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Leseplätze im Auge

Werden die elektronischen Leseplätze in Bibliotheken zum Einfallstor für Online-Piraterie? Nachdem der Bundesgerichtshof eine extensive Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke an den Leseplätzen erlaubt hat, warnen jetzt die Verleger in einem Brief an die deutschen Hochschulleiter vor dramatischen Konsequenzen.

Hintergrund: Mitte April wies der Bundesgerichtshof als letzte Instanz eine Musterklage des Eugen Ulmer Verlags gegen die Technische Universität Darmstadt ab, mit der die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke an elektronischen Leseplätzen in Bibliotheken begrenzt werden sollte. Das Gericht erklärte in einer Pressemitteilung: Bibliotheken dürfen Wissenschaftsbücher selber scannen und ihren Nutzern erlauben, Teile daraus an den Leseplätzen herunterzuladen.

In einem Brief an die Leiter der deutschen Hochschulen warnen die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verlage (AwV) und die Arbeitsgemeinschaft rechts- und staatswissenschaftlicher Verlage (ARSV), jetzt drohe „massiver Schaden für die Autoren und die Verleger durch ins Internet gestellte und dort frei kursierende Digitalisate“. Es sei zu befürchten, dass „die Studierenden und auch die Bibliotheken unmittelbar auf dieses Urteil reagieren und die Bibliotheksnutzer alsbald Lehrbücher, Kommentare, wissenschaftliche Werke aller Art, aber auch sonstige Bücher, Zeitschriften und E-Books aus den Leseplätzen herunterladen, z.B. via USB-Stick und – dies ist die unausbleibliche Folge – auch ins Netz stellen, wo sowohl Kommilitonen als auch jeder andere Zugriff nehmen kann.“

Deswegen appellieren die Verleger, die Hochschulen sollten mit ihren „neuen“ Rechten zurückhaltend umgehen.

Das Schreiben im Wortlaut:

„Der Bundesgerichtshof hat am 16. April 2015 (Aktenzeichen I ZR 69/11) eine Entscheidung zur Nutzung von Werken an elektronischen Leseplätzen getroffen. Auf die Presseerklärung vom selben Tage, die wir Ihnen in der Anlage beigefügen, dürfen wir Sie hinweisen. Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung erlaubt, dass Werke zwecks Wiedergabe an elektronischen Leseplätzen der Bibliothek digitalisiert und von den nutzenden Studierenden heruntergeladen werden dürfen.

Die Entscheidung hat bei den wissenschaftlichen Autoren und in der Verlagswelt große Bestürzung ausgelöst. Nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift, § 52 b Urheberrechtsgesetz, war bisher von den Leseplätzen aus weder eine Digitalisierung noch die Fertigung von Vervielfältigungen erlaubt. Daran haben sich die Beteiligten bisher, mit geringen Ausnahmen, auch gehalten.

Jetzt aber droht massiver Schaden für die Autoren und die Verleger durch ins Internet gestellte und dort frei kursierende Digitalisate.
Vor einer abschließenden Bewertung dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs müssen noch die vollständigen Urteilsgründe abgewartet werden, die wohl erst in einigen Monaten vorliegen werden. Es ist zu hoffen, dass sich dort einige Klarstellungen finden, die eine extensive Auslegung dieses Ausspruchs verhindern.

Wir müssen gleichwohl befürchten, dass die Studierenden und auch die Bibliotheken unmittelbar auf dieses Urteil reagieren und die Bibliotheksnutzer alsbald Lehrbücher, Kommentare, wissenschaftliche Werke aller Art, aber auch sonstige Bücher, Zeitschriften und E-Books aus den Leseplätzen herunterladen, z.B. via USB-Stick und – dies ist die unausbleibliche Folge – auch ins Netz stellen, wo sowohl Kommilitonen als auch jeder andere Zugriff nehmen kann. Damit würden die Urheberrechte der Autoren und die Verlagsrechte der Verleger im Kern getroffen werden. Es würden immer weniger Bücher verkauft werden. Weil sich die Verleger immer weniger Erlöse von ihren Produktionen erwarten können, würden auch immer weniger Bücher produziert werden. Die Autorenhonorare sind regelmäßig vom Absatz abhängig und würden sich damit immer mehr vermindern. Interessante Ideen von Autoren würden keinen Verleger mehr finden.

