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Der Mediennutzer hat die Wahl, der Anbieter hat die Qual

Schöne neue Medienwelt: Die Digitalisierung hat in die Märkte der Verlage völlig neue Technologien, Player und Gesetzmäßigkeiten gebracht. Wie sich in digitalen Zeiten Nutzerverhalten und Wertschöpfung für Medienunternehmen wandeln und wie Verlage ihre Geschäftsmodelle anpassen, beschreibt Michael Geffken im IT-Channel von buchreport.de in einem Überflug und belegt es detailliert mit zahlreichen grundlegenden Quellen. Geffken ist Direktor und Geschäftsführer der Leipzig School of Media.

 

1. Die Medien – eine Branche zwischen Verunsicherung und Hoffnung

Homeless Media – eines dieser Buzz Words, die in immer schnellerer Frequenz in den Diskussionen über den Medienwandel auftauchen. Was sind das: Homeless Media? Der Begriff benennt das Phänomen, dass Online­-Plattformen wie auch analoge Medien einerseits auf Inhalte angewiesen sind, diese Inhalte andererseits jedoch immer seltener dedizierte Medienplattformen benötigen – seien es analoge Plattformen wie Zeitungen, Zeitschriften oder Sender, seien es digitale Plattformen klassischer Medien wie Websites oder Apps.

Also werden die gebündelten Produkt­-Portfolios dieser Medien immer häufiger aufgeschnürt. Ein Beispiel: Artikel auf Spiegel Online oder Zeit.de werden zu Instant Articles, die man direkt über die mobile Facebook-­App ansteuert. Dort findet der eilige Nutzer komplette Artikel, Fotogalerien und Videos – und nicht nur Anreißer der Inhalte, zu denen er sich verbunden mit lästigen Ladezeiten auf das entsprechende Portal weiterklicken müsste. Ähnliche Ziele verfolgt Google mit seinen Accelerated Mobile Pages. Diese sollen dabei helfen, die Ladezeiten von Websites auf mobilen Endgeräten und damit das Nutzererlebnis zu verbessern (Rentz 2016).

Wenn im Folgenden von der Medienbranche oder von klassischen Medienunternehmen die Rede ist, so beziehen sich diese Begriffe in der Regel auf privatwirtschaftlich/gewinnorientiert organisierte Medienhäuser vornehmlich aus den Bereichen Print (Zeitungen, Zeitschriften) und Rundfunk (TV, Hörfunk) sowie auf deren Online-Aktivitäten. Öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen (ARD und ZDF) werden dort in die Argumentation einbezogen, wo es vom Thema her geboten ist. Der Text konzentriert sich auf die Situation in der deutschen Medienbranche und bezieht von Fall zu Fall Entwicklungen und Phänomene vornehmlich des anglo-amerikanischen Wirtschaftsraums mit ein. Wenn von Medieninhalten die Rede ist, sind in der Regel non-fiktionale gemeint (Seufert 2015); zwischen fiktionalen und non-fiktionalen Inhalten findet allerdings eine zunehmende Entgrenzung statt – Stichwort Scripted Reality. Ein anderes Beispiel: die Heute-Show im ZDF – Satire-Format oder informativer Beitrag zur politischen Meinungsbildung?

Heimatlos – und ohne engeren Bezug zu ihrer Absendermarke – sind einzelne Artikel auch, wenn sie in einem Online­-Kiosk wie Blendle, Pocketstory, Pressreader oder Readly landen. „Diese Angebotsbündler werben um Kunden im Online-Pressemarkt mit Micropayment- und Flatrate-Angeboten für Wenig- bzw. Vielleser mit der Möglichkeit, Einzelartikel aus einem immer größer werdenden Angebotspool von Zeitungen und Zeitschriften online zu erwerben“ (Krebs et al. 2015).

Ein besonders schlagendes Beispiel für die Abkehr von den medialen Absendermarken sind die Panama Papers. Koordiniert von einem Konsortium für investigative Journalisten in Washington veröffentlichten am 03.04.2016 um 20 Uhr MEZ Zeitungs-­, TV­ und Internetredaktionen in aller Welt erste Nachrichten zu ihrer einjährigen Recherche. Veröffentlicht über klassische Medien und umgehend viral weiterverbreitet über soziale Medien, waren die Panama Papers von Anbeginn an eine eigene Marke – mit eigens entwickeltem Namen und einem eigenen Corporate Design. Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung unterwerfen sich zum Beispiel auf der Landing Page zu diesem Thema den Corporate-­Design­-Vorgaben des Konsortiums.

Der Begriff Homeless Media stimmt melancholisch – irgendwie passend, denn eine tiefe Melancholie hat weite Teile der Medienbranche erfasst. Die klassischen Medien verlieren an Relevanz: Printauflagen sinken, Zuschauer im Always­-on­-Modus wenden sich – statt am Sonntag um 20.15 Uhr den Tatort zu gucken – Streaming-Angeboten wie Netflix zu. Marketinggelder landen nicht mehr überwiegend in den klassischen Medien; das Marketing muss – oder kann – heute eine kaum überschaubare Vielzahl von Kanälen bespielen.

Verleger wie Hubert Burda klagen, dass für Medienhäuser mit Werbung im Internet nur „lousy pennies“ zu verdienen seien (Meier 2009). Und der im März 2016 bekannt gewordene interne Innovationsreport des Spiegel­-Verlags konstatiert: „Statt unsere Organisationsstruktur zu modernisieren, die Zusammenarbeit innerhalb des Hauses zu verbessern, den Markenwirrwarr zu beseitigen und die Haltung gegenüber Lesern und Zuschauern zu überdenken, starren wir verunsichert auf den rasanten Wandel der Branche“ (Winterbauer 2016).

IT-Grundlagen und Technologien der Zukunft

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Wir haben es also mit einer verunsicherten Branche zu tun. Diese Verunsicherung zeigt sich besonders darin, dass das Internet und die großen Player der digitalen Welt mit einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu betrachtet werden. Da werden einerseits technische Entwicklungen aus dem Silicon Valley wie das iPad mit unrealistischen Heilserwartungen bedacht: „Jeder Verleger sollte sich einmal am Tag hinsetzen, beten und Steve Jobs dafür danken, dass er mit diesem Gerät die Verlagsindustrie rettet“, schwärmte Springer­-Vorstandschef Mathias Döpfner im Jahr 2010. Andererseits aber bekennt derselbe Mathias Döpfner im Jahr 2014: „Wir haben Angst vor Google“.

