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Ehrhardt F. Heinold: Vom Ganzen zum Teil zum Ganzen

Ehrhardt F. Heinold: Vom Ganzen zum Teil zum Ganzen

Granulare Inhalte sind das Zauberwort der Stunde: Wenn Verlage ihre Produktentwicklung den dynamischen Anforderungen des Marktes und den rasanten Änderungen der Medientechnik anpassen wollen, brauchen sie „granulare Inhalte“. Der Weg dahin ist in der Theorie leicht beschrieben, stellt die Verlage in der Praxis jedoch vor große Herausforderungen.

In Strategieworkshops zum Thema Digitalstrategie male ich immer öfter ein Bild an das Flipchart, das einen alten Witz des Digitalpioniers Arnoud de Kemp aufgreift: Mit seinem „Input – Putput – Output“-Chart hat er unzählige Meetings und Konferenzen zum Lachen gebracht. Gemeint hat er damit einen Workflow, der beschreibt, wie Inhalte entstehen, wie diese aufbereitet und schließlich publiziert werden. Vor allem der Putput-Bereich, also die zentrale Contentdatendank, ist das Herzstück dieses Prozesses: Diese dient als Zentrallager für alle Inhaltsbausteine, aus denen zukünftig Produkte und Services erstellt werden. Je besser diese Contentmaschine gebaut ist, desto mehr lässt sich aus ihr herausholen.

Input

Input: Wie klein darf es sein?
Der Input stellt die Frage nach der kleinsten sinnvoll verwendbaren Contenteinheit. Lange Zeit wurde diese Granularisierung den XML-Experten überlassen. Dabei muss die Frage nach der Granulatgröße auf Basis von Geschäftsmodellstrategien getroffen werden. Die Kernfrage lautet: Wie müssen Inhalte beschaffen sein, damit ich daraus zukünftig möglichst flexibel und wirtschaftliche neue Produkte erstellen kann? Diese Entscheidung können letztlich nur die Produktverantwortlichen treffen – sie müssen überlegen, welche Anforderungen cross- und mehrmediale Distributionswege und Produktformen zukünftig stellen. Das mag in Teilen eine spekulative Arbeit sein, aber nur so wird die Grundlage für eine flexible Contentbasis gelegt. Und dabei sollte auch klar werden: Wer keine Mehrfachverwertung benötigt oder seine Inhalte nicht sinnvoll granular aufgliedern kann (wie z.B. bei Belletristik), der benötigt eine viel einfachere Struktur als jene, die mit kleinsten Einheiten zu tun haben (wie Rechtsverlage).

Viele Verlage fangen nicht bei null an, sondern sie haben Produkte: Zeitschriften, Fachbücher, Reiseführer etc. etc. Für sie stellt sich die einfache, aber im Detail knifflige Frage: Wie lassen sich Inhalte, die ursprünglich für gedruckte Werke geschaffen wurden, granular strukturieren? Die Antwort kann im Extremfall negativ ausfallen. Dann macht es mehr Sinn, neue Inhalte zu generieren, als untaugliche Printkonzepte mühselig zu migrieren. Als Langenscheidt seine Reiseführerdatenbank Ende der 90er erstellt hat, sind sie diesen Weg gegangen – eine richtige Entscheidung, da nur so eine einheitliche Datenbasis aufgebaut werden konnte. Der Preis: Beide Welten müssen parallel gepflegt werden. Wer also kann, sollte nach der einheitlichen Datenbasis suchen. Dabei kann es notwendig sein, Kompromisse einzugehen: Damit Inhalte einheitlich strukturiert werden können, müssen oft Buch- und Zeitschriftenkonzepte vereinheitlicht werden. Das macht nicht allen Autoren Spaß, und für die Stars wird ein Verlag sicher Ausnahmen machen müssen…

