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Unternehmensstrategien im Team entwickeln

„Strategie ist Chefsache!“ Im Zeichen fluktuierender, komplexer Märkte gerät diese Gewissheit ins Wanken. Wie wäre es, die Strategie-Findung crowdzusourcen und in die Hände des Teams zu legen? Hermann Arnold hat Haufe-Umantis mitgegründet und beste Erfahrungen mit kollektiver Strategie-Entwicklung gemacht.

Hermann Arnold, Gründer von Haufe-umantis und Buchautor. Foto: Haufe Lexware.

Hermann Arnold, Gründer von Haufe-umantis und Buchautor (Foto: Haufe Lexware).

Worum geht es?

Alle Mitarbeiter werden in die Strategieentwicklung eingebunden. Dies reduziert die Gefahr strategischer Fehler und erhöht das Engagement.

Welche Vorteile bietet dieser Vorschlag?

Eine gute Strategie kann Energien im Unternehmen freisetzen und die Kräfte auf ein gemeinsames Ziel bündeln. Mit allen Mitarbeitern und weiteren Anspruchsgruppen die Strategie gemeinsam zu entwickeln, hat folgende zentrale Vorteile:

  • Viele Mitarbeiter haben regelmäßigen und direkten Kontakt zu Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern und sind nah an den Entwicklungen des Marktes. In einer gemeinsamen Strategieentwicklung kann all dieses Wissen berücksichtigt werden.
  • Strategische Fehlentscheidungen können Unternehmen in den Abgrund führen. Nokia, Kodak und andere ehemalige Weltmarktführer zeugen davon. Die Gesamtheit aller Mitarbeiter verhilft häufig zu einer realistischen Einschätzung von Erfolgschancen.
  • Die gemeinsame Strategieentwicklung verbessert das wechselseitige Zuhören und Mitdenken aller Beteiligten. Es entsteht ein besseres, gemeinsames Verständnis der Herausforderungen und Zukunftschancen.
  • Eine gemeinsam entwickelte und verabschiedete Strategie erhöht die Chance, dass alle dahinter stehen und diese zum Erfolg führen wollen. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Strategie dar.
  • Ein auf breiter Basis abgestützter Strategieprozess kann mit weniger Aufwand regelmäßig wiederholt werden, um die Strategie anzupassen oder weiterzuentwickeln. Nach dem erstmaligen Kraftakt sind die nachfolgenden Durchführungen leichter.
Personalkonzepte für die Zukunft

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Welches Problem löst dieser Vorschlag?

Folgende Beispiele beschreiben das Problem hervorragend: Die digitale Kamera wurde im Jahr 1975 von einem Mitarbeiter von Kodak erfunden. Der Erfinder Steven J. Sasson fasste die Reaktion des Managements seinerzeit so zusammen:

Aber weil es filmlose Photographie war, war die Reaktion des Managements: „Das ist nett – aber erzähl niemandem davon.“

Das Management von Kodak wollte das eigene, hochprofitable Filmrollen-Geschäft nicht gefährden und überließ das digitale Zukunftsgeschäft den Wettbewerbern. Nach dem Konkursverfahren von 2012 bis 2014 ist Kodak nur noch ein Schatten seiner selbst. Dem Firmengründer George Eastman war es zwei Mal in der Firmengeschichte gelungen, sein eigenes, profitables Geschäft zu kannibalisieren:

  • beim Übergang von photographischen Platten zu Filmrollen und
  • von der qualitativ besseren Schwarz-weiß-Fotografie zum Farbfoto.

Das spätere Management führte Kodak mit einer einzigen strategischen Fehleinschätzung in die Bedeutungslosigkeit. Die Mitarbeiter hatten rechtzeitig die Chance von Digitalkameras erkannt. Sie verließen seinerzeit das Unternehmen, da es ihnen nicht gelang, das Management zu überzeugen.

Nokia war lange Zeit der unangefochtene Weltmarktführer für Mobiltelefone. Das Management ignorierte jedoch die hauseigene Entwicklung einer neuen Plattform-Technologie für intelligente Telefone (Maemo), lange bevor die neuen Konkurrenten Apple und Google den Markt übernahmen. Den Todesstoß versetzte Nokia im Jahr 2011 der erst sechs Monate zuvor neu eingesetzte Geschäftsführer Stephen Elop mit der Entscheidung, Nokia strategisch auf die Microsoft-Plattform auszurichten. Am Ende wurde die gesamte Telefonsparte an Microsoft verkauft. Der Verkaufspreis betrug lediglich einen Bruchteil früherer Bewertungen von Nokia – und dennoch musste Microsoft fünf Jahre später die Totalabschreibung des Kaufpreises vornehmen.

An diesen Beispielen ist deutlich zu erkennen, dass die Strategie erfolgsentscheidend für Unternehmen ist. Viele Lehrbücher sehen die Entwicklung der Strategie als zentrale Aufgaben der Geschäftsleitung. Gut ausgebildete und intelligente Menschen werden deshalb in die Geschäftsleitung berufen, von Experten beraten sowie mit Informationen von Fokusgruppen und Mitarbeitern ausgestattet. Sie verwenden viel Zeit auf die Erarbeitung einer Strategie und verkünden diese Mitarbeitern und einer interessierten Öffentlichkeit – multimedial unterstützt. Doch was passiert, wenn Mitarbeiter die Strategie nicht kaufen? Wenn sie schlicht nicht davon überzeugt sind? Jede noch so optimal ausgearbeitete Strategie ist zum Scheitern verurteilt, sobald die Mitarbeiter daran zweifeln. Sie sind es, die am Ende die Strategie umsetzen – und damit über deren Erfolg und Misserfolg entscheiden.

