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Sägen am eigenen Ast

Die Publikumsverlage eröffnen wie jedes Jahr mit ihrer Tagung in München die Branchendiskussion. Nach der großen Politik unter dem Eindruck der Terroranschläge von Paris geht es bei der AG Publikumsverlage auch ums Tagesgeschäft.

Die aktuellen Handelszahlen für 2014 weisen ein Minus auf (buchreport-Umsatztrend: –1,5%), auch die heute vorgelegten Zahlen des Börsenvereins weisen in diese Richtung (Sortiment: –1,2%, Bahnhofshandel, Warenhaus, E-Commerce: –2,1%).

Im Zusammenspiel von Verlagen und Sortiment bleiben bekannte Problemzonen virulent. Börsenvereins-Vorsteher (und Osiander-Buchhändler) Heinrich Riethmüller ermahnte in seinem Grußwort die Verlage. „Wenn Sie Online-Händlern Rabatte über 50% gewähren, sägen Sie am eigenen Ast“, schreibt Riethmüller den Verlagen ins Stammbuch. Weitere Forderung: Der harte Kopierschutz bei E-Books muss weg. Riethmüller: „Verkomplizieren Sie den Verkaufsprozess nicht unnötig.“

Hart ins Gericht gehen die Verleger mit dem Verband der Übersetzer. „Wir beobachten mit zunehmender Verärgerung, dass der Verband systematisch versucht, die mit dem Hanser Verlag vereinbarte Vergütungsregel, der sich fünf weitere, überwiegend kleine Hardcoververlage angeschlossen haben, als für sämtliche Publikumsverlage verbindliche gemeinsame Vergütungsregel durchzusetzen“, heißt es (verkürzt) in einem offenen  Brief der Verleger. „Die Übernahme dieser Regeln lehnen wir mit aller Deutlichkeit ab“, betonen die insgesamt 33 unterzeichnenden Verlage (darunter u.a. Bastei Lübbe, S. Fischer, Rowohlt und Droemer Knaur).

Hier die Rede von Heinrich Riethmüller im Wortlaut:

„Danke, dass ich hier sein darf. Sie werden es mir nachsehen, dass ich in meinem Grußwort nicht nur den Hut des Vorstehers aufhaben werde, sondern auch immer wieder den Hut des Buchhändlers – dies hat mit meiner Sozialisation zu tun, die ich nicht verleugnen kann. Außerdem habe ich mit Herrn Skipis vereinbart, dass ich mehr allgemeine Themen ansprechen werde, er dann auf die politischen und verbandspolitischen Themen eingehen wird.

Vor 1 Jahr war diese Tagung überschattet von der Insolvenz von Weltbild und der Befürchtung, dass in den Strudel auch Hugendubel hineingeraten könnte.

Uns war und ist klar, dass dies keine Systemkrise des Buchhandels war/ist, sondern eher zeigt, was passieren kann, wenn sich ein Unternehmen nicht auf den rasch ändernden Markt richtig einstellt.

Denn: Anders als bei den Insolvenzen der Vergangenheit (Kiepert, Schrobsdorf, Bouvier, Kaiser, die alle in einem damals stabilen Buchmarkt aufgegeben haben ) zeigt die Weltbild-Krise, wie radikal sich der Markt seit dem Aufkommen des Internets und amazons geändert hat:

Händler und Verleger können sich nicht mehr bequem zurücklehnen und hoffen, dass alles gut läuft, sondern wir müssen uns auf radikale Änderungen des Marktes einstellen. Der Leser / Kunde hat heute eine ganz andere Macht als noch vor 10 Jahren, er kann heute ganz frei und bequem entscheiden, wo und was er kaufen möchte. Ob lokal, im internet, neu oder antiquarisch, gedruckt oder digital, beim Autor, Händler oder Verleger.