Dieser Text soll dazu beitragen, die Diskussion jenseits der gängigen Schuldzuweisungen und Selbstanklagen zu führen. Dazu dient in Anlehnung an Schneider und Ermes (2013) das Begriffspaar Konvergenz und Crossmedia. Bei der Untersuchung des (digitalen) Wandels im Mediensystem versteht man „Konvergenz als unternehmensexterne Evolution und Crossmedia als unternehmensinterne Reaktion auf die Konvergenz“ (Schneider/Ermes 2013, S. 11).

Schneider und Ermes konstatieren: „Konvergenz löst die bestehenden Grenzen zwischen einzelnen Medien nicht vollends auf, sie nähert die Einzelmedien vielmehr einander an. Sie macht ihre Grenzen durchlässig und ermöglicht damit erst unternehmerische Maßnahmen, die unter dem Begriff Crossmedia zusammengefasst werden“ (ebd.).

Konvergenz hat technische, ökonomische und – auf Seiten der Mediennutzer – verhaltensbezogene  Komponenten  und Konsequenzen:

  • Die Digitalisierung ermöglicht die schnelle und kostengünstige Verteilung von Medieninhalten; dadurch ist ein universales Datennetzwerk entstanden.
  • Die Konvergenz der Inhalte unterschiedlicher Mediengattungen führt auf modernen digitalen Plattformen zu neuen Angebotsformen und veränderten Wertschöpfungsketten.
  • Diese Plattformen sind über eine Vielzahl verschiedener Endgeräte erreichbar, die unterschiedliche Nutzungskontexte der Rezipienten bedienen. Das führt zu gravierenden  Veränderungen  des Nutzerverhaltens.

2. Der Medienwandel, das Nutzerverhalten und die Optionen des Mediensystems

Die externen und die unternehmensseitigen Ursachen und Auswirkungen des Medienwandels werden in 2.1 skizziert, die nutzerseitigen Ursachen und Auswirkungen in 2.2 betrachtet. Die durch die Konvergenz verursachten grundstürzenden Veränderungen auf dem Medienmarkt verlangen von den betroffenen Unternehmen strategische Antworten. Diese werden in 2.3 beschrieben.

2.1 Der Medienwandel – das Tempo nimmt zu, Geschäftsmodelle geraten unter Druck

Klassische Medienunternehmen – Printmedien wie (privatwirtschaftlich organisierter) Rundfunk – stehen vor zwei großen Herausforderungen:

Durch das hohe Tempo der technischen sowie inhaltlichen Entwicklungen stoßen Innovationsfähigkeit und Innovationsbereitschaft in Medienunternehmen – auch und gerade im Vergleich zu Google & Co. – häufig an ihre Grenzen (Kramp/Weichert 2012; Picot et al. 2013).

Das klassische Geschäftsmodell (Vertriebserlöse plus Werbeeinnahmen) trägt immer weniger: Die Vertriebseinnahmen sinken teilweise dramatisch, ebenso sinken – zumindest in den Printmedien – die Einnahmen aus der Werbung. Steigende Werbeeinnahmen der digitalen Projekte können dies in der Regel nicht kompensieren (Rothmann 2013). Seit einigen Jahren geraten die herkömmlichen Medien außerdem auch gesellschaftspolitisch unter Druck. Ihnen wird einerseits attestiert, dass sie für große Teile der Bevölkerung an Relevanz verlieren, andererseits wird ihre inhaltliche – journalistische – Qualität immer stärker angezweifelt. Diese Zweifel gipfeln im Vorwurf der Lügenpresse (Themen + Frequenzen 2016). Aus all dem folgt die entscheidende Herausforderung: Medienhäuser müssen das Feld des Konkurrenzkampfs innerhalb ihrer Mediengattung und das Feld des Konkurrenzkampfs zwischen den Gattungen um ein weiteres Feld ergänzen: Sie müssen – man ist geneigt zu sagen: endlich – konsequent den Kampf auf dem digitalen Spielfeld  forcieren. Trotz aller Herausforderungen und Krisensymptome – das allerdings sollte auch gesagt werden – kann man konstatieren, dass in Deutschland „die Rentabilität von Medienunternehmen im Vergleich zur Gesamtwirtschaft weiterhin überdurchschnittlich ist“ (Seufert 2013, S. 20).

2.1.1 Neue digitale Ökosysteme und die neuen Wertschöpfungsketten in den Medien

Die Entwicklung der Medientechnik wird durch die Digitalisierung entscheidend vorangetrieben. Damit einher geht die Entwicklung zur Vernetzung und technischen Konvergenz der Medien. „Die technologische Entwicklung hat Einfluss auf alle Stufen der Wertschöpfungsprozesse der Medien, mithin der Stufe der Kreation und Redaktion der Inhalte, der Produktion und der Distribution“ (Gläser 2014,S. 289). Dabei ist das genaue Verständnis der veränderten Wertschöpfungsprozesse eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Medienbereich.

Zu den klassischen Akteuren im Mediensystem (Verlage, Sender, Produktionsfirmen, Vertriebsfirmen, Gerätehersteller) sind neue Akteure vornehmlich aus dem IT­-Bereich hinzugetreten, die neuartige digitale Ökosysteme (Plattformen) etabliert haben. Hier finden wir tendenziell offenere Systeme (zum Beispiel Google mit Android), die Kooperationspartner ohne größere Restriktionen aufnehmen, aber auch eher geschlossene Systeme (zum Beispiel Apple und Amazon), die eine möglichst hermetische Verschränkung von Hardware, Software und Content forcieren. Ob offen oder geschlossen: Je mehr Partner und Angebote ein solches System hat, desto mehr Endnutzer generiert es – und desto größer ist der Lock-­in-­Effekt des Systems.

