das so? Welcher Verlag spielt ernsthaft mit echten Produktvarianten, die dem veränderten Konsumentenverhalten Rechnung trägt? Wurde oder wird irgendwo eine alternative Produkt-Strategie zum P-Book entwickelt, vielleicht eine Spielwiese für Social-Media-Romane? Wird wenigstens irgendwo ein explizites E-Book-Marketing betrieben oder ein spezialisierter Vertrieb dafür aufgebaut? Wie viele Verlage haben zusätzlich zu den bestehenden Wegen in der Autorenakquise und -pflege Neues ausprobiert, zum Beispiel um die Digital Natives abzuholen? Wie viele Verlage nutzen Social-Media ernsthaft, um Kontakt zwischen Lesern, Autoren und Communities aufzubauen und zu ermöglichen und all dies auch für ihre Produktentwicklung und natürlich ihren Vertrieb zu nutzen? Überhaupt: Wie viele Verlage haben versucht, ihre Datenbasis zu erweitern, um ihre Produktentwicklung und den Verkauf zu verbessern, z.B. damit beides nicht mehr so sehr nur den vermuteten, sondern den tatsächlichen Erfordernissen der Käufer entspricht? Versuchen viele Verlage, sich mit strategischen Partnern aus anderen Bereichen zusammenzutun? Abseitig der „Man-müsste-mal“-Routinen: In welchen Verlagen wurden oder werden solche Fragen mit Nachdruck thematisiert? Und falls das irgendwo passiert: Waren oder sind wirklich diejenigen beteiligt, die das größte Interesse, die größte Motivation und das größte Know-How haben: MitarbeiterInnen, AutorInnen und LeserInnen? In welchen Verlagen sind Initiativen gegründet worden, die sich ausschließlich auf diese existenziellen Zukunftsthemen konzentrieren durften?

Wie gelingt Innovation?

Innovation halte ich für keine Glückssache, die von Geistesblitzen Einzelner abhängt. Innovation ist eine strategische Aufgabe und eine strukturelle Haltungs- und Kulturfrage. Es ist eine Aufgabe, die alle angeht und organisiert werden muss. Sie ist in dieser Hinsicht weder von der Unternehmensgröße noch von den Ressourcen einer Unternehmung abhängig. Sondern zunächst einzig und allein davon, ob eine Organisation willens und in der Lage ist, sich mit Innovation zu beschäftigen und sich entsprechende Strukturen zu geben. Dazu gehört vor allem, möglichst unabhängig von den eigenen Vorlieben und Bedürfnissen den Kundennutzen konsequent in den Mittelpunkt zu stellen. Innovative Strukturen sind offene Strukturen, die nicht nur erlauben, sondern von möglichst allen auch einfordern, außerhalb der angestammten Bahnen zu denken, zu handeln und auch zu experimentieren.

Übrigens ist dies zwar auch verlegerische Chefsache. Viel mehr noch ist es aber Aufgabe möglichst vieler MitarbeiterInnen in allen Verlagsabteilungen. Die aber brauchen den Auftrag, die Möglichkeit und auch den organisatorischen Rahmen, die Dinge nicht nur, aber eben auch in diesem Sinne, also anders als bisher, eben innovativer anzugehen. Es sind neue, flexiblere, weniger hierarchische und silogetriebenere, ja: agilere Wege notwendig, die Kommunikation, Entscheidungen und Erledigung von Arbeit anders zu regeln und dadurch zu beschleunigen.

Selbstverständlich ist auch notwendig, dass alle MitarbeiterInnen verstehen, warum ein solches verändertes Arbeiten jetzt wichtig ist: Nicht etwa, weil die bestehenden Abläufe oder gar alles, was wir bislang getan haben, plötzlich schlecht wären. Sondern, weil eine ziemlich radikal veränderte und dynamische Marktsituation Anpassungen erfordert. Wer das versteht und umsetzt, hat die Chance, die verlegerische Erfolgsstory der Vergangenheit fortzuschreiben.