Granulare Gesellschaft von Christoph Kucklick, letzten Herbst erschienen bei Ullstein, hat mich sehr beeindruckt. Der Autor, Chefredakteur bei Geo, hat diesen Begriff „Granulare Gesellschaft“ gewählt, weil jeder aufgrund der Datenfülle, die es über ihn gibt und ihm aber auch zur Verfügung steht, in seiner Singularität und Einzigartigkeit bestätigt wird. Nicht mehr der Durchschnitt, das Allgemeine zählt, sondern das Individuelle. Die Digitalisierung verändert radikal die Gesellschaft und natürlich auch unsere Geschäftsmodelle,  des Handels und Verlegens.

Es gibt eben nicht DAS Geschäftsmodell für alle Kunden, man kann eben nicht pauschal sagen, in wenigen Jahren wird nur noch digital gelesen, oder große Flächen im Handel funktionieren nicht mehr, oder die individuelle und gute Beratung ist die Domäne der Kleinsortimenter. Alle Modelle haben ihre Berechtigung und werden gebraucht, weil es eben ganz unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Wir müssen aufhören, vom Durchschnitt her zu denken, sondern müssen in der Ansprache individueller und emotionaler werden, genauer auf jeden einzelnen Kunden eingehen, seine Wünsche und Gewohnheiten erkennen und ihn permanent zu überraschen versuchen . Und genau hier kann man stationär punkten, die Vorteile der individuellen Ansprache ausspielen, die anders sind als der Algorhythmen der digitalen Welt.   

Und nur wenn uns das gelingt , können wir den Kunden bei uns halten. Amazon hat es als erstes Unternehmen geschafft, radikal kundenorientiert zu denken, das ist die unbestritten einzigartige Leistung von Jeff Bezos; er hat überelgt, wie kann es mir gelingen, die ganze Welt digital sichtbar zu machen und dem Kunden bequem anzubieten. Das bedeutet für den stationären Handel, aber auch für Verlage, eben diese Leistung auch zu bringen, unsere Kundenorientiertheit radikal zu verbessern und darüberhinaus mit den Dingen zu punkten, die die digitale Welt eben nicht bieten kann. Unser Vorteil könnte sein, dass wir alles können: Die buchhändlerischen Tugenden wie Sortimentsgestaltung, individuelle Beratung, Freundlichkeit, Kommunikation, Atmosphäre, Empathie und absolute Kulanz verbinden mit dem know how beim digitalen Lesen und im eigenen onlineshop Also alle Kanäle bedienen. Stationär wie mobil. Gerade deshalb ist es ja auch so wichtig, dass wir über das VLB die wichtigen Metadaten aller Titel bekommen, um mit dieser radikal verbesserten Datenqualität auch besser konkurrenzfähig zu bleiben oder zu werden. Es nützt nichts, auf amazon zu schimpfen und amazon schlechtzureden, wenn man nicht gleichzeitig selbst ein überzeugendes, bequemes Angebot bieten kann.

Aber gerade beim Verkauf digitaler Inhalte ist eine bessere Unterstützung der Verlage unabdingbar. Beispielsweise ist der harte Kopierschutz das größte Hindernis beim Vertrieb von ebooks. Extrem aufwändiges Verfahren, das amazon in die Hände spielt. Wenn wir immer noch das alte überkommene Kundenbild vor Augen haben, dass jeder ein potentieller digitaler Dieb ist und deshalb das Runterladen von Daten unnötig verkompliziert wird, ist das nicht mehr zeitgemäß. Das erinnert mich an die Zeit der Einführung der Selbstbedienung, wo viele Angst hatten, diese einzuführen, weil dann nur noch geklaut würde. Doch was ist passiert: Durch die Selbstbedienung im Buchhandel wurde die Schwellenangst radikal gesenkt, und der Umsatz hat sich vervielfacht. Deshalb meine Bitte: Verkomplizieren Sie nicht den Kaufprozesse und nochmals die Bitte, die Empfehlungen der AK Ecom und Akep umsetzen!

