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Liegt das nächste Silicon Valley in China?

Knut Nicholas Krause. Foto: knk Verlagssoftware.

Knut Nicholas Krause. Foto: knk Verlagssoftware.

US-Digitalriesen wie Google und Amazon lehren Medienbetriebe das Fürchten. Apple ist als erstes Unternehmen in der jüngeren Wirtschaftgeschichte mehr als eine Billion Dollar wertvoll. Aber wer auf der Suche nach Disruptoren nicht weiter als an die amerikanische Westküste schaut, ist kurzsichtig, meint knk-Gründer Knut Nicholas Krause

Im IT-Channel von buchreport.de berichtet er im Interview von seiner Studienreise im Juni 2018 nach China. Dort ist alles XXL – auch die Ambitionen auf Weltführerschaft in digitalen Innovationen. 

Und nicht nur die Ambitionen sind groß – unter dem Schutz eines Systems, dem westliche Konzepte von politischer Repräsentation und freiem Wettbewerb fremd sind, wächst dort eine gigantische IT-Industrie heran.

Der Westen und speziell Deutschland wird radikal umdenken und -lernen müssen, um die Herausforderungen zu meistern, die daraus resultieren.

 

Herr Krause, im Bereich Industrieproduktion ist China quantitativ an der Weltspitze und qualitativ eindeutig den High-Tech-Nationen zuzurechnen. Wie sieht das im IT-Sektor aus?

Im IT-Sektor ist es genauso. Die weltbesten Hacker kommen derzeit vermutlich aus China, Russland und den USA – in dieser Reihenfolge. China hat seinen Markt zunächst nach außen abgeschottet, dann zehn ausgewählte Industrien auf Weltmarkt-Niveau entwickelt…

Wie hat China das angestellt?

Durch Zukauf, Kopieren, Spionieren, aber auch durch einfachere und zulässige Methoden wie Studentenaustausch. Nun arbeiten sie daran, die Schulausbildung so zu ändern, dass nicht nur auswendig gebüffelt wird, sondern dass zukünftige Generationen an Problemlösungen so kreativ und innovativ herangehen, wie es die westlichen Länder bisher auszeichnete. Heute ist es so, dass chinesische Ingenieure, Architekten etc. pp. besser sind im Reproduzieren und in der Realisierung als im Bereich „echter“ Innovationen – unter anderem stampfen chinesische Firmen einen Großflughafen in der Dimension von Heathrow mal eben in vier Jahren fertig aus dem Boden.

Die Generation der heute Zwanzigjährigen in China wird von den Eltern und Großeltern regelmäßig daran erinnert, dass noch die Eltern in den 70er und 80er Jahren gehungert haben.

Aber bei der Masse an Menschen, über die das Land nun mal verfügt, gibt es auch in der heutigen Generation genügend wirklich kreative Menschen, die schon jetzt tolle Ideen haben und diese mit Hilfe der übrigen auch vortrefflich – und besser als wir – umsetzen.

Im B2C-Bereich kämpfen selbst die großen US-Plattformen um den Marktzugang zu China – wie sieht es B2B mit den Kooperationsmöglichkeiten aus?

Ich glaube nicht, dass in den nächsten 30 bis 50 Jahren Kooperationen auf Augenhöhe möglich sind. Es ist in China öffentliche Meinung, sich als das kulturell überlegene Volk zu sehen, das zu lange gegängelt und von „der Welt“ benachteiligt und niedergemacht wurde. China will es jetzt „der Welt“ zeigen und den Spieß umdrehen. Als Ausländer in China ist man geduldet, nicht willkommen.

Die Generation der heute Zwanzigjährigen in China wird von den Eltern und Großeltern regelmäßig daran erinnert, dass noch die Eltern in den 70er und 80er Jahren gehungert haben und sich Gras in den Reis gemischt haben, um etwas im Bauch zu haben. Die Kinder haben diese Geschichten im Kopf und einen unbändigen Überlebenswillen. Noch wird alles als Kampf ums Überleben betrachtet, und so muss man sich nicht wundern, wenn – gelinde gesagt – mit „spitzem Ellenbogen“ gearbeitet wird, um nicht zu sagen: In Wirklichkeit gilt die Methode „Wild West“.

Um auf die Frage zu antworten: Die großen US-Plattformen sind zu spät nach China gegangen. Uber hat es zwei Jahre vorher angekündigt, dass sie den Sprung nach China planen – das hat dazu geführt, dass sich die kleineren chinesischen Me-toos in diesem Bereich zusammengetan haben und Uber einen heftigen Kampf geliefert haben, als Uber dann kam. Uber hat diesen Kampf verloren – in China nutzt man „Didi“.

