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»Lassen wir die IT-Systeme direkt miteinander sprechen«

Aufwendige Abstimmungsprozesse kosten die Branche Zeit und Geld. Die IPE erarbeitet deshalb standardisierte Abläufe und Schnittstellen.

In einer gemeinsamen Erklärung verpflichten sich die Mitglieder zu einer „radikalen globalen Interoperabilität und Prozessdigitalisierung“. Beteiligt sind neben den großen Druckereien insbesondere Verlage und Digitaldienstleister. (Foto: Michaela Philipzen)

Wie kann es sein, dass die Buchbranche über hochmoderne Drucktechnologie verfügt, kurzfristige Druckaufträge sich aber immer wieder verzögern, weil so viele Details persönlich abgestimmt werden müssen? Warum können Online-Kunden ihre bestellten Pakete auf dem Weg vom Versender verfolgen, während sich ein Buchhändler dafür bei der Verlagsauslieferung von Abteilung zu Abteilung durchtelefonieren muss? Und wieso gibt es bei einheitlich vereinbarten Standards so viele Verständigungsschwierigkeiten?

Themen wie Automatisierung, Digitalisierung und Effizienz werden auch in der Buchbranche viel diskutiert und doch hakt es immer wieder an Fragen wie diesen. Lösungen sucht die Brancheninitiative Integrating the Publishing Environment (IPE), die Ullstein-Produktionsleiterin Michaela Philipzen und Berater Alexander Markowetz gemeinsam ins Leben gerufen haben.

Das Ziel von IPE: Über international einheitliche Standards und offene Schnittstellen die Kommunikationsprozesse innerhalb der Branche beschleunigen und Fehlerquellen minimieren. Zurzeit arbeiten die Beteiligten in zwei Arbeitsgruppen an Lösungen, die den Datenaustausch zwischen Verlagen und Druckereien vereinheitlichen und Logistikprozesse transparenter gestalten sollen.

Wie das gelingen soll, erläutern im Interview die Initiatoren Markowetz und Philipzen gemeinsam mit den Hauptverantwort­lichen der Arbeitgruppe Print/Publishing: Jens Nebe, Geschäftsleiter Vertrieb der Druckerei GGP sowie Malin Eriksson, Geschäftsführerin des Stockholmer Beratungsunternehmens Printpool.

 

Wie steht es um die Digitalisierung der Buchbranche?

Alexander Markowetz: Bisher wird die Digitalisierung in der Regel nur unternehmensintern vorangetrieben – mit der Folge, dass sie nur mühsam und schleppend vorangeht. Abstimmungsprozesse sind extrem zeit- und kostenintensiv. Wir brauchen deshalb einen radikalen Paradigmenwechsel hin zur Interoperabilität. Wenn wir automatische Geschäftsprozesse und offene Schnittstellen zwischen den Unternehmen schaffen, können wir die Kommunikationsprozesse und den Datenaustausch wesentlich beschleunigen und Fehlerquellen minimieren.

Sind die bestehenden Standards nicht gut genug?

Michaela Philipzen: Die Voraussetzung für Interoperabilität sind bereits bestehende Standards, sie dienen als Basis. Unser Ziel ist es nicht, weitere Basisstandards wie Onix, JDF oder EDI zu entwickeln. Aber viele Standards haben sich, wie wir wissen, leider nicht lückenlos durchgesetzt, weil sie nicht von allen Systemen unterstützt werden.

Jens Nebe: Die Abwicklung eines Druckauftrags zwischen Verlag und Druckerei etwa ist nach wie vor eine Herausforderung …

Inwiefern?

Markowetz: Man kann einen Druckauftrag z.B. mit JDF spezifizieren. Aber wie übermittelt ein Verlag einen Auftrag an eine Druckerei? Per E-Mail? Durch Hochladen in ein FTP-Verzeichnis? Wenn der Druckauftrag einmal übermittelt ist, hakt es an anderer Stelle: Wie kann man den Zustand abfragen, ihn ändern oder stornieren? All diese Prozesse geschehen derzeit per E-Mail oder Telefon, also teuer und manuell. Interoperabilität ermöglicht eine direkte digitale Kommunikation zwischen IT-Systemen.