Es wird aber auch immer aufwändiger und schwieriger, Bücher stationär zu verkaufen. Qualifiziertes Personal ist teuer, Mieten in guten Lagen sind hoch, guter Ladenbau kostet viel Geld. Und dennoch wird der Sortimentsbuchhandel konditionell schlechter gestellt als Versandhandel. Anachronismus. Wenn das stationäre Buchhandelsnetz in seiner Vielfältigkeit erhalten werden soll, darf der stationäre Handel nicht schlechter gestellt werden als Versandhandel. Wenn ich immer wieder höre, dass amazon bei freier Lieferung in die Logistikzentren hinein Rabatt jenseits der 50% erhält, ist dies nicht nur schwer mit der Preisbindung vereinbar, sondern führt das auch zu Wettbewerbsverzerrungen. Wenn Verlage sich erpressen lassen, und auf jede Forderung von amazon eingehen, sägen sie mittelfristig auf dem Ast, auf dem sie selber sitzen. Ich habe mit großer Hochachtung beispielsweise gelesen, dass sich Umbreit weigert, nach Polen portofrei zu liefern und würde mich freuen, wenn das alle hier im Raum auch täten.

Wie Sie alle wissen, ist die mvb mit einem völlig überarbeiteten Buchhandel.de Portal an den Start gegangen. Damit hat die MVB eine völlig unabhängige Branchenplatform geschaffen, bei der sich jede Buchhandlung beteiligen kann, ohne sich an einen Zwischenhändler zu binden. Uns ist es gerade mit dem SPIEGEL in Verhandlungen gelungen, buchhandel.de bei SPIEGEL online als Bezugsquelle zu platzieren. Damit hat der Spiegelleser und Kunde die Möglichkeit, Bücher über seine Buchhandlung zu bestellen, entweder zur Lieferung nach Hause oder zur Abholung vor Ort. Wir sind nicht so blauäugig, damit amazon großen Umsatz abzujagen, aber der allgemeine Buchhandel wird damit zum ersten Mal bei einem relevanten Onlineshop als Alternative sichtbar, und konsequenten und bewußt einkaufenden Kunden, die es ja immer mehr gibt, wird jetzt die Möglichkeit geboten, bequem woanders als bei amazon einzukaufen. Alle Verlage werden in den nächsten Tagen Post vom Sortimenterausschuss erhalten, mit der Aufforderung, Buchhandel.de exklusiv in ihren eigenen online-Auftritt aufzunehmen. Auch hier ist uns bewußt, dass dies kein Riesen Geschäftsmodell sein wird, aber es ist wichtig, hier Flagge zu zeigen und Kunden Alternativen anzubieten.

Auch im vergangenen Jahr hat – bei insgesamt leicht rückläufigen Umsätzen – der stationäre Buchhandel leicht besser abgeschnitten als der online-Buchhandel. Für mich ist dies ein ermutigendes Zeichen, dass es unserer Branche offenbar gelungen ist, kritischen und bewußt einkaufenden Menschen, die es ja immer mehr gibt, klar zu machen, wie wichtig konsequentes Einkaufen ist. Der stationäre Handel und vor allem der stationäre Buchhandel steht auch für Werte und Inhalte, die für unsere Gesellschaft wichtig sind. Wer nur online einkauft, trägt dazu bei, qualifizierte Arbeitsplätze abzubauen, die Innenstädte ausbluten zu lassen, die Umwelt zu verschmutzen und den digitalen Kapitalismus zu unterstützen. Dies wird immer mehr diskutiert und wird immer mehr bei Kaufentscheidungen eine Rolle spielen, davon bin ich überzeugt. So wie es immer wichtiger wird, dass Unternehmer einen Wertekanon erfüllen und beispielsweise Profitmaximierung nie der alleinige Unternehmenszweck sein kann, sondern Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit und soziales Engagement ebenso wichtig sind, so wird sich auch immer mehr beim Kunden durchsetzen, dort einzukaufen, wo er weiß, dass er mit seinem Einkauf auch etwas bewirkt.  Allerdings muss er eben auch die entsprechenden bequemen Angebot vorfinden. Meiner Ansicht nach, wird es darauf ankommen, diese Kommunikation vermehrt zu führen, einerseits dem Handel klar zu machen, dass er bequeme und kundenorientierte Angebote schaffen muss und andererseits dem Kunden klar zu machen, welche Möglichkeiten und Macht er mit seinem Einkaufsverhalten besitzt, auch gesellschaftspolitisch wirken zu können.“

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