Eine wesentliche Rolle für die Anschlussfähigkeit eines medialen Angebots spielen offene Programmierschnittstellen: „Nicht Produkte, Features und Dienstleistungen werden den Wettbewerb zwischen verschiedenen Systemangeboten entscheiden, sondern die Schnittstellen zur Anwendungsprogrammierung (APIs). Diese erst ermöglichen den Organisationen den freien Datenfluss und damit die Teilnahme und Teilhabe neuer Partner an digitalen Ökosystemen und die dynamische Integration von deren Ideen. Sie sind somit evident für den technischen Fortschritt der Systeme und deren wirtschaftliche Entwicklung“ (Englert/Senft 2012, S. 117, Schürmanns 2013).

Durch die Entstehung von IP-­basierten und breitbandigen sog. Next Generation Networks wird außerdem ein Umbruch der existierenden Wertschöpfungsstrukturen, Geschäftsmodelle sowie Produkt­- und Dienstleistungsangebote im Spannungsfeld zwischen Netzanbietern und den Anbietern von Inhalten forciert (Picot/Sedlmeir 2015). Dadurch „werden insbesondere auch Medienunternehmen neue Möglichkeiten zur Erstellung […] der Distribution […] ihrer Angebote eröffnet“ (ebd.).

Mit all diesen Veränderungen wandelt sich auch die Profitabilität der einzelnen Glieder der Wertschöpfungskette. IT­-Kompetenz wird immer wichtiger, die Unternehmen der IT-­Branche erhalten ein immer größeres Gewicht. „Die Markteintrittsbarrieren für neue Teilnehmer sinken, klassische Wertschöpfungsmodelle müssen neu gedacht werden“ (Arbeitsgruppe Regionalthema 2014, S. 6).

2.1.2 Die Krise vertriebsbezogener Erlösmodelle der Printmedien

Die Situation der Printmedien ist geprägt von Verlusten an mehreren Fronten. Besonders dramatisch sind die Auflagen-­ und Reichweitenverluste der Tageszeitungen. Ein typisches Beispiel: Die verkaufte Auflage des Berliner Tagesspiegel sank innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 147.000 (2005) über 131.000 (2010) auf 111.000 (2015 – inkl. etwa 13.500 E-­Paper-­Exemplaren) – ein Verlust von fast einem Viertel innerhalb eines Jahrzehnts. Ein weiteres Beispiel, diesmal über eine größere Zeitspanne: Der Stern erreichte im ersten Quartal 1967 sein Allzeit-­Verkaufshoch mit 1,931 Millionen Exemplaren, im vierten Quartal 2015 verkaufte man noch 721.178 Exemplare (alle Zahlen: IVW 2016).

Haller weist darauf hin, dass die Auflagen-­ und Reichweitenkrise der Printmedien – insbesondere der Tageszeitungen – nicht erst mit dem Aufkommen des Internets begann, sondern beinahe ein Jahrzehnt früher. Er macht für diese Krise journalistische Defizite und speziell eine mangelhafte Orientierung an Nutzerbedürfnissen verantwortlich (Haller 2014). In einer aktuellen Studie zum Medienverhalten jüngerer Zielgruppen kommt Haller zu dem Schluss, dass der klassische Journalismus jungen Mediennutzern nicht das bietet, was sie interessiert bzw. was sie wichtig finden. Deshalb „suchen sie sich die Nachrichten mittels ihres breiten Medienrepertoires selbst zusammen, begleitet vom flauen Gefühl, die Qualität dieser Online-News nicht einschätzen zu können“ (Haller 2015b, S. 120).

Bisher konnten (Zeitungs­-)Verlage Auflagenverluste im Bereich der Vertriebserlöse oft durch die Erhöhung der Abo­-Gebühren bzw. des Einzelverkaufspreises ausgleichen. Sinkt die Reichweite eines Mediums aber unter eine kritische Grenze, so schlagen Reichweitenverluste direkt auf die Werbeeinahmen durch und verstärken die in 2.1.4 beschriebenen negativen Entwicklungen (Rothmann 2013).

2.1.3 Zuschauer auf dem Weg vom linearen zum nicht-linearen TV-Konsum

Die Fernsehnutzung in Deutschland erscheint auf den ersten Blick bemerkenswert stabil: Die durchschnittliche tägliche Sehdauer bei ARD, RTL und Co. liegt laut Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung seit Jahren bei etwa 220 Minuten (AGF 2016). Doch es gibt zwei eng verwobene Trends, die den TV-­Machern zu denken geben:

  • Der TV­-Konsum verlagert sich – vor allem bei jüngeren Zielgruppen – immer mehr vom stationären Gerät (mit festen Zeiten) auf zeitunabhängigen Konsum auf mobilen Devices.
  • Der TV-­Konsum verlagert sich vom klassischen linearen Fernsehen auf nichtlineare Bewegtbildangebote.

Die nicht­linearen Bewegtbildangebote differenzieren sich seit einigen Jahren in schnellem Tempo aus:

  • Es gibt mittlerweile vielfältige Video-­on-­Demand­-Dienste – von den kostenlosen Mediatheken der öffentlich­-rechtlichen Sender über kostenpflichtige Streaminganbieter wie Netflix bis hin zu den Closed-Shop-­Angeboten der großen Plattformen (zum Beispiel Amazon Prime, Apples iTunes Store).
  • Beginnend mit YouTube (2005) wird auch die Zahl der Video­-Sharing-­Angebote immer größer (zum Beispiel Vimeo). Auch der Video­-Konsum via Facebook steigt rasant an.

Diese Entwicklungen setzen die privaten TV­-Sender unter Druck. Die langen Werbepausen in ihren Programmen werden vom Zuschauer immer weniger akzeptiert. In den USA müssen die Sender bereits reagieren. So will beispielsweise TruTV nur noch halb so viele Clips zeigen wie bisher. Der kostenlose Streaming-­Dienst Hulu der Fox Entertainment Group kürzt seine Werbe­-Inseln sogar von 2:30 Minuten auf 30 Sekunden (Smith 2015).

