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Crowdfunding senkt die Eintrittsbarrieren

Das Internet hat in den vergangenen Jahren viele Lebensbereiche verändert. Welchen Einfluss es auf das Geschichtenerzählen hat, hat die „New York Times“ verschiedene englischsprachige Autoren gefragt. buchreport hat sich unter deutschen Schriftstellern umgehört und stellt die Antworten zu den Einflüssen der Digitalisierung vor. Im siebten Teil unserer Reihe äußert sich Comiczeichner Daniel Lieske (Foto: Selbstporträt).

Der Zeichner Daniel Lieske machte 2010 mit dem ersten Kapitel seines Web-Comics„Wormworld Saga“ auf sich aufmerksam. Bis heute sind sechs Kapitel der digitalen Graphic Novel online erschienen. Band 1 der Saga ist als „Die Reise beginnt“ 2012 bei Tokyopop auch im Print erschienen. Mit „Der Hort der Hoffnung“ wurde dieses Jahr der zweite Band gedruckt herausgegeben. Aktuell sammelt Lieske Geld für eine englischsprachige Buchausgabe


Inwiefern hat sich Ihr Arbeitsalltag in den vergangenen Jahren durch die Digitalisierung verändert?

Ich würde sagen, ich bin schon bei einem recht hohen Level an Digitalisierung eingestiegen. 1999 begann ich als Grafiker in einer Computerspielefirma und seitdem arbeite und kommuniziere ich eigentlich ausschließlich mit dem Computer. Über die Jahre hat natürlich eine Entwicklung stattgefunden, besonders das Aufkommen der sozialen Netzwerke hat die Grundlage für meine heutige Arbeit geschaffen. Ohne die Möglichkeit, meine Arbeiten schnell und kostenlos mit anderen über das Internet teilen zu können, würde bei mir vermutlich gar nichts funktionieren. 

Was sind Ihre größten Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf die Digitalisierung?

Meine Hoffnung ist, dass in der Digitalisierung und speziell in der sozialen Vernetzung immer Bewegung bleiben wird. Große Konzerne versuchen ständig, die sich oft spontan entwickelnden Strukturen einzugrenzen und finanziell auszuschlachten. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass die User ihren eigenen Kopf haben und gerne auch auf andere Angebote wechseln, wenn die großen Anbieter es zu bunt treiben. Das heißt natürlich auch, dass man ständig auf der Hut sein muss, in welchen sozialen Netzwerken man sich engagiert. Die Sorge, Zeit und Aufwand an der falschen Stelle zu investieren ist da ein ständiger Begleiter. 

Wie schätzen Sie den E-Book-Markt ein?

Das E-Book-Format ist für Comicautoren, die dazu noch in Farbe arbeiten, ja grundsätzlich nicht so relevant. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich meine Inhalte sowieso kostenlos im Internet zur Verfügung stelle. Ich denke, E-Books sind eine vom technologischen Fortschritt erzwungene Notwendigkeit. Ich kann das Gerangel um den Preis von E-Books gut nachvollziehen. Als Kunde muss man sich zwangsläufig fragen, warum eine digitale Datei nicht viel billiger ist als ein physikalisches Buch. Vielleicht müsste die Diskussion hier noch viel transparenter geführt und die Kostenstrukturen bei der Buchproduktion klar kommuniziert werden. Ich finde es schade, dass sich der digitale Buchmarkt auf wenige große Anbieter beschränkt und der Zwang, über diese Anbieter verkaufen und eine entsprechende Marge abdrücken zu müssen, das große Einsparungspotential von E-Books wieder stark einschränkt. 

Ist der wachsende Selfpublishing-Markt Chance oder Bedrohung für Autoren, die vom Schreiben leben wollen?

Eine der interessantesten Entwicklungen der letzten Jahre, in Bezug auf Selfpublishing, ist für mich das Crowdfunding. Die Idee, kreative Projekte von Fans vorfinanzieren zu lassen, ist aus Autorensicht ja grundsätzlich schon spannend. Besonders bemerkenswert finde ich allerdings die typischen Proportionen von Crowdfunding-Kampagnen. Im Comicbereich sieht die typische Kampagne so aus, dass angestrebt wird, eine kleine Auflage von Büchern (2000 bis 4000 Stück) zu produzieren, und im Schnitt werden für das Erreichen dieses Zieles nur ein paar hundert Unterstützer benötigt. Als Betreiber geht man aus einer solchen Kampagne, wenn sie denn erfolgreich ist, mit einer vorfinanzierten Buchproduktion und dem Warenwert der übrigen Bücher hinaus. Natürlich hat man dann eine Menge Arbeit damit, den Unterstützern Ihre Bücher zukommen zu lassen, und die Erstellung der Buchinhalte ist dann auch noch nicht bezahlt. Allerdings beobachte ich immer mehr junge Autorinnen und Autoren, deren Crowndfunding-Kampagnen von um die 1000 Unterstützern getragen werden, und ab dem Punkt bewegt man sich bei den Einnahmen im mittleren bis oberen fünfstelligen Bereich. Dadurch entsteht dann ein echter Überschuss, der neben der Printproduktion auch noch die kreative Arbeit an einem Buch tragen kann.