Die Mitarbeiter in ihrer Gesamtheit können in vielen Bereichen sehr gut abschätzen, ob eine strategische Initiative Erfolgspotenzial hat oder nicht. Vor dem digitalen Wandel musste dieses Wissen über hierarchische Strukturen, Stabsabteilungen und Berater nach oben aggregiert werden. Dabei gingen häufig wertvolle Informationen, Ideen und Einschätzungen verloren. Die neuen Technologien für Kommunikation und Zusammenarbeit ermöglichen einen direkteren Kontakt zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitern sowie zwischen den Mitarbeitern untereinander und mit Kunden. Es wird höchste Zeit, diese Möglichkeiten zu nutzen.

Kreativer und kompetenter im Team. Foto: Pixabay.

Kreativer und kompetenter im Team. Foto: Pixabay.

Wie funktioniert das?

Der Einbezug von Schwarmintelligenz (Crowdsourcing), die aufwärtsgerichtete Erarbeitung (bottom up) oder demokratische Ansätze werden häufig missverstanden als führungslos und zufällig. Falsch umgesetzt kann dies tatsächlich der Fall sein und zu schlechten und frustrierenden Ergebnissen führen.

Unsere Erfahrung zeigt, dass gerade Selbstorganisation nicht führungslos sein darf. Im Gegenteil, sie erfordert eine starke Führung – allerdings eine andere, als die Führung durch Weisung und Kontrolle von oben nach unten. Führung in der Selbstorganisation kann von einer oder mehreren Personen übernommen werden. Sie kann formell gewählt sein oder faktisch durch persönliche Autorität ausgeübt werden. In einem selbstorganisierten Umfeld entscheiden die (freiwilligen) Anhänger über erfolgreiche Führung – entweder durch Wahlen oder durch faktische Gefolgschaft.

Dennoch bleibt es weiterhin Aufgabe der Geschäftsleitung, den Prozess der Strategieentwicklung voranzutreiben, ihre Perspektive prominent einzubringen und dafür zu werben. Zugleich wird jeder einzelne Mitarbeiter ermächtigt und aufgefordert, seine Meinung und eigene Vorschläge einzubringen und diese hörbar zu vertreten. Am Ende ist es die Aufgabe aller Mitarbeiter, sich im Hinblick auf die Strategie untereinander abzustimmen und die Entscheidung gemeinsam zu treffen.

Im Folgenden stellen wir den idealtypischen Prozess der Strategieentwicklung auf Stufe 3 und 4 vor. Sie sollten in regelmäßigen Abständen die Strategie Ihres Unternehmens oder Ihres Bereichs überprüfen. In den meisten Unternehmen erfolgt dies einmal jährlich. Alle drei bis sieben Jahre sollten Sie im Verlauf des Strategieprozesses auch die Basis der eigenen Strategie, die Vision und die Mission einer kritischen Prüfung unterziehen. Sind diese noch zeitgemäß? Oder bedürfen sie einer Anpassung, Neuinterpretation oder einer gänzlichen Neuausrichtung?

Der gesamte Prozess sollte von einer oder mehreren Personen moderiert und unterstützt werden. Dazu eignet sich meist die Assistenz der Geschäftsleitung, eine inhaltlich dafür geeignete Stabsabteilung, wie zum Beispiel die Unternehmensentwicklung, oder ein externer Berater.

Schritt 1: Ideensammlung

Bitten Sie alle Mitarbeiter, ihre Ideen und Vorschläge für die zukünftige Strategie einzubringen. Stellen Sie dazu die bestehende Strategie vor. Je nach verfügbarer Zeit und Notwendigkeit können Sie auch im Vorfeld eine Stärken-/Schwächen-/Chancen-/Gefahren-Analyse (SWOT-Analyse) durchführen. Stellen Sie anschließend folgende Fragen zur Anregung:

  • Hast Du Fragen oder Bemerkungen zur bestehenden Strategie?
  • In welchen Aspekten würdest Du die aktuelle Strategie ändern?
  • Gibt es Punkte in der aktuellen Strategie, von denen wir uns trennen sollten?
  • Welche neuen Elemente würdest Du in die Strategie aufnehmen?

Die meisten Unternehmen sind zu groß, um diese Ideen im Rahmen einer Mitarbeiterversammlung zusammenzutragen. Zudem sollten die Mitarbeiter die Möglichkeit erhalten, sich intensiv mit ihren eigenen Vorschlägen und denen anderer auseinanderzusetzen. Dazu bietet sich eine elektronische Plattform an. Inzwischen gibt es dazu zahlreiche Angebote auf dem Markt. Diese erlauben Mitarbeitern und – falls gewünscht – auch Kunden und Partnern, Ideen einzubringen, andere Ideen zu unterstützen und auch weiterzuentwickeln. Wichtig ist, dass alle Vorschläge und Ideen über diese Plattform eingebracht und diskutiert werden – somit auch die von Seiten der Unternehmensleitung.

Jeder Beteiligte kann die Beiträge kommentieren und durch seine Stimme unterstützen. Beiträge mit maßgeblicher Unterstützung werden so deutlich identifizierbar. Jeder Einzelne kann ein Thema vorantreiben, indem er es auf der Plattform entsprechend platziert. Ob er selbst mit diesem Thema dann eine führende Funktion für die Strategieentwicklung des Unternehmens übernehmen kann, hängt auch von der Stärke der Unterstützung ab, also von seiner Gefolgschaft.