Wie könnte eine mögliche Lösung aussehen?

Markowetz: Um Interoperabilität herzustellen, muss man Geschäftsvorfälle standar­disieren – etwa in unserem Beispiel das Übermitteln einer Druckdatei. Der Absender bekommt eine Tracking-Nummer, die er dann für Änderungen und Stornierungen nutzen kann. All dieses geschieht voll digital und in strukturierten Daten. Bestehende Standards wie etwa JDF oder Onix können dabei weiterhin verwendet werden. Aber es gibt auch Bereiche, wo es noch gar keine Standards gibt – etwa in der Logistik.

Solche Schnittstellen gibt es doch bereits …

Malin Eriksson: Größere Unternehmen haben zwar eigene IT-Schnittstellen ent­wickelt, aber diese decken in der Regel nur eine bestimmte Beziehung ab. Sie nutzen also nicht wirklich das volle Potenzial …

Jens Nebe: Die individuelle Anpassung von Schnittstellen blockiert Ressourcen, die besser genutzt werden könnten, um das Potenzial der technologischen Weiterentwicklung in unserer Branche auszuschöpfen. Die Standardisierung von Schnittstellen wird immer wichtiger.

Wie werden die Schnittstellen erarbeitet?

Philipzen: Wir stützen uns auf Erfahrungen aus dem Gesundheits- und Energiesektor, in denen sich ähnliche Initiativen wie unsere gebildet haben. Ihre Methoden dienen uns als Blaupause. Wenn beispielsweise der Arzt dem Patienten ein Rezept ausstellt, dann ist dieser Vorgang zwischen allen Ärzten und Patienten immer gleich – unabhängig von den beteiligten Praxis-Software oder auch dem Inhalt des Rezepts. Dieser Geschäftsvorfall wird transparent und eindeutig beschrieben, sodass er für alle anwendbar ist. Bestehende Basisstandards werden so weit wie möglich integriert.

Aus technischer Sicht definieren wir dann ein sogenanntes „Profil“ – eine Art Leitfaden, der ein Bedürfnis oder Problem eines Benutzers beschreibt. Dieses Profil wird für die Branche offengelegt und zur Nutzung freigegeben.

Wie lassen sich Standards durchsetzen?

Philipzen: Wichtig ist vor allem der Weg zu diesem Ergebnis: Alle Stakeholder sitzen mit am Tisch und sorgen dafür, dass es keine Schnittstellenbeschreibung wird, von denen etwa nur die Marktführer profitieren.

Markowetz: Vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen haben also ein Interesse an der Entwicklung offener Standards und sie sind es auch, die den Wandel in diese Richtung vorantreiben sollten. Wenn nationale und internationale Wettbewerber, Dienstleister und Kunden auf Augenhöhe kommunizieren, können Schmerzpunkte definiert werden, die durch die Schaffung von standardisierten Schnittstellen gelöst werden können.

Wie ist die Resonanz auf IPE?

Markowetz: Wir sind überwältigt von Zuspruch und Beteiligung. Im Gesundheitswesen hat man Jahre gebraucht, um zu dem Punkt zu kommen, den wir in nur neun Monaten erreicht haben. Gleichzeitig ist uns bewusst, was das für ein unglaublich dickes Brett ist. Allein die Anzahl der möglichen Profile ist atemberaubend.

Das Thema wird uns alle sicher bis in den Ruhestand begleiten.

Gibt es bereits erste Ergebnisse?

Nebe: Wir haben bei unserem ersten Treffen eine sehr grobe Darstellung eines Anwendungsfalles diskutiert, um zu verstehen, ob sich die Schnittstelle zwischen Verlagen und Druckern wirklich lohnt. Unser nächster Meilenstein ist jetzt die detaillierte Ausarbeitung dieses Profils.

Philipzen: Es gilt zu zeigen, dass wir tatsächlich praktikable Profile produzieren. Erfahrungsgemäß dauert die Erarbeitung eines Profils ein Jahr.

Wie läuft die Akquise weiterer Teilnehmer?