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs werten wir Verleger auch deshalb für unsere Arbeit sehr negativ, weil es die schon jetzt zu beklagende, aber auch bekämpfte, illegale Verbreitung urhebergeschützer Inhalte (z.B. durch Uploader, Tausch-Communities, Dropboxes) stark fördert.
Es liegt im allgemeinen Interesse, einer derartigen Entwicklung, ausgehend von den Universitäts- und Hochschulbibliotheken, Einhalt zu gebieten.
Zunächst dürfen wir auf den Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52 b vom November 2011 hinweisen, der zwischen der Kultusministerkonferenz und den Verwertungsgesellschaften Wort und Bild-Kunst geschlossen wurde. Dort ist in § 2 Abs. 4 ausdrücklich geregelt, dass die Bibliotheken geeignete Maßnahmen zu treffen haben, analoge oder digitale Vervielfältigungshandlungen durch Nutzer der elektronischen Leseplätze (insbesondere Ausdrucken, Versenden per Email oder Abspeichern auf digitalen Speichermedien) zu verhindern. Solange dieser Vertrag läuft, ist die Vervielfältigung der an den elektronischen Leseplätzen verfügbaren Inhalte nicht zulässig. Der Vertrag ist nicht gekündigt. Eine Kündigung wäre theoretisch frühestens zum 31. Dezember 2015 möglich.

Darüber hinaus hat bereits der BGH in seiner Presseerklärung zur Entscheidung darauf hingewiesen, dass § 53 UrhG zu beachten ist. Unbeschadet des Vertrages vom November 2011 verbietet § 53 Abs. 4 UrhG die Kopie ganzer Bücher.

Nicht zuletzt ist auf die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft hinzuweisen. Nach Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie würden die Beschränkungen des Urheberrechts nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden dürfen, in denen die normale Verwertung des Werkes nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechteinhabers – also des Verfassers ebenso wie des Verlages – nicht ungebührlich verletzt werden.
Dieser wichtige Passus schützt den Kern des Urheberrechts vor einer zu weitgehenden Entwertung durch sogenannte „Schrankenregelungen“ (wie sie z.B. in den §§ 52 a und b sowie 53 formuliert sind). Es ist nicht nachzuvollziehen, wieso der Bundesgerichtshof die aus dem freien Download entspringenden Gefahren für die Wissenschaft und die Verwerter nicht erkannt hat.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir es sehr, dass auch Herr Oliver Hinte vom Deutschen Bibliotheksverband zur Zurückhaltung gemahnt hat. In einer Pressemitteilung vom 28. April 2015 hat er ausdrücklich empfohlen, die Verhandlungen mit den Kultusministern zum Rahmenvertrag nach § 52 b UrhG abzuwarten.

Wir haben uns berichten lassen, dass die Rektoren der Universitäten und Hochschulen mit ihren Gremien die Regelungsgewalt über die Arbeit ihrer Bibliotheken besitzen. Wir möchten Sie daher heute bitten, Ihren Einfluss dahin geltend zu machen, dass Zurückhaltung bei der Herausgabe von Digitalisaten an Studenten und andere Nutzer geübt wird. Dies sollte insbesondere gelten, bevor die betroffenen Verbände eine Vereinbarung über die Arbeit an den Leseplätzen getroffen haben.

Wir wären Ihnen auch sehr dankbar dafür, wenn Sie uns eine kurze Antwort zukommen ließen, ob Sie als Rektoren bzw. Geschäftsführer Handlungsmöglichkeiten sehen oder auch darüber, ob Sie eine andere Ansicht über die Sach- und Rechtslage vertreten.“

Kommentare

1 Kommentar zu "Leseplätze im Auge"

  1. „weil es die schon jetzt zu beklagende, aber auch bekämpfte, illegale
    Verbreitung urhebergeschützer Inhalte (z.B. durch Uploader,
    Tausch-Communities,
    Dropboxes) stark fördert.“ – Echt, die „illegale Verbreitung“ wird
    bekämpft? Bei E-Books? Mit welchen Mitteln? – Ich habe die starke Ahnung, dass Anwalts-Voodoo
    in diesem Zusammenhang wenig hilft. Wie lange soll es eigentlich noch
    dauern, bis die E-Book-Piraterie-Problematik mal rational und
    pragmatisch angegangen wird?

    Hauptquelle von E-Book-Piraterie sind ohnehin schon längst (vor allem russische) Bibliotheken, wobei es da gar keine Studenten braucht, sondern die Bibliothekare gleich selbst die E-Books bei L*G* einstellen. Der Schaden für die deutsche Buchbranche allein liegt bei, grob geschätzt, 20.000 Euro am Tag (bei einer angenommenen Ersatzrate von nur 1 Prozent – sie liegt vermutlich höher, zu welcher Annahme wir inzwischen auch gute Gründe haben). Die Hauptverantwortlichen von L*G* sind (uns) bekannt, wie wir Börsenverein und GVU schon vor längerem mitgeteilt haben, die darüber aber nicht mehr mit uns reden wollen. L*G* ist das echte, das große Problem, aber es gibt Chancen, es zu beseitigen – freilich nicht für umme.

    Das im Artikel angesprochene Problem ist sicherlich auch nicht so lustig (und für deutsche Anwälte attraktiver, was vermutlich der Grund ist, warum es läuft, wie es läuft). Aber sollte man sich nicht erstmal um den Balken im eigenen Auge kümmern?

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