Auch die Zuschauerzahlen des linearen Fernsehens gehen in den USA und in Großbritannien zurück: „Television viewing in countries like the UK and the US have declined by 3 to 4 % per year on average since 2012. These declines are directly comparable to the declines in print newspaper circulation in the 2000s and if compounded over ten years will result in an overall decline in viewing of 25 to 30 %. The average audience of many television news programmes is by now older than the average audience of many print newspapers“ (Nielsen/Sambrook 2016, S. 3).

Durch diese Entwicklungen und das damit verbundene Auftreten neuer Akteure verändern sich Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle der TV­-Branche. So produziert eine Plattform wie Amazon eigene Inhalte, die ProSiebenSat.1-­Gruppe betreibt mit My Video und Maxdome Videoplattformen und Facebook bindet in seinem Stream Live-­Video-­Angebote ein (Simo 2016).

2.1.4 Fundamentaler Wandel der Marketingkommunikation

Die weitverbreitete Verfügbarkeit mobiler Endgeräte und die Möglichkeit der personalisierten Integration und der dynamischen Attribution von Daten in Echtzeit (Cross­Channel­Tracking, Programmatic Advertising) verändern Marketingsystematik und ­-prozesse fundamental. Personalisierte Medien bzw. Kanäle (vom Smartphone bis zum Connected Car) werden zu den neuen Schnittstellen der Marketingkommunikation. Das bedeutet, dass die klassischen Medienunternehmen (besonders die Printmedien, tendenziell – mit einer zu erwartenden Abkehr vom linearen Fernsehkonsum – auch die TV­Sender) im Kampf um Werbeeinnahmen von drei Seiten unter Druck geraten:

  • Sie verlieren deutlich an Reichweite besonders in jüngere Zielgruppen – und damit ihre Attraktivität als Werbeträger (Seufert 2013).
  • Ihnen erwächst durch die digitalen Ökosysteme von Google und Facebook – im Lichte der oben beschriebenen Veränderungen der Marketingsystematik – ein übermächtiger Konkurrent im Kampf um Marketinggelder. So vereinten die beiden Firmen zusammen im Jahr 2014 nicht weniger als 72,5 % des weltweiten Werbeumsatzes auf Tablets und Smartphones auf sich (Brandt 2014).
  • Schließlich noch der Hinweis auf ein bisher noch wenig beachtetes Phänomen: E­-Commerce­-Portale integrieren zunehmend Werbeplätze in ihre Online­Shops. „Damit verdienen sie nicht nur an den wenigen Besuchern, die sich auf der Webseite zu Käufern wandeln lassen, sondern können jede Seiteneinblendung ihrer Website in Umsatz verwandeln“ (Hermes 2013).

Dazu kommt eine weitere Entwicklung – nicht unbedingt im direkten Kampf um Werbegelder, dafür aber im Kampf um das wertvolle Gut Aufmerksamkeit: Unter den Stichworten Content Marketing und Brand Storytelling werden zunehmend erzählerische oder informierende Formate in Marketingkampagnen eingebaut, die – oft crossmedial über mehrere Kanäle – komplexe Geschichten erzählen oder ausführliche Informationen verbreiten. Hier wird aus Sicht der klassischen Werbeträger Mediennutzungszeit absorbiert.

2.2 Der Nutzer – multioptional und wenig zahlungswillig

Insgesamt beträgt die durchschnittliche Nutzungsdauer tagesaktueller Medien in Deutschland einschließlich der parallelen Mediennutzung 566 Minuten pro Tag. „In der Gesamtbevölkerung liegt der Nutzungsschwerpunkt 2015 nach wie vor eindeutig beim Fernsehen, gefolgt vom Radio: 208 Minuten täglich verwendet die Bevölkerung ab 14 Jahren auf die Nutzung von Fernsehen, 173 Minuten hört sie Radio, 107 Minuten widmet sie dem Internet und 23 Minuten der Tageszeitung“ (Engel/Breunig 2015, S. 310).

Daraus ergeben sich Anteile am Medienzeitbudget der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre von zum Beispiel 37% fürs Fernsehen, von 19% fürs Internet und von 4% für die Tageszeitung. Deutlich anders sieht es bei der Altersgruppe 14 – 29 Jahre aus; hier ergeben sich Anteile von nur noch 26% fürs Fernsehen, von 33% fürs Internet und von nur noch 2% für die Tageszeitung. In dieser Altersgruppe liegt der Anteil der Zeitschriftennutzung unter 1% (ebd.).

In Abschnitt 2.1.2 wurden schon einige Aussagen zu den Veränderungen der Mediennutzung und zu veränderten Nutzererwartungen gemacht. Im Folgenden sollen nun Nutzerverhalten, Nutzermotive und Nutzererwartungen sowie die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte genauer betrachtet werden.

2.2.1 Nutzerverhalten

Für das Thema dieses Aufsatzes ist das Nutzungsverhalten der Alterskohorte der 14-­ bis 29­-Jährigen besonders interessant, ist diese Generation doch – jenseits kontrovers diskutierter Begriffscluster wie „Generation Y“ oder „Digital Natives“ (Haller 2015b) – die Altersgruppe mit dem größten Arsenal verschiedener Medien bzw. Endgeräte. Außerdem gibt es in dieser Gruppe, bedingt durch soziale Medien und Instant Messenger, gegenüber früheren Generationen einen gravierenden Unterschied: Für Mediennutzung und persönliche Kommunikation gilt, dass sie „häufig wechseln oder ineinander übergehen. Intermediale Grenzen lösen sich durch die Nutzung von Mediatheken, zeitversetzte Nutzung usw. teilweise auf“ (Feierabend et al. 2016, S. 122).

Besonders die Printmedien hatten lange gehofft, dass jüngere Nutzer sich aufgrund zeitlich verschobener Lebensphasen (späterer Berufseintritt, spätere Familiengründung) und einer dadurch verzögerten Mediensozialisation zwar später, aber schließlich doch noch zu einer regelmäßigen Nutzung von Zeitungen und Zeitschriften entschließen würden. Das ist offensichtlich nicht gelungen: Die tägliche Nutzungsdauer der Tageszeitung, die 2000 noch 16 Minuten betrug, sank bis 2015 auf 9 Minuten (ebd.).

