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Verlage und Virtuelle Realität: Es scheitert am Geld

VR geht unter die Haut. Manchem mehr, als er erträgt. Foto: Unsplash

VR geht unter die Haut. Manchem mehr, als er erträgt. Foto: Unsplash

Virtual Reality, Augmented Reality, 360°-Video und Mixed Reality werden unter dem Begriff „Immersive Media“ zusammengefasst. Wo stehen Immersive Media in der heutigen Verlagspraxis? Darüber wurde auf den Münchner Medientagen diskutiert.

„VR, AR und 360° zum Anfassen“ versprachen die Veranstalter den Medientage-Besuchern in der „Immersive Media Area“ – eine Kombination von Ausstellung und Bühne. Um das Podium stand reichlich Hardware herum, die ein tiefes Eintauchen in virtuelle und gemischte Realitäten versprach. Auf dem Podium diskutierten derweil Dienstleister und Verlags-Spezialisten über die besten Wege, auch Verlagskunden auf Tauchgänge zu schicken. Unter ihnen Susanne Rupp, beim Cornelsen Verlag als Leiterin Bildungsconsulting verantwortlich für didaktische Konzepte und Zukunftsmodelle, EdTech Innovation, E-Learning und nicht zuletzt Lernen mit VR.

Millennials im Visier

Baustelle Verlagswirtschaft. Foto: Michael Lemster

Baustelle Verlagswirtschaft. Foto: Michael Lemster

Zusammen mit den Dienstleistern Linda Rath-Wiggins (Vragments) und Stefan Göppel (Re’Flekt) und Arne Ludwig, der sich als VR-Evangelist präsentierte, aber tatsächlich bei der Agentur Headtrip ebenfalls als Dienstleister positioniert ist, diskutierte Susanne Rupp über die Praxis von VR- und AR-Projekten in der Medienwirtschaft.

Dabei zeigte sich einerseits, dass der einzige auf dem Podium vertretene Verlag Cornelsen bereits umfangreiche Erfahrungen mit VR und AR hat, andererseits untypischerweise in einem viel engeren Raum agiert als die meisten anderen Medienunternehmen. Dieser Rahmen ist zum einen rechtlich definiert: Was in den Klassenraum hineinkommt, müssen grundsätzlich die Kultusministerien der Länder genehmigen. Und für diese Genehmigungen gibt es noch keine Standardverfahren.

Zum anderen müssen Bildungsverlage die Pädagogen als mächtige „Torwächter“ einbinden, die aus teilweise guten Gründen ihre eigenen Interessen haben – zum Beispiel ganz simpel den Wunsch, zu jedem Zeitpunkt mit jedem ihrer Schüler verbal und nonverbal kommunizieren zu können. Mit einem VR-Device auf jeder Schülernase ist dies nicht gewährleistet. Lehrer erwähnen auch immer wieder, dass der Zeitdruck ausufernde Experimente im Klassenzimmer verbiete.

Neue Technik, alte Metrik

Im Grundsatz waren die Diskutanten sich einig: Von „Leuchtturm-Projekten“ einmal abgesehen, geht es nur langsam voran mit immersiven Medien in den Verlagen. Der Hauptschuldige war schnell gefunden: das Geld – wobei die Software mit Preisen ab 300 Euro den allergeringsten Posten ausmacht. Aber ein Business Case in Virtual Reality wird nach wie vor auf der Basis bekannter Metriken wie Reichweite, Verweildauer oder Zahl der Interaktionen in Social Media gerechnet. Es gibt zwar Anwendungen wie VR-Heatmaps, die kenntlich machen, wie VR-User sich konkret durch eine „Experience“ bewegen. Aber der Markt ist noch weit entfernt davon, qualitative Faktoren in allgemein akzeptierte Statistiken gießen zu können. Dabei sehen die Fachleute diese qualitativen Faktoren sehr handgreiflich – aber eben noch auf anekdotischer Ebene. Schüler werden zum Beispiel durch VR extrem zum selbstständigen Weiterlernen motiviert, berichtete Rupp.

