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Birte Hackenjos: »In der Summe bietet die Digitalisierung viel mehr Chancen als Risiken«

Das Verlagsgebäude der Haufe Group in Freiburg. Foto: Haufe.

Das Verlagsgebäude der Haufe Group in Freiburg. Foto: Haufe.

Die Freiburger Haufe Group hat als erster Fachinformations-Verlag begonnen, ihr Portfolio konsequent zu digitalisieren und die traditionelle Trennung zwischen Medien und Software weg-zudenken. Die Übernahme des Businesssoftware-Herstellers Lexware 1993 war der erste Meilenstein. Heute erzielt die Gruppe mit fast 2000 Mitarbeitern weit über 300 Mio Euro Jahresumsatz. Im HR-Channel von buchreport.de erklärt Chief Operating Officer (COO) Birte Hackenjos Berater Dieter Lederer, wie Strategie und Spirit bei dieser Transformation zusammenwirkten.

HR Future Day 2018: New Work, Employer Branding, HR Tech

Birte Hackenjos referierte am 1. März 2018 auf dem HR Future Day in München. Organisiert wird die Personalentwicklungs-Konferenz von Bommersheim Consulting und der Akademie der Deutschen Medien.
Die Themen der Konferenz:

  • Wie führen Sie Ihr Unternehmen erfolgreich in die digitale Zukunft?
  • Die digitale Transformation vorantreiben. Veränderung mitgestalten.
  • Welche Rolle nimmt HR in diesem Prozess ein?

Hier mehr erfahren…

Die Herausforderung

Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung für einen Verlag, der bereits 1993 ein Software-Unternehmen übernommen hat? Klar ist, dass die damalige Entscheidung aus heutiger Sicht ein Glücksgriff für das Unternehmen war. Klar ist auch, dass die Herausforderungen der Digitalisierung dadurch nicht kleiner wurden. Die Haufe-Gruppe stand vor der Aufgabe, das Unternehmen so zu organisieren und strategisch aufzustellen, dass einerseits die Reise hin zu mehr digitalen Produkten im Portfolio geht, andererseits auch die traditionellen Produktbereiche mitgenommen werden, die immer noch einen großen Anteil am Umsatz ausmachen. Die Herausforderung war also:


Wie gelingt die Ausrichtung des gesamten Unternehmens auf eine gemeinsame, in die Zukunft gerichtete Strategie, die sowohl Bestands- als auch neue Produkte mit einschließt?


Dass die heutige Strategie sich technologisch anhört wie die eines IT-Start-ups und es letztlich gelungen ist, das ganze Unternehmen darauf einzuschwören, liegt mit daran, dass die Brücke zwischen traditionellen und modernen Produkten schon vor über 20 Jahren geschlagen werden musste. Dazu kommen eine generelle Offenheit für das Ergreifen neuer Chancen sowie die konsequente Orientierung der Organisation an gemeinsamen Zielen und Erfolgskriterien. Wie das gelungen ist, stellt Geschäftsführerin Birte Hackenjos im nachfolgenden Interview dar.

Das Unternehmen

Die Haufe Gruppe mit ihren Marken Haufe, Haufe Akademie und Lexware ist einer der deutschlandweit führenden Anbieter für digitale Arbeitsplatzlösungen und Dienstleistungen im Bereich Aus- und Weiterbildung. Aus den Kernbereichen eines erfolgreichen Verlagsgeschäfts hat sich die Haufe Gruppe zu einem Spezialisten für digitale und webbasierte Services entwickelt. Diese machen 95% des Gesamtumsatzes aus. Die Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Freiburg beschäftigt über 1650 Mitarbeiter im In- und Ausland. Sie verfolgt eine internationale Wachstumsstrategie, die durch das heutige Leistungs- und Produktportfolio getragen wird. Vorangetrieben wird der Wachstumskurs durch die erfolgreiche wechselseitige Nutzung der Kernkompetenzen und Stärken der einzelnen Unternehmen und Marken. Im zurückliegenden Geschäftsjahr erwirtschaftete die Haufe-Gruppe einen Umsatz von über 300 Mio Euro.

