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Selfpublisher sind inkompetente Neurotiker

Passionierter Provokateur: Andrew Wylie (Foto: Frankfurter Buchmesse).

David Cronenberg, Colm Toíbin, James Ellroy, Karl Ove Knausgard, Gonçalo M. Tavares, John Ralston Saul, David Nicholls – die 35. Ausgabe des International Festivals of Authors (IFOA, 23. Oktober bis 2. November 2014) ist nicht arm an literarischen Schwergewichten. Neben kanadischen und internationalen Autoren sind zahlreiche Brancheninsider aus der ganzen Welt in Toronto zu Gast. Auf Einladung des International Visitors Programme, das die internationale Vernetzung der kanadischen Buchbranche anstrebt, reisten Verleger, Rechtehändler und Lektoren aus den USA und den Niederlanden, der Türkei und der Slowakei, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Mazedonien an, um fünf Tage lang Einblick in die kanadische Literaturszene zu erhalten. 

Volles Haus beim Auftritt des Schakals

Anfang der Woche stand die Keynote des legendären New Yorker Literaturagenten Andrew Wylie auf dem Programm: „The State of the Industry – What Matters for Writers“ lautete der Titel seines Vortrags. Trotz strahlender Herbstsonne füllte sich das ca. 200 Sitze umfassende Brigantine Auditorium im Harbourfront Centre bis auf den letzten Platz: Niemand mochte sich einen der seltenen öffentlichen Auftritte des „Schakals“ entgehen lassen. Und obwohl Vieles von dem, das Wylie an diesem Nachmittag erzählte, bereits an anderer Stelle nachzulesen ist, ist der Auftritt dieses Mannes im dunklen Maßanzug, mit schütterem Haar und stechendem Blick, ein Ereignis. Sein Talent, Branchenpersönlichkeiten zu imitieren, und seine Freude an der Provokation sorgen für Heiterkeitsausbrüche im Saal. 

Wylie setzt seine Pointen mit ätzendem Humor: „Selfpublishing verhält sich zu großer Literatur in etwa so, als würde man jedem, der einmal unter der Dusche gesungen hat, empfehlen, in der Mailänder Scala aufzutreten“, redet er sich warm. Um wenig später zu ergänzen: „Selfpublishing hat nichts mit unserer Kultur zu tun, und es wird keinerlei Konsequenzen haben, außer für ein paar neurotische Menschen, die für ihre Inkompetenz beglückwünscht werden wollen.“ Auf einige Erfolgstitel hingewiesen, spitzt Wylie zu: „Seien wir ehrlich – 50 Shades of Grey ist der peinlichste Moment in der westlichen Kulturgeschichte.“ 

Mission des Agenten: Das Einkommen der Autoren sichern

Der Erfolg der Wylie Agency, die nach dem Zusammenschluss mit der spanischen Literaturagentur von Carmen Balcells im Frühjahr 2014 die Interessen von rund 1000 Schriftstellern vertritt, beruht auf einer einfachen Formel: Literarische Qualität gepaart mit Jagdinstinkt und gewiefter Verhandlungstaktik. „Ich lege Wert auf Bücher, die Folgen haben, und die die Zeit überdauern werden. Ich denke, in finanzieller Hinsicht lohnen sich diese Titel am meisten – und sie sind auch ästhetisch am wertvollsten.“ Wylie ist bekannt dafür, die bestmöglichen Konditionen für seine Autoren durchzusetzen, was in der Konsequenz oft zu einem Wechsel des Verlagshauses führt: Eine Strategie, die ihm in der Branche viele Feinde (und Neider) einbrachte. Sein Kalkül geht nicht immer auf: „Ich betrachte es als meine Pflicht, einen Autor darauf hinzuweisen, wenn ich finde, dass er nicht angemessen repräsentiert wird. Ich habe anderthalb Jahre mit Javier Marias gesprochen, und ich habe ihm – schriftlich – bis ins letzte Detail erläutert, was meiner Meinung nach falsch läuft. Mit der Folge, dass er meinen Brief an seinen Agenten weitergeleitet hat – und anschließend sämtliche Verlage gewechselt hat.“
Wylies streitbare Positionen polarisieren: Die wichtigste Aufgabe eines Verlegers sei es, seinem Autor ein Einkommen zu sichern, stellte er klar. „Wenn unsere Autoren sich mit anderen Berufen über Wasser halten müssen, wird das unweigerlich Auswirkung auf unsere Kultur nach sich ziehen – sie wird schrumpfen, und sie wird immer beliebiger werden.“
Aufruf, gegen Amazon vorzugehen 