Das Contentzentrallager als Baumarkt und Möbelhaus
In der zentralen Contentdatenbank werden die granularen Inhalte möglichst medienneutral gespeichert. Wertvoll werden sie vor allem durch Metadaten, die am besten schon bei der Erzeugung erstellt werden. Zusätzlich ermöglichen technische Verfahren mit ziemlich guten Ergebnissen eine nachträgliche Metadaten-Anreicherung und eine semantische Verknüpfung, durch die neue Verwertungsoptionen entstehen. Das Zentrallager hat zwei Funktionen:
1. Als Baumarkt bietet er alle Materialien (wie z.B. Kapitel oder Grafiken), um neue Produkte zu erstellen.
2. Als Möbelhaus bietet er fertige Einzelprodukte (wie z.B. Zeitschriftenartikel), die entweder einzeln verkauft werden oder die zu neuen Ensembles zusammengestellt werden können.

Da die meisten Verlage ihre Medienprodukte (z.B. Fachbücher) noch immer als ganze Einheiten verkaufen können, muss das Zentrallager im Stande sein, diese Produkte zu generieren. Das stellt hohe Anforderungen an die Granulierung und das Metadatenkonzept.

Output: Wie aus Granulaten Verlagsprodukte werden
Für die Erstellung von neuen Produkten aus diesem Contentzentrallager gibt es verschiedene Optionen:

  • Der traditionelle Weg ist die Arbeit eines Produktmanagers, Lektors oder Redakteurs, der aus den Inhalten auf Basis eines Konzeptes Medienangebote konzipiert.
  • Viele Verlage bieten Teile des Contentlagers ihren Kunden als Datenbank im direkten Zugriff an (z.B. Artikelarchiv oder Rechtsdatenbank).
  • Einige Verlage öffnen ihre Contentlager für andere Unternehmen, damit diese aus den Daten oder Informationen neue Produkte erstellen (sog. API-Publishing)

Wie auch immer der Weg aussieht, er muss so einfach zu begehen sein, dass der Nutzer schnell die gesuchten Inhalte findet und auf seinem Zugangsgerät nutzen kann.

Erfolgsfaktoren
Das beschriebene Szenario ist nicht neu, sondern wird als Crossmedia-Publishing-Konzept in Verlagshäusern seit Mitte der 90er Jahre diskutiert und umgesetzt. Dennoch fangen nach meiner Beobachtung viele Verlage erst jetzt an, ein solches Contentlagerkonzept umzusetzen. Allen, die sich auf den Weg machen, möchte ich zum Abschluss noch ein paar Fragen als Erfolgsleitplanken mit auf den Weg geben:

  • Welche zukünftigen Geschäftsmodelle sind erkennbar?
  • Wie können aus den Geschäftsmodellen Konzepte für die Granularisierung und Verschlagwortung von Inhalten abgeleitet werden?
  • Wie kann eine „L’Art pour l’Art-Strukturierung“ verhindert werden, also die Erstellung von Granulaten, für die es keine (Mehrfach)Verwendung gibt?
  • Wie einheitlich müssen die Granulate strukturiert sein? Welche Auswirkungen hat das auf die Printprodukte?
  • Wie lässt sich der Content-Input-Prozess möglichst effektiv gestalten?
  • Welches Metadatenkonzept ist sinnvoll, und wie kann dieses am effektivsten in den Workflow integriert werden?
  • Wie sieht die organisatorische Umsetzung aus: Mitarbeiter, Abläufe, Verantwortlichkeiten, Projektmanagement?
  • Wie sieht die datentechnische Umsetzung aus (XML, Datenbankstruktur, Metadaten)?
  • Welche IT-Infrastruktur ist notwendig?

Ehrhardt F. Heinold ist Co-Geschäftsführer der Beratungsfirma Heinold, Spiller & Partner Unternehmensberatung GmbH.

Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Kommentare

5 Kommentare zu "Ehrhardt F. Heinold: Vom Ganzen zum Teil zum Ganzen"

  1. Bin ich jetzt doof oder beschreibt der nur das stinknormale Verlagsgeschäft?

  2. Mir ist nicht ganz klar, warum sich der Ton in den Branchenforen in den letzten zwei Jahren so sehr ins Negative verändert hat. Alles ist immer doof und jeder weiß es irgendwie besser, ohne aber konkrete eigene Erfahrungen mitzuteilen. Das hilft nicht!

    Weder das Thema der Mehrfachverwertung noch das Thema der Granulation von Information ist neu – das hat der Autor, soweit ich sehe – aber auch gar nicht behauptet.

    Er hat doch eher darauf hingewiesen, dass diese Themen weiter aktuell sind und ihre Bedeutung zunimmt. Letztlich hat er den Stand der Diskussion zusammen gefasst, was hilfreich ist.

    Manchmal wird Mehrfachverwertung ja so verstanden, dass man aus einer – wie auch immer strukturierten – Contentdatenbank irgendwie neue Produkte „generieren“ kann. Nach meiner Erfahrung aus mehreren Versuchen ist das aber im Fachinformationsbereich nicht unbedingt erfolgreich. Jedes Produkt braucht vielmehr einen identitätsstiftenden (neuen) Kern, dem dann bestenfalls bereits vorhandene Inhalte assoziiert werden können.

    Das geht insbesondere dann gut, wenn verschiedene Produkte thematisch nahe beieinander liegen. Mehrfachverwertung ist wahrscheinlich leichter möglich bei den Themen Risikomanagement, Qualitätsmanagement und Audit, als bei den Themen Personalrecht, Umweltrecht und Steuerrecht (mit Rechtsthemen kenne ich mich allerdings nicht besonders gut aus).

    Das geht auch ganz gut in Kombination mit Querschnittsthemen, wie zum Beispiel Projektmanagement.

    Während die Art der Granularität sich oft aufdrängt angesichts von Programm und Zielgruppe, erfordert eine auf Mehrfachverwertung hin ausgerichtete und systematisierte Programmplanung sowohl eine sorgfältige verlegerische Analyse als auch einen erheblichen zeitlichen Vorlauf.

  3. Herzlichen Glückwunsch, denn da ist es gelungen einen neuen Begriff zu schaffen, der bei Google noch nicht überlaufen ist. Das war garantiert mit heftigstem Nachdenken verbunden.
    Nun, Wissenschaftsverlage machen das seit Jahren (ohne den korrekten Terminus Technicus – Granulare Inhalte, zu benutzen). Na die Bösen! Man konnte bei Verlagen Bücher, Kapitel, aber auch einzelne Artikel kaufen. Ist nicht wirklich neu. Machen Fachzeitschriften auch sehr lange, ob Warentest, ob heise Verlag, … Will mal sagen, der Bart schleift schon etwas am Boden.
    Neu ist die Idee des zentralen Möbellagers sicher für Belletristik. Nennen wir es, um auch mal ein Wort zu erfinden, BooKEA.
    Ich nehme mir vor, ein Familienbuch zu basteln. Es muss spannend beginnen, also hole ich 2 Kapitel aus dem Hochregal „Thriller“ (Dan Brown war gerade on sale). Da dort der Vatikan (u.a.) vorkommt und Bildung gut ist, rühre ich noch ein Kapitel „Reiseführer Rom“ herunter mit ein paar Bildern vom Grabbeltisch. Zum Schluss (der Frau muss es ja auch gefallen) gibt es da noch im Herz-Schmerz Regal ein paar Schmonzetten, von denen ich mir das Ende hole. Dann trolle ich zur Kassen und freue mich darauf, aus den Teilen zu Hause ein Buch zu basteln. Hoffentlich passen die BooKEA Teile auch zusammen.
    Welche mentalen Anforderungen werden an die Verantwortlichen der Verlage gestellt, die diese „Unternehmensberatung“ beauftragen?

  4. Und schon wieder wurde ein neues Buzz-Wort kreiert, ohne wirklich etwas Neues zu sagen.

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