Die Macherin

Birte Hackenjos ist als Geschäftsführerin der Haufe Gruppe verantwortlich für das operative Geschäft. Sie führt die Bereiche Business Technology Services, also Software-Entwicklung und IT, Editorial Department & Content Engineering, Customer Management und die Projektportfoliosteuerung mit rund 600 Mitarbeitern an verschiedenen Standorten in Deutschland und Europa. Die Volljuristin Birte Hackenjos begann ihre Karriere 1997 beim Rudolf Haufe Verlag. Die Transformation der Unternehmensgruppe, zu der damals bereits das Software-Unternehmen Lexware gehörte, hat sie früh miterlebt und bald aktiv mitgeprägt. Insbesondere die erfolgreiche Digitalisierung des klassischen Verlagsgeschäfts und der strategische Umbau des Portfolios von Print zu Online sind Themen, die sie entscheidend mit vorangetrieben hat.

Die Erfolgfaktoren

Birte Hackenjos benennt zahlreiche Entscheidungen und Haltungsfaktoren, die die erfolgreiche digitale Transformation der Haufe Group begünstigt haben:

  • Lust und Begeisterung für Neues
  • Vorreiter bei digitalen Produkten
  • Ausprobieren ohne Angst
  • Mutiges Vorangehen
  • Zusammenführung und gemeinsame Ausrichtung
  • Kundenorientierung als Mindset
  • Viel Kommunikation, Setzen gemeinsamer Ziele
  • Intensiver Prozess der Strategiefindung
  • Frühe Kundeneinbindung
  • NPS (Empfehlungswahrscheinlichkeit) und gemeinsame Ziele
  • Kompetenz vor Hierarchie
  • Konsequentes Lernen aus Fehlern
  • Personelle Umstrukturierung
  • Wertschätzung der Historie, Radikalität im Denken
  • Fokussierung auf Kundennutzen, viel Kommunikation
  • Zukunftsszenarien, Mitarbeitereinbindung, Fortschrittsverfolgung

Birte Hackenjos ist als Geschäftsführerin der Haufe Gruppe verantwortlich für das operative Geschäft

Das Interview

Sie haben Anfang der 1990er-Jahre als klassischer Verlag die Software-Firma Lexware übernommen. Was war damals die Motivation dafür?

Der Rudolf Haufe Verlag war schon immer geprägt von viel Lust und Begeisterung für Neues, basierend auf dem Leitmotiv von Rudolf Haufe, den Arbeitsalltag der Kunden zu vereinfachen. Unsere damaligen Kernprodukte waren Loseblattwerke: Die Kunden haben einmal im Monat eine Printlieferung bekommen, die sie in ihre Ordner einsortieren konnten und mit denen sie auf dem neuesten Stand des juristischen Wissens rund ums Unternehmen waren. Es ging um Praxisinformationen zu Steuern, Recht, Gehaltsabrechnung und Ähnliches. Vor diesem Hintergrund hat Lexware ideal zu uns gepasst, einerseits aufgrund der inhaltlichen Überschneidung bei den Themen Recht, Wirtschaft und Steuern, andererseits als ideale Erweiterung unseres Produktportfolios im Sinne der Operationalisierung von Vorgängen der Buchhaltung, Reisekosten, Warenwirtschaft etc.

Mit diesem Schritt sind Sie schon früh in Kontakt mit dem Thema Digitalisierung gekommen…

Ja, das stimmt. Unsere Geschäftsführung war zweifellos sehr weitsichtig und vorausschauend unterwegs, hat schon damals überlegt, ob Loseblattwerke und sonstige Printmedien auch in Zukunft reichen würden oder ob das Portfolio nicht um digitale Produkte ergänzt werden müsste. Da kam ein Software-Haus, das auf unseren Fachgebieten unterwegs war, natürlich gerade recht. Dieser sehr frühe Riecher für das digitale Geschäft hat schließlich zu den ersten Software-Produkten unter dem Label des Rudolf Haufe Verlags geführt – beide Welten haben also schnell angefangen, sich gegenseitig zu befruchten.

Wie stelle ich mir Ihre ersten digitalen Verlagsprodukte vor?

Gestartet sind wir damit, dass wir zu unserem Loseblattwerk „Personalbüro“ zusätzlich einen Stapel von Disketten ausgeliefert haben, auf denen der gesamte Inhalt digital gespeichert war. Das war zwar ein gelungener Einstieg, doch die Produktform hat sich alleine schon aus praktischen Gründen nicht lange gehalten. 1996 sind wir dann auf CDs umgestiegen und haben das „Personal-Office“ für Personalfachleute und das „Steuer-Office“ für Steuerberater herausgebracht. Diese digitalen Produkte damals schon zu haben, war eine ziemliche Pionierleistung. Wir waren eine der ersten Firmen, die Fachinformationen in CD-Form auf den Markt gebracht haben. Es gab keine Vorbilder oder Blaupausen dafür – wir haben also unglaublich viel ausprobiert und natürlich auch Fehler gemacht.

