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»Wem es zu viel wird, der soll gehen?« – Führungsstrukturen und organisatorischer Stress

Organisationsberater Edgar Rodehack. Bild: Jan Ingenhaag

Organisationsberater Edgar Rodehack. Bild: Jan Ingenhaag

Auch Führungsetagen brennen aus. Erkennbar ist dies, sobald liebloses, hirnloses und planloses Handeln zum Alltag gehört. Wenn Teams in Stress geraten oder es gar zu Fällen von Burnout kommt, so ist dies nicht nur für die Betroffenen oder die Teams ein Problem, wie Coach und Burnout-Experte Edgar Rodehack im HR-Channel von buchreport.de zeigt.

Denn die Leistung des gesamten Unternehmens steht auf dem Spiel – und zwar auf längere Sicht. Dabei sind Stress und Burnout keine Laune des Schicksals. Er ist ein hausgemachtes Problem, verursacht durch die Unternehmensstrukturen und das Verhalten der Vorgesetzten.

4 Mio Stress-Kranke

Vorsichtige Schätzungen besagen, dass 4 Mio Deutsche von krankhaftem Stress betroffen sind. Tendenz steigend. Hierzu zählen viele Erkrankungen in den unterschiedlichen Ausprägungen: Kreislaufprobleme, psychosomatische Störungen (schlechter Schlaf, Gedankenkreisel, Depression, Angstzustände, Burnout) und auch Muskel-Skelett-Schmerzen, allen voran Rückenleiden.

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In erster Linie leiden darunter natürlich zunächst die vielen Betroffenen. Doch auch die Produktivität von Firmen leidet unweigerlich bei Stresskrisen – bei Burnout sowieso: Sie können schlicht weniger leisten. Man möchte also meinen, dass Führungskräfte alles tun, um bereits die Entstehung von negativem Stress zu verhindern. Oft geschieht aber das genaue Gegenteil. Was ist da los?

Stress ist eine komplexe Angelegenheit. Ursache hat er in den individuellen Gefühls-, Denk- und Handlungsmustern der Betroffenen. Ausgelöst aber werden Stresserkrankungen in der Regel durch die Umstände am Arbeitsplatz, also etwa arbeitsreiche, angespannte Phasen ohne wirkliche Pausen oder konfliktreiche, ungeklärte Zustände, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Es sind also hauptsächlich die Strukturen, die darüber entscheiden, ob es in Organisationen zu Stresskrisen kommt. Die Leistungsfähigkeit und Stressresistenz einzelner MitarbeiterInnen spielt eine weit weniger wichtigere Rolle.

Allein gelassene Opfer

Und doch überlassen wir es gerne den Erkrankten, mit der Situation alleine klarzukommen. Keine Frage, oft geschieht dies aus unprofessioneller Ruppigkeit: „Wem es zu viel wird, der hat hier nichts verloren.“ Meist aber tun wir dies aus Unwissen über soziale Stressdynamiken und aus Rücksicht. Schließlich wollen wir niemandem zu nahe treten. Für alle Beteiligten ist dies allerdings unselig, weil wir damit Stress und auch Erhalt von Leistungsfähigkeit tabuisieren. Eine gute, allgemeine und auch nachhaltig leistungsorientierte Lösung wird so mindestens erschwert, oft sogar verhindert. Der Effekt: Der Stress steigt.

Denn statt im gesamten Team offen über gute Wege zu sprechen, wie Gesundheit, Zufriedenheit und Leistung für alle im Team wieder möglich sein kann, wird – wenn überhaupt – in kleinen Zirkeln über die Situation beraten und getuschelt. Gängig ist, den betroffenen MitarbeiterInnen dann zu ermöglichen, nach einer vielleicht sogar längeren Auszeit wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren – ohne dass jedoch die Umstände der Arbeit angepasst worden, die Teamstrukturen geändert, die Konflikte angesprochen oder gar gelöst wären. Oder die betreffenden MitarbeiterInnen werden gleich ersetzt – schließlich muss ja dafür gesorgt werden, dass die Arbeit weiter erledigt wird.

Auch wenn es oft nicht beabsichtigt sein dürfte, so lautet die wie ein Gift wirkende, unausgesprochene Botschaft an die Organisation, dass jeder auf sich selbst gestellt ist und schauen muss, wie er klar kommt. „Auf Unterstützung hat hier keiner zu hoffen.“ Die Situation droht so zu eskalieren, obwohl man sie doch in bester Absicht managen und lösen wollte. Für eine organisatorische „Gesundung“ von Stress sind jedoch zunächst die externen wie internen strukturellen Auslöser in den Blick zu nehmen. Zwei Fragen sind dabei besonders wichtig: Welche Vorgaben macht das Management? Und was tun die Führungskräfte?