Dennoch müssen Sie zugeben, dass Innovation ganz ohne „Beinarbeit“ und ohne die entsprechenden Qualifikationen nicht geht. Und mit welchen Kapazitäten sollen Verlagsteams, die ohnehin schon an der Belastungsgrenze sind, diese Arbeiten leisten und sich weiterqualifizieren?

Der Stresspegel in manch einem Verlag scheint mir tatsächlich enorm hoch. Das liegt für mich aber noch nicht einmal so sehr an der generell hohen Arbeitsbelastung, die es natürlich auch gibt. Schließlich haben auch Verlage in der jüngeren Vergangenheit kontinuierlich immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt. Was natürlich ein wirklich riesiges Problem mit vielfältigsten Konsequenzen ist. Hinsichtlich Innovation vor allem, weil Stress ein besonders wirksames Gift gegen Kreativität, Mut und gute Entscheidungen ist. Dennoch ist Stress noch gar nicht mal das drängendste Problem, das Verlage haben.

Das größte Problem der Branche ist momentan, dass Führungskräfte und MitarbeiterInnen gleichermaßen versuchen, eine Absatz- und Produktkrise aufzuhalten, die sich nicht aufhalten lässt. Und zwar indem sie das tun, was und wie sie es immer schon getan haben: Noch mal eine Schippe drauflegen. Die Erfolgsmittel der Vergangenheit – Fleiß! Einsatz! Effizienz! – werden angewendet.

In diesem Sinne kommt mir die Branche so vor wie der Bauer, der darüber klagt, dass er wegen seiner Hühner zu nichts kommt. Ständig müsse er sie einfangen! Gefragt danach, warum er denn keinen Zaun baue, entgegnet er genervt: Dafür habe er nun wirklich keine Zeit. Schließlich müsse er ja Hühner einfangen.

Was ich damit sagen will ist: Management und Organisation haben sich eben nicht nur darum zu kümmern, die Dinge richtig, effizient und gut zu tun, zum Beispiel also dafür zu sorgen, dass auch weiterhin möglichst gute Bücher rechtzeitig und effizient produziert und gut vermarktet werden. Es geht auch darum, den Tunnelblick zu weiten und darüber zu entscheiden, was effektiv ist, was die RICHTIGEN Dinge sind, die wir tun sollten.

Aus Verlagssicht wäre für mich effektiv, die Art und Weise, wie sie arbeiten, so anzupassen, dass sie eine innovative Weiterentwicklung des Produkts oder der Verlagsdienstleistungen ermöglichen. Wie schon angedeutet: Sonst besteht eine gewisse Gefahr, dass Verlage mit ihrer buchlesenden und -kaufenden Zielgruppe schrumpfen oder gar aussterben. Effizienzoptimiert zwar. Aber eben: Ausgestorben.

In diesem Zusammenhang möchte ich zwei mir besonders wichtige Punkte noch einmal hervorheben:

  1. Innovation ist eine Aufgabe, die ZUSÄTZLICH zur effizienten Abarbeitung der Routinen erfolgen muss.
  2. Innovation ist in erster Linie eben gerade NICHT eine Frage des Know-Hows, genialer Einfälle Einzelner oder gar harter Arbeit, auch wenn es sicherlich helfen dürfte, ein paar inhaltliche Experten an Bord zu haben. Innovation ist eine strukturelle, eine organisatorische Aufgabe und eine Kulturfrage.

Also: Erkennen wir als Verlag oder gar als Branche, dass Erneuerung eine gemeinschaftliche Aufgabe für alle ist, die sich nicht delegieren lässt? Schon gar nicht an einen einzelnen genialen, kreativen, innovativen Menschen (zum Beispiel einen Verleger), der alleine mit einsamen Entscheidungen das große Problem für uns löst? Und: Sind wir in der Lage, unsere Zusammenarbeit so zu gestalten, dass echte Innovationen stattfinden können?

Was könnten Verlage, umgekehrt gefragt, tun, um ihre Aufwände zu reduzieren? An welchen Stellen investieren sie vielleicht Aufwand in eine Qualität, die kein Kunde wertschätzt?