Wie diesen Buget-Zwängen entgehen? Hier sind einerseits die Hersteller von Software gefordert. Sie müssen dafür sorgen, dass Produzenten wegkommen vom projektbezogenen Coding. Und sie müssen die Updatefähigkeit von Anwendungen auf neue Versionen und Plattformen verbessern. Andererseits haben die Projektverantwortlichen viele Möglichkeiten der Kosten- und Ertragssteuerung. Sie können dafür sorgen, dass VR-Content mehrfach verwendbar wird. Sie können ihre Anwendungen modularisieren und diese Module in Mixed-Reality-Szenarien mit Text, Foto, Audio und Video integrieren. Und sie sollten, das betonte Dienstleister Göppel, wegkommen von spektakulären, aber defizitären One-Shots und hinstreben zu nachhaltiger Generierung von Aufmerksamkeit. Als Beispiel nannte Linda Rath-Wiggins einen VR-Adventskalender mit je einer VR-Experience pro Tag.

Konzepte gesucht

Konzeptionsfragen nahmen einen breiten Raum in der Diskussion ein. Rupp forderte für den Bildungsmarkt, dass vor allem anderen die Metalernziele geklärt werden müssen. Davon erst hänge ab, welcher Content eigentlich gebraucht werde, und erst davon wiederum die auszuwählenden Technologie. Diese müsse dann auch keineswegs „reinrassige“ VR sein. Mixed Reality biete sich gerade den content-starken Medienhäusern besonders an.

Medientage, Podiumsdiskussion. Foto: Michael Lemster.

Medientage, Podiumsdiskussion. Foto: Michael Lemster.

Diesen Content gelte es im Projekt didaktisch sinnvoll zu arrangieren und zu orchestrieren. Ein Beispiel brachte Göppel: eine Produktion von Deutschlandfunk Kultur zum kriminalistisch-politischen Problem der durch Verhörtechniken hervorgerufenen „False Memory“. Zwei Hörfunk-Features zu westdeutschen Kriminalfällen und ostdeutschen Stasi-Ermittlungen bereiteten die Hörer vor auf die Smartphone-App „StasiVR“. Diese macht die bedrohliche Situation eines Verhörs sinnlich begreifbar.

Wie immersiv darf »immersive« sein?

Wie immersiv „Immersive Media“ sein dürfen, ist und bleibt auf absehbare Zeit Diskussionsstoff. VR-Experiences wie „StasiVR“ sind gemacht, um unter die Haut zu gehen, sonst gäbe es sie nicht. Auch die Süddeutsche Zeitung mit ihrer virtuellen Flüchtlings-Reportage „Meer der Verzweifelten“ oder die BBC mit der Syrien-Reportage „We Wait“ testeten die Grenzen der Zumutbarkeit aus. Im außerschulischen Bereich fehlen die juristischen Leitplanken komplett. Ein Problem nicht nur für die Dienstleister, die es schwierig finden, sich vertraglich abzusichern.

Ausbildungsfragen

Wie ist es bestellt um die erforderlichen Skills und das Methodenwissen in den Medienhäusern? Aus den Reihen der Dienstleister kam überwiegend Anerkennung: Die Redaktionen haben verstanden, dass zu einem erfolgreichen VR- oder AR-Projekt eine Content-, eine Marketing- und eine Distributions-Strategie gehören. Ein Ziel-Workshop am Anfang sorgt meist für die erforderliche Klarheit im Ansatz und für die Diffusion von Wissen im Projektteam. Es ist wichtig, diese Teams interdisziplinär zu besetzen.

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Auch die Dienstleister sehen sich gut aufgestellt mit Fachleuten für alle Disziplinen, darunter die Tontechnik, die Arne Ludwig zufolge in VR-Produktionen weit unterschätzt wird. Besser könne es aber immer werden, forderte Ludwig, und sprach damit das Thema Ausbildung an. Nicht zuletzt um die Ausbildung zu verbessern, hat Arne Ludwig zusammen mit anderen den EDFVR (Erster Deutscher Fachverband für Virtual Reality e.V.) in Köln gegründet.

Vision des Verbandes: qualifizierte VR-Journalisten auszubilden, und ausgehend von Wochenend-Workshops, Hackathons und VR-Labs zu einem systematischeren Vorgehen zu gelangen.

Fotos: Unsplash, Michael Lemster.

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