Das gleiche gilt für Amazon…

… die den Wettbewerber Alibaba jahrelang völlig in Ruhe gelassen haben.

Es wäre aber so oder so schwierig gewesen, weil man in China ab einer gewissen Größenordnung tief mit der Politik vernetzt sein muss, um weitermachen zu können. Und da werden ausländischen Konzernen sowieso alle erdenklichen Steine in den Weg gelegt – fairer und freier Wettbewerb ist gar nicht beabsichtigt. Daher ist es sehr schwer, in China wirklich erfolgreich zu sein. Selbst wenn man Geld verdient, verliert man intellektuelles Eigentum – ob das unter dem Strich dann positiv ist, muss man sich überlegen. In China wird unter der Hand erzählt: „Mit den Europäern Geschäfte zu machen, ist wie Kindern Bonbons zu klauen“ – es ist also viel zu einfach, uns über den Tisch zu ziehen. Vor den Amerikanern hat man da etwas mehr Respekt.

IT-Grundlagen und Technologien der Zukunft

Mehr zum Thema IT und Digitalisierung lesen Sie im IT-Channel von buchreport und den Channel-Partnern knk und Rhenus. Hier mehr…

Sind Plattformen wie die von Microsoft in China vertreten?

Ja, natürlich. Alle wichtigen Microsoft-Technologien sind in China verfügbar: Microsoft Azure als Cloud- und KI-Betriebssystem, Microsoft Windows als Server-Betriebssystem, Microsoft SQL-Server als weltmarktführendes Datenbank-System, Microsoft Office, Microsoft Power BI etc.pp. Noch betreibt Microsoft aber keine eigenen Rechenzentren in China – das ist nämlich reichlich heikel: Chinesen erzählen einem ganz stolz, dass sie die Datenschutzgrundverordnung praktisch 1:1 in China eingeführt haben – sie waren damit fast schneller als die EU selbst – aber die „kleine“ Änderung ist nicht nur philosophischer Natur: „Dem Staat kann man immer vertrauen“ – das heißt: die chinesische DSVGO richtet sich nur „gegen“ Unternehmen und Privatpersonen.

Ist China als Entwicklungsstandort für westliche Mittelständler interessant?

Das hängt ganz sicher vom Einzelfall ab. Ich selbst wäre da sehr, sehr vorsichtig – denn das, was man da entwickeln lässt, hat man am nächsten Tag unter anderer Marke als Wettbewerb im Markt, mindestens in China, mittelfristig aber auch weltweit. Kulturell betrachtet ist das Kopieren von Ideen ja eine Form der Ehrerbietung: „Sieh her, Deine Ideen finden wir so toll – wir haben sie deshalb übernommen und erweisen Deiner Idee damit große Ehre!“

Rechtlich ist zwar das Urheberrecht gemäß den internationalen Standards eingeführt – und wird, sofern es kleine und unwichtige chinesische Unternehmen betrifft, auch exemplarisch angewendet – aber Wirkung zeigt das bisher nur bei den Luxus-Artikel-Marken. Aus einem einfachen Grund: chinesische Millionäre wollen nicht mit gefälschten Gucci-Taschen und Rolex-Uhren herumlaufen. Daher wird in diesen Bereichen gegen inländische Fälscher vorgegangen.

In China wird unter der Hand erzählt: „Mit den Europäern Geschäfte zu machen, ist wie Kindern Bonbons zu klauen“.

Wenn man also als Mittelständler den chinesischen Markt als Entwicklungs- oder Produktionsstandort erwägt, wäre zu überlegen: Sind die Produkte und Leistungen massenmarkttauglich? Ist die Erfindungshöhe ohnehin gering? Oder ist der Markt so klein und so speziell, dass es wirklich niemanden interessiert? Das ist zwar unwahrscheinlich, denn in China ist eigentlich kein Markt „klein“. Und wenn es ein relevanter Markt ist, verstößt es gegen das nationale Selbstverständnis, hier einem Ausländer die Marktführung zu überlassen.

Wann rechnen Sie mit einem Durchbruch?

Wir werden einige Generationen abwarten müssen. Wenn der unbändige Überlebenswille und Kampfgeist „gegen den Rest der Welt“ durch saturierte Märkte, Konsum- und Wohlstandsgesellschaft ersetzt ist, wenn die extremen Wohlstanddifferenzen innerhalb Chinas etwas reduziert sind und sich das durchschnittliche Wohlstandsniveau westlichem angenähert oder dieses erreicht hat und wenn sich der Staat China daran gewöhnt hat, dass seine Unternehmen dauerhaft nur dann freien Handel mit anderen Nationen treiben können, wenn diese auch in China freien und fairen Handel betreiben dürfen, wird man mit chinesischen Partnern so umgehen können, wie heute britische Unternehmen mit amerikanischen, deutschen und französischen.