Beide Welten haben schnell angefangen, sich gegenseitig zu befruchten.

Es herrschte eine echte Aufbruchsstimmung, und wir haben jedes Update gefeiert, das fertig wurde. Wir waren glücklich, wenn der Übernachtkurier vor der Tür stand und wir ihm die fertige CD in die Hand geben konnten, damit er diese ins Presswerk brachte.

Auf dieser Aufbruchsstimmung haben Sie aufgebaut?

In der Tat. Das wurde sehr konsequent fortgesetzt: Aus der einen CD wurden schnell mehrere und schließlich eine DVD, weil immer mehr Ergänzungen hinzukamen. Wir haben uns Gedanken gemacht, was unseren Kunden über den reinen Text hinausgehend nutzen könnte, beispielsweise kleine Berechnungsprogramme für Fragestellungen in der Personalabteilung. Die wurden dann bei Agenturen in Auftrag gegeben, natürlich ohne aufwendigen Styleguide und technisch eher einfach aus heutiger Sicht.

Ausprobieren, schauen, wie der Markt reagiert, und keine Angst davor haben, mit den digitalen Produkten das altangestammte Verlagsgeschäft zu kannibalisieren.

Rückblickend betrachtet spiegelt das den Geist des Hauses sehr gut wider: Ausprobieren, aus Sicht des Kunden Gutes tun, schauen, wie der Markt reagiert, und vor allem keine Angst davor zu haben, mit den digitalen Produkten das altangestammte Verlagsgeschäft zu kannibalisieren. Heute würde man das disruptiv nennen. Anfang der 2000er-Jahre entstanden dann die ersten Portale mit Online-Versionen unserer Office-Produkte. Die Frage dabei war, was digital alles möglich ist und unseren Kernzielgruppen nutzt.

Wie haben Sie das Nebeneinander von traditionellem Verlagsverständnis und der Kultur eines Software-Hauses hinbekommen?

Natürlich lagen die Kulturen von Haufe und Lexware weit auseinander. Wenn man es plakativ ausdrücken will, dann gab es die Anzug- und Krawattenträger vom Verlag und die Leute bei Lexware in Jeans und T-Shirt. Was jedoch beide Häuser und Geschäftsführungen auch damals schon geeint hat, war der Mut, Neues auszuprobieren, nicht auf Bürokratie zu bestehen, Begeisterung statt Angst bei den Mitarbeitern zu wecken. Und auch zuzulassen, dass etwas mal nicht so toll läuft, und daraus zu lernen.

Wo genau kam dieser Mut her?

Ich denke, es ist eine Kombination gewesen. Einerseits hatten die damals verantwortlichen Manager den Mut, voranzuschreiten, und wurden von der Eigentümerfamilie dabei unterstützt. Andererseits gab es zahlreiche Mitarbeiter, die mit einer großen Begeisterung und Fachkenntnis Dinge ausprobiert haben, teilweise bis zur Grenze der Selbstaufgabe. Dabei will ich nicht verhehlen, dass es sehr wohl auch Leute gab, die große Bedenken gegenüber der Software hatten und annahmen, dass diese das Geschäft kaputt machen würde. Doch das war die Minderheit.

2010 bis 2012 haben Sie dann umfirmiert und sich strategisch neu für die Zukunft positioniert…

Ja, 2010 wurde aus dem Rudolf Haufe Verlag, der Firma Lexware und diversen anderen Unternehmen, die wir in der Zwischenzeit dazugekauft hatten, die Haufe Gruppe mit den beiden großen Firmen Haufe-Lexware und Haufe-Lexware Services sowie mehreren Tochterunternehmen. Wir sind am Standort Freiburg, wo die Mitarbeiter auf mehrere Gebäude in der ganzen Stadt verteilt waren, in ein gemeinsames Gebäude gezogen, das einerseits symbolisch für die Zusammenführung stand, andererseits auch ganz praktisch dazu geführt hat, dass wir uns viel mehr getroffen haben als vorher. Durch diese Veränderungen sind alte Muster und Kommunikationswege aufgebrochen worden: Alle Mitarbeiter saßen in neuen Räumlichkeiten, viele bekamen auch einen neuen Chef und neue Kollegen, außerdem gab es zum ersten Mal eine Kantine, in der man sich über den Weg gelaufen ist. Das war der erste Schritt in unsere neue, gemeinsame und vernetzt arbeitende Zukunft.

Das war ja keine kleine Veränderung. Wie haben Sie die Mitarbeiter dabei mitgenommen?