Wie gesagt: Ich halte Verlage (und nicht nur sie) in ihren Prozessen schon so weit optimiert, dass hier nicht mehr viel herauszuholen ist. Die Zitrone ist ausgepresst. Es würde mich sehr wundern, wenn sich hier der zukünftige Verlagserfolg entscheidet. Ich glaube sogar, dass der defizitorientierte Tunnelblick auf die Kosten- und Prozess-Optimierung die Branche davon ablenkt, endlich lösungs- und chancenorientiert neue, lukrative Ideen für aktuelle und natürlich auch zukünftige Märkte zu entwickeln. Es ist ein bisschen so, als stünden wir mit einem hochmotorisierten Auto im kilometerlangen Stadt-Stau. Würde uns einfallen, dieses Problem mit einem höher motorisierten Gefährt zu lösen?

Ich würde mir zumindest wünschen, dass die Verlage sich auf ihren verlegerischen Auftrag und ihre Kernkompetenzen besinnen. Was sie davon nutzen können, um auch in Zukunft das zu tun, was sie in der Vergangenheit getan haben: Menschen in einen Dialog darüber zu bringen, was wichtig ist im Leben. Das Vehikel dazu war bislang das Buch und das wird es auch zumindest noch eine Weile bleiben. Jetzt kommt es darauf an, dem Buch noch ein paar Produkte und Dienstleistungen hinzuzufügen, um den Auftrag zu erfüllen. Was das sein kann? Das kann so unterschiedlich sein wie die Bücher selbst. Sicherlich aber macht es Sinn, seine Kunden zu befragen und Dinge auszuprobieren. Um dann – Schritt für Schritt – die gefundenen Lösungen zu verbessern.

Und das alte Stammgeschäft?

Wer sich organisatorisch erneuern möchte, wird nie darum herumkommen, einstweilen noch die bestehenden Abläufe und Prozesse aufrechtzuerhalten. Schließlich lebt die Unternehmung noch davon. So ist das auch bei Verlagen. Im Moment. Denn die Zeichen stehen an der Wand, dass sich da gerade viel ändert. Also sind auch die Verlagsabläufe behutsam anzupassen und in eine neue, angestrebte Richtung zu verändern.

Oder man begibt sich gleich in völlig andere Geschäftsfelder, die vom bestehenden Buchgeschäft abgekoppelt sind. Doch wo man sich auch immer als Verlag engagieren mag: Immer wird wichtig sein, sich entsprechende Strukturen zu geben, sich also auch organisatorisch so zu ändern, dass man diese Dinge auch machen kann: Produkte so zu entwickeln, dass man sie gewinnbringend verkaufen kann.

Welche Rolle spielt Technisierung aus Ihrer Sicht bei der Innovation?

Technisierung ist beim Thema Innovation zweifellos einer der entscheidenden Faktoren, allen voran natürlich das mobile Internet und die Smartphone-Technologie. Aber längst nicht nur, schließlich gibt es im Druck und auch im 3D-Druck momentan revolutionäre Entwicklungen. Und natürlich steht bei all diesen technischen Entwicklungen die Frage im Vordergrund, was davon wie hilft, neue Produkte oder Services zu produzieren, Bestehendes zu verbessern und beides erfolgreich zu vermarkten. Abseits von dieser produktbezogenen Sicht aber finde ich die Fragen nach den organisatorischen, kulturellen Auswirkungen der Technisierung viel spannender. Und ehrlich gesagt auch – erst einmal – wichtiger.

Das heißt konkret?

Wir müssen die Frage nach der Wertschöpfung viel wichtiger nehmen als bisher. Ich behaupte sogar: Wir müssen alle lernen, sie uns überhaupt zu stellen.

Und dann natürlich auch, sie gut zu beantworten: Was ist wichtig? Für den Kunden und für uns? Was wollen denn die Verlagskunden eigentlich wirklich? Was ist ihnen wirklich wichtig? Was wollen sie ganz generell? Und was wollen sie von uns als Lieferant? Was davon wollen sie jetzt, was in Zukunft? Vieviel sind sie dafür bereit zu zahlen? Können wir das liefern? Wollen wir das? Und falls ja: Wie?

