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Niklas Jansen: Wie „Micro reading“ uns tatsächlich dabei helfen kann, mehr zu lesen und zu lernen

Niklas Jansen: Wie „Micro reading“ uns tatsächlich dabei helfen kann, mehr zu lesen und zu lernen

Unser Leseverhalten hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Wir sind vielbeschäftigt und eilen gehetzt von A nach B – immer mit dabei: das Smartphone. Zeit für regelmäßiges Lesen von Büchern bleibt dabei kaum. Unsere Aufmerksamkeitsspanne sinkt kontinuierlich und mit ihr auch das Interesse am Lesen von Büchern. Und doch ist das Bedürfnis nach Informationen noch immer tief in uns verankert, mehr noch: Es wird in einer schnelllebigen Zeit immer wichtiger auf dem Laufenden zu sein und die neusten Ideen und Konzepte zu kennen. Aber ist das nicht paradox?

Die Notwendigkeit nach neuen Erkenntnissen und Wissen ist stärker als je zuvor und doch werden immer weniger Bücher gelesen. Ein Blick in das private Bücherregal (oder den Kindle) bestätigt das sicherlich für viele. Aber wieso ist das so? Ein Hauptgrund ist, dass die Form des Buches für den modernen Leser oftmals nicht mehr zeitgemäß ist. Um das Interesse am Lesen zurückzugewinnen, bedarf es neuen Ansätzen bei der Vermittlung und Präsentation von Wissen und Informationen.

Ein typisches Sach- und Ratgeberbuch ist eine Ansammlung von Wissen, welches in einer logischen Struktur auf anschauliche Art und Weise neue Erkenntnisse vermittelt.  Allerdings ist der Wert eines solchen Buches oftmals ungleich verteilt. Nicht für jeden Leser ist jede Erkenntnis gleich interessant. Die meisten haben daher wenig Interesse, mehrere hundert Seiten durchzuarbeiten. Sie suchen Informationen – am Besten sofort und so einfach wie möglich. Der Drang nach sofortiger Bedürfnisbefriedigung (“Instant Gratification”) zieht die jüngere Generation zu schnell zugänglichen Medien wie Blogs, Podcasts oder YouTube Videos.

Doch was können wir dagegen tun? Wir müssen unsere aktuelle Vorstellung von Sach- und Ratgeberbüchern verändern – der Inhalt, die Darstellung und die Distribution müssen angepasst werden um den modernen Lebens- und Lesegewohnheiten gerecht zu werden. Es ist nicht genug, ein 300-seitiges Buch in E-Books zu verwandeln. Die Herausforderung der Zukunft ist es, zeitgemäße Leseerlebnisse (“Reading Experience”) zu entwickeln, bei denen trotzdem die hohe Qualität des Inhaltes und der Wert der nachhaltigen und stringenten Gedanken eines Autors nicht verloren gehen.

Eine mögliche Lösung ist das “Micro Reading”: Ein neuartiges Format, das Texte in einprägsamen Häppchen präsentiert – oftmals optimiert für Smartphones, dem am schnellsten wachsenden Lesegerät auf diesem Planeten.

Natürlich ist Micro Reading kein Ersatz für das Lesen von Romanen oder anderer literarischer Fiktion. Auch die Inhalte von Lehrbüchern und wissenschaftlichen Abhandlungen sind oftmals sehr komplex und brauchen ausführliche Erklärungen, um tatsächlich verstanden werden zu können. Doch für Sachbücher, einem Genre das hauptsächlich durch die Originalität und Anwendbarkeit seiner Kernaussagen und nicht durch seinen Schreibstil definiert wird, kann Micro Reading die Lösung sein. Micro Reading hilft nicht nur bei fehlender Zeit, es kann auch eine Vielzahl weiterer Türen öffnen – für den Leser, aber auch für Autoren und Verlage.

Micro Reading präsentiert das Wissen in einer Form, wie unser Internet-gewöhntes Gehirn es gerne hat.

Die Vorteile von Micro Reading sind enorm: Durch die Darbietung des Wissens in prägnanten, einprägsamen und leicht verdaulichen Häppchen – das Lesen eines einzelnen Abschnittes dauert oft nur ein oder zwei Minuten – kostet es keine Überwindung mit dem Lesen zu beginnen. Micro Reading kann die Menschen auch auf psychologischer Ebene reizen: Da es endlich auch geschäftige Leser schaffen, ihre gewünschten Leseziele zu erreichen, erhalten auch sie ihr verdientes Erfolgserlebnis. Mithilfe von positiver Verstärkung wird Lesen wieder zum Spaß und wirkt nicht wie ein zusätzlicher Stressfaktor.

Micro Reading kann dabei helfen, neue Lesegewohnheiten aufzubauen.