Wir haben diesen Prozess sehr aktiv begleitet, insbesondere auch zu der Frage, wie wir die Mitarbeiter nicht nur rational, sondern auch emotional überzeugen können. Beispielsweise haben wir ein „Sounding Board“ mit rund 20 Mitarbeitern eingeführt, die uns ständig Feedback dazu gaben, was gerade passiert und was wir anders machen können. Wir haben große Kommunikationsveranstaltungen angesetzt, in deren Gestaltung wir die Mitarbeiter mit einbezogen haben. Und wir hatten eine Gruppe, die sich um unsere Unternehmenswerte gekümmert hat. Diese Aktivitäten haben vieles beschleunigt und verbessert, zudem entstand dadurch ein gemeinsamer Geist neuer Zusammenarbeit. Unsere Innovationen und das bestehende Geschäft könnten wir bei Weitem nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit und Qualität bearbeiten, hätten wir nicht diesen intensiven Prozess der Zusammenführung und Neuausrichtung gehabt.

Wie drücken sich Kundenorientierung und Innovation in Ihrer Organisation aus?

Kundenorientierung beginnt mit dem Mindset. Das bedeutet für jeden Mitarbeiter in unserem Haus, sein Handeln am Kundennutzen auszurichten, völlig unabhängig davon, welche Verantwortung er hat und in welchem Team er arbeitet. Das bedeutet weiter, dass wir unseren Kunden möglichst viele Wege öffnen, über die sie ihre Anforderungen an Produkte und Lösungen in unser Unternehmen einbringen können. Das geht bis hin zu gemeinsamen Workshops, die wir mit einzelnen Kunden veranstalten, um überhaupt erst mal ihre Problemstellung transparent zu machen. Das hilft einerseits unseren Kunden und führt andererseits dazu, dass wir permanent neu und im wahrsten Sinne des Wortes innovativ über unser Geschäft und die Weiterentwicklung nachdenken müssen – das ist der große Gewinn für uns, denn für wahre Innovation bedarf es mehr als nur der Optimierung des Bestehenden. Dazu braucht es in erster Linie die Menschen bei uns mit entsprechenden Fähigkeiten sowie Manager, die Freiräume geben und dennoch klar führen. Es braucht aber auch einen Rahmen, in dem die Teams sich frei bewegen und kreativ arbeiten können. Gute Erfahrungen haben wir damit gemacht, innovative Produktentwicklungen in vom restlichen Unternehmen losgelösten Teams zu verantworten. Auch das Arbeiten in Projektteams und in themenbezogen Netzwerken – ein noch ganz frischer Ansatz – zeigen sehr gute Ergebnisse.

Sie sind ja in einer Matrix organisiert. Wie ist es Ihnen gelungen, den beschriebenen Mindset darin zum Leben zu bringen?

In der Tat ist das nicht ganz einfach, denn in klassischen Formen der Matrixorganisation ist nahezu durchweg zu beobachten, dass eine Dimension dominant ist. Daher braucht es viel Kommunikation, Coaching, Vorleben. Das Miteinander in der Matrix zu fordern und zu fördern, ist eine Daueraufgabe, sonst verkehren sich die gewollten Effekte schnell ins Gegenteil. Wenn sich jedoch aus der Matrix mit den bewusst gesetzten Ausrichtungen der einzelnen Dimensionen wirkliche Teams bilden, die gemeinsame Ziele verfolgen, sich die Verantwortung teilen und einen gemeinsamen Teamspirit leben, dann kann diese Organisationsform in einem unglaublichen Maße innovativ sein und das gesamte Unternehmen vorantreiben.

Den Markt früh zu testen und gegensteuern zu  können, ist entscheidend.

Zwei Aspekte sind uns dabei besonders wichtig. Zum einen die Zielsetzung: Ziele müssen für alle Beteiligten relevant und nachvollziehbar sowie nicht zu kleinteilig sein, zudem braucht es die explizite Zustimmung von allen Beteiligten, sonst klappt es nicht mit dem Teamspirit. Unabhängig von den Projektzielen haben wir für die gesamte Haufe Gruppe übrigens die generellen Ziele Kundenzufriedenheit, gemessen mit dem Net Promoter Score, und Umsatz. Zum anderen der offene Umgang mit Problemen, verfehlten Zielen und notwendigen Justierungen, die häufig eher zu spät auf den Tisch kommen.

Im Jahr 2012 haben Sie dann Ihre Strategie erneuert. Worum ging es dabei?