Stabiler als bei den Printmedien ist das Nutzungsverhalten junger Mediennutzer beim Fernsehen. Doch auch hier nimmt die Nutzungsintensität ab: Betrug die tägliche TV­-Nutzungsdauer bei den 14­- bis 29­Jährigen im Jahr 2000 noch 180 Minuten, so schaute diese Gruppe 2015 nur noch 144 Minuten fern (ebd.).

2.2.2 Nutzungsmotive und Nutzererwartungen

Lange wurde beim Vergleich der Nutzermotive bezüglich des Fernsehens von einem eher passive Nutzer adressierenden Lean­-back-­Medium gesprochen und beim Internet von einem eher aktive Nutzer adressierenden Lean­-forward­-Medium. Mittlerweile erfüllt das Internet aber nicht nur bei einem jüngeren Publikum Unterhaltungs-­ und Entspannungsfunktionen (Guth 2013).

Die Tageszeitung ist für ihre Nutzer traditionell eindeutig ein Informationsmedium: „Der wichtigste Grund, Zeitung zu lesen, ist für die große Mehrheit der befragten Zeitungsleser (95 %) der Wunsch, sich zu informieren. Mit Abstand folgen die Motive ‚Nützliches für den Alltag erfahren‘ (76 %) und ‚mitreden können‘ (73%)“ (Breunig/Engel 2015, S. 327). Bei jüngeren Lesern konstatiert Haller allerdings einen Abschied auf Raten: „Auch weiterhin blicken die jungen Erwachsenen immer mal wieder in eine Zeitung, als wenn sie nachschauen wollten, ob etwas für sie Interessantes zu finden sei. Sie finden es aber nicht und bleiben deshalb Gelegenheitsleser“ (Haller 2015b, S. 87).

Neben der durch Digitalisierung und mobile Endgeräte befeuerten Forderung nach umfassenden, ortsunabhängigen, jederzeit und in Echtzeit abrufbaren Inhalten entstehen mit zunehmenden Nutzererfahrungen weitergehende und spezifischere Erwartungen an digitale Medienangebote. Cornelia Wolf hat relevante Eigenschaften von journalistischen Apps aus Nutzersicht analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass für den Nutzer „die technische Gebrauchsfähigkeit der App sowie die inhaltliche Leistung in Bezug auf Qualität, Selektion und Vollständigkeit“ entscheidend sind (Wolf 2014, S. 195).

Ein Blick auf einen Vergleich der Nutzungsmotive verschiedener Altersstufen ergibt: „Junge Menschen wenden sich den Medien teilweise aus anderen Motiven zu oder gewichten diese unterschiedlich. So neigen 14- bis 29-Jährige zu einer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stärker unterhaltungsorientierten Fernseh- und Radionutzung, ohne jedoch auf Informationen verzichten zu wollen. Ebenso ist bei jungen Erwachsenen die habituelle Nutzung (zum Beispiel Radio hören und Internet nutzen) stärker ausgeprägt“ (Breunig/Engel 2015, S. 340).

2.2.3 Zahlungsbereitschaft der Nutzer für journalistische Inhalte

Die Frage, wie groß die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte ist, wird in Deutschland kontrovers diskutiert (Berger/Hess 2013, Kurp 2016). Während einerseits eher normativ-­moralisierend argumentiert wird – guter Journalismus sollte Wertschätzung erfahren –, wird andererseits darauf hingewiesen, dass kostenfreie Inhalte in der Regel nur einen Klick von den entsprechenden kostenpflichtigen Inhalten entfernt sind.

Die internationale Studie Digital News Report 2015 des Reuters Institute for the Study of Journalism konstatiert jedenfalls: „We see no discernible trend towards an increase in paid online content – or in willingness to pay. A small number of loyal readers have been persuaded to pay for brands they like, but it is proving hard to convert casual readers when there is so much free news available from both commercial media companies and public service media“ (Newman 2015). Stefan Winterbauer stellt fest: „Paid Content mag einen (bescheidenen) Beitrag zur Finanzierung von Online-Newsmedien leisten können und in Einzelfällen (hoch-spezialisierte Inhalte) auch als Haupt-Erlösquelle funktionieren – als allgemeine Lösung für die Geldprobleme von Online-Newsmedien taugt Paid Content aber offenbar nicht“ (Winterbauer 2015).

2.3 Das Mediensystem – Reaktionen und Optionen

Prozesse, Kooperationsstrukturen und Wertschöpfungsketten im Mediensystem sortieren sich in Reaktion auf die Digitalisierung und auf die Veränderungen des Nutzerverhaltens neu. Oder, um es mit Luhmann zu sagen: „In systemtheoretischer Terminologie nennt man den relativ raschen Übergang eines Systems zu einem anderen Prinzip der Stabilität eine Katastrophe“ (Luhmann 1997, S. 655). Katastrophale Auswirkungen der raschen Übergänge im Mediensystem treffen im Übrigen nicht nur die klassischen Medien. Kräftige Umsatzrückgänge bei BuzzFeed, einem der Vorzeigeprojekte der neuen digitalen Medienwelt, veranlassten das Unternehmen, mit Blick auf die eigene Branche von einem bevorstehenden „Digital Media Bloodbath“ zu sprechen (Zeitlin 2016).

Im Folgenden werden die Reaktionen des Mediensystems auf diese (produktive?) Katastrophe betrachtet und im Zuge dessen die Auswirkungen auf die journalistische Arbeit analysiert, die Strategien im Umgang mit den neuen Playern anhand einiger Beispiele beschrieben und strategische Optionen für Medienunternehmen skizziert.

2.3.1 Journalistische Arbeit in digitalen Zeiten

Für die journalistische Arbeit hat die Digitalisierung fünf wesentliche Veränderungen gebracht:

  1. Das Internet erleichtert – zumindest vordergründig – die Recherche und die Identifikation möglicher Quellen. Gleichzeitig jedoch wird die Überprüfung vieler Quellen schwieriger.
  2. Das Internet hat durch den schnellen Zugang zu Quellen aller Art die dem Journalismus inhärente Tendenz zur Selbstreferenz noch einmal verstärkt. OnlineAngebote speisen sich häufig aus anderen Online­-Quellen. Durch den Zeitdruck im Online­-Journalismus wird diese Tendenz gefördert.
  3. Das Internet bietet die Möglichkeit, das Nutzungsverhalten der Nutzer zu beobachten und bei der Strukturierung und inhaltlichen Gestaltung der Angebote kurzfristig – und teilweise schon automatisiert – darauf zu reagieren.
  4. Durch die Beobachtung der Social­-Media­-Kommunikation und durch aktive Teilnahme daran bewegen sich Teile des Journalismus weg von der Massenkommunikation (One to Many) hin zur Individualkommunikation (One to One).
  5. Es entsteht durch Blogs, lokale Online­Portale, User Generated Content und die Diskurse in den sozialen Medien eine mit den klassischen Medienangeboten nur noch lose gekoppelte neue Form der Öffentlichkeit.