Medienkonsum lebt schon immer davon, dass man Gewohnheiten aufbaut. Man erinnere sich nur an seine zeitungslesenden Eltern am Frühstückstisch. Die Herausforderung ist, dieses auch für digitale Publishing-Produkte zu schaffen. Micro Reading lässt sich sehr gut in unsere überladenen Zeitpläne einbauen. Sofort abrufbereit auf dem Smartphone wird eine echte Alternative zum anspruchslosen Surfen auf Facebook oder Twitter geboten – egal ob man in der Schlange steht um seine Kaffeebestellung aufzugeben oder abends am Bahnhof auf den Zug wartet. Die Häppchen sind fokussiert und auf den Punkt, man findet daher einen schnellen und einfachen Zugang zu den Inhalten und kann diese jederzeit und überall konsumieren. Wartezeiten werden so zu Momenten des Lesens und Lernens.

Micro Reading kann als Katalysator dienen um mehr und intensiver zu lesen.

Die 15-minütige Lektüre über ein spannendes Thema führt nicht nur schneller zum Erreichen eines Zieles, sondern regt auch dazu an, mehr zu lesen und intensiver in ein Thema einzutauchen. So sind die Wissenshappen bei Produkten wie z.B. TED Books oder Blinkist so konzipiert, dass sie besonders ansprechend sind – sie bringen den Leser dazu mehr zu entdecken, nicht weniger. Themengebiete die vorher vielleicht unbekannt und schwierig erschienen, werden interessant und anregend aufbereitet und erleichtern daher den Einstieg in eine tiefere Beschäftigung mit dem Thema.

Micro Reading hilft bei der Entdeckung.

Jedes Jahr werden tausende neue Bücher veröffentlicht, die die Millionen von existierenden Büchern ergänzen. Wenn man dann noch die zahlreichen Artikel, Studien und ähnliche Publikationen einbezieht, die tagtäglich im Internet hochgeladen werden, verliert man sehr schnell den Überblick. Ein Vorteil von Micro Reading ist, dass man sich nicht direkt an ein ganzes Buch bindet, sondern stattdessen seinen Wissensdurst über mehrere Genres hinweg befriedigen kann – das macht es einfacher herauszufinden was wirklich interessant ist. Und nicht nur das: Eine größere Auswahl hat auch beeindruckende Folgen für Autoren: Wenn die Leser eine Möglichkeit haben, sich schnell und einfach durch eine große Anzahl an Veröffentlichungen zu arbeiten, dann werden auch die früher sträflich missachteten Werke eher gewürdigt. Micro Reading kann so zu einer Anti-Beststeller-Liste werden.
Der Astrophysiker und Autor Neil Degrasse spricht in einem erfolgreichen Internetvideo sehr leidenschaftlich über das Potential von Soundbites, einer Form von Wissenshappen:

“[A few] words that are informative, make you smile, and are so tasty you might want to tell someone else — there is the anatomy of a soundbite. […] A soundbite is useful because it triggers interest in someone, who then goes and puts in the effort to learn more. Take the moment to stimulate interest, and upon doing that you have set a learning path into motion that becomes self-driven because that soundbite was so tasty — why do you think we call them bites?”

Wie oft ist man selber schon auf ein Zitat im Internet oder gar auf der Facebook-Pinnwand eines Freundes gestoßen und hat sich anschließend die Mühe gemacht herauszufinden, wo es herkommt? Micro Reading-Dienste wie Kindle Singles, Blinkist, Vox Cards, Snippet, und TED Books versuchen, genau diesen Funken zu entzünden. Sie unternehmen den Versuch, das alltägliche Lernen wieder möglich zu machen, indem sie nicht gegen, sondern mit den Bedürfnissen und Gewohnheiten des modernen Lesers arbeiten.

Micro Reading sollte daher nicht als Risiko für die traditionelle Form des Buches gesehen werden, sondern als zeitgemäße Erweiterung, um die Aufmerksamkeit und das Interesse der Menschen an neuen Ideen und Konzepten zu wecken. Wie schon Hörbücher und E-Books neue Anwendungsmöglichkeiten für Leser geschaffen und Bücher für ein breiteres Spektrum interessant gemacht haben, genau so ermöglicht Micro Reading eine neue Chance, außergewöhnliche Ideen und Konzepte in die Köpfe der Menschen zu bringen. Und genau das sollte doch das ultimative Ziel eines jeden Autors und Verlegers sein!

Niklas Jansen ist Mitgründer und Geschäftsführer von Blinkist, einem Service für hochwertige und für mobiles Lesen optimierte Zusammenfassungen von Sachbüchern. Er interessiert sich für innovative Geschäftsmodelle und dafür, wie Technologie die Verlagswelt verändert. Sein Fokus liegt auf Produkten, die das Lernen und den Zugang zu Informationen vereinfachen.