Es ging nicht so sehr um eine komplette Erneuerung, sondern um das kritische Hinterfragen des eingeschlagenen strategischen Wegs. Ursprünglich hatten wir dafür drei bis vier Monate angesetzt, weil wir dachten, wir hätten die Strategie im Kopf und müssten sie nur zu Papier bringen. Tatsächlich haben wir ein gutes Jahr dafür gebraucht, bis wir so weit waren, dass wir sie im gesamten Unternehmen kommunizieren konnten. Dieser Prozess, den wir gemeinsam mit unseren Managern und vielen Mitarbeitern gestaltet haben, war extrem wertvoll, da wir uns die Zeit gelassen haben, uns zu hinterfragen, auch vermeintlich Klares auf den Prüfstand zu stellen sowie Kundennutzen und Markt zu analysieren.

Personalkonzepte für die Zukunft

Mehr zum Thema Personalmanagement und -führung lesen Sie im HR-Channel von buchreport und Channel-Partner Bommersheim Consulting. Hier mehr…

Inhaltlich ging es unter anderem um das Ausdifferenzieren unserer Zielgruppen, Geschäftsbereiche und Technologien. Im Ergebnis hatten wir dann unsere großen strategischen Kundengruppen geschärft sowie das konsequente Denken in Kundennutzen und schnellen Lernzyklen verbessert. Zudem haben wir seitdem Strategiearbeit als permanentes Thema eingeführt. Gerade in Zeiten digitalen Wandels braucht es die ständige Anpassung und Veränderung, damit die Chancen, die der Markt bietet, auch genutzt werden können.

Wie haben Sie es geschafft, Ihre Strategie so zu operationalisieren?

Zum einen haben wir uns für die Strategieerstellung sehr breit aufgestellt und das gesamte Management in die Findung und Verdichtung involviert, statt im stillen Kämmerlein etwas aufzuschreiben. Diese Inhalte haben wir dann unseren Mitarbeitern in großen Veranstaltungen vermittelt, um sie anschließend in Workshops mit Führungskräften und Mitarbeitern in fachlichen Schlüsselpositionen zu diskutieren und Feedback aufzunehmen. Damit ist die Strategie noch einmal deutlich klarer geworden, und wir haben uns in der Umsetzung viel leichter getan, weil wir konkrete Richtlinien hatten.

Zum anderen haben wir erkannt, dass die erfolgreiche Umsetzung unserer Strategie eine Frage der Schnelligkeit und der Realisierung in kurzen Zyklen ist. Es braucht den Mut, mit einem „Minimum Viable Product“ schnell an den Markt zu gehen und frühzeitig den Kunden einzubinden, statt so lange zu entwickeln, bis das vermeintlich perfekte Produkt da ist, das jedoch die Kundenbedürfnisse nicht trifft. Den Markt früh zu testen und gegensteuern zu können, ist entscheidend. Und es ist unglaublich wichtig, offen dafür zu sein, Fehler frühzeitig zu erkennen und auch mal etwas zu vernichten, was sich als falsch herausgestellt hat. Daraus zu lernen und Dinge anders zu machen, waren wichtige Erfahrungen für uns, die uns sehr geprägt haben.

Haben Sie konkrete Produktbeispiele dafür?

Bei unserem Produkt „lexoffice“ ist es uns gelungen, die Kunden bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt einzubinden. Es sind viele Dinge nicht oder ganz anders gemacht worden, als ein Produktmanager sie im Kopf hatte, weil die Kunden darin keinen Nutzen sahen. Und noch ein zweites Beispiel aus der Rubrik „Lehrgeld zahlen“: Vor ein paar Jahren haben wir uns beim Relaunch einer großen Produktfamilie von Usability-Konzepten inspirieren lassen, die damals „en vogue“ waren.

Wenn das Produkt floppt, sind alle mit im Boot, wenn das Produkt super ist, auch.

Nachdem wir die Konzepte über ein Jahr entwickelt hatten, haben wir sie mit einer kleinen Gruppe von wenigen Schlüsselkunden getestet, die das Konzept toll fanden. Als wir die Produkte jedoch nach einer weiteren, relativ langen Entwicklungszeit an Tausende von Kunden ausgerollt haben, wurden uns postwendend deutliche Defizite bei der Usability zurückgespiegelt. Aus diesem Fehler haben wir gelernt, und wir wissen heute, dass wir nicht mehr zunächst im Labor arbeiten und mit ein paar ausgewählten Kunden reden, sondern dass wir Kunden in der Breite ansprechen und in die Produktentwicklung einbinden müssen – was die heutige Cloud-Welt glücklicherweise sehr unterstützt.