Der Vorteil eines solchen Verfahrens besteht darin, dass jeder einen Beitrag leisten kann und alle eine Chance haben, gehört zu werden. Niemand kann behaupten, er hätte sich nicht einbringen können – oder die Unternehmensleitung hätte seinen Vorschlag nicht berücksichtigt. Eine solche Plattform bietet eine gute Selektion von Ideen: Gute Ideen erhalten eine Bühne. Ideen, die nicht gut sind, erhalten weniger Unterstützung. Insbesondere Ideengeber mit wenig Unterstützung akzeptieren ein Urteil ihrer Kollegen eher als eine abschlägige Antwort der Geschäftsleitung. Auf der Plattform erkennen sie selbst, dass sie innerhalb des Unternehmens nur wenig Befürworter finden – und die Idee deshalb wohl nicht gut war.

Schritt 2: Erarbeitung

Meist kristallisieren sich aus den zahlreichen Vorschlägen der Beteiligten wenige Schwerpunkte heraus, die dann für die Überarbeitung der Strategie weiterverfolgt werden. Wer einen Beitrag eingebracht hat, der umfassend unterstützt wurde, kann diesen nun vertiefen. Vorab kann festgelegt werden, dass entweder alle Vorschläge mit einer bestimmten Mindestzahl von Unterstützungen oder eine bestimmte Anzahl der am stärksten unterstützten Vorschläge weiterverfolgt werden. Konkret könnte das heißen: alle Vorschläge, die von mindestens 5 oder 10% der Mitarbeiter unterstützt werden oder die 10 bis 20 Vorschläge mit den meisten Unterstützungen.

Grundsätzlich sind im Folgenden dann diejenigen verantwortlich, die erfolgreiche Vorschläge eingebracht haben. Sie entscheiden, ob sie mit anderen zusammenarbeiten möchten oder wen sie für die weitere Erarbeitung einbinden möchten. Ähnliche oder sich ergänzende Vorschläge können von den Verantwortlichen als gemeinsamer Gesamtvorschlag erarbeitet werden. Diejenigen, die den Vorschlag durch Kommentare ergänzt und weiterentwickelt haben, können in die Erarbeitung eingebunden werden. Die Verantwortlichen entscheiden am Ende über die Entscheidungsvorlage. Sinnvollerweise laden sie bei Unklarheiten oder bei verschiedenen Alternativen jeweils alle Unterstützer zur Mitarbeit oder Abstimmung ein. Das Ergebnis einer solchen Erarbeitung ist eine konkrete Entscheidungsvorlage, die unternehmensweit abgestimmt wird.

Schritt 3: Abstimmung

Die ausgearbeiteten Entscheidungsvorlagen werden allen Mitarbeitern von den jeweils Verantwortlichen vorgestellt. Auch hierzu empfiehlt sich der Einsatz einer Plattform. Ein einheitliches Vorlagenformat erleichtert allen Mitarbeitern die Orientierung. Falls sich einzelne Vorlagen widersprechen, sollten die Verantwortlichen der Vorlagen klar darauf hinweisen.

Die Abstimmung verläuft in drei Phasen:

  • Phase 1: Jeder Mitarbeiter kann Verbesserungsvorschläge zu den Vorlagen einbringen und /oder Empfehlungen aussprechen. Eine Plattform mit Kommentar- und Unterstützungsfunktion vereinfacht den Prozess.
  • Phase 2: Die Verantwortlichen bekommen dann die Möglichkeit, ihre Vorlage aufgrund der Anmerkungen anzupassen. Zur Abwägung ihrer Entscheidung ist die Stärke der Unterstützung für die einzelnen Kommentare hilfreich.
  • Phase 3: Zu einem vorab fest definierten Zeitpunkt wird über die Anpassungen der Strategie eontschieden. Alle Vorlagen sollten bis dahin übersichtlich dargestellt sein, mit einer kurzen Zusammenfassung beginnen und die Entscheidungsempfehlung von unterschiedlichen Personen und der Geschäftsleitung ausweisen. Vorlagen mit über 50% Zustimmung (oder einer anderen Mehrheit) gelten als angenommen und werden in die Strategie eingearbeitet. Falls sich Vorschläge widersprechen, gilt der Vorschlag mit der höheren Mehrheit als angenommen.

Dieser Prozess kann und sollte nicht nur schriftlich ablaufen. In Versammlungen oder Videokonferenzen sollten Vorlagen diskutiert und erarbeitet werden und die Verantwortlichen so die Möglichkeit haben, ihre Vorlagen zu erläutern und um Unterstützung zu werben.

Schritt 4: Umsetzung

Als Zeichen der Ernsthaftigkeit des Prozesses und um das Engagement der Mitarbeiter nicht zu enttäuschen, muss sich die Geschäftsleitung vorab auf die Umsetzung der Ergebnisse verpflichten. Sie kann durch eigene Vorlagen, Kommentare und Empfehlungen und – sofern vom Ideengeber gewünscht – die Mitarbeit bei der Erarbeitung anderer Vorlagen versuchen, die Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Diese Beeinflussung sollte jederzeit transparent und mit einer gewissen Zurückhaltung erfolgen, da auch bei demokratischen Entscheidungsprozessen die Geschäftsleitung großen Einfluss hat. Sollte die Mehrheit der Mitarbeiter eine Vorlage befürworten, die der expliziten Priorität der Geschäftsleitung entgegensteht, muss sie diese dennoch umsetzen. Tut sie dies nicht, verkommt dieser Prozess zur Farce und macht ihn innerhalb kurzer Zeit zu einer Spielwiese für die Radikalforderungen einiger weniger – die große Mehrheit engagiert sich dann nicht mehr. Das führt einen solchen Prozess innerhalb kurzer Zeit ad absurdum.