Dann packte er ein heißes Eisen an: Es herrsche ein Irrglaube in der Branche, dass Verleger erst dann Gewinne verbuchen, wenn ein Autor Autorin seinen Vorschuss erwirtschaftet hat. Das sei falsch. Bereits wenn die Hälfte des Vorschusses erwirtschaftet wurde, bedeute das für den Verleger einen Gewinn. Einen größeren Gewinn erzielen Verlage im zweiten Teil dieses Prozesses, bevor sie den Autoren Tantiemen auszahlten – eben weil diese Zahlungen noch nicht fällig seien. „Die Verlagsbranche hat jahrzehntelang sehr gut davon gelebt, Privatvermögen in ausgewählte Autoren zu investieren. Die Services, die Amazon bietet, sind kein adäquater Ersatz dafür. Amazon hat gar nicht die Infrastruktur, eigene Verlagsprodukte zu vertreiben. Sie werden vom Handel nicht angenommen.“

Wylies Keynote und das Interview, das CBC Radiomoderatorin Carol Off im Anschluss mit ihm führte, kreisten um den Druck, den Amazon seit einigen Jahren auf die Branche ausübt, und die Folgen für die Verlage. Die Brutalität und die unverschämte Verhandlungstaktik, mit der Amazon die Verleger vor den Kopf stieß – Wylie scheute nicht davor zurück, den Onlinehändler mit dem IS zu vergleichen, ohne jedoch weiter darauf einzugehen –, habe mittlerweile zu der Erkenntnis geführt, dass ein Handelspartner, der unzumutbare Bedingungen aufzwingt, auf lange Sicht durch andere Vertriebspartner ersetzt werden müsse. „Die Verlagsbranche hütet unser kulturelles Erbe. Wenn wir uns nicht gegen Amazon wehren, können wir niemanden dafür verantwortlich machen als uns selbst. Und wir kommen allmählich an den Punkt, wo das Jammern aufhört und das Handeln beginnen muss. Hachette ist der erste Verlag, der sich gegen das Diktat von Amazon gewehrt hat. Und der Deal, den Simon & Schuster mit Amazon geschlossen hat (und über den niemand reden darf) ist ziemlich nah an das Agency-Modell angelegt. Das ist gut für Autoren.“

Digital kann Print querfinanzieren

Wylie ist überzeugt davon, dass der Umsatz mit digitalen Produkten sich bei 30% des Gesamtumsatzes der Verlage einpendeln wird. „Digitale Inhalte – ob Liebesromane, Thriller oder Fantasy – sind meiner Meinung nach kurzlebig. Wir sind jetzt wieder in der Situation, in der die Margen, die Verleger mit digitalen Umsätzen erzielen, den weniger profitablen Printbereich querfinanzieren. Verlage werden in der Lage sein, ihre Autoren mit 40 oder 50% an ihren jeweiligen digitalen Umsätzen zu beteiligen, und dann werden Autoren endlich genug Geld verdienen, um von ihrem Schreiben leben zu können. Das ist meiner Ansicht nach die wichtigste Verpflichtung der Verlage, deren Interessen – im Kampf gegen Amazon & Co – zum ersten Mal mit denen der Autoren gleichgerichtet sind.“  
Text: Kathrin Grün

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