Zu konstatieren sind also zweierlei Entgrenzungsprozesse: zwischen Individualkommunikation und Massenkommunikation sowie zwischen Produzenten und Rezipienten.

2.3.2 Umgang mit den neuen Playern – Konflikt, Coopetition, Kuscheln?

Wenn man als (klassisches) Medienunternehmen in digitalen Zeiten Geld verdienen will – ob mit Inhalten, Dienstleistungen oder Produkten –, dann muss man sein Verhältnis zu den großen Plattformen definieren: Man muss entscheiden, ob, wo und wie man eine Zusammenarbeit sucht. Man muss entscheiden, was man für eine solche Zusammenarbeit aufzugeben (Souveränität) bzw. dazuzugeben bereit ist (Werbe-­Erlöse, Provisionen, Daten). Und man muss entscheiden, wo die rote Linie verläuft – wo man also den Konflikt sucht.

Beispiel für den bewusst gesuchten Konflikt ist das von der Zeitungs-­ und Zeitschriftenbranche initiierte, vor allem gegen Google gerichtete und 2013 installierte Leistungsschutzrecht für Medieninhalte. Es entstand ein Konflikt, dessen Resultate für die Verlage allerdings bescheiden ausfielen. Kern der Argumentation der Leistungsschutzrecht­-Verfechter war, dass Google mit Inhalten Geld verdiene, die von Verlagen und Journalisten mit großem Aufwand produziert werden.

Vorerst letzte Etappe dieses Konflikts: Die Kartellkammer des Landgerichts Berlin hat die Klage von elf Verlagsgruppen gegen Google abgewiesen. In der Klage der Verleger ging es um eine mögliche Vergütung von Online-­Inhalten. „Zwar habe Google mit seinen Diensten eine dominante Stellung im Suchmaschinenmarkt. Allerdings sehe es keine Diskriminierung der Kläger, begründete eine Gerichtssprecherin die Entscheidung in einer ersten Stellungnahme am Freitag“ (Spiegel Online 2016).

Treibende Kraft auf Seiten der Verleger in diesem Konflikt war Axel Springer. Dasselbe Verlagshaus macht über seine größte Zeitung – die Bild – mit beim Projekt Instant Articles von Facebook. Die Verlage, die bei diesem Projekt dabei sind, verzichten auf die Klicks auf ihren eigenen Seiten; die Nutzer bleiben bei Facebook (Lock-in) und gelangen nicht auf die Website des Verlags. Dafür darf der Verlag auf Facebook im Umfeld seiner Artikel eigene Anzeigen schalten und bekommt Zugang zu den Nutzerdaten. Man verliert also Souveränität – muss die Herrschaftsgewalt über die eigene Marke teilweise abgeben –, hat aber auch gewichtige Vorteile: Man gewinnt Daten und erzielt Werbeerlöse (Bouhs 2015).

Google wiederum umgarnt die Medienunternehmen mit der ­Initiative Digital ­News. Der Konzern hat einen Fördertopf von 150 Mio Euro eingerichtet, aus dem Medienprojekte von 128 Organisationen und Medienhäusern in 23 europäischen Ländern unterstützt werden. Eines der Projekte der Initiative sind die Accelerated Mobile Pages (s. o. Teil 1 dieses Beitrags).

2.3.3 Strategische Optionen und Herausforderungen für Medienunternehmen

Eine zentrale Aufgabe für Zeitungs-­ und Zeitschriftenverlage ist die Lösung des Paid­-Content-­Problems (Berger/Hess 2013). Nach Jahren der Zurückhaltung bei der Installierung von Paid­-Content­-Modellen ist seit einigen Jahren in der Zeitungsbranche vorsichtiger Optimismus zu spüren (Karle 2015). Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) listet inzwischen immerhin 120 Beispiele deutscher Tageszeitungen mit Paid­-Content-­Angeboten auf (BDZV 2016). Dass Zweifel bestehen, ob Paid Content ein Hebel für die nachhaltige ökonomische Sicherung journalistischer Angebote ist, wurde in 2.2.3 dargelegt.

Printverlage haben auf die aufkommenden Erlösprobleme über viele Jahre hinweg mit klassisch-­defensiven Aktivitäten reagiert – von Line Extensions ihrer erfolgreicheren Zeitschriftenmarken und Angeboten für immer speziellere Zielgruppen über den Verkauf von Weinen oder Leserreisen bis hin zur Etablierung von Kongress-­ und Seminarangeboten. Auch die Gründung von Postdiensten – auf Basis der Abo­-Zustellungsorganisationen – galt einige Jahre als erfolgsträchtiges Geschäftsfeld.

Defensiven Charakter haben naturgemäß auch die Maßnahmen zur Kostenoptimierung, zum Beispiel durch den Aufbau von Zentralredaktionen und die damit verbundene Schließung von Lokalredaktionen. Kurzfristige Kosteneffekte werden bei diesem Vorgehen schnell konterkariert durch schwindende Zufriedenheit auf Seiten der Nutzer und durch die Wahrnehmung sinkender Umfeldqualität auf Seiten der Anzeigenkunden.