Was haben Sie getan, um das „Denken in Kundennutzen“ in die Köpfe Ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter zu bekommen?

Zum einen hilft uns dabei der bereits genannte „Net Promoter Score (NPS)“. Und zwar nicht, weil die Leute durch Erreichen des angestrebten NPS mehr Geld in der Tasche haben, sondern dadurch, dass wir dem NPS dieselbe Wichtigkeit wie dem Umsatz gegeben und hausweit Diskussionen zur Frage „Was heißt es, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen?“ geführt haben. Der NPS macht diese Bedeutung am Ende sichtbar und greifbar. Zum anderen hilft uns unsere Projektorganisation. In unseren Projektteams haben alle Teammitglieder dieselben Ziele. Das hat viel in den Köpfen verändert. In früheren Zeiten war es beispielsweise so, dass die Software-Entwickler mit ihrer Arbeit fertig waren und gefeiert haben, sobald die letzte Zeile Code in einem Software-Projekt geschrieben war. Heute ist auch für die Software-Entwickler der gemeinsame Geschäftserfolg beim Kunden das entscheidende Kriterium. Wenn das Produkt floppt, sind alle mit im Boot, wenn das Produkt super ist, auch – da kann keiner raus.

Das klingt auch nach mehr Eigenverantwortung…

Ja, unbedingt, denn die traditionelle Unterscheidung in Führungskräfte und Mitarbeiter verliert zunehmend an Bedeutung. Der klassische Chef, der die Richtung vorgibt und dem alle folgen, hat in vielen Bereichen ausgedient. Das heißt nicht, dass es keine Verantwortung mehr gibt – die wird nur in Zukunft anders verteilt sein und viel mehr dort liegen, wo das meiste Wissen steckt, also bei Teams und Mitarbeitern. In den Projekten zählen die Expertise und die auszufüllende Rolle, nicht die Einordnung in die Hierarchie. Oder anders gesagt: Die Ablauforganisation ist wichtiger als die Aufbauorganisation. Das ist ein wichtiges Element unserer Kultur.

Was waren die Stolpersteine bei der Strategieumsetzung?

Wir haben in dem Prozess sehr viel gelernt und natürlich auch Überraschungen erlebt. Wir waren mit dem einen oder anderen Produkt zu früh am Markt, was wir gerade bei Cloud-Produkten an Akzeptanzproblemen gemerkt haben. Dabei ging es meist um Themen wie Datenschutz und IT-Security. Dann haben wir häufig den erforderlichen Zeitbedarf für die Entwicklung neuer Produkte unterschätzt oder nicht konsequent genug auf Kundennutzen und Ergebnisse geschaut. Mit den Umwegen, die wir zum Teil gegangen sind, sind wir aber auch deutlich erfahrener geworden, und wir haben angefangen, eine Lernkultur zu entwickeln. Das konsequente Lernen aus Fehlern hilft uns sehr stark weiter.

Das konsequente Lernen aus Fehlern hilft uns sehr stark weiter.

Schließlich sind wir beim Projektmanagement in den ersten beiden Jahren übers Ziel hinausgeschossen. Wir wollten uns professionalisieren, was auch notwendig war, haben aber derart viele Formalien geschaffen, dass diese irgendwann überhandgenommen haben und wir dadurch langsam wurden – als Beispiele seien unser damals sehr dickes Projekthandbuch genannt und die Tatsache, dass wir jede noch so kleine Veränderung über einen formalen Change Request haben laufen lassen. Inzwischen haben wir zu einer guten Balance zwischen notwendigen Strukturen und Freiraum gefunden, die uns flexibel und schnell macht.

Haben Sie Führungskräfte und/oder Mitarbeiter aufgrund der neuen strategischen Ausrichtung verloren?

Ja, ohne das wird es bei großen Veränderungen auch nicht gehen. Wir haben zum einen Leute verloren, die gesagt haben, dass sie diese Ausrichtung nicht wollen und diese nicht ihre Welt ist. Dann haben wir aber auch Leute verloren, für die wir schlicht keine sinnvolle Arbeit mehr hatten. Bei einem Restrukturierungsprojekt im Jahr 2014 haben wir unsere Effizienz hinterfragt und Prozesse und Tätigkeiten identifiziert, die wir für unsere neue Strategie nicht mehr einsetzen konnten. Im Ergebnis mussten wir uns damals von 120 Mitarbeitern von insgesamt 1400 trennen. Das war eine dramatische Zeit für das Unternehmen. Allerdings hatten wir parallel dazu genauso viele offene Stellen und haben heute wesentlich mehr Mitarbeiter als vor diesem Projekt. Es ging also nicht darum, uns gesundzuschrumpfen, sondern uns mit möglichst optimalen Kompetenzen für unsere Digitalisierungsstrategie aufzustellen. Auch dabei waren sehr viel und ausführliche Kommunikation sowie der intensive Dialog mit den Mitarbeitern entscheidend.