Foto: Unsplash/Ralf Leineweber.

Foto: Unsplash/Ralf Leineweber.

Ob man bis dahin gar kein Geschäft in China machen will oder aber bereit ist, dies zu den chinesischen Spielregeln zu machen, muss man sich als Unternehmer überlegen.

Welche chinesischen IT-Innovationen beeindrucken Sie am meisten?

Der Umfang, den die Konzerne Alibaba und WeChat am täglichen Leben der „elektronifizierten“ Bevölkerung haben, ist beeindruckend und beängstigend zugleich. Wenn wir Sorgen wegen Google, Facebook und Amazon haben, so sind diese Unternehmen gar kein Vergleich zu dem, was diese beiden chinesischen Riesen schon geschafft haben, wenn es darum geht, „die Bevölkerung in die Matrix zu ziehen“.

Auf welche Anwendungen fokussieren chinesische Entwickler momentan besonders?

Sie zielen auf den B2C-Markt und innerhalb dessen auf die echten Massenmärkte. Dort ist schnelles und riesiges Wachstum möglich. Die Nischenmärkte sind später dran. Bevor es dann mit B2B richtig losgeht, sind erstmal die großen Special-Interest-Segmente an der Reihe.

Wo steht, wenn es um Zukunftstechniken in der IT geht, China im Vergleich zu Deutschland?

Für uns fällt dieser Vergleich düster aus. Deutsche Unternehmen spielen bei „Zukunftstechniken in der IT“ abgesehen von B2B keine Rolle. Chinesische IT-Unternehmen können dagegen gut mit Silicon-Valley-Unternehmen mithalten oder diese auch übertrumpfen. Unsere Marktchance ist – wie überall – unsere gute duale Berufsausbildung. Wir können – SAP macht es vor – schon heute bei betrieblich-organisatorischer Software in der ersten Liga mitspielen und auch Weltmeister sein und bleiben. Diese Chance sollten wir nicht vertun.

Haben Sie Empfehlungen, wie dieser Rückstand aufgeholt werden könnte?

Ja, wir – das heißt die Bundesrepublik, die Länder, die Behörden, die Unternehmen – müssen in die IT-Grundlagen-Ausbildung der breiten Bevölkerung investieren. Und zwar nicht in „wie bediene ich eine Textverarbeitung“ oder „wie surfe ich im Internet“ – das ist Konsum, damit machen wir unsere Bevölkerung nur zu kompetenten Nutzern und Absatzmärkten für die IT-Produzenten.

Wir müssen selbst IT-Produzenten werden und daher müssen wir insbesondere dafür sorgen, dass jeder Schüler programmieren lernt. Man muss davon nur so viel lernen, dass man versteht, wie es geht – das Grundprinzip. Das könnten wir jedem in einem Drei-Tages-Seminar vermitteln – und meine These ist: Rund 40% unserer Bevölkerung könnten gute Programmierer sein oder werden – die deutsche Sprache unterstützt komplexe Denkaufgaben.

Wenn die Angst vor dem Coden – das heißt dem Kern dessen, was ich mit „IT-Produktion“ meine – genommen ist, könnten wir mit dem Wissen, der Infrastruktur und der Kreativität, die wir haben, einerseits unsere bestehenden Marktpositionen verteidigen, die jetzt alle durch Digitalisierung angegriffen werden – und wir haben, im Schnitt der Bevölkerung und Unternehmen, davon ja leider keine Ahnung – und auch viele neue Märkte erobern. Denn den anderen westlichen Industrienationen geht es ähnlich und denen wird jetzt auch die Butter vom Brot genommen.

 

Knut Nicholas Krause, geboren 1968, bezeichnet sich als „eine Art Digital Native“. Im Alter von sieben Jahren lernte er in einem Verlag noch Bleisatz und Setzkasten kennen. Aber schon als Gymnasiast arbeitete er freiberuflich als IT-Berater und Programmierer und meldete 1986 sein erstes Gewerbe an. Studium von BWL, VWL und Ingenieurwissenschaften, Erfahrungen mit Internet-Technologien ab 1993, 1995 jüngstes Mitglied des Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU). Krauses Kieler Unternehmen knk Business Software AG, dessen Vorstandsvorsitzender er ist, bietet seit 2005 nach eigenen Angaben die einzige von Microsoft zertifizierte Verlagssoftware weltweit.

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