In den verschiedenen digitalen Handlungsfeldern für journalistische Inhalte gibt es für Medienhäuser eine Vielzahl von Optionen – mit einer Einschränkung: Erfolgreich werden sie nur sein, wenn sie die neuen Wahlmöglichkeiten ihrer Nutzer und deren Bedürfnisse berücksichtigen. Einige Stichworte sind hier:

  • attraktive crossmediale Formate über mehrere Kanäle hinweg schaffen
  • neue crossmediale Redaktionen aufbauen – Beispiel: die Tageszeitung Die Welt und der TV-Nachrichtensender N24, die im Laufe des Jahres 2016 unter der Marke Die Welt fusionieren
  • plausible, transparente und nutzerfreundliche Paid-­Content-­Modelle entwickeln
  • neue Vertriebswege (zum Beispiel digitale Kioske) und Vertriebsformen (zum Beispiel Instant Articles via Facebook) nutzen
  • neue kerngeschäftsnahe Angebote entwickeln (zum Beispiel im Bereich Content Marketing)
  • neue Allianzen eingehen – wie zum Beispiel die Axel Springer SE mit Samsung und der gemeinsamen Content­-Plattform Upday (Wirtschaftswoche 2016)

Auf dem Feld der Werbeplatzvermarktung müssen die Medienhäuser neue Vermarktungsmodelle und ­-mechanismen adaptieren (Programmatic Advertising, Real Time Bidding). Sie müssen neue Werbeformen anbieten (Native Advertising) und sie müssen – über die Gattungsgrenzen hinweg – eine gemeinsame Media­-Währung entwickeln, die den Werbekunden das Tracking der Werbewirkung über alle Kanäle hinweg ermöglicht. Auch bei der Werbeplatzvermarktung sind neue Allianzen möglich: Bei den Instant Articles kann der Content­-Ersteller Werbung im Artikelumfeld platzieren und monetarisieren; außerdem erhält er von Facebook die Daten derer, die die Artikel lesen – und erhält so Einblicke in die Demografie seiner Nutzer.

Beim Thema Werbeplatzvermarktung ist allerdings auch eine strategische Falle zu benennen, in die Medienhäuser leicht geraten können: Aus Vermarktersicht sind reichweitenstarke Angebote wünschenswert. Diese führen allerdings häufig zu einer Verflachung und Qualitätsminderung der redaktionellen Inhalte (Stichwort Click Baiting). Damit rückt beim Nutzer die Bereitschaft, für Inhalte zu bezahlen, in weite Ferne (s. o. 2.2.3).

Optionen im Bereich nichtjournalistischer Handlungsfelder sind für Medienhäuser zum Beispiel digitale Rubrikenmärkte, Dating­-Portale, (lokale) Online­-Marktplätze, Ticketing-­Services und E­Commerce­Plattformen. Auch hier gibt es für Medienhäuser vielfältige Kooperationsmöglichkeiten, zum Beispiel mit dem örtlichen Einzelhandel.

Im Bereich Bewegtbild werden, was die Veränderung bzw. Verlängerung der Wertschöpfungskette(n) angeht, von Programmanbietern und Produzenten jeweils zwei Optionen bevorzugt (Gerhards 2015):

Die TV-­Programmanbieter antworten auf die neuen digitalen Plattformen wie Netflix mit einer Diversifikation ihrer Angebote in Richtung Video-­on-­Demand (zum Beispiel Mediatheken der öffentlich­rechtlichen Sender, Maxdome von der Pro­SiebenSat.1­-Gruppe) sowie mit Video-­Sharing-­Angeboten (zum Beispiel My Video, ebenfalls von der ProSiebenSat.1­-Gruppe).

Auf der Seite der (Inhalte­)-Produzenten gibt es zwei Pfade: den Aufbau eines YouTube-­Kanals (zum Beispiel der YouTuber LeFloid) oder den Aufbau eines Multi-­Channel­-Netzwerks (zum Beispiel TubeOne). Bei genauerer Betrachtung der digitalen Erlöse deutscher Medienhäuser, konstatiert Nicolas Clasen, erkenne man, „dass sich diese Umsatzerlöse meist aus Quellen speisen, die weit entfernt vom eigentlichen Kerngeschäft eines klassischen Medienhauses liegen. So bilden sich zwei Typologien heraus: entweder die etablierten Medienunternehmen generieren ihre Erlöse zum Großteil aus ihrem rückläufigen Kerngeschäft aus Print und TV und haben einen niedrigeren Anteil digitaler Erlöse am Gesamtumsatz. Oder die Unternehmen verfügen über einen hohen Anteil an digitalen Erlösen am Gesamtumsatz, erzielen diesen aber größtenteils über kerngeschäftsferne Aktivitäten“ (Clasen 2013, S. 43).

3. Ausblick – zwei Gefahrenherde, zwei Megatrends und zwei offene Fragen

Die Medienbranche – so lautet das Fazit – befindet sich in einem epochalen Umbruch. Patentrezepte hat momentan kein Branchenexperte, kein Unternehmensberater, kein Zukunftsforscher. Die Medienunternehmen befinden sich im Aggregatzustand „Permanent Beta“. Die klügeren Medienmanager akzeptieren und nutzen das durch intelligente Experimente, strategisches Innovationsmanagement und die aktive Förderung der Bereitschaft ihrer Mitarbeiter, Risiken einzugehen. Die weniger klugen Medienmanager beschränken sich auf das Kostenmanagement und trauern den alten Zeiten mit den hohen zweistelligen Renditen hinterher.

An dieser Stelle noch ein Blick auf zwei Gefahrenherde, die sich durch die in diesem Text skizzierten Entwicklungen ergeben: Die klassischen Medien verlieren an Glaubwürdigkeit, und sie verlieren an Relevanz.

  • Was die Glaubwürdigkeit (Infratest Dimap 2016) angeht, so spielen neben der oben erwähnten Diskussion unter dem Stichwort „Lügenpresse“ und den damit verbundenen Fragen nach der journalistischen Qualität und dem Rollenverständnis der journalistischen Akteure auch Fragen eine Rolle, die nichtjournalistische Handlungsfelder betreffen, zum Beispiel: Gefährden neue Werbeformate wie Native Advertising die Glaubwürdigkeit? Insofern können Medienunternehmen beim Gegensteuern im Komplex Glaubwürdigkeit durchaus eine aktive Rolle einnehmen – durch die Verbesserung der Qualität und durch Sensibilität beim Einsatz von Werbeformen.
  • Beim Thema Relevanz sieht die Lage anders aus. Hier ist die Situation eher durch externe Faktoren (zum Beispiel Social Media, verändertes Nutzerverhalten) geprägt als durch ein Systemverschulden; damit scheint der Prozess bestenfalls zu stoppen, aber am Ende unumkehrbar zu sein (Die Medienanstalten 2015).