Markowetz: Gut. Zurzeit versuchen alle Beteiligten IPE über ihre internationalen Kontakte global voranzutreiben. Die Möglichkeiten hierzu existieren vor allem über internationale Schwesterfirmen, Geschäftskontakte und Verbände. Aus genau diesem Grund haben wir den Kick-off übrigens nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden, beim Wissenschaftsverlag Brill in Leiden, abgehalten. In dem Moment, in dem IPE anfängt, nach Sauerkraut zu riechen, ist es tot.

Eriksson: Wir müssen sicherstellen, dass wir eine große Vielfalt und einen breiten Hintergrund an Bord haben. Maximale Transparenz ist entscheidend, um den Eindruck zu vermeiden, dass wir von Einzelinteressen geleitet zu werden. Am Ende kann IPE nur dann erfolgreich sein, wenn wir eine große Zahl von Akteuren überzeugen, sich uns anzuschließen, die von IPE vorgeschlagenen Standards anzunehmen und umzusetzen.

Welche Termine stehen jetzt noch an?

Markowetz: Ein Highlight 2018 wird sicherlich der Connectathon in Den Haag, wo sich sich ca. 600 Programmierer aus dem Gesundheitswesen treffen. Die niederländische Regierung hat dafür ein Rahmenprogramm erarbeitet, in dem sich auch unsere IPE-Arbeitsgruppen treffen. Wir können an unseren Profilen arbeiten und parallel von den Initiativen anderer Branchen lernen. Dieser Erfahrungsaustausch ist extrem wichtig und bietet uns auch die Möglichkeit, gemeinsame Profile zu entwickeln, z.B. im Bereich Logistik.

Philipzen: Darüber hinaus sind wir auf vielen Branchenevents, Firmentagungen und Fachgremien vertreten, u.a. am 17. Mai auf dem Digital Publishing Summit Europe in Berlin. Die Resonanz auf unsere Initiative ist anhaltend überwältigend. Uns erreichen jede Woche neue Anfragen, was auch zeigt, wie hoch der Gesprächsbedarf ist.

 

Interview: Lucy Mindnich  mindnich@buchreport.de

Vereinte Wertschöpfung

Nach einem ersten Treffen im Anschluss an den Vortrag von Alexander Markowetz auf der Frankfurter Buchmesse 2017 trafen sich Branchenvertreter am 18. und 19. Januar 2018 im Wissenschaftsverlag Brill in Leiden (Niederlande), um die Entwicklung offener Standards und Schnittstellen für die Buch- und Medienbranche sowie benachbarte Industrien innerhalb der Initiative IPE voranzutreiben. Beteiligt sind:

  • Softwareentwickler Crispy Mountain
  • die Branchenlogistiker CB Centraal Boekhuis und KNV
  • die Druckereien GGP Media, Livonia Print, Media-Print und CPI Group
  • die auf Druckereien spezialisierte Beratungsfirma Printpool
  • Selfpublishing-Anbieter Lulu Press
  • IT-Dienstleister Open Publishing
  • die Digitaldienstleister Readbox und Bookwire
  • sowie die Verlage Brill, Ullstein und die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck.

Über den Tellerrand blicken

Die wesentlichen Grundannahmen der Initiative hat Berater Alexander Markowetz in seinem Artikel „Die Erfolgsfaktoren des digitalen Wandels“ (s. buchreport.magazin 10/2017 bzw. www.buchreport.de/markowetz) und in einem anschließenden Vortrag auf der Frankfurter Buchmesse erörtert. Als methodische Blaupause dienen ähnliche Initiativen aus dem Gesundheits- und Energiesektor. In Kürze zusammengefasst:

  • Verlage, Händler und Dienstleister müssen nicht nur über den Tellerrand des eigenen Unternehmens, sondern auch über die eigene Wertschöpfungskette und über nationale Grenzen hinausdenken.
  • Wenn das gelingt, wird der Nährboden für eine positive Veränderung geschaffen, von denen auch und vor allem kleine und mittelständische Unternehmen profitieren.
  • Gebraucht werden internationale, unternehmensübergreifende digitale Standards über alle Wertschöpfungsketten hinweg im Sinne eines gemeinschaftlichen Handelns.
  • Die Standards und Anforderungen aus der Praxis (sogenannte „Pro­file“) werden in offenen, transparent arbeitenden Arbeitsgruppen definiert und anschließend von Entwicklern umgesetzt.

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