Wie haben Ihre Kunden auf die neue strategische Ausrichtung reagiert?

Eine Kundenreaktion auf unsere strategische Ausrichtung im engeren Sinne kennen wird nicht und messen wir auch nicht. Für uns ist viel entscheidender, ob der Kunde mit unseren Lösungen zufrieden ist und ob wir nah genug am Kunden sind, um seine Bedürfnisse zu kennen. Und da haben wir einiges richtig gemacht: Der NPS hat sich deutlich verbessert über alle Lösungen hinweg, und das qualitative Feedback, das wir von den Kunden bekommen, ist für unsere Teams immens wichtig – zum einen, um ständig besser zu werden, zum anderen, um Motivation daraus zu beziehen.

Wie meistern Sie den Spagat zwischen der klassischen Print- und der modernen Software-Welt?

Die Bandbreite, die wir im Portfolio haben, ist bisweilen herausfordernd, aber natürlich auch eine große Chance, weil wir eine gute Ausgangsbasis haben, um für unsere Kunden die ideale Lösung zu liefern. Zudem sind wir kein Start-up, sondern haben eine Historie von über 80 Jahren und damit auch eine „Legacy“. Wir haben reife Produkte, die gut im Markt etabliert sind, aber auch viele neue Initiativen, mit denen wir völlig anders auf die Anforderungen des Kunden reagieren, als wir es vor zehn Jahren noch getan hätten. Reine Printprodukte nehmen dabei allerdings nur noch einen sehr kleinen Raum ein, der deutlich größte Teil unseres Umsatzes kommt aus dem digitalen Produktportfolio.

Von einem Spagat würde ich allerdings nicht sprechen, denn auch Printprodukte werden heute digital erstellt und finden in einer digitalen Kultur statt. Allerdings ist ein ganz wichtiger Punkt, auch die Bandbreite der unterschiedlichen Tätigkeiten im Auge zu behalten, die wir im Haus haben. Zum Beispiel haben wir immer noch einige Loseblattwerke im Portfolio. Die Mitarbeiter, die sich um diese Produkte kümmern, sind für uns genauso wichtig wie diejenigen, die an innovativen Lösungen arbeiten. Das Alte ehren und das Neue tun – unter diese Überschrift könnte man die Breite in Portfolio und Führung zusammenfassen. Dabei immer wieder zu fragen, ob man auch in der Strategie genügend radikal bleibt und nicht etwa am Alten festhält, muss allerdings dauernd stattfinden – da sind wir kompromisslos.

Lassen Sie uns die Zeit ab 2012 resümieren. Was sehen Sie als Erfolgsfaktoren dafür an, dass die Ausrichtung auf die zunehmende Digitalisierung gelungen ist?

Das sind im Wesentlichen zwei Punkte. Zum einen die organisatorische Aufstellung nach Zielgruppen, die es uns leicht macht, den Kundennutzen in den Mittelpunkt zu stellen sowie in einer Matrix mit flexibler Projektorganisation und gemeinsamen Zielen auch umzusetzen. Zum anderen viel Kommunikation, d. h. immer wieder mit Führungskräften und Mitarbeitern darüber zu sprechen, wie wir uns verstehen, was uns ausmacht und was wir tun. Zudem war es für uns wichtig, nicht stehen zu bleiben, sondern im Grunde permanent zu hinterfragen, ob wir strategisch noch gut aufgestellt sind. Strategie ist nie etwas Abgeschlossenes. Aktuell sind wir gerade wieder dabei, uns mit strategischen Themen hinsichtlich des Portfolios und unserer Organisation intensiv zu beschäftigen.

Was machen Sie in Ihrer jetzigen Strategiearbeit anders als im Jahr 2012?

Wir machen drei Dinge anders. Zum einen beschäftigen wir uns viel stärker als in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Zukunftsszenarien. Dabei stellen wir uns die Zukunft in Alternativen vor und prüfen, für welche Alternative wir wie gut aufgestellt sind. Dieses Verfahren braucht zwar Zeit, eröffnet aber neue Sichtweisen und hilft uns sehr.

Strategie ist nie etwas Abgeschlossenes.