Ich wundere mich darüber, dass dieser Aspekt nicht stärker diskutiert wird. Denn ich verorte hier die stärksten Schmerzen und Schwierigkeiten der Unternehmen, auch der Verlage. Technisches Know-How ist verhältnismäßig leicht aufgebaut oder eingekauft. Die Frage der Wertschöpfung ist dagegen im dynamischen, unsicheren Markt viel komplexer und schwieriger zu beantworten. Diese Antworten aber brauchen wir, um zu entscheiden, was wir tun.

Weil wir uns diese Fragen selten bis nie so gestellt haben, können wir das noch nicht gut. Denn bisher lief es eben genau anders herum: Verlage sagten dem Markt, den Lesern, was er in welcher Form und zu welchem Preis konsumieren konnte. Wie die meisten anderen Branchen auch, organisierten sich Verlage dazu sehr hierarchisch und verlegerzentriert („Unser Verleger, unser Genie.“). Wir vertrauen auch heute noch organisatorisch darauf, dass der Verleger rechtzeitig die richtigen Entscheidungen trifft.

Heute aber sagt uns der Markt, was er will. Warum? Weil er es die letzten Jahre gelernt hat. Und weil er es heute auch kann. Unterstützt durch die Technik, die Transparenz und Vernetzung im Internet, durch die Digitalisierung. Dadurch können Kunden freier, unabhängiger Entscheidungen treffen. Kunden finden in Eigeninitiative die für sie passenden Communities, Subkulturen, Plattformen, Lösungen und Anbieter. (WattPad scheint mir deshalb für die Verlagswelt ein besonders interessantes, zukunftsweisendes Beispiel zu sein.)

Wenn es für mich etwas gibt, was aus den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren zu lernen ist, dann das: Es machen jene Firmen das Rennen, die ihre Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen und ihre Arbeitsweisen so gestalten – eben so organisieren -, dass sie Marktveränderungen und -bedürfnisse schnell antipizieren, also schnell erkennen, was ihre Zielgruppen wollen oder brauchen könnten, und das dann auch schnell und wenn nötig ohne Rücksicht auf bisher bestehende Spielregeln mit kalkuliertem Risiko umsetzen.

Natürlich spielt auch die Frage der Finanzierung eine gewisse Rolle.

Für mich aber steht fest: Im Grunde ist die Organisationsform das Erfolgsgeheimnis von Firmen wie Amazon, Google usw., die ja fast unbemerkt zu sehr wichtigen Playern und sogar zu systemkritischen Anbietern in so vielen Bereichen wurden und werden. Und über eine erneuerte Organisationsform können auch Verlage weiterhin erfolgreich wirtschaften. Wenn sie sich trauen.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen und der Prognosen für die Buchbranche ist sicher nicht vermessen zu sagen: Je früher und schneller Verlage einen solchen kulturellen Wandel anstoßen, desto besser wird es für sie sein.

Organisationsberater Edgar Rodehack. Bild: Jan Ingenhaag

Organisationsberater Edgar Rodehack. Bild: Jan Ingenhaag.

Über Edgar Rodehack

Edgar Rodehack ist Organisationsberater, Teamentwickler, Coach und Projektleiter. Ausbildung im Einzelhandel, danach geisteswissenschaftliches Studium und gleichzeitiger Einstieg in die Verlagsbranche als Redakteur. Studienabschluss und Auslandsaufenthalt in Dublin/Irland mit internationaler Vertriebs- und Projekt-Erfahrung in der IT-Branche. Rückkehr nach Deutschland und Wiedereinstieg in die Verlagsbranche. Dort in zwölf Jahren mehrere vertriebs-, service- und IT-nahe Positionen: Projektleiter, Key Account Manager, Abteilungsleiter. Seit 2013 branchenübergreifend freiberuflich aktiv.

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