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Philipp Weiss über »Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen«

Philipp Weiss, geboren 1982 in Wien, studierte Germanistik und Philosophie. Er schreibt Prosa und Theaterstücke. 2009 nahm er mit seinem Text „Blätterliebe“ am Ingeborg-Bachmann-Preis teil. 2011 gewann er mit „Allerwelt“ das Hans-Gratzer-Stipendium; das Stück wurde am Schauspielhaus Wien uraufgeführt, wo er 2013/14 Hausautor war. „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ ist Weiss’ Romandebüt. (Foto: Suhrkamp)

In den aktuellen Herbstprogrammen finden sich zahlreiche Romandebüts deutschsprachiger Autoren. buchreport stellt zwölf dieser Nachwuchsschriftsteller in Steckbriefen vor. Heute: Philipp Weiss, der im September bei Suhrkamp seinen Erstling „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ vorlegt.

 

Mein Roman in drei Sätzen

Der Roman hat über 1000 Seiten und fünf Bände, die man einzeln oder zusammen oder kreuz und quer lesen kann: eine Erzählung, philosophische Notizhefte (inklusive einer Geschichte des Universums und der Erde), eine Mischform aus Enzyklopädie und Tagebuch aus dem 19. Jahrhundert, Monologe eines japanischen Kindes und eine Graphic Novel. Es geht um das Hereinbrechen des Unvorhersehbaren, das Verhältnis des Menschen zu Natur und Technik, das Anthropozän, die Pariser Kommune, die Wiener Weltausstellung, das Japan der Meiji-Ära und die dreifache japanische Katastrophe 2011: das Beben, den Tsunami und den Atomunfall. Es geht auch um Verlust und Aufbruch und um die Zukunft des Menschen, oder kurz: um die Komplexität der modernen Welt.

Mein Weg zu Suhrkamp

Es war 2013, ich war auf der Suche nach einem neuen Theaterverlag und kam mit Suhrkamp ins Gespräch. Die Leitung der Theaterabteilung hielt mich aber für einen verkappten Romanautor und verwies mich an die Kolleginnen der Belletristik. Ein paar Jahre und einige hundert Romanseiten später kramte ich dann die E-Mail-Adresse wieder hervor. Der Roman war damals noch nicht einmal zur Hälfte fertig, ein wüstes Fragment. Und doch: Meine spätere Lektorin war fasziniert und wollte das unbedingt machen. Die Pointe: Jetzt, wiederum Jahre später, bin ich auch mit meinen Theatertexten bei Suhrkamp. Der Kreis schließt sich.

Das Verdienst meiner Lektorin

Ohne sie gäbe es den Roman nicht. Sie ist nicht nur Lektorin im besten Sinne, also leidenschaftliche und kritische Leserin, sondern auch der visionäre Dreh- und Angelpunkt aller Menschen und Prozesse, die mit der Entstehung des Buches zusammenhängen. Ihre Begeisterung für die Literatur und ihr Engagement für den Roman haben mich nicht nur durch die oft mühsamen Jahre der Schreibarbeit getragen, sondern vor allem ermöglicht, dass aus meinem Text ein wunderbar gestaltetes Buch wird.

Mein Eindruck vom Literaturbetrieb

Als ich 2009 beim Bachmannpreis las, fand ich es so entsetzlich, dass ich keine Prosa mehr schreiben wollte. Es ging dort nicht um Literatur, sondern um Selbstdarstellung, Einflussnahme und Marketing. Ich begann also stattdessen, fürs Theater zu schreiben. In der Theaterwelt erging es mir natürlich ebenso, also rettete ich mich wieder zur Prosa. Bei Suhrkamp bin ich nun auf einer Insel der Seligen. Ich muss nicht mehr flüchten.

Meine Lieblingsbuchhandlung

Bei mir ums Eck, auf der Margaretenstraße in Wien, gibt es einen wunderbaren Buchladen: Anna Jeller. Die dunklen Holzregale bis zur Decke, der Fliesenboden, der alte Ofen. Es riecht nach Weltliteratur und nach den Zigaretten, die Frau Jeller vor der Tür raucht.

Meine Lieblingsautoren

Herta Müller, Beckett, Borges, Proust, Kafka.

So lese ich

Rastlos. Meistens dutzende Bücher parallel und kaum je eines zu Ende.

Schreiben ist für mich

Metamorphose: Jede Figur und jeder Stoff ermöglicht mir, mein Ich zu überschreiten und abzustreifen, eine verborgene Möglichkeit zu verwirklichen oder völlig neue geistige Landschaften zu erkunden, indem ich mich verwandle. Im „Weltenrand“: etwa in eine junge Frau in Paris 1871; in eine zynische Klimaforscherin; in einen japanischen Jungen. Und noch wichtiger: Schreiben erfahre ich als die Voraussetzung des Denkens. Im rastlosen Alltag zerfällt das Denken, es findet keinen Halt und keine Form. Der Roman aber schafft einen Rahmen. Das sonst Undenkbare wird denkbar. Die Sprache bekommt Fassungskraft und tritt in einen Dialog mit der Welt.

Wenn ich nicht gerade schreibe

Dann bin ich auf Reisen.

Warum haben Sie dieses Debüt ins Programm genommen?

Beeindruckend ist, wie – im besten Sinn – kühn und verschwenderisch der Roman ist. Nicht nur allein aufgrund der schieren Textmenge, sondern auch der Wahl seiner Mittel: Jeder Band hat eine ganz eigene Form und Sprache, ist mit den anderen Bänden aber durch Figuren, Orte und Motive verknüpft – und doch wirkt das alles überhaupt nicht angestrengt, der Text öffnet sich vielmehr ganz natürlich nach allen Seiten, und im Zusammenspiel seiner Elemente entsteht zugleich etwas, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Von diesem ästhetischen, schöpferischen und besonders auch intellektuellen Reichtum waren wir einfach von der ersten Sekunde an begeistert.

Welche Rolle spielen Debütanten für Ihr Programm?

Das Suhrkamp Hauptprogramm hält in jedem Halbjahr einen Programmplatz für ein Debüt bereit – das ist integraler Bestandteil unserer Programmarbeit. Nur so lässt sich diese langfristig und nachhaltig gestalten. Für uns zählt immer, bei jeder Publikation, das Versprechen aufs Ganze und somit die Zukunft. Das Debüt ist stets auch eine Perspektive und die Hoffnung auf das Kommende.

Doris Plöschberger, Lektorin bei Suhrkamp

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