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Was macht Amazon anders, Herr Bolliger?

Amazon Publishing will das Verlagsgeschäft in Deutschland zügig ausbauen. Kindle-Singles-Lektor Laurenz Bolliger über Arbeitsweise und Perspektiven. Aus: buchreport.magazin 5/2014.

Wie unterscheidet sich die Verlagsarbeit von Amazon von der klassischer Verlage?
Einerseits arbeite ich ähnlich wie früher bei Verlagen wie Ammann, Berlin oder DuMont direkt mit Autoren an ihren Texten. Wir besprechen zusammen die Struktur, die Sprache, die Idee. Dann geht es in die Korrektur und ein professionelles Cover wird gestaltet. Andererseits begleite ich die Plattform „Kindle Singles“ – ein Sub-Store im großen allgemeinen Kindle-Store und ein Angebot für kurze, qualitative Texte zwischen 5000 und 30?000 Wörtern. In meiner Funktion als Kindle-Singles-Editor sichte ich die Titel für das Angebot im Store; darüber hinaus arbeite ich mit Verlagen zusammen, die mir Texte aus ihrem Programm für den Kindle-Singles-Store vorschlagen. Die Titel erscheinen auch auf anderen Plattformen, im Kindle-Singles-Store haben sie aber ein exklusives Umfeld von nur wenigen Titeln und erhalten daher mehr Visibilität und mehr Beachtung. 
Anders als ein normaler Verlag können Sie Amazon-Kundendaten auswerten und die Vorlieben der Leser genauer studieren.
Im Grunde gestalten wir unser Programm wie andere Verlage auch. Wenn ich z.B. sehe, dass ein Kindle-Singles-Titel von Stephen King bei uns in den Top 10 eingestiegen ist und sich weit oben gehalten hat, kann ich daraus schließen, dass die Kunden besonders kurze Thriller lieben. Gleiches gilt für Karen Slaughter oder den deutschen Autor Raimon Weber, der auch bei Ullstein publiziert und mit dem wir eine Serie von fünf Titeln machen.
Im Kurzformat regiert die Genreliteratur?
Nicht nur. Ins erste Programm von Kindle Singles Titeln haben wir die Kurzgeschichte eines deutschen Autors, Marcus Seibert, genommen: „Vater, Mutter, Kind“, eine durchaus anspruchsvolle literarische Kurzgeschichte, die stilistisch an Raymond Carver erinnert und nicht nur die schönen, sonnigen Seiten unseres Lebens beleuchtet. Erst dachte ich: „Jetzt kommst du hierhin und bringst zum Start solch eine ‚ungemütliche‘ Kurzgeschichte mit.“ Am Ende war ich überrascht, dass dieser Titel von den Kunden fast am besten aufgenommen wurde. Also: Eine anspruchsvolle literarische Kurzgeschichte findet genauso ihren Weg wie ein Kurzthriller, eine Kriegsreportage aus Syrien von Carsten Stormer oder eine Reportage über Yoga von Anne Philippi.
Es gibt bislang über 600 Titel im deutschen Kindle-Singles-Store. Eine gute Handvoll davon waren in den Kindle-Bestseller-Top-Ten. Ist das genug?
Im September 2013 wurde der Kindle-Singles-Store auf Amazon. de gelauncht. Dafür ist das uns momentan vorliegende Ergebnis doch eine gute Bilanz. Es ist unser erklärtes Ziel, dass wir gute Qualität zu guten Preisen anbieten. Wir hoffen natürlich im Sinne der Autoren und der Leser, dass möglichst viele der Kindle-Singles erfolgreich sind.
Wie viele Titel planen Sie pro Jahr?
Bislang erscheinen mindestens vier neue Kindle-Singles pro Monat.
Im ersten Schritt wurden vor allem amerikanische Singles ins Deutsche übersetzt. Werden künftig auch ihre Titel auf Englisch herausgebracht?
Das ist bereits der Fall. Ich habe mich in meiner Laufbahn sehr stark mit internationaler Literatur auseinandergesetzt und mich hat auf den Messen oftmals gewundert, dass ständig nur von den wichtigen neuen englischsprachigen Manuskripten gesprochen wurde. Bei Amazon ist der Vorteil, dass die Editoren der drei Singles-Stores in den USA, Großbritannien und Deutschland sehr engen Kontakt pflegen. Die besten Texte werden sukzessive übersetzt, was für die Autoren eine großartige Möglichkeit ist, sich eine neue Leserschaft zu erschließen, auch dort, wo Übersetzungen 2–3% des gesamten Buchmarkts ausmachen. Zuletzt ist beispielsweise die Single von Georg Diez, „Alexanderplatz“, in Amerika und Großbritannien publiziert worden, mit eigenem Cover in einer wunderbaren Übersetzung. Bald werden die Texte von Marcus Seibert, René Schweitzer und Raimon Weber in englischer Übersetzung erscheinen.
Warum funktionieren Kurzgeschichten als E-Book, im Printformat aber nicht so gut? 
In den Verlagen wurde mir als junger Lektor tatsächlich immer gesagt „Ach, Kurzgeschichten sind schwierig, das mag der Buchhandel nicht, das mögen die Vertreter nicht, das verkauft sich nicht“. Das hat sich durch die Digitalisierung offenbar verändert, die Käufer lesen unterwegs und mobil mit den verschiedensten Geräten, im Flugzeug, Zug oder in der U-Bahn, und zwar mit einem Erfolgserlebnis: Sie können während einer kurzen Fahrt oder noch vor dem Schlafengehen eine schöne, in sich geschlossene Geschichte abschließen. Die Literatur muss gegen andere Medien kämpfen, gegen Computer-Games, gegen das ständige  Telefonieren. Deshalb finde ich  es toll, wenn wir wieder Leser gewinnen und Literatur vermitteln können.
In der Buchbranche wird viel über die richtige Preissetzung bei E-Books diskutiert: Die einen sagen, niedrige Preise ködern eine neue Leserschaft, die anderen fürchten, durch Preisexperimente werde das Buch entwertet. Was ist Ihre Position?
Pricing spielt natürlich eine Rolle für den Kunden, aber nicht einzig und allein. Entscheidend sind auch andere Punkte beim Kauf von Texten und Büchern beispielsweise ihre Qualität oder die Kundenrezensionen.
Wird Ihr Singles-Programm jemals im Buchhandel zu kaufen sein?
Es gäbe zumindest die Möglichkeit. Die meisten Texte sind so kurz, dass eine gedruckte Fassung keinen Sinn ergibt, aber wenn wir eine Serie wie die von Raimon Weber haben, könnten wir mit einer Printausgabe neue Leser begeistern. Aber das muss letztlich der Autor entscheiden, bei dem die Rechte bleiben.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Laurenz Bolliger

wechselte im September 2013 zu Amazon, um dort das deutschsprachige Kindle-Singles-Programm zu betreuen. Nach Stationen bei Ammann sowie als Lektor und Programmleiter Taschenbuch im Berlin Verlag hatte Bolliger die Programm- und Marketingleitung für die internationale Literatur für das Suhrkamp- und Insel-Taschenbuch inne, bevor er die Programmleitung fremdsprachige Belletristik bei DuMont übernahm. 

Foto: Chantelle Gomez; buchreport/DL

Die deutsche Amazon-Zentrale in München.

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