Der große Vorteil in der beschriebenen Umsetzung liegt darin, dass viele Mitarbeiter, insbesondere Meinungsmacher und Multiplikatoren, sich lange vor der Abstimmung mit den Vorschlägen auseinandergesetzt, diese diskutiert und sich untereinander abgestimmt haben. Wenn diese Vorlagen positiv entschieden sind und in die konkrete Umsetzungsphase eintreten, muss die Geschäftsleitung die Strategie nicht mühsam und aufwendig ins Unternehmen kommunizieren und die Mitarbeiter davon überzeugen. Sie muss lediglich die Energie der Verantwortlichen und ihrer Unterstützer entfesseln und eine Umgebung schaffen, in der die Mitarbeiter die Umsetzung erfolgreich realisieren können.

Auch die Mitarbeiter, die eine Strategieänderung nicht gutheißen – und diese gibt es immer – sind in einen solchen Prozess anders eingebunden. Bei der Strategieentwicklung von oben geben diese Mitarbeiter häufig Störfeuer und erschweren die Umsetzung von Strategien. Durch eine demokratische Strategieentwicklung wurden auch ihre Vorschläge gehört. Sie beugen sich der Mehrheitsentscheidung und akzeptieren diese einfacher, als einem ihnen widerstrebenden Beschluss der Geschäftsleitung.

Nach einigen Wiederholungen gewinnen alle Beteiligten Vertrauen in diesen Prozess. Mitarbeiter engagieren sich stärker, da sie erleben, dass ihre Vorschläge ernst genommen und bei hinreichender Unterstützung auch umgesetzt werden. Der Mut der Geschäftsleitung, Mitarbeiter verantwortlich in die Strategieentwicklung einzubeziehen, wird auf diese Weise belohnt: Es entsteht Raum für viele gute Ideen und Vorschläge, schlechte oder unsinnige Vorschläge setzen sich nicht durch und angenommene Vorschläge, selbst wenn diese zunächst nicht die Unterstützung der Unternehmensleitung fanden, erzielen meist positive Ergebnisse. Selbstverständlich werden auch Entscheidungen fallen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen. Zu solchen Fehlentscheidungen kommt es jedoch auch in anderen Strategieprozessen – dort aber weniger einfach revidierbar. Die positiven Auswirkungen überwiegen bei weitem und rechtfertigen den Mut der Geschäftsleitung und das Engagement der Mitarbeiter allemal.

Übereinstimmung in grundlegenden Fragen ist gut für die Harmonie des Teams. Foto: Unsplash.

Übereinstimmung in grundlegenden Fragen ist gut für die Harmonie des Teams. Foto: Unsplash.

Wie führen Sie diesen Vorschlag ein?

Es empfiehlt sich, den Vorschlag schrittweise einzuführen, sodass alle Beteiligten allmählich Erfahrung mit und Vertrauen in dieses Instrument gewinnen. Als schrittweise Einführung werden beispielsweise zunächst Teamziele und -strategien erarbeitet und nicht sofort die Strategie für das Gesamtunternehmen. In diesem kleineren Rahmen benötigen Sie zunächst keine elektronische Plattform, sondern können den Vorschlags- und Entscheidungsprozess in Form von Teamsitzungen unterstützt von Pinnwänden organisieren. Vorschläge werden auf Papier ausformuliert und angepinnt, Ergänzungen und Kommentare können auf Haftnotizen geschrieben und angeheftet werden. Die Unterstützung für Vorschläge kann mit farbigen Klebepunkten auf den Haftnotizen oder Vorschlägen visualisiert werden.

Wichtig ist auch hier, die Ergebnisse des Prozesses verbindlich umzusetzen. Eine schrittweise Einführung bedeutet keinesfalls, das Verfahren zunächst lediglich fakultativ durchzuführen und die finale Entscheidung oder ein Vetorecht bei der Führungskraft zu belassen. Das Instrument entwickelt erst dann seine positive Wirkung, wenn es ohne Sicherungsnetz durchgeführt wird. Mitarbeiter engagieren und bringen sich nur dann verantwortlich ein, wenn Entscheidungen gemeinsam erarbeitet, getroffen und wirksam umgesetzt werden – nicht nur diejenigen, die dem Willen der Führungskräfte entsprechen. Um dies zu erreichen ist es manchmal nötig, eine Fehlentscheidung umzusetzen. Dies veranlasst verantwortungsbewusste Mitarbeiter, sich in Zukunft stärker zu engagieren und einzubringen. Wenn Sie als Führungskraft Fehlentscheidungen gar nicht erst zulassen, kann das Instrument seine Wirkung nicht entfalten.

Eine schrittweise Einführung ist insofern sinnvoll, da Sie zunächst erste Erfahrungen in einzelnen Teams sammeln. Es handelt sich dann um ein räumlich begrenztes Experiment und bei Irrtümern und Fehlanwendungen hält sich der Schaden in Grenzen. Führen Sie den Prozess zunächst auf Teamebene ein, hat dies den Vorteil, dass unterschiedliche Teams den Prozess variieren, voneinander lernen und damit die Methoden, Prozesse und Instrumente passend für Ihr eigenes Unternehmen entwickeln können. Ebenso können Teams sich entscheiden, diesen Weg nicht zu beschreiten. Sobald sich ein gewisses Vertrauen, eine gewisse Übung und gewisse Instrumente entwickelt haben, lassen sich die einbezogenen Ebenen schrittweise erweitern, bis schließlich die Strategie des gesamten Unternehmens auf diese Weise erarbeitet und weiterentwickelt werden kann.

Welche Stolperfallen sind zu berücksichtigen?

