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Der junge Lenz, wie aus dem Nichts

Von nichts anderem als einer „Sensation“ schreibt Volker Weidermann. Zum Erscheinen von „Der Überläufer“ berichtet der Literaturredakteur im aktuellen SPIEGEL (9/2016) exklusiv über die Entstehungsgeschichte des bislang unveröffentlichten Romans von Siegfried Lenz (Foto: Ingrid von Kruse).

Nachdem im vergangenen Herbst mit „Das Wettangeln“ noch eine kleine, letzte Erzählung von Lenz erschienen war, die er kurz vor seinem Tod abgeschlossen hatte, schien es das gewesen zu sein, berichtet Weidermann.  „Lenz selbst hat in seinen letzten Lebensjahren keine alten, unpublizierten Texte erwähnt, seine zweite Frau Ulla erwartete nichts, Günter Berg, sein früherer Verleger und heutiger literarischer Nachlassverwalter, Geschäftsführer der Lenz-Stiftung, erwartete im Nachlass bestenfalls ein paar vergessene Erzählungen, Radiotexte, Essays, um sie später einmal gesammelt zu publizieren.“

Dann fand Berg aber einen Roman von 420 Seiten, den Hoffmann und Campe nun in einer Startauflage von 50.000 Exemplaren in den Handel gebracht hat. „Das ist erstens eine ziemliche Überraschung und zweitens, wenn man das Buch gelesen hat, eine Sensation. Denn das Buch ist eben nicht so, wie das normalerweise der Fall ist, wenn Nachlassverwalter oder Witwen aus den Überbleibseln eines Schriftstellerlebens Archiv-Sensatiönchen zusammenklauben, die der Autor zu Lebzeiten mit gutem Recht in den Keller seines Werks gesperrt hat. Nein, ‚Der Überläufer‘ ist ein großartiger Roman, der das Werk von Lenz und damit die deutsche Nachkriegsliteratur um ein eindrucksvolles Stück erweitert“, jubiliert Weidermann.

Aber auch die Geschichte des Werks, nämlich die seiner Ablehnung bis zu seinem Verschwinden sei „bemerkenswert“. Demnach legte der Verlag Hoffmann und Campe im Jahr 1951 eine Kehrtwende hin, bei der die damalige politische Gemengelage keine unwesentliche Rolle gespielt hat: „Der Kalte Krieg begann. Ein Überläufer zu den Sowjets als Held eines Romans – es durfte nicht sein“, konstatiert Weidermann. So wurde aus dem Manuskript mit ein paar handwerklichen Problemen ein Text, an dem fast alles schlecht war und jegliche Weiterarbeit „sinnlos“.

Nun ist der Roman doch noch bei Hoffmann und Campe veröffentlicht worden: „Es ist eines von Siegfried Lenz‘ besten Büchern, das nun hier aus dem Archiv heraus überrascht und umhaut. Plötzlich der junge Lenz, wie aus dem Nichts, unverstaubt.“

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