»Stress nach Vorschrift«

Manager übernehmen wichtige Aufgaben für Unternehmen: Sie schaffen die Rahmenbedingungen, die der Rest der Unternehmung braucht, um möglichst rentabel produzieren und verkaufen zu können. Es geht also darum, ein finanzierbares Budget und realistische, motivierende Richtungsvorgaben zu machen. Und für ein gutes Leistungsklima zu sorgen. Dies gelingt offensichtlich nicht gut, wo einzelne Menschen oder ganze Teams in Stress geraten oder sogar deswegen ausfallen. Führungskräfte machen dort ihren Job nicht gut genug.

In den letzten zwanzig Jahren haben sich die meisten Unternehmen zu sehr effizienten Organisationen entwickelt. Das Ergebnis: So viele Geschäftsabläufe wie möglich sind automatisiert, die verbliebenen nicht-automatisierten Aufgaben werden von möglichst wenigen, sehr gut ausgebildeten Menschen erledigt. Die guten Betriebsergebnisse der letzten Jahre, auch jene der Verlags- und Buchbranche, sind auf diesen Optimierungsprozess zurückzuführen, der aber heute weitestgehend abgeschlossen ist. Die Folge: Ergebnisse lassen sich durch noch bessere Abläufe in noch kleineren Teams mit noch mehr Know-How kaum mehr oder nur in kleinen Schritten steigern. Die Tools der Vergangenheit funktionieren nicht mehr. Der ehemals große Hebel „Effizienz“ ist zu einem kleinen Hebel verkümmert.

Führungskräfte, Teams und auch Einzelpersonen versuchen trotzdem, ihre Ergebnisse damit zu steigern. Dadurch aber geben sie sich selbst und auch ihren Teams einen fast unmöglichen Auftrag, der das gesamte Team (also auch sie selbst) überfordert und maximal unter Stress setzt. Sie befeuern so jene Stresskrisen, in welchen sich die vielen Millionen Menschen befinden. Und mit ihnen ihre Unternehmen und vielleicht sogar die ganze Gesellschaft. Sie verhindern damit Leistung und Erfolg in großem Stile.

In Stress hineinführen – und aus Stress hinaus

Es ist eine Binsenweisheit der Motivationspsychologie: Um zu überleben und sich selbst zu verwirklichen, streben Menschen stets nach Erfolg und Anerkennung. Das gilt auch für Organisationen. Am erfolgreichsten und am leistungsfähigsten sind Menschen dabei, wenn es ihnen körperlich, psychisch und mental möglichst gut geht. Anhaltende Überforderung, Druck und Stress macht ihnen das schwer. Entsprechend braucht es gesunde Teamstrukturen. Die können sich einzelne Menschen aber nicht alleine schaffen, schon gar, wenn sie unter (krankhaftem) Stress leiden. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der allerdings jene besonders gefordert sind, die die Hauptverantwortung dafür tragen und dafür auch gezahlt werden: Die Führungskräfte.

Es liegt auf der Hand, dass für unternehmerischen, also organisatorischen und auch Managementerfolg heute andere, nämlich teamorientierte, gemeinschaftlich orientierte Wege zu gehen sind, die ernst gemeint sind. Besonders dürfte das für Unternehmen gelten, die mit Stress und Burnout kämpfen. Natürlich ist dies eine Aufgabe für die gesamte Belegschaft. Organisationen werden aber durch das Verhalten des Managements besonders geprägt. Deshalb sind Führungskräfte hier auch besonders gefordert. Sie haben zuerst ihre Haltung zu unternehmerischem und persönlichem Erfolg und damit auch ihr Menschenbild zu überdenken sowie ihr Verständnis von Organisation zu überprüfen. Und letztlich eben auch entsprechend anzupassen.

Das erfordert von den Führungskräften freilich einen echten Willen, besser zu werden. Und es erfordert Mut. Weil aber beides eine Grundvoraussetzung für den Beruf des Managers ist, dürfen wir getrost auf eine allgemeine gute Besserung hoffen.

 

Über Edgar Rodehack

Edgar Rodehack ist Organisationsberater, Teamentwickler, Coach und Projektleiter. Ausbildung im Einzelhandel, danach geisteswissenschaftliches Studium und gleichzeitiger Einstieg in die Verlagsbranche als Redakteur. Studienabschluss und Auslandsaufenthalt in Dublin/Irland mit internationaler Vertriebs- und Projekt-Erfahrung in der IT-Branche. Rückkehr nach Deutschland und Wiedereinstieg in die Verlagsbranche. Dort in zwölf Jahren mehrere vertriebs-, service- und IT-nahe Positionen: Projektleiter, Key Account Manager, Abteilungsleiter. Seit 2013 branchenübergreifend freiberuflich aktiv.

Kommentare

1 Kommentar zu "»Wem es zu viel wird, der soll gehen?« – Führungsstrukturen und organisatorischer Stress"

  1. Stress kann man so oder so sehen, es gibt ja durchaus auch positiven Stress. Hier habe ich einen kurzen kostenlosen Stresstest gefunden (https://www.neurolab-vital.de/index.php/online-fragebogen-stresstest-kostenlos.html), der Managern und Mitarbeitern helfen kann, die eigene Belastung einzuschätzen. Auf der Webseite gibt es auch einen ausführlichen Text zu gutem und schlechtem Stress – sehr informativ.

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