Zum anderen binden wir noch mehr Mitarbeiter in die Diskussionen ein. Damit bekommen wir mehr Ideen und Kreativität in den Entstehungsprozess und verankern die Strategie bereits sehr früh in vielen Köpfen. Das macht uns schneller und besser in der Umsetzung. Schließlich denken wir mittlerweile in deutlich kleineren Zeiteinheiten und definieren Zwischenziele. Die wesentlichen strategischen Themen, die umgesetzt werden sollen, müssen konsequent und zeitnah auf ihren Fortschritt hin analysiert werden, und zwar so, dass man konkret weiß, was passiert ist und was nicht.

Was raten Sie Unternehmen, die mit der Digitalisierung noch nicht so weit sind wie Sie?

Hackenjos: Sich nicht von Schlagworten wie Digitalisierung, Industrie 4.0, Disruption usw. verrückt machen zu lassen. Natürlich müssen sich Unternehmen damit beschäftigen, und wenn sie es noch nicht getan haben, ist es höchste Zeit, damit zu beginnen. Doch das heißt nicht, dass alles blind auf den Kopf gestellt wird, sondern es braucht die sehr bewusste Entscheidung darüber, was digital gemacht wird und was nicht, was relevant ist und was nicht.

In der Summe bietet die Digitalisierung viel mehr Chancen als Risiken.

Das Schlechteste, was eine Firma tun kann, ist, starr wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen. In der Summe bietet die Digitalisierung nämlich viel mehr Chancen als Risiken.


Die Erfolgsfaktoren

Ein Unternehmen auf die Anforderungen der fortschreitenden Digitalisierung hin auszurichten, ist keine einfache Aufgabe, was alleine schon daran erkennbar ist, dass sich nach wie vor zu wenige Firmen auf den Weg gemacht haben. Die Analyse der heutigen und zukünftigen Kundenwünsche im eigenen Marktsegment – seien sie explizit benannt oder auch nur implizit antizipierbar – zusammen mit der Frage danach, welche Technologien für die Umsetzung relevant sind, ist ein geeigneter Einstieg in eine Digitalisierungsstrategie. Diese gilt es dann breit im Unternehmen zu verankern. Hilfreich sind dafür eine umfangreiche und wiederholte Kommunikation zwischen Management und Mitarbeitern, das konsequente Ausrichten der Organisation und der Kompetenzen auf die neue Strategie sowie das Einbeziehen und Würdigen der Bereiche, die traditionelle Produkte machen. Darüber hinaus sollen unbedingt die Vorteile genutzt werden, die die Digitalisierung mit sich bringt. Darunter insbesondere das zyklische Erproben und Optimieren von Produktideen mit einem breiten Kundenkreis, denn das macht schnell und erhöht die Sicherheit, die Kundenbedürfnisse zu treffen.

Das sollten Sie tun…

für die digitale Transformation:

  • Einen gemeinsamen Spirit fürs Unternehmen schaffen, der sowohl die traditionellen als auch die digitalen Bereiche und Produkte mit einbezieht und würdigt
  • In den Strategieprozess sowohl das Management als auch Mitarbeiter in fachlichen Schlüsselposi­tionen mit einbinden
  • Die Strategie immer wieder erklären und vorleben sowie kontinuierlich an die Marktanforderungen anpassen
  • Die Strategieumsetzung planen und stringent nach­ verfolgen
  • Das konsequente „Denken in Kundennutzen“ in den Köpfen der Führungskräfte und Mitarbeiter veran­ kern, z. B. mittels einer Methode wie der Messung des „Net Promoter Score“
  • Die Organisation kundenorientiert statt produkto­rientiert aufstellen sowie nach dem Prinzip, dass die Ablauforganisation wichtiger als die Aufbauorgani­ sation ist
  • Teams aus unterschiedlichen Organisationseinheiten gemeinsame und kundenorientierte Ziele geben
  • Mit „Minimum Viable Products“ schnell an den Markt gehen, breites Kundenfeedback einholen und optimieren

 

Dieter Lederer: Veränderungsexzellenz. Fachbuch, Hanser Verlag.

Aus:

Dieter Lederer: Veränderungsexzellenz. 12 Erfolgsstrategien für den Unternehmenswandel.

Hanser Fachbuch, November 2017. 274 Seiten.

ISBN: 978-3-446-45135-3 (Fester Einband mit E-Book inside)/978-3-446-45562-7 (EPUB)

EUR 35,- (Print)/EUR 27,99 (E-Book)

Mit freundlicher Genehmigung des Hanser Fachverlags.

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