Der größte Fehler besteht darin, demokratische Elemente fakultativ einzuführen. Das Instrument verkommt so zu einer reinen Mitarbeiterbefragung, die entweder die Unternehmensführung unterstützt oder keinerlei Berücksichtigung findet. Das führt zu Zynismus gegenüber dem Verfahren. Die breite, vernünftige Mitte engagiert sich nicht, weil dies offensichtlich keine Wirkung hat. Randgruppen instrumentalisieren das fakultative, demokratische Mittel als Sprachrohr für ihre radikalen Forderungen. Insgesamt wird es somit radikaler und weniger verantwortlich genutzt. So entsteht ein Teufelskreis, der das Instrument in kurzer Zeit desavouiert.

 

Obama und die Legalisierung von Marihuana

Eines der ersten, breitenwirksamen Experimente in diesem Zusammenhang war das Buch mit Vorschlägen der US-Bürger an Präsident Barack Obama. Das Überleitungsteam des neugewählten Präsidenten hatte die Idee, alle Bürger aufzufordern, ein Buch zusammenzustellen, ähnlich den täglichen Informationen, die der Präsident erhält. Bürger konnten Vorschläge einbringen, Kommentare dazu erfassen und mit ihrer Stimme unterstützen. 125.000 Nutzer brachten so 44.000 Ideen und über 1,4 Mio. Unterstützer ein. Auf Wikipedia sind sowohl die Funktionsweise als auch Kritik und Anerkennung gut zusammengefasst. Der Prozess war einerseits nur konsultativ und zudem nahm damals vermutlich nur eine eingeschränkte Zielgruppe (junge, progressive Internetnutzer) teil. Die meisten Stimmen (66.170) erzielte seinerzeit die Forderung nach der Legalisierung von Marihuana. Die Reaktion eines Sprechers von Obama lautete postwendend, dass Präsident Obama diesen Schritt nicht unterstützt. Dies setzte dem Instrument in der Administration Obama ein Ende.

Wenn Sie bei wirklich wichtigen Entscheidungen die Mehrheit übergehen, hat dies einen ähnlichen Effekt: Es untergräbt den verantwortlichen Umgang mit dem Instrument. Sie müssen lernen, aus Ihrer Sicht falsche Entscheidungen auszuhalten und diese bestmöglich umzusetzen. Wenn sich die Entscheidung tatsächlich als Fehler erweist, wird die Mehrheit rechtzeitig darauf reagieren. Möglicherweise lagen auch Sie selbst falsch – und Ihre Mitarbeiter hatten Recht.

Die Geschäftsleitung beeinflusst das Ergebnis übermäßig. Zwischen der Mitarbeit an einem solchen Prozess, dem Voranbringens eigener Vorschläge, dem Einbringen der eigenen Meinung zu anderen Vorschlägen einerseits und der Einschüchterung anderer Initiativen andererseits gibt es nur einen schmalen Grat. Dafür gibt es keine Zauberformel. Sie sollten sich stets bewusst sein, dass die Meinung der Unternehmensleitung großen Einfluss hat – und den Mut anderer im Keim ersticken kann, wenn sie unangenehmen Vorschlägen ihr gesamtes Gewicht entgegensetzt. Dies verängstigt nicht nur die Ideengeber, sondern schreckt auch andere ab, die das Geschehen zunächst beobachten, bevor sie selbst etwas einbringen oder eben nicht.

Der Prozess ist zeitaufwendig und schreckt einflussreiche Mitarbeiter ab, sich zu beteiligen. Warum sollten sich einflussreiche Mitarbeiter in einem solchen Prozess aktiv einbringen, wenn sie ohnehin gute Kontakte zu den Verantwortlichen haben – und ihr Ansinnen weitaus effizienter platzieren und umsetzen können? Sofern verschiedene Wege parallel bestehen, wählen gut vernetzte Mitarbeiter zweifelsohne einfachere Wege. Damit verkommt das Instrument zu einem Aufbegehren für weniger einflussreiche Mitarbeiter. Nur dann, wenn alle Beteiligten, d. h. auch einflussreiche Mitarbeiter und die Geschäftsleitung selbst, dieses Instrument aktiv nutzen, lassen sich viele Mitarbeiter erfolgreich aktivieren und einbinden.

Wie begegnen Sie Einwänden?

Die Einwände gegen demokratisch erarbeitete Strategien sind vielfältig. Sie widersprechen allem, was wir gelernt haben und in der Unternehmensrealität bewusst wahrnehmen: Heldenhafte Anführer führen Unternehmen aus der Krise, schädliche Anführer führen Unternehmen in die Krise. In unserer personifizierten Welt steht immer die Person an der Spitze im Fokus. In manchen Fällten gibt es auch Helden aus den Reihen der Mitarbeiter, wie etwa Eric Favre, der die Nespresso-Kapseln in seiner Freizeit entwickelte, da das Management nicht von deren Erfolg überzeugt war. Aber selbst diese Heldentaten werden Einzelpersonen zugeordnet und sind nicht Ergebnis der Zusammenarbeit vieler oder gar aller Mitarbeiter.

Häufige Einwände

  • So entsteht doch eine Weichspül-Strategie, weil alle mitreden können. Demokratie führt zur Mittelmäßigkeit und nicht zu visionären Strategien.
  • Eine demokratisch erarbeitete Strategie ist wenig kohärent, da lediglich viele Einzelentscheidungen addiert werden.
  • Der Aufwand, alle Mitarbeiter einzubeziehen, ist kolossal und nicht gerechtfertigt. Mitarbeiter sollen arbeiten und sich nicht um die Erarbeitung von Strategien kümmern.
  • Mitarbeiter mit innovativen Vorschlägen können diese manchmal nicht gut vertreten. Damit erhalten diese Vorschläge keine Chance auf Umsetzung.
  • Manche Vorschläge werden angenommen, weil sie populistisch und manipulativ eingebracht werden – obwohl sie nicht im Interesse des Unternehmens sind.
  • Welche Aufgabe hat denn dann noch die Geschäftsleitung, wenn dieser wichtige Verantwortungsbereich ausgelagert wird?