Unterm Strich muss ich einfach feststellen, dass man im traditionellen Buchmarkt hunderttausende Leser und eine entsprechende Auflage benötigt, um von einem einzigen Buch leben zu können. Über Crowdfunding kann man theoretisch ein Jahreseinkommen mit 1500 bis 2000 verkauften Exemplaren erwirtschaften, und diese Verschiebung der Proportionen muss man einfach mal auf sich wirken lassen. Hinzuzufügen ist hier allerdings, dass es eine große Herausforderung ist, 1000 treue Fans um sich zu versammeln, die einen im Crowdfunding unterstützen. Man kann davon ausgehen, dass man mit seinen Inhalten viele hunderttausend Leser erreichen muss, um aus diesen die 1000 treuen Fans zu rekrutieren. Gewissermaßen muss man also immer noch ein „Bestseller“ sein. Allerdings kann man sich Bekanntheit im Internet mit wesentlich weniger materiellem Aufwand (dafür allerdings mit viel persönlichem Einsatz) erarbeiten, als es braucht, um hunderttausende Bücher im Einzelhandel zu platzieren. In meiner Wahrnehmung sinken damit insgesamt die Eintrittsbarrieren, und das halte ich für eine gute Entwicklung.     

Wie groß ist die Gefahr, die von E-Book-Piraterie ausgeht?

Da ich in diesem Punkt eine völlig andere Strategie verfolge – ich verteile mein Werk kostenlos in digitaler Form – kann ich das ganz schwer einschätzen. Ich finde ja, es ist potentiell ein gutes Zeichen für ein kreatives Werk, wenn Interesse daran besteht und die Leute das Bedürfnis haben, es zu verbreiten. Was man dann allerdings braucht, ist ein Zielort, an dem die Leute ankommen und etwas vorfinden, was man entweder nicht raubkopieren kann oder was einfach emotional so überzeugt, dass man gerne Geld darin investiert. Im Musikbereich sind das die Konzerte, im Comicbereich die aufwendig gestalteten Sondereditionen. Im Literaturbereich scheint man mit Lesungen ja schon einen ähnlichen Weg zu gehen, aber hier wäre es wünschenswert, noch irgendetwas anderes zu finden, wo die Leute ankommen können, nachdem sie über eine Raubkopie ihren neuen Lieblingsautor entdeckt haben. Wenn man da fündig würde, könnte man E-Books auch endlich kostenlos verteilen.

Sind die Buchverlage schon fit fürs digitale Zeitalter? Was wünschen Sie sich von ihnen?

Ich bin persönlich sehr zufrieden mit meinen bisherigen Verlagszusammenarbeiten. Eine Tendenz, die sich für mich abzeichnet, ist, dass je größer ein Verlag ist, desto unflexibler und langsamer reagiert er auf spontane Aktionen und neue Ideen. Ich denke aber, genau hier müssen Verlage aufpassen, nicht von den Ereignissen abgehängt zu werden.

Ich könnte mir vorstellen, dass eine gute Zeit für kleinere Verlage anbricht, die Erfahrungen im Buchgeschäft haben, aber bei denen die Entscheidungswege kurz genug sind, um auf die sich ständig ändernden Anforderungen zu reagieren. Gerade im Comicbereich ist das Drucken von Büchern immer noch ein großes Thema. Im Selfpublishing-Bereich noch mehr als im Massenmarkt. Verlage kennen sich gut aus mit der Buchproduktion und können Autoren daher wertvolle Dienste anbieten. Vielleicht muss man das Verhältnis zwischen Verleger und Autor einfach etwas entstauben und die Parteien auf Augenhöhe bringen. Auch im digitalen Zeitalter kann man gemeinsam immer noch mehr erreichen als alleine.

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