Im Rahmen der von der Self-Publishing-Plattform epubli initiierten Konferenz Rewrite the Web am 2. Oktober in Berlin hält Niklas Jansen einen Vortrag über Micro Reading. Auf der Konferenz diskutieren Autorinnen, Agenten, Bloggerinnen und Digital-Innovatoren darüber, wie in Zukunft Bücher publiziert, vermarktet und gelesen werden. Die Idee hinter Rewrite the Web (#RtW14) ist es, den Dunstkreis der Buchbranche zu verlassen, um neue Impulse aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen zu bekommen. Dazu hat epubli entschlossene Vordenker und kreative Macher an Bord geholt, darunter Patrick Brown (Goodreads), Anna Theil (Startnext), Sebastian Matthes (Huffington Post), Karla Paul (Hoffmann und Campe), Jürgen Hopfgartner (Axel Springer Ventures), Matthias Müller (Rocket Internet), Cat Noone (Liberio) und Bestseller-Autor Karl Olsberg (u.a.„Würfelwelt“, „Das System“).

Kommentare

4 Kommentare zu "Niklas Jansen: Wie „Micro reading“ uns tatsächlich dabei helfen kann, mehr zu lesen und zu lernen"

  1. Micro Reading ist nicht zielführend. Micro Writing wäre ein geeigneter Ansatz. Wem an echtem Wissen liegt, der muss sich ohnehin Zeit nehmen.

  2. Sorry, aber der Beitrag ist mir einfach zu lang. Gefühlte 9000 z. zum Thema Micro (!) Reading? Passt nicht mehr zu meinem Leseverhalten.

  3. Immer diese nie hinterfragten Sätze aus der Berater-Mottenkiste. „Es wird in einer schnelllebigen Zeit immer wichtiger auf dem Laufenden zu sein“ – NEIN. Ich wage mal die Behauptung, dass dem nicht so der Fall ist. Wissen, dass sich um aktuelle Themen dreht, ist dank der Kurzlebigkeit morgen schon absolut unnütz, daher brauch ich es mir gar nicht erst zu merken – schon das Wissen um die Existenz solcher Informationen ist unnütz. Es ist wichtiger, Goethes Lebensdaten zu kennen, als die neuen Merkmale von iOS8, die Twitter-Adresse von irgendeinem Starlet, die neuesten (Haha) Erkenntnisse im Marketing oder das neue Must-Have von Marke X. Und mal unter uns: Sachbücher sind so nützlich wie dünnes Klopapier. Wer wirklich was lernen will, kennt die richtigen LEHRbücher und Verlage. Und dann kommt man um ein gedrucktes Buch nicht herum. Betonung liegt auf Buch und nicht auf einem gekürzten Buchstabenstrom, der vor dem Auge vorbeifliegt, während man versucht, sich in der Straßenbahn festzuhalten.

  4. Martin Miermeister | 24. September 2014 um 20:53 | Antworten

    Ein spannender und richtiger Beitrag!

    Um den modernen Leseverhalten auf Smartphones oder Tablets im Alltag gerecht zu werden, stellt das Micro Reading in der Tat einen geeigneten Zugang zu komprimiertem Wissen dar. Die genannten Anbieter bieten hierzu bereits gute Lösungen.

    Wenn jedoch das Interesse an einer tieferen Auseinandersetzung mit Themen gefördert wird, fehlt es noch an Lösungen, um in der Informationsflut des Internets den Überblick zu behalten: Herkömmliche Suchmaschinen liefern tausende und abertausende Treffer. Dabei landen Suchmaschinen-optimierte (SEO) Seiten oder Portale mit hohem Werbebudget (SEA) in den Ergebnislisten ganz vorne, während relevante und qualitativ hochwertigere Beiträge auf den hinteren Rängen der Trefferlisten nicht gefunden werden. Der von Technik und Werbebudgets bestimmte Suchmaschinen-Algorithmus fördert aus dem Wühltisch der Informationen nicht die vermeintlich besten Treffer zu Tage.

    Um dieses Problem zu lösen, tritt Bibago mit einem neuen Ansatz an: Bibago ist ein offenes Themenportal zum Mitmachen, auf dem die Nutzer entscheiden, welche Fachbeiträge relevant sind und dem Fachthema entsprechende Qualität aufweisen. Auf Bibago stehen Themen in sogenannten Themencentern im Mittelpunkt, zu denen jeder Nutzer beitragen kann. So bietet Bibago die Möglichkeit, sich zu einem Thema einen umfassenden Überblick zu verschaffen, auf dem Laufenden zu bleiben oder gar – im Falle von Autoren oder Experten – die eigene Expertise einzubringen. Wir freuen uns über interessierte Besucher auf http://www.bibago.de.

    Martin Miermeister
    Gründer / Bibago UG (haftungsbeschränkt)

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