Kurz vor Schluss dieses Beitrags möchte der Autor das Risiko eines Blickes in die Glaskugel eingehen und zwei Trends benennen, die die Medienentwicklung der kommenden Jahre prägen werden:

  • Der Einsatz von Augmented Reality (Einbindung virtueller Objekte in eine reale Umgebung, zum Beispiel ergänzende Visualisierungen bei TV-­Fußballübertragungen) und der Einsatz von Virtual Reality (die Darstellung einer vollständig computergenerierten virtuellen Welt, zum Beispiel über eine Virtual­-Reality­-Brille).
  • Die konsequente Fortsetzung des Weges von Homeless Media in Richtung On Demand Media. Medienangebote werden künftig noch mehr als bisher auf die individuellen Umstände, Vorlieben, Stimmungen, Aufenthaltsorte, Tageszeiten und Interessen der Medienkonsumenten zugeschnitten sein. Aus den Massenmedien werden Individualmedien. Der Einsatz von Data Science und künstlicher Intelligenz wird diesen Schritt beschleunigen.

Zum Schluss folgen aus all dem zwei – bisher weitgehend unbeantwortete – Fragen:

  • Wie schafft es der individuelle Mediennutzer, in der schönen neuen Medienwelt nicht in der selbstreferenziellen Filterblase eigener Vorurteile, Ängste und Obsessionen zu landen?
  • Wie schafft es die Zivilgesellschaft, die – normativen – Aufgaben und Leistungen der bisherigen Massenmedien für demokratische Entscheidungsprozesse und für die gesellschaftliche Selbstverständigung weiterhin zu erfüllen bzw. zu organisieren, und das, ohne bei öffentlich-­rechtlichen Hilfskonstruktionen oder wackligen Spenden-­ und Stiftungsmodellen zu landen?

4. Literatur

Arbeitsgruppe Regionalthema: Content & Technology. Online­-Ressource 2014, abgerufen am 18.04.2016

Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF): Sehdauer. Online­-Ressource 2016, abgerufen am 18.04.2016

BDZV (o.V.): Paid Content Angebote deutscher Zeitungen. Online-­Ressource 2016, abgerufen am 09.05.2016

Berger, B., Hess, T.: Das Paid-­Content-­Problem. Medien-Wirtschaft 2 (2013), S.54–58

Bouhs, D.: Facebook: Die ersten „Instant Articles“ sind da. Online­-Ressource 2015, abgerufen am 25.04.2016 (nicht mehr online)

Brandt, M.: Google und Facebook dominieren mobile Werbung. Online­-Ressource 2014, abgerufen am 25.04.2016

Breunig, C.; Engel, B.: Massenkommunikation 2015: Funktionen und Images der Medien im Vergleich. Media Perspektiven 7–8 (2015), S.323–341

Clasen, N.: Lost in Disruption? Media Innovator’s Dilemma. Wie Medienunternehmen Technologiebrüche managen. Medien-Wirtschaft 2 (2013), S.38–46

Die Medienanstalten (o.V.): Gewichtungsstudie zur Relevanz der Medien für die Meinungsbildung in Deutschland. Online-­Ressource 2015, abgerufen am 12.05.2016

Die Welt (o.V.): Mit dem iPad beginnt eine neue Ära. Online­-Ressource 2010, abgerufen am 18.04.2016

Engel, B.; Breunig, C.: Massenkommunikation 2015: Mediennutzung im Intermediavergleich. Media Perspektiven 7–8 (2015), S.310–322

Englert, M.; Senft, C.: Digitale Ökosysteme. Neue Werttreiber in der Medienwirtschaft. In: Kolo, C.; Döbler, T.; Rademacher, L. (Hrsg.): Wertschöpfung durch Medien im Wandel. Nomos Verlag, Baden-­Baden 2012, S.103–118

FAZ (o.V.): Springer­-Chef Döpfner warnt vor der Macht von Google. Online­-Ressource 2014, abgerufen am 18.04.2016

Feierabend, S.; Klingler, W.; Turecek, I.: Mediennutzung junger Menschen im Langzeitvergleich. Media Perspektiven 2 (2016), S.120–128

Gerhards, C.: YouTube-­basierte Geschäftsmodelle von Bewegtbildanbietern. Eine Option für Fernsehproduzenten? Medien-Wirtschaft 2 (2015), S.14–26

Gläser, M.: Medienmanagement. 3.Auflage, Verlag Franz Vahlen, München 2014

Guth, B.: Zuschauermarkt: Veränderungen des Nutzungsverhaltens und Herausforderungen für die Rezeptionsmessung. In: Schneider, M. (Hrsg.): Management von Medienunternehmen. Springer Gabler, Wiesbaden 2013, S.35–60

Haller, M.: Brauchen wir Zeitungen? Zehn Gründe, warum Zeitungen untergehen. Und zehn Vorschläge, wie dies verhindert werden kann. Herbert von Halem Verlag, Köln 2014

Haller, M.: Wir brauchen Zeitungen! Was man aus der Zeitung alles machen kann. Trendbeschreibungen und Best Practices. Herbert von Halem Verlag, Köln 2015a

Haller, M.: Was wollt Ihr eigentlich? Die schöne neue Welt der Generation Y. Murmann Verlag, Hamburg 2015b

Hermes, L.: Der heimliche Trend der E-­Commerce­-Werbung. Online-­Ressource 2013, abgerufen am 25.04.2016

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Zeitlin, M.: The Digital Media Bloodbath. Online-­Ressource 2016, abgerufen am 18. 04. 2016

 

Aus: Digital vernetzt. Transformation der Wertschöpfung. Szenarien, Optionen und Erfolgsmodelle für smarte Geschäftsmodelle, Produkte und Services. Herausgegeben von Hans H. Jung und Patricia Kraft.

432 Seiten. Fester Einband mit E-Book inside € 50,00

E-Book (ePUB) € 39,99

Mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlages.

 

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