Zwei zentrale Argumente stehen all diesen Einwänden entgegen: Einerseits geht es nicht um die Wahl zwischen Geschäftsleitung oder Mitarbeitern – es geht vielmehr um die Frage Geschäftsleitung alleine oder alle Mitarbeiter inklusive der Geschäftsleitung. Andererseits wird man mit der Zeit die Erfahrung machen und das Vertrauen entwickeln, dass die Mehrheit der Mitarbeiter in der Regel in der Lage ist, durchaus sehr vernünftige und teilweise auch sehr mutige Entscheidungen zu treffen.

»So entsteht doch eine mittelmäßige Weichspül-Strategie«

Der Prozess einer demokratischen Strategieentwicklung hat vor allem zwei große Vorteile. Die Ideen und Meinungen aller Mitarbeiter werden sichtbar und können unabhängig von ihrer Herkunft erfolgreich sein. Auch die Führung muss ihre Vorschläge einbringen und sie einer kritischen Prüfung durch alle anderen unterziehen. So werden Defizite von Vorschlägen offen gelegt und entschärft, selbst wenn diese von der Geschäftsleitung stammen.

Dieses Vorgehen ist auch dann wirksam, wenn es um Leben und Tod geht. Der bekannte amerikanische Vier-Sterne-General Stanley McChrystal untersuchte die Effektivität von Teams in verschiedenen Situationen, zum Beispiel Notaufnahme, Feuerwehr, Delta Force, Special Operations, SEALs. Er fand heraus, dass ein offenes Ohr und die ernsthafte Auseinandersetzung mit allen Vorschlägen im Rahmen der Erarbeitung einer Strategie erfolgskritische Faktoren sind. (Ebenso wie eine dann klar angeführte Umsetzung.) Entsteht durch eine Einbindung aller Mitarbeiter eine gute, präzise Strategie, erhält diese die Unterstützung der Geschäftsleitung und auch anderer Meinungsbildner – und setzt sich in der Abstimmung erfolgreich durch. Entstehen keine guten Vorschläge, ist auch die finale Strategie nicht gut. Sie ereilt dann dasselbe Schicksal, das eine Strategieentwicklung von oben nach unten häufig erleidet: sie verpufft ohne Wirkung.

»Eine demokratisch erarbeitete Strategie ist wenig kohärent«

Tatsächlich besteht die Gefahr, dass einer demokratisch erarbeiteten Strategie die Kohärenz fehlt. Diese Gefahr ist auch anderen Strategieentwicklungen immanent und kann nur durch großes Engagement von zahlreichen Beteiligten gebannt werden. Immer wenn bequeme Kompromisse einer intensiven Auseinandersetzung vorgezogen werden, wird es der Strategie an Kohärenz mangeln, völlig unabhängig davon, auf welchem Weg sie erarbeitet wurde.

Formulieren Sie zu Beginn des Gesamtprozesses das klare Ziel einer kohärenten Strategie. Definieren Sie, was Sie darunter verstehen. So lässt sich der Prozess an diesem Ziel ausrichten und dorthin führen. Wenn mehrere Vorschläge eingebracht werden, die sich gegenseitig zwar nicht ausschließen aber dennoch die Kohärenz der Strategie gefährden, kann über diese alternativ entschieden werden: Es wird nur der Vorschlag angenommen, der die höhere Zustimmungsrate erhält, auch wenn beide Vorschläge eine Mehrheit erhalten sollten. Dieses Verfahren stellt einen sehr formalistischen Zugang zu einer kohärenten Strategie dar. In den meisten Fällen genügt bereits die Zielausrichtung auf Kohärenz und ein möglicher formaler Lösungsweg, damit sich die Verantwortlichen zusammensetzen und sich wechselseitig abstimmen.

»Der Aufwand, alle Mitarbeiter einzubeziehen, ist kolossal und nicht gerechtfertigt«

Keine Frage: Der Aufwand eines solchen Prozesses ist hoch. Die Mitarbeiter müssen sich mit zahlreichen Ideen und Überlegungen befassen, die ihnen bislang abgenommen wurden. Oft hört man auch, dass viele Mitarbeiter gar nicht daran interessiert sind, an der Strategieentwicklung mitzuwirken.

In einem derartigen Prozess gibt es immer engagierte Mitarbeiter, die sich stärker einbringen und andere, die sich weniger damit beschäftigen. Diese engagierten Mitarbeiter machen sich auch ohne demokratische Prozesse eigene Gedanken und versuchen, andere von ihren Ideen und Meinungen zu überzeugen. Somit wenden motivierte Mitarbeiter meist nicht wesentlich mehr Zeit auf, als sie ohnehin investieren würden. Weniger interessierte Mitarbeiter verhalten sich entsprechend, um nicht übermäßig viel investieren zu müssen. Sie enthalten sich etwa der Abstimmung und überlassen die Entscheidung anderen – was durchaus angemessen sein kann. Alternativ zur Enthaltung folgen sie den Empfehlungen von Personen, denen sie vertrauen. Dadurch müssen sie sich nicht vertieft mit den Inhalten auseinandersetzen. Diese Mitarbeiter werden die so entwickelte Strategie in den meisten Fällen akzeptieren und unterstützen.

Der größte Vorteil wird erkennbar, wenn man den Gesamtaufwand einer Strategieentwicklung und -implementierung in den Blick nimmt. Eine Strategieentwicklung allein ist im Elfenbeinturm der Unternehmensleitung sicherlich weniger aufwendig. Sobald man jedoch Informationen aus dem Umfeld mit einbeziehen will, beginnt die aufwendige Befragung von Kunden-Fokusgruppen und Mitarbeitern. Neben dem Zusatzaufwand ist das Ergebnis meist wenig aussagekräftig, da es sich um eine reine Befragung handelt und nicht um verantwortungsvolle Mitentscheidungen. Bei der Strategieumsetzung schließlich unterscheiden sich beide Ansätze fundamental: Eine von allen Mitarbeitern miterarbeitete und mitentschiedene Strategie wird mit weit weniger Aufwand im Unternehmen umgesetzt als eine von oben verordnete. Die Kommunikation und Werbung für die neue Strategie – womöglich gegen die Widerstände von Mitarbeitern, die nicht einverstanden sind – sind bei einer von oben verordneten Strategie deutlich aufwendiger.

»Mitarbeiter mit innovativen Vorschlägen können diese manchmal nicht gut vertreten«

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Art der Präsentation Einfluss auf die Erfolgsaussichten eines Vorschlags hat. Dies ist bei anderen Konzepten der Strategieentwicklung nicht anders. Mitarbeitern, die sich in einem demokratischen Prozess nicht durchsetzen, gelingt dies auch nicht in einem von oben gesteuerten Prozess. Wenn eine weitsichtige Unternehmensleitung die Genialität eines Vorschlags in einem klassischen Prozess von oben nach unten berücksichtigt, kann sie das auch in einem Prozess, der von allen gemeinsam getragen wird. Sie kann sich immer hinter einen guten Vorschlag stellen und ihm zum Erfolg verhelfen. Gute Vorschläge von schlechten Verkäufern haben durch die große Anzahl an Beurteilern zudem mehr Chancen, entdeckt und von guten Verkäufern unterstützt zu werden. Im Rahmen eines demokratischen Prozesses ist die Wahrscheinlichkeit weitaus größer, dass gute Vorschläge Gehör finden und realisiert werden.

»Manche Vorschläge werden angenommen, weil sie populistisch und manipulativ eingebracht werden«

Die demokratischen Vorgänge in der Politik lassen häufig Zweifel am grundsätzlichen Vertrauen auf die Vernunft der Bevölkerung aufkommen. Sieht man jedoch genauer hin, treffen Populismus und Manipulation nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn das System ansonsten keine direkte Einflussnahme zulässt. Extremistische Parteien werden dann gewählt, wenn die Unzufriedenheit an der Basis überwiegt und kein anderes Ventil existiert. Analog dazu werden in Unternehmen nur dann extreme Positionen unterstützt, wenn die Mehrheit überzeugt ist, die Strategie zielt in die falsche Richtung und es gibt keine Alternative der Einflussnahme.

Die direkte Einbindung aller in den Prozess beugt derartigen Überreaktionen vor. Zwar werden auch Entscheidungen getroffen, die der Unternehmensleitung nicht genehm sind. Diese fungieren jedoch als wirksames Instrument, den Kontakt zu und die Abstimmung mit der Basis zu erhalten. Geht dieser Kontakt verloren, kann auch eine aus Sicht der Unternehmensführung ideale Strategie nicht erfolgreich umgesetzt werden

»Welche Aufgabe hat denn die Geschäftsleitung noch, wenn dieser wichtige Verantwortungsbereich ausgelagert wird?«

Die Geschäftsleitung muss auch in demokratischen Prozessen eine weiterhin starke Führungsrolle einnehmen. Von ihr kommen wichtige Impulse für die Strategie und ihre Einschätzung beeinflusst die Abstimmungen maßgeblich. Sie wird sich allerdings nicht gegen den Widerstand oder ohne Zustimmung der Mehrheit der Mitarbeiter durchsetzen können – sie muss diese überzeugen.

Der Unterschied besteht somit lediglich im Zeitpunkt dieser Überzeugungsarbeit. Bei einer demokratischen Strategieentwicklung muss sie die Mitarbeiter vor der Entscheidung überzeugen, bei einer von oben gesteuerten Strategieentwicklung ist dies nach der Entscheidung erforderlich. Häufig ist es einfacher, andere vor einer Entscheidung nachhaltig zu überzeugen, da alle wechselseitig besser zuhören. Meinungen werden zudem meist konstruktiver mitgeteilt, wenn es darum geht, eine künftige Entscheidung zu verbessern und nicht, eine bereits erfolgte Entscheidung zu kritisieren

Praxisbeispiel: Unternehmensstrategie bei Raiffeisen

Was macht Raiffeisen?

Als drittgrößte Bankengruppe in der Schweiz hat die Raiffeisen seit 2010 ihre Grundstrategie und Werte überarbeitet, um im dynamischen Bankenumfeld weiter erfolgreich agieren zu können. Besonders auffällig ist daran der starke Einbezug der Mitarbeiter. Anhand eines mehrjährigen Prozesses wurde dabei in vier Schritten vorgegangen:

  1. Ausarbeitung,
  2. Diskussion / Überarbeitung,
  3. Finalisierung und
  4. Verankerung.

In der ersten Phase entwickelte die Bank gemeinsam mit 1.500 Kadermitgliedern einen Entwurf für Grundstrategie und Werte. Die Beteiligten konnten sich dabei zu den verschiedenen Themen äußern. Anschließend wurden 3.000 Hinweise und fast 2.000 Änderungen des ersten Entwurfs diskutiert, bewertet und größtenteils in die Strategie übernommen. Die Krönung der Verankerungsphase stellte im Herbst 2015 ein riesiger Event dar, zu dem sich 10.000 Mitarbeiter an einem Ort versammelten, die Diskussionen in Foren fortführten und die Überarbeitungen der Grundstrategie abschlossen. Zur Entwicklung der neuen Strategie wurde somit eine kulturelle Intervention genutzt.

Welche Herausforderungen hatte Raiffeisen?

Die großen Teilnehmerzahlen spiegeln wider, dass diese Vorgehensweise ein komplexer Prozess ist. Die größten Herausforderungen bestanden darin, diesen langwierigen Prozess anzustoßen und über mehrere Jahre hinweg konstruktive Diskussionen nachhaltig zu implementieren bzw. aufrecht zu erhalten. Gerade für selbstständig organisierte Genossenschaften stellte es eine nicht zu unterschätzende Hürde dar, mehreren tausend Meinungen Gehör zu verschaffen, diese in einer Unternehmensstrategie tatsächlich aus- bzw. einzuarbeiten und die neuen Kulturwerte anschließend übergreifend zu integrieren.

Welche Chancen bieten sich Raiffeisen?

Die Raiffeisen Schweiz hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Top-Down-Ansatz zu vermeiden. Die Strategie sollte keinesfalls von oben nach unten vorgegeben und hingenommen werden. Der stellvertretende Geschäftsführer Patrik Gisel nennt als entscheidende Voraussetzungen Mitbestimmung und Eigenverantwortung, damit die neue Unternehmensstrategie erfolgreich verstanden und die Werte aktiv gelebt werden können. Der Zwischenabschluss von 2015 schrieb mit einem gesteigerten Gewinn der Gruppe äußerst positive Zahlen – ein positiver Zusammenhang mit der Einbindung der Mitarbeiter ist dabei nicht unwahrscheinlich.

Was macht Raiffeisen sonst noch?

Als selbstständige Genossenschaft mit beschränkter Gewinnausschüttung handelt die Raiffeisen in eigener Verantwortung bei der Bildung von Eigenmitteln.

Weiterführende Links:

Praxisbeispiel: Eine interne Revolution

Strategieänderung von unten

Die heutige Haufe-umantis war damals noch relativ jung: sie war ungefähr vier Jahre alt und hatte etwa 40 Mitarbeiter. Zu dieser Zeit programmierten wir individuell angepasste Weblösungen für das Talentmanagement von Unternehmen. Als Geschäftsführer war mir klar, dass es über kurz oder lang notwendig sein wird, auf die Herstellung von Standardprodukten umzustellen. Wir waren jedoch mit unseren bestehenden und den neuen Kunden sowie unserem Wachstum hinreichend ausgelastet. Ich stellte die Umstellung hintan, weil sie viel Zeit, Geld und Umsatz kosten würde.

Eines Tages luden mich unsere Kundenberater zu einer Besprechung ein. Sie hatten dafür ein externes Sitzungszimmer in der Altstadt von St. Gallen reserviert. In einer hervorragenden Präsentation zeigten sie auf, welche Probleme die aktuelle Strategie für unsere Kunden, für ihre eigene Arbeit und für unser gesamtes Unternehmen beinhaltete. Sie schlossen die Präsentation mit der klaren Ansage:

„Hermann, wenn wir nicht auf Standardprodukte umstellen – und zwar heute und nicht erst morgen – dann glauben wir nicht mehr an die Zukunft des Unternehmens und werden es verlassen.“

Ich bin heute noch dankbar, dass dieses Team den Mut aufgebracht hat, eine solche Präsentation zu halten – und so klare Worte zu finden. Obwohl die Firma noch überschaubar war, hatte ich als Geschäftsführer damals bereits zu viel Abstand zu den Kunden und den Mitarbeitern, sodass ich die Dringlichkeit der Umstellung unterschätzte. In wie vielen Unternehmen verlassen die besten Mitarbeiter das Schiff, das nach ihrer Meinung in die falsche Richtung segelt? Die Umstellung hat uns nahezu das Genick gebrochen. Hätten wir sie jedoch nicht umgehend realisiert, gäbe es das Unternehmen heute nicht mehr.

Dies war eines der Schlüsselerlebnisse für unsere Überzeugung, dass die Mitarbeiter, die im täglichen Kontakt zum Kunden, zum Markt und zum Wettbewerb stehen, meist besser und früher wissen, welche Strategie das Unternehmen einschlagen sollte, beziehungsweise welche Strategie zum Scheitern verurteilt ist. Es geht auch hier keinesfalls um entweder Chef oder Mitarbeiter, sondern um ein Zusammenarbeiten von sowohl Chef als auch Mitarbeitern.

 

Aus dem Buch „Wir sind Chef. Wie eine unsichtbare Revolution Unternehmen verändert“ von Hermann Arnold. 336 Seiten. Gebunden EUR 24,95, E-Book (ePUB/PDF) EUR 21,99. Haufe 2016. Mit freundlicher Genehmigung des Haufe Lexware Verlages.

 

Hermann Arnold studierte an der Universität St. Gallen Strategie und Organisation. Besonders prägte ihn das Verständnis von Unternehmen als „produktiven sozialen Systemen“ – eine Definition, mit der Hans Ulrich bereits 1968 in seinem gleichnamigen Buch den Grundstein für die internationale Ausstrahlung der Universität legte. Hermann Arnold ist Mitgründer und war zwölf Jahre Geschäftsführer eines Anbieters von Software und Expertise im Bereich Talentmanagement, der heutigen Haufe-umantis AG. Aktuell forscht er mit anderen Experten und Praktikern an einem „Betriebssystem für Unternehmen“, das die Konzepte und Werkzeuge der Unternehmensführung an die heutigen Anforderungen anpassen und erweitern soll.

 

Fotos: